MiniKrimi Adventskalender am 14. Dezember


dliche Erinnerung

„Hey Lukas, weißt du noch? Du hattest immer weiße Jeans an, knalleng, hat sich alles abgezeichnet. Und dazu mit Silber beschlagene Cowboystiefel.“ „Klar. Aber du hast meine Ray Ban vergessen. Die war übrigens reiner Selbstschutz. Wenn ich die während der Vorlesung abgesetzt hätte, wären die „ragazze“ beim Anblick meiner strahlend blauen Augen reihenweise in Ohnmacht gefallen.“

Lautes Gelächter, von einigen nicht ganz ernst gemeint. Es ist fünf Uhr nachmittags, die Terrasse der Strandbar „Da Micco“ bietet einen malerischen Ausblick auf die Marina, sanfte Wellen schaukeln Möwen und ein paar Tretboote. Der Himmel strahlt, die Sonne neigt sich zum Horizont und leckt schon himbeerrot am Meer. Von drinnen klingen die Lieder herüber, die in den späten 1970ern die Jukebox gefüllt haben: Battisti und Dalla, De André und Baglioni. Lukas hat extra einen Stick damit vorbereitet. Es soll alles so sein wie damals, als sie an der Università degli Studi in Pisa Medizin studiert haben. Es waren tolle Jahre, in jeder Hinsicht. Raus aus dem deutschen Mief, weit weg von den Eltern, Sonne, Meer, Espresso und Prosecco zum Abwinken. Und die „ragazze“! Die blonden Deutschen mit den dank Papa gut gefüllten Geldbörsen waren beliebt. Nicht nur bei den Mädels in den Bars und am Strand. Auch die – zugegeben wenigen – Kommilitoninnen ließen sich gerne auf die Studenten aus Heilbronn, Marburg oder Oberursel ein.

Ach ja. Tempus fugit, wie Lukas bei der Begrüßung sagte. Über 40 Jahre sind seitdem vergangen. Aber die Clique der „Tedeschi“ – den Namen hatten ihnen die italienischen Studenten gegeben, und sie hatten ihn gerne übernommen – hat sich nicht aus den Augen verloren. Alle 5 Jahre treffen sie sich in der Strandbar. Jetzt heißt sie „da Micco“, davor hieß sie „Queen“, „Miami“ und, in den späten 1990ern, „Stella Marina“. Die Zeit flieht, und die Reihen der Freunde werden lichter. Hermann hatte 1990 einen tödlichen Unfall mit seinem Ferrari. Andreas hatte Krebs – Bauchspeicheldrüse. Beim vorletzten Treffen war er noch dabei und siegessicher. Ein Chirurg wird doch die Oberhand behalten? Kurz danach kam dann die Todesanzeige. Franz hat das zweite Mal geheiratet, klassischerweise seine OP-Schwester, 30 Jahre jünger. Jetzt sitzt er mit den Zwillingen in der Villa am Bodensee, und sie macht Yogaurlaub. Mit einer Freundin…

Olli trägt Glatze und Bierbauch, Max ein Toupé. Nur Lukas sieht noch so aus wie früher. Zumindest auf den ersten Blick. Die gleichen weißen Jeans, Cowboystiefel, dazu eine freche Ray Ban. Die Haare flott gestylt und noch ziemlich üppig, die Zähne blendend weiß, keine Falte zu viel im Gesicht. Naja, Berufsehre. Lukas leitet die größte Praxis für Plastische Chirurgie in Mannheim. 5 angestellte Ärzt*innen, 15 Mitarbeitende. Er ist nur noch 2 Mal die Woche da, für die wichtigsten – und reichsten – Patientinnen und Patienten.

So sind sie diesmal also nur noch zu siebt. Lukas und Ingo, Olli, Wolfram mit seiner Frau Isa, die seinen Rollstuhl schiebt und ihm mit säuerlicher Miene den dritten Prosecco genehmigt, Peter, Fritz und Hajo. Alles arrivierte Ärzte. Fritz und Hugo engagieren sich ehrenamtlich in einer Klinik für Landminenopfer in Pakistan. Ingo hat seine unfallchirurgische Praxis seinem Sohn Heiko übergeben und segelt seitdem mit Freunden um die Welt. Freunde, Partner – heute ist das ja alles kein Thema mehr. Aber damals….

Außerdem sind bei den Treffen immer auch noch ein paar Italienerinnen dabei. Kommilitoninnen von damals. Freundinnen aus dem Dunstkreis der Tedeschi. Allegra, die Dolmetscherin, die Lukas‘ Doktorarbeit übersetzt hat, Francesca, die niedergelassene Dermatologin. Nur Laura fehlt. Natürlich.

Warum hat Lukas sie immer wieder eingeladen, obwohl sie nie gekommen ist? Pflichtbewusstsein? Alte Zeiten? Oder ein schlechtes Gewissen? Er hat den anderen nie von der Einladung an Laura erzählt. Hermann und Ingo wären dann auf keinen Fall gekommen. Wolfram? Der schon. Kann ja alleine keine Entscheidungen mehr treffen, und Isa liebt diese Auszeit an der toskanischen Küste. Und Olli – der kann sich wahrscheinlich gar nicht mehr an Laura erinnern. Kam ja erst vier Semester später dazu.

Inzwischen sind sie beim 4. oder 5. Negroni, Lukas hat das Zählen aufgegeben, und auch Mavi, seine aktuelle Lebensgefährtin, genießt die „dolce vita“ in vollen Zügen. Detox und Pilates waren gestern und stehen morgen wieder auf dem Plan. Heute wird gefeiert. Lukas‘ Freunde sind gar nicht so öde, wie sie befürchtet hatte. Witzig, charmant und auf eine altertümliche Weise liebenswert. Ingo hat ihr den Stuhl zurechtgerückt. Fritz füllt ihr Glas regelmäßig nach, und Hugo erzählt ihr mit glänzenden Augen von den Frauen, denen sie mit einer Prothese das Leben erleichtert haben. Klingt heldenhaft. Vielleicht fährt sie mal mit. Aber wahrscheinlich legt sich ihre Begeisterung für dieses Projekt, wenn der Prosecco verflogen ist.

Da geht die Terrassentür auf, und eine junge Frau steht vor ihnen. Im langen, weiten weißen Leinenkleid, Goldkettchen um die schmale Fessel, weiße Sandalen. Lange schwarze Locken fallen auf braune Arme. Ihre Augen so groß, ihr Mund so rot.

Lukas lässt das Glas mit seinem Negroni fallen. Klirren. Stille. Hugo, ganz Mann von Welt, geht auf die junge Frau zu. „Signora, suchen Sie jemanden? Das ist eine geschlossene Gesellschaft…“ Aber Lukas sieht und hört, dass auch Hugo die Frau erkannt hat. Laura. Sie sieht aus wie Laura. Aber das kann nicht sein. Laura ist heute Ende fünfzig. Und die Frau vor ihnen? In den Dreißigern. Oder so.

„Scusi, entschuldigen Sie. Ich habe von draußen meine Lieblingsmusik gehört. Ich musste einfach reinkommen. Aber ich gehe gleich wieder. Ich wollte sie nicht stören.“

„Ma no! Nein, bitte. Bleiben Sie. Was möchten Sie trinken? Einen Negroni?“

Mavi schaut zu, wie Lukas der Frau einen Platz anbietet, einen Negroni bringt, sich neben sie setzt und sich alsbald angeregt mit ihr unterhält. Das ist so typisch Lukas. Aber Mavi macht sich nichts mehr daraus. Auch streunende Hunde kehren irgendwann wieder zu ihrem Futternapf zurück. Und der ist bei Mavi immer gut gefüllt. Mit feinstem Essen, gutem Sex und einem offenen Ohr für all die Problemchen und Wehwehchen, die ein arrivierter plastischer Chirurg so hat.

Die Sonne geht unter, Mavi hat Kopfschmerzen. „Ich fahr schon mal ins Hotel“, sagt sie. Lukas nickt abwesend. „Ich komm bald nach. Nimm ruhig das Auto, aber fahr langsam. Ingo nimmt mich mit.“ Ingo ist im gleichen Hotel abgestiegen. Die beiden sltzen links und rechts von der Italienerin, Lucia heißt sie. Reden, lachen, sind betört davon, dass eine schöne Frau ihnen zuhört, mit großen Augen und strahlendem Lächeln. Er wirkt immer noch, ihr Charme. Und warum auch nicht? Zwei erfolgreiche Männer, Ärzte aus Deutschland. Das war doch schon immer ein Freibrief, hier.

Am nächsten Morgen wacht Mavi alleine auf. Von Lukas keine Spur. Sie denkt sich nichts weiter und geht runter zum Frühstück. Dort trifft sie einen verkaterten Wolfram mit einer – wie immer – mürrisch dreinschauenden Isa. Peter, Olli, Fritz und Hajo kommen dazu. Lukas und Ingo sind nirgends zu sehen. Für den späteren Vormittag ist ein Besuch im Naturhistorischen Museum der Universität Pisa geplant. Francesca hat eine Führung organisiert. Mavi fährt bei Fritz und Hajo mit. Auch zum Mittagessen in der Osteria, die die Clique als Studenten zum Stammlokal auserkoren hatten, fehlen Lukas und Ingo.

Was tun? Ist das noch normal? Oder ist den beiden etwas zugestoßen? „Mavi, was sollen wir machen?“, fragt Isa. Denn die Männer sind unschlüssig. Typisch. „Keine Ahnung. Sowas ist eigentlich noch nie passiert. Aber sie sind ja zu zweit. Was soll schon sein?“, antwortet Mavi. Sie ist eher verärgert als besorgt. So eine Rücksichtslosigkeit. Sie sind über 60, nicht 20. Was denken sich die beiden eigentlich? Sie werden doch sicher nicht zusammen mit Lucia…? Ja, was?

Also zurück ins Hotel. Abwesend macht Mavi den Fernseher an. Sie versteht kaum Italienisch. Aber die Bilder sind deutlich genug. Eine männliche Leiche wurde angeschwemmt. Auf der Höhe von Tirrenia. Ohne Papiere. Mit einer Wunde am Kopf. Und 1,9 Promille im Blut. Ganz offensichtlich ist der Mann betrunken von einer Mole ins Meer gestürzt, hat sich dabei an den Steinen verletzt und ist dann ertrunken. Die Großaufnahme der Leiche zeigt – Ingo. (…)

So, meine Lieben. Das ist der erste Teil des Thrillers Tödliche Erinnerung. Übermorgen kommt der zweite Teil. ABER: ihr habt die Möglichkeit, einzugreifen. Was ist passiert? Wo ist Lukas? Und wie soll es weitergehen? Macht mit! Seid Ermittler*innen und Kriminalisten. Ich freue mich auf eure Tipps!

Hinterlasse einen Kommentar