Adventskalender MiniKrimi am 24. Dezember (Heiligabend)


Wie gestern bereits angekündigt, heute als Abschluss meines diesjährigen MiniKrimi Adventskalenders ein Netzfund (Autor unbekannt, ich hab*s gegoogelt), auf den ich durch Birgit Schiche und Lupine auf BlueSky aufmerksam wurde. Vielleicht kennen einige von Euch das Gedicht und mögen es genauso gern wie ich…..

Ich wünsche Euch ein gesegnetes, lichterfülltes Weihnachtsfest – und dass es hell bleiben möge in Euch weit über Weihnachten hinaus!

Danke, dass Ihr mir folgt und meine Krimis lest. Ich verspreche: über’s Jahr werden immer wieder welche erscheinen. Mit meiner Ko-Autorin Lydia H. habe ich da schon eine ganz konrete Idee.

Das gestohlene Jesuskind
Die schönste Krippe dieser Welt
ist in der Kirche aufgestellt:
Maria, Josef, Ochs und Rind
inmitten drin das Jesuskind.

Kurz nach dem zweiten Weihnachtstag
trifft den Herrn Pfarrer fast der Schlag
wird käsebleich vor großem Schreck
das süße Jesulein ist weg
fort, gestohlen und geraubt
von Kirchenräubern unerlaubt.

Der Messner ist auch sehr entsetzt
weil stark die Heiligkeit verletzt.
Die beiden sorgen sich mit Bange
jetzt dauert es bestimmt nicht lange
bis auch der Josef wird gestohlen
und Gauner die Maria holen.

Und sie beschließen aufzupassen
den Übeltäter frisch zu fassen
der Pfarrer will im Beichtstuhl sitzen
das Brillenglas an schmalen Schlitzen
der Messner beim Altar verkroch
spickt durch ein kleines Astguckloch.

Sie warten ganz mucksmäuschenstill
und wie es Gottes Weisheit will
öffnet sich sacht die Kirchenpfort‘
ein kleiner Bub erscheinet dort
schiebt seinen Roller vor sich her
das Jesuskind liegt hinten quer
über dem Schutzblech hängend nur
halb festgemacht mit einer Schnur.

Der Pfarrer eilet flugs geschwind
zum Buben mit dem Jesuskind
was fällt dir ein, hört man ihn fragen
willst du mir gleich die Wahrheit sagen
der Knirps mit seinen blonden Locken
erwidert freiweg unerschrocken,
was man verspricht man halten soll
und er erklärt fast andachtsvoll
ich habe schon vor ein paar Wochen
dem Jesukindlein fest versprochen:

Wenn es am Christtag an mich denkt
mir einen schönen Roller schenkt
darf es zusammen mit mir flitzen
und hinten auf dem Schutzblech sitzen
ich werde nicht vom Roller steigen
dem Jesukindlein alles zeigen
dann kann es Abwechslung bekommen
vom Heugeruch und Überfrommen
Und frische Luft und Spaß juchu
und rote Bäckchen noch dazu.

Adventskalender MiniKrimi am 23. Dezember


Heute schreibe ich den letzten Adventskalender Minikrimi 2023. Morgen stelle ich euch ein wunderbares Weihnachts-Krimigedicht vor, einen Netzfund auf Bluesky. Doch jetzt schreibe ich noch einmal selbst. Von Thriller bis Komödie habe ich diesmal verschiedene Genres bedient. Heute nun: Fantasy. In Ansätzen. Weil ich das Grauen der Realität manchmal sublimieren möchte, um an das Gute zu glauben, trotzdem. Und gerade jetzt, einen Tag bevor, das glaube ich, die Liebe in die Welt geboren wird. Immer wieder neu.

Ein tödlicher Plan

Ein ganz normaler Morgen kurz vor Weihnachten. Geschäftiges Treiben, vielleicht, auf den Straßen. Einige Student*innen haben die letzte Uniwoche vor Weihnachten vorzeitig beendet und sind nach Hause gefahren. Die anderen folgen nur halb den Vorlesungen und planen die Feiertage mit ihren Freunden, mit der Familie.

Oder Schüler’innen freuen sich auf die Ferien, im Unterricht werden Filme geschaut, eine Weihnachtsaufführung wird geprobt.

Dann bricht ihr Alltag zusammen. Ein Amokläufer dringt in ihr Gebäude ein, schießt wahllos um sich und tötet, die ihm über den Weg laufen.

Auch der junge Amokläufer selbst hat seine Tat nicht überlebt. Ein ganzes Land trauert. Wie schrecklich! Wie viele Leben sind zerstört, für sehr lange Zeit, manche sogar für immer.

Wie oft wünschen wir uns, wir könnten die Geschichte umschreiben. Dem Entsetzlichen eine andere Wendung geben. Den Attentaten, die immer wieder Lernorte zu Schauplätzen brutaler Waffengewalt machen.

Allein, das geht nur in der Literatur.

Der junge Mann nahm die Welt um sich herum schon seit Monaten als schwarz wahr. Er kleidete sich schwarz, hatte seine schulterlangen Haare schwarz gefärbt und ging nur aus dem Haus, nachdem die Sonne untergegangen war. Oder wenn dunkle Wolken jedes Licht in graue Schatten verwandelten und Regen ihn wie ein Vorhang von anderen Menschen trennte.

Die letzte Therapie hatte er abgebrochen. Die Tabletten in die Toilette gekippt. Alles sinnlos. Lieber den rohen Schmerz ertragen, fühlen, wie er ihm das Herz zerriss, als im gefühllosen Nebel zu tapern. Die Schnitte, die er sich zufügte, ließen ihn zumindest noch ein wenig Leben spüren.

 Aber das war jetzt auch vorbei. So tief er sich auch in den Arm stach – so viel Blut auch aus der Wunde floss – er blieb völlig gefühllos.

Gut. Nächste Stufe. Wenn er sein eigenes Leiden nicht mehr spürte – andere konnten das noch. Und jetzt sollten sie bluten. Waren sie nicht schuld daran, wie es ihm ging?

Der junge Mann stieß die Haustür auf, sah sich nach links um, dann nach rechts. Kein Mensch weit und breit. Nur eine Rabenkrähe hockte auf dem kahlen Ast der Buche gegenüber. Seit Tagen, so schien es ihm, verfolgte sie ihn. Hockte auf dem immergleichen Ast und schwang sich in den bleiernen oder tintenschwarzen Himmel, ihm dicht auf den Fersen. Mehrmals schon hatte der junge Mann einen Stein aufgehoben und nach dem Vogel geworfen. Nie hatte er ihn getroffen. Die Kohleaugen starrten ihn wissend an, und krächzend erhob er sich in den Wind. Aber nur, um bald darauf wieder in der Nähe des jungen Mannes aufzutauchen.

„Verschwinde“, rief dieser jetzt. „Du Totenvogel. Hau ab!“ Er fand einen scharfen, spitzen Stein, zielte, und diesmal traf er die Rabenkrähe am Flügel. Sie taumelte und drehte ab. Mit gesenktem Kopf stapfte er weiter, die Hände in den Hosentaschen, Richtung Elbufer. Kurz nach der Sturmflut war hier niemand unterwegs. Er stiefelte durch das streckenweise noch knöcheltiefe Wasser. Nach dem letzten Glühweinstand, dort, wo der Strand begann, setzte er sich auf eine nasse Bank. Wasser und Horizont verschwammen, die großen Schiffe lehnten als dunkle Schatten am düsteren Himmel. Mit einem leisen Krächzen setze sich die Rabenkrähe auf die Lehne, mit einem halben Meter Abstand.


„Sch! Schsch! Verschwinde, oder ich dreh dir den Hals um, du schreckliches Vieh!“ „Das würde ich an deiner Stelle nicht machen. Ich bin doch nur hier, weil du mich gerufen hast.“

„Was? Du lügst!“ Der Umstand, dass der Vogel ihn angesprochen hatte, war für den jungen Mann nicht halb so unerhört wie die Tatsache, dass er ihn gerufen haben sollte.

„Ja. Du hast den Tod im Sinn. Und das ruft mich auf den Plan. Ich bin der Vorbote. Und der Tatortreiniger, zuweilen. Nun erzähl: was genau hast du vor? Und wie weit bist du mit deinen Vorbereitungen? Ich kann dir helfen, weißt du?!“

„Ich brauche keine Hilfe. Und deine schon gar nicht. Was ich vorhabe geht dich nichts an. Außer, dass ich dich vielleicht zum ersten Opfer mache.“

„Das würde ich nicht tun“, wiederholte die Rabenkrähe. „Es könnte sein, dass dich nach dem ersten Mord der Mut verlässt. Und das wäre doch schade für deinen Plan.“

„Was, einen Vogel zu töten soll mich beeindrucken? Du hast ja gar keine Ahnung. Mich beeindruckt nichts mehr. Und Schmerz spüre ich schon lange nicht mehr. Mitleid kenne ich gar nicht.“

„Soso. Du hast kein Problem damit, einen Vogel zu töten. Und auch keinen Menschen? Bist du dir da ganz sicher?“

Jetzt saß neben dem jungen Mann statt einem Vogel eine alte Frau. Ganz in schwarz, in Rock und Mantel, Stiefeln, Hut und Handschuhen. Mit einer Schnabelnase und Knopfaugen, die ihn scharf musterten. Der junge Mann zuckte zurück. „Was?“ setzt er an, aber die Alte fiel ihm ins Wort. „Geh nach Hause. Denk nochmal in Ruhe über deine Pläne nach. Morgen treffen wir uns wieder. Und wenn du dann immer noch der Überzeugung bist, dass du töten musst…“ „Was dann?“ „Dann helfe ich dir. Glaub mir, du wirst meine Hilfe brauchen.“

Und mit einem Krächzen, das in den Ohren des jungen Mannes wie ein Lachen klang, schwang sich die Rabenkrähe in den Abendhimmel und war sofort verschwunden.

Der junge Mann stand auf. Er ging nicht nach Hause, sondern in die Villa seines Vaters. Dort öffnete er den Waffenschrank und nahm die Waffen und Munition, die er morgen brauchen würde. Nachschlüssel hatte er schon vor Jahren machen lassen, unmittelbar nach einem Amoklauf in den USA. Seine Eltern waren auf Teneriffa. Schade, sonst hätte er mit ihnen angefangen. Ohne sie gäbe es ihn nicht. Sie waren die Wurzel seines ganzen Übels. Aber besser so. Was sie nach seiner Tat durchleben mussten war vielleicht noch schlimmer als ein schneller Tod. Vielleicht. Der junge Mann konnte das nicht beurteilen. Er spürte nichts. Noch nicht. Er hatte übrigens nicht vor, sich selbst ebenfalls zu richten. Zumindest nicht, bevor er wusste, ob das unumkehrbare Leiden anderer in ihm einen Funken Gefühl auslösen würde.

Am nächsten Morgen zog er sich mit außergewöhnlicher Sorgfalt an. Dem Anlass angemessen trug er saubere Hosen und Schuhe, einen Rollkragenpullover und darüber einen weiten Umhang, unter dem er den Rucksack mit den Waffen verstauen konnte. Allerdings war dieser so schwer, dass er sich entschloss, mit dem Bus zu fahren. Allein bei dem Gedanken traten ihm Schweißperlen auf die Stirn. Kurz überlegte er, ob er einfach das Massaker im Bus verüben sollte. Aber nein! Es sollte der Ort sein, an dem er gelitten hatte. Gedemütigt worden war. Von den Professoren und von seinen Kommilitonen.

Auf dem Weg zur Haltestelle war der junge Mann sich fast sicher, der Rabenkrähe zu begegnen. Aber nein! Die Fahrt führte ihn durch die halbe Stadt. Die Menschen um ihn herum waren ihm unerträglich. Er hatte sein Ziel fast erreicht, da setzte sich eine alte Frau neben ihn. Er wandte automatisch den Kopf ab und schaute aus dem Fenster.

„Ich sehe, du bleibst bei deinem Vorhaben. Das ist ganz nach meinem Geschmack. Lass dich von einem einmal gefassten Entschluss nicht abbringen.“

Träumte er, oder war das tatsächlich die Alte von gestern? Aber wer sollte sonst ihr heikles Gespräch aufnehmen wie eine gerade fallengelassene Masche? „Ich hab dir gestern schon gesagt, ich zieh das alleine durch. Ich brauche dich nicht.“

Er stand auf und stürmte aus dem Bus. Eine Haltestelle zu früh, aber besser, als noch länger neben der verrückten Krähenfrau zu sitzen. „Du kannst mich nicht abschütteln, junger Mann“, sagte ihre Stimme neben ihm. Er fing an zu rennen. Sie schwang sich in die Lüfte und begleitete ihn leise krächzend. Um ihn herum waren jetzt einige Studenten, so dass er sich nicht traute, einen Stein nach dem Vogel zu schleudern. Schließlich kamen sie an. Er ging durch das Tor – keiner interessierte sich für ihn. Exzentrik war bei vielen Studierenden ein Markenzeichen. Er musste noch eine Viertelstunde warten, bis alle in ihren Vorlesungen waren. Dann hatte er leichtes Spiel. Er setzte sich auf eine Bank in einem Flur, dessen Räume wegen Renovierung leer standen.

Und sofort saß die Alte wieder neben ihm. „Du bist dir wirklich sicher? Und was, wenn es schiefgeht? Dann wäre alles umsonst. Besser, du nimmst meine Hilfe an.“

„Nein!“, rief er und spürte einen euphorischen Moment lang so etwas wie Hass in sich aufkeimen. „Gut. Du lässt mir keine andere Wahl. Dann gehe ich jetzt ins Sekretariat und warne sie alle.“ Die Alte stand auf und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen, den Flur entlang in Richtung Hauptgebäude.

„Das wirst du nicht tun!“, schrie der junge Mann. Er sah plötzlich rot. Wortwörtlich. Er sprang auf. Mit zwei Sätzen war er bei der Alten, legte ihr beide Hände um den Hals und drückte zu. Mit der ganzen Kraft seiner aufgestauten Verzweiflung. Sie sackte in sich zusammen und lag dann gekrümmt auf dem Steinboden. Ein schwarzes, lebloses Häuflein. „Ahhhh“, glaubte er zu hören. Dann Stille.

Und jetzt die anderen, dachte er. Und blieb stehen. Jetzt die anderen! Er blickte auf das reglose Kleiderbündel, das gerade noch mit ihm gesprochen hatte. Mit dem er gesprochen hatte. Zum ersten Mal seit. Ja, seit wann? Die Alte mochte eine Hexe gewesen sein. Aber sie hatte ihm zugehört. Anteil genommen. Ihr war es gelungen, sein Nichtfühlen zu durchbrechen, seinen unbändigen Hass herauszuholen aus einer Tiefe, zu der er den Zugang verloren hatte.  

Aber jetzt war der Hass verflogen. Und wie ein Kater kam die Traurigkeit. Was hätte aus dieser Begegnung werden können? Und wenn diese Begegnung in ihm Totes auferweckt hatte – vielleicht konnte das wieder geschehen? Mit anderen? Mit denen, die er im Begriff war, zu töten?

Er griff nach seinem Rucksack und rannte den Flur entlang, die Treppen hinunter. Hinaus aus dem Gebäude. Durch den Park und das Tor. Er rannte weiter, bis er ans Elbufer kam. Er setzte sich auf die gleiche Bank, auf der er gestern mit der Alten gekauert hatte. War das erst gestern gewesen?

Unwillkürlich schaute er in den Himmel. Keine Rabenkrähe. Natürlich.

Irgendwann ging er nach Hause. Aus dem Copy Shop gegenüber kam ihm eine junge Frau entgegen. „Hey, Maximilian! Ich hab dich ewig nicht gesehen. Ich dachte, du seist weggezogen. Sag mal, hast du Lust auf nen Kaffee, ganz spontan?“ Sie sieht ihn skeptisch an, weiß, dass Spontaneität nicht sein Ding ist. Aber „ja, warum nicht?“, hört er sich sagen. Und nebeneinander gehen sie die Straße entlang. „Schau mal, die Rabenkrähe. Kennst du die? Ich glaube, sie hat dir gerade zugezwinkert“, sagt die junge Frau. Sie meint es ernst. „Ja, wir sind alte Bekannte. Freunde, eigentlich.“ Er meint das genauso ernst.

Das Attentat in Prag hat mich zu diesem MiniKrimi zwar inspiriert, aber meine Geschichte hat nichts damit zu tun. Wie schön wäre es, wenn jeder von uns eine Rabenkrähe hätte. Beinahe besser als ein Schutzengel. Oder?

Adventskalender MiniKrimi am 22. Dezember


So langsam wird es ernst. Der Countdown für Weihnachten geht in die letzte Runde. Und wie könnten wir uns besser einstimmen als mit dem heutigen MiniKrimi meiner wunderbaren Autoren- Kollegin Birgit Schiche? Viel Spaß beim Lesen – und wir freuen uns auf Eure Kommentare!

Criminal Santa

Es war eine der längsten Nächte des Jahres, kurz vor Heiligabend. Sturmböen peitschten ihm den Schneeregen ins Gesicht. Er lief noch schneller durch die kleinen Gassen nahe der Innenstadt. Hinter sich hörte er schnelle Schritte und laute Rufe. Sie waren ihm auf den Fersen. Er schlug Haken wie ein Kaninchen und kroch schließlich unter einen lockeren Stapel mit Sperrmüll, wohl übriggeblieben von einem Umzug. Seine Lunge brannte, sein Herz pumpte. Hoffentlich bemerkten sie ihn nicht.

Janik war es gewohnt, nicht bemerkt zu werden. Seine traurige Kindheit hatte überwiegend in Kinderheimen und betreuten Jugendwohnungen stattgefunden. In der Schule hatte er auch nicht mit guten Noten geglänzt. Dabei war er schlau und ein ausgezeichneter Beobachter. Er hatte gelernt, sich auf dem Weg des geringsten Widerstandes durchs Leben zu mogeln. Leider hatte ihn dieser Weg in die Hände von Bruno geführt. Bruno war mit Drogen wohlhabend und mächtig geworden und glaubte, in Janik einen perfekten Drogenkurier gefunden zu haben – der inzwischen 25-Jährige verstand es schließlich, nicht aufzufallen.

Zuerst lockte Janik die Aussicht auf leicht verdientes Geld, doch dann war der Job keineswegs so bequem, wie er es bevorzugte. Polizei, konkurierende Drogenhändler, durchgeknallte Junkies – er wollte mit dieser Branche nichts mehr zu tun haben. Sein Ausstieg war vorbereitet. In seinem Rucksack befanden sich drei Kilo Koks. Ein letzter Deal, und er würde mit dem Geld abtauchen, das ihm einen Neustart ermöglichen sollte. Seine Art von „weiße Weihnacht“, hohoho. Doch er konnte nicht ewig hier unter dem Sperrmüll hocken. Er musste unsichtbar werden, das war seine Superkraft.

Sein Blick fiel auf einen braunen Kartoffelsack, aus dem ein rotes Stoffknäuel mit weißem Kunstpelz herausschaute. Ein Weihnachtsmannkostüm – perfekt!

Durch den Personaleingang des größten Kaufhauses der Stadt stapfte ein Weihnachtsmann mit einem großen, braunen Sack auf dem Rücken. „Ho, ho, ho!“ rief er fröhlich, der Pförtner lachte und winkte ihn durch. Der Weihnachtsmann stand höchstens unter dem Verdacht, Geschenke zu bringen.

Schon kurze Zeit später stand der Weihnachtsmann in der Spielzeugabteilung, umringt von begeisterten Kindern und deren Eltern. Drogendealer gab es hier keine.

Janik gab einen großartigen Weihnachtsmann ab. Das gefundene Kostüm passte ganz passabel, als dicken Bauch hatte er sich einfach seinen Rucksack mit dem Kokspäckchen unter das Kostüm gestopft. Vor allem aber verstand er es, gute und weihnachtliche Stimmung zu verbreiten. Er ließ die Kinder kleine Gedichte aufsagen und alle Umstehenden gemeinsam Weihnachtslieder singen – damit kannte er sich Dank seiner Heimkarriere gut aus. Und er verteilte Geschenke, kleine Spiele, Puppen, Stofftiere – alles, was es hier zu kaufen gab. Janik war in Hochform und hatte einen Heidenspaß. Seine gute Stimmung wirkte ansteckend und motivierte die anderen Menschen, diese Dinge auch zu kaufen – besser als jede Werbeaktion. Inzwischen war die ganze Abteilung von Menschen überlaufen. Die Aktion sprach sich herum.

„So einen tollen Weihnachtsmann hatten wir hier noch nie“, tuschelten die Verkäuferinnen begeistert und kamen mit dem Kassieren kaum hinterher. Der Kaufhausdetektiv war allerdings weniger begeistert. Er wusste nichts von einer Weihnachtsmannaktion und bemerkte schnell, dass der nicht bestellte Weihnachtsmann seine Geschenke direkt aus den Regalen des Kaufhauses nahm, natürlich ohne zu bezahlen. Langsam rückte er durch die Menschenmassen näher an Janik heran.

Dieser bemerkte aus dem Augenwinkel den starrenden Blick des Kaufhausdetektivs und einen weiteren Mann in der Menge – einen von Brunos Leuten, der natürlich nicht nach dem auffälligsten, sondern nach dem unauffälligsten Mann suchte. Der Kaufhausdetektiv hatte offenbar auch schon die Polizei alarmiert, denn zwei uniformierte Beamte kamen ebenfalls näher. Es war Zeit für den Rückzug. Er bewegte sich unauffällig Richtung Fahrstuhl, umringt von einer Menschentraube. Dabei stieß er wie zufällig mit dem Drogendealer zusammen und schob dem derart Überrumpelten von der Menschenmenge unbemerkt den Rucksack mit dem Koks zu.

Das Lichtsignal am Fahrstuhl zeigte an, dass dieser gleich hier halten würde. Sobald der Fahrstuhl sich öffnete, machte Janik die Polizei lautstark auf den Drogendealer aufmerksam und sprang selbst in den Fahrstuhl, ohne die alte Dame darin erst aussteigen zu lassen. Er fuhr mit ihr ins Erdgeschoss, schnappte die vor Schreck erstarrte Seniorin, als wollte er sie beim Gehen unterstützen, und verließ mit ihr unbehelligt das Kaufhaus. Im Trubel der Last-Minute-Weihnachtseinkäufer tauchte er unter. Der Kaufhausdetektiv fand später nur noch die verwirrte, aber wohlbehaltene alte Dame.

Das Weihnachtsmannkostüm schenkte Janik einem Obdachlosen, den es wärmte und der so bekleidet die Passanten deutlich stärker zum Spenden animieren konnte. Er selbst wurde unsichtbar und verließ die Stadt. Das Drogengeld musste er nun leider abschreiben. Aber dieser Tag war definitiv das beste Weihnachtserlebnis, das er je gehabt hatte: Die leuchtenden Kinderaugen und all die fröhlichen Menschen, die sich von ihm zum Kauf animieren ließen. Es hatte richtig Spaß gebracht, so im Mittelpunkt zu stehen und die Leute zu lenken! Janik hatte seine neue Superkraft gefunden.

*Dieser Mini Krimi wurde zwar inspiriert von der Geschichte des „King Mob Santa Claus“ 1968 bei Selfridges (London), ist aber ansonsten frei erfunden.
https://libcom.org/article/king-mob-santa-claus-and-selfridges-christmas-1968

Adventskalender Minikrimi am 21. Dezember


Wintersonnenwend-Tango

„Du musst unbedingt fitter werden, Teddy! Sonst kannst du In einem Jahr nicht mehr alleine wohnen.“

„Blödsinn. Und nenn mich nicht Teddy. Ich bin kein Bär!“ Thaddäus Richling war gereizt. Wie immer, wenn Ute, sein „guter Engel“, wie er die Chefin der Agentur Allein daheim nannte, weil das vor anderen und für ihn selbstständiger klang als „Tageshilfe“, ihn auf seinen Gesundheitszustand ansprach.

Aber Ute hatte Recht, das wusste er. Was nützte ihm sein ganzes Geld, was seine wunderschöne Villa, wenn er sich nicht mehr von einem Raum zum anderen bewegen konnte, geschweige denn in seinen geliebten Garten? Wenn er nicht mehr über die mäandernden Wege zwischen japanischen Kirschen, duftenden Rosen und Ginkgos zum schattigen Koi-Teich streifen konnte?

„Ich sage es dir nur ungern, Teddy. Aber du hast in den letzten zwei Monaten massiv abgebaut. Du musst deine Beine trainieren. Und damit meine ich keine gemächlichen 200 Meter-Spaziergänge von der Terrasse zum Fischteich (hier zuckte Thaddäus zusammen. Sein Koi waren doch keine Fische, sondern edle Zuchtkarpfen). Im Mehrgenerationen-Zentrum bieten sie Ballgymnastik an, und sie haben auch geführte Wandergruppen. Wir könnten doch mal zusammen hingehen und reinschauen?“

Allein bei dem Wort Mehrgenerationen-Zentrum stellten sich bei Thaddäus die Nackenhaare auf. Er sah sich im Stuhlkreis sitzen, umringt von Frauen, schrumpelig wie ein Apfel vom Vorjahr die einen, aufgeblasen wie ein zum Platzen reifer Luftballon die anderen, mit dünnen weißen Dauerwellen, grauen Karoröcken über braunen Stützstrümpfen und selbstgestrickten Wollwesten auf rosa Nylonblusen. Hier und da in den Kreis gestreut vielleicht ein gebeugter Mann mit senilem Lächeln und von Hosenträgern gehaltenen Beinkleidern aus Cord mit Urinflecken im Schritt. „Nein, da werden wir nicht hingehen“, intonierte er bestimmt.

Thaddäus war zwar nie ein sportlicher Mann gewesen – er hatte immer wieder gerne und mit ironischem Lächeln das erfundene Churchill-Zitat „no sports“ angeführt, aber er hatte sich bis ins Alter einen gepflegten Körper erhalten, wohl mehr aufgrund glücklicher genetischer Fügung als durch eigenes Dazutun. Worauf er allerdings selbst immer geachtet hatte, war ein tadelloses Äußeres. Nie sah man ihn ohne Hemd, Krawatte oder Halstuch, Manschettenknöpfe und Jackett. Nein! Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, in einem Stuhlkreis zu sitzen und zum Geruch von Kohl, Schweiß und Urin Bälle zu werfen.

Aber Ute hatte Recht. Er musste etwas tun. Die rettende Idee kam ihm während des Besuchs seiner Großnichte Arabella. Arabella studierte Lateinamerikanistik, und das mit Geist, Seele und Körper. Letzteren hatte sie dem Tango Argentino gewidmet, und nach inzwischen vier Jahren hatte sie zwar immer noch keinen Bachelor, dafür war sie perfekt in allen Figuren dieses schmeichelnden Tanzes.

„Komm, Teddy (schon wieder dieser Kosename!), wir legen mal ne kesse Sohle aufs Parkett!“ Thaddäus protestierte. Er sah sich schon nach den ersten Drehungen im Rollstuhl landen, für immer gelähmt – oder schlimmeres. Doch Arabella war beharrlich, und schließlich nahm er seine Großnichte in den Arm, und sie schwebten über das Parkett. Vom Wohnzimmer in den Flur, dann wieder zurück. Es war kein Tanzen, vielmehr ein Gleiten, Schreiten, beinahe mühelos und gleichzeitig unglaublich anregend. Thaddäus fühlte sich beschwingt, verjüngt. Und dachte: „Ja! Wenn schon Sport, dann Tango.“

Er beauftragte die widerstrebende Ute, die beste Tangoschule ausfindig zu machen. „Ausgerechnet Tango, also bitte. Zum Tanzen bist du wirklich zu alt, Teddy“, versuchte sie ihn von seiner „fixen Idee“, wie sie das nannte, abzubringen. Umsonst. Teddy zahlte, also bestimmte er auch. An einem Montagabend gingen Ute und er zu einer Milonga, einem offenen Tango-Tanztreff. Und siehe da, die Tänzerinnen und Tänzer waren keineswegs alle blutjung und drahtig. Nein, der Tango schien Menschen mit 20 genauso anzusprechen wie mit 60 und mehr. „Sie wollen beweglicher werden, aber sich keine gefährliche Sportverletzung zuziehen? Dann ist Tango genau das richtige. Schauen Sie, wir schreiten im Kreis dahin. Sie machen keine abrupten Bewegungen, aber ihr ganzer Körper ist im Einsatz. So!“, sagte die Tanzlehrerin und umrundete, mit Thaddäus im Arm, den Saal.

Seitdem ging Thaddäus jeden Donnerstag ins „Corazon“. Er kaufte sich Schuhe und die passende Tangokleidung. Schon bald gelang es ihm, zwei Tänze ohne Schweißausbrüche zu durchschreiten. Selbst Ute musste zugeben, dass er sicherer auf den Beinen war, nicht mehr so schnell müde wurde und, ja, eine gewisse Elastizität im Gang und ein Leuchten in den Augen hatte. „Erzähl mal, wie sind denn so die Partnerinnen? Hast du eine feste, oder tanzt du immer mit verschiedenen?“ Denn auch ein alter Kater lässt das Mausen nicht, dachte sie. Und Thaddäus hatte die Damen immer sehr geliebt.

Als er aber, ganz gegen seine Gewohnheit, einsilbig blieb, kam Ute eines Abends „ganz zufällig“ ins Corazon. Und dort tanzte Thaddäus mit einer anmutigen, wohlgeformten Schönheit in einem enganliegenden roten Kleid, dunklen Glutaugen und einer Rose in der schwarzen Mähne. „Aha“, dachte Ute. „So ist das also.“ Sie blieb noch eine ganze Weile an ihrem Tisch ganz hinten in der Ecke sitzen und beobachtete das Tanzgeschehen. Eine ältere Dame fiel ihr auf. Sie war zierlich, aber offensichtlich muskulös, ganz in schwarz gekleidet, ihr silbernes Haar fiel in sanften Wellen auf die zarten Schultern. Grazil bewegte sie sich am Arm ihrer wechselnden Partner, und auch komplizierte Figuren meisterte sie mühelos. Thaddäus hingegen gelang es nicht, sein Bein elegant um das seiner schönen Partnerin zu wickeln, und mehr als einmal stockte er im Fluss der Melodie. Tango ist nämlich nur am Anfang ein Schreiten, später wird daraus doch so etwas wie gleitende Akrobatik. Und in dieser Liga bewegte sich der Achtzigjährige noch nicht ganz. Jetzt musste er, schweren Herzens, wie Ute an seinem Gesichtsausdruck ablesen konnte, seine Tänzerin einem anderen überlassen, und während sie leichtfüßig und wie von seiner Alterslast befreit am Knie des neuen Partners entlang glitt, stand Thaddäus verloren auf dem Parkett. Da nahm die „silberne Dame“, wie Ute sie nannte, seinen Arm und führte ihn bestimmt und behutsam zurück in das Wiegen der Musik. „Sie mag ihn“, wusste Ute. „Schade, dass er nur Augen für die Junge hat.“

Bald darauf überraschte Ute ihren Patienten, wie er am Telefon über die Möglichkeiten einer bedeutenden Schenkung sprach. „Soweit ist es schon! Die hat ihn an der Angel. Hoffentlich geht das gut.“

Und dann kam die Wintersonnenwende. Die längste Nacht des Jahres. Wie geschaffen für eine Milonga voller Leidenschaft. Das Corazon hatte zu einem Tanz im Freien eingeladen. Der Pavillon im dunklen Park war von unzähligen Kerzen beleuchtet. Wolken jagten in silbernen Fetzen über den Himmel. Der Mond kam und ging, der Wind sang ein eigenes Lied, mal in drohendem Crescendo, mal als säuselnde Klage. Die Schatten der Tänzer schmiegten sich an die Säulen des Pavillons. „Eine magische Nacht“, flüsterte Thaddäus und hielt seine Partnerin fest in den Armen. Doch sie entzog sich ihm, schelmisch lachend. „Komm, fang mich“, und sie glitt auf dem feuchten Boden hinüber zu den Marmortreppen, die die kleine Halle begrenzten. Glatt waren sie, ein falscher Tritt, ein Sturz, für junge Beine nicht weiter gefährlich. Für alte Knochen aber….  „Warte, warte doch“, rief Thaddäus atemlos gegen den Wind. Er streckte die Hand nach ihr aus. Sie ergriff sie und zog ihn mit ungeahnter Kraft. Thaddäus taumelte.

Doch plötzlich ließ sie ihn los. Sie stolperte über etwas, ein schwarzer Schuh? Und fiel nun ihrerseits die Stufen hinunter. Ein Schrei. Die Musik verstummte. Die Tanzlehrer umringten sie. Gottlob, nur ein verstauchter Knöchel.

„Ja, die Jugend ist resilient. Wir Alten nicht mehr so sehr“, sagte eine sanfte Stimme neben Thaddäus. „Wir brauchen hin und wieder einen Schutzengel, um nicht böse zu straucheln.

„Sie weigert sich, jemals wieder mit mir zu tanzen!“ Thaddäus war untröstlich, und Ute gelang es nicht, ihn davon zu überzeugen, dass die junge Schönheit vielleicht Arges im Schilde geführt hatte. Doch mit der Zeit wurden Thaddäus und Mimosa, die elegante, gewandte Dame mit den silbernen Haaren und muskulösen Beinen, das Schaupaar der Tanzschule Corazon. Wenn sie durch den Saal glitten, machten alle anderen Paare ihnen Platz. Mimosa führte. Aber das durfte Thaddäus von seinem Schutzengel ja wohl auch erwarten.

Adventskalender – Gedanken am 20. Dezember


Es gibt Tage, da lenkt dich das Leben in Bahnen, die anders verlaufen, als du es geplant hattest. Heute am frühen Abend war ich in einem Programm-Kino. Der Film: Liebe Grüße aus Nahost. Mit einem Gespräch mit den Macher*innen.

Ich hatte zunächst nicht auf das Erscheinungsjahr geachtet. Was ich dann sah, war Aktualität pur und hätte im vergangenen Sommer erlebt und gedreht worden sein können.

Eine Gruppe von Gymnasiast*innen, ein Rapper und zwei Begeitpersonen besuchten Hebron, Bethania und das Westjordanland. Dabei begegneten sie Israelis und Palästinensern, die eines gemeinsam hatten: sie engagieren sich für ein friedliches Miteinander, sind gegen bewaffnete Angriffe – und sehen die Politik der israelischen Regierung gegenüber den Palästinenser*innen als Ursache dafür, dass weder Palästina noch Israel zur Ruhe kommen.

Der Film wurde 2012 gedreht. Und es ist an sich schon erschreckend, dass sich nicht nur nichts verbessert hat, sondern dass es im Gegenteil so vie schlimmer geworden ist, für die Menschen dort.

Zur Sprache kamen Lotty, eine Tochter und Enkelin von Holocaust-Überlebenden, ein Holocaust-Überlebender selbst, ein israelischer Soldat, die Eltern einer jungen Frau, die bei einem Selbstmordattentat getötet worden war, eine israelische Menschenrechtsaktivistin, die die Situation an den Checkpoints zwischen Palästina und Israel überwacht. Alles Israelis. Alles Menschen, die in den Medien – sowohl denen vor Ort als auch den internationalen – nie zur Wort kommen. HInzu kamen vier Palästinenser. Ali, ein ehemaliger Aktivist mit 10 Jahren Gefängnisstrafe, ein Bewohner eines von illegalen israelischen SIedlungen umringten Dorfes, ein Bauer in einem ebenfalls von illegalen Siedlungen umzingelten Zeltdörfchen, dass bereits sechs Mal von Siedlern und Militär zerstört und geduldig von den Bauern wieder aufgebaut wurde sowie ein palästinensischer Hip Hopper, der mit seinen Raps gegen den Terror ankämpft.

Mich haben in dem 90-minütigen Film folgende Momente und Aussagen besonders berührt und beeindruckt:

Die Inschrift auf einem Stein am Eingang des Dorfes: We refuse to be enemies. Wir weigern uns, Feinde zu sein.

Lottys Behauptung, dass der Krieg gegen die Palästinenser*innen einen Bürgerkrieg verhindert, weil die soziale Kluft zwischen den Menschen in Israel immer größer wird und es immer mehr Armenghettos in den Städten gibt.

Die Frage des ehemaligen Soldaten, wie es Menschen in den Sinn kommen kann, anderen ihr Land wegzunehmen.

Die Aussage von Lotty, dass das heutige israel kein religiöser Staat ist, sondern ein Land, dessen Bewohner*innen in einer Demokratie leben wollen, und dass ein demokratischer Staat keine Besatzungsmacht sein darf.

Die Behauptung des ehemaligen Soldaten, dass die „normalen“ Menschen in Israel nicht wissen, mit welch illegaler Brutalität das Militär gegen die Palästinenser vorgeht (Sorry, ich weiß, der Vergleich wird als unethish gewertet. Aber ich höre immer wieder den Satz, dass z.B. die meisten Deutschen nicht wussten, was SS und SA mit den Juden machten. DIe Unterscheidung zwischen der Verantwortung von Staat und Volk ist übrigens ein gern und vielfältig genutztes Argument).

Der Unterschied in der Landschaft beim Überqueren der Grenze vom Westjordanland nach Israel. Eben noch alles braun und verbrannt, ohne Gras, Bäume und Sträucher. Und direkt nach der Grenze blühende, grünende Vegetation. Denn Israel gräbt Palästina systematisch das Wasser ab.

Die Frage der Schüler, warum im Holocaust-Museum der Widerstand, auch der bewaffnete, gerechtfertigt und als Heldentum gefeiert wird, während Palestinenser, die sich dagegen wehren, dass ihnen ihr Land und ihre Freiheit genommen wird, als Terroristen bezeichnet werden.

Nein, ich unterstreiche die Frage so nicht. Sie vereinfacht historische Sachverhalte und relativiert entsetzliche Schuld. Schoah und Nakba sind nicht das Gleiche! Aber eine Wahrheit bleibt: Es ist der israelische Staat, nicht seine Bevölkerung, der die Palästinenser*innen seit Jahrzehnten unterdrückt, ihrer Rechte und oft auch ihrer Lebensgrundlagen wie Wasser und Arbeit beraubt, ihnen, wie nicht nur die UN, sondern sogar ein israelisches Gericht mehrfach geurteilt hat, illegal Land wegnimmt und die Siedler mit Militärgewalt beschützt.

Eine Handvoll, so scheint es, Friedensaktivisten sind der Meinung, dass der Konflikt nicht mit Waffen zu lösen ist, sondern nur durch direkte Verständigung der Menschen. Damit die Bürger*innen Israels von ihrem Staat fordern, die Palästinenser*innen mit den gleichen Rechten und Pflichten auszustatten wie sie. Weil dann, und nur dann, der Grundlage für den Terror der Boden entzogen wird: einem Leben in Armut, Demütigung und zielloser Gewalt, die oft Unschuldige trifft. Auf beiden Seiten! Terror unst unverzeihlich und nicht zu rechtfertigen. Und staatlich saktionierte Gewalt ebenso wenig.

Denn, und das ist meine Meinung: Der blutige Kampf im Nahen Osten ist weder Werk noch Wunsch der Menschen, die dort leben, allerdings bedient er die Interessen nicht nur der Israelischen Regierung und der Hamas, sondern der arabischen Welt und des Iran. Und, zumnidest früher, auch einiger westlicher Länder. WIr dürfen nicht vergessen, dass seit Beginn des 20. Jahrhunderts und dann verstärkt während und unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg Juden aus aller Welt ihre Heimat verließen und nach Palästina strömten, weil kein anderes Land sie haben wollte. Und bis heute oft nicht haben will. Antisemitismus lebt. Überall. Nur müssen wir damit aufhören, die Juden als Mitglieder einer Religionsgemeinschaft gleichzusetzen mit dem israelischen Staat, und schon gar nicht mit seiner aktuellen Regierung.

Solange die Politik die Opferkarte spielt, wird die israelische Regierung nämlich nicht zur Rechenschaft gezogen werden für die völker- und menschenrechtlichen Vergehen gegen die Palästinenser*innen. Das sage nicht ich. Das sagen die Isralis in dem Film. Einer von ihnen, ein Holocaust-Überlebender, hat deshalb der Regierung einen Brief geschrieben und dagegen protestiert, dass sein Leid für heutige politische Zwecke missbraucht wird. Der Mann war damals 84. „Egal, was wir erleben. Wir müssen und wir können verzeihen“, sagt er. Das sagen übrigens auch andere Überlebende. Das ist Größe, Das lst gelebte Religion.

Ja, es ist wichtig, dass solche Filme gezeigt und gesehen werden. Weil sie beweisen, dass Versöhnung geht und Wirklichkeit ist, überall da, wo Menschen nicht übereinander, sondern miteinander reden. „Wir hatten vor unserer Begegnung nicht gedacht, dass die anderen auch liebe freundliche Menschen sind“, sagten die Israelis und die Palästinenser im Film von einander.

Und warum geht uns das etwas an? Aus unserer christlichen Verantwortung heraus. Damit wir gegen den Reflex angehen, Politik und Religion zu verquicken. Damit wir offenen Auges und wachen Herzens Antisemitismus bekämpfen – und nicht in all den Menschen Islamisten sehen, die Israels Politik kritisieren.

Wenn Ihr an einer ausführlichen und fundierten Information über die geschichtlichen Hintergründe des Nahost-Konflikts interessiert seid, hier der Link zu einer wirklich sehr guten, absolut objektiven Sendung in der Mediathek von ZDF History: https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x-history/israel-gelobtes-land-bedrohter-staat-100.html

Und wer sich für den Film Liebe Grüße aus Nahost interessiert, hier ein paar Infos: https://www.terramedia-online.de/kino/liebe-gruesse-aus-nahost/

Adventskalender MiniKrimi am 19. Dezember


Der Krippenmacher

Seit dem 15. Jahrhundert machen Krippen das Geheimnis von Weihnachten begreifbar – im wörtlichen Sinn. Längst stehen sie nicht mehr nur in Kirchen. Und obwohl sie in den meisten Fällen ein ländlich-ärmliches Stilleben darstellen, sind die wirklich schönen, die mit den ausdrucksstarken Gesichtern und den liebevollen Details, nur für viel Geld zu haben. Und manchmal reicht nicht einmal das. Das Christkind ist zwar in Palästina geboren, aber die beliebtesten Krippen stehen in alpenländischen Schobern, die Hirten waten durch knietiefen Schnee, Lämmer auf den Schultern. Man möchte unwillkürlich der knienden Maria ein Schaffell überwerfen und das Kind in dicke Decken hüllen. Krippenbauer aus den bayerischen Bergen haben zuweilen ganz genaue Vorstellungen davon, wo „ihre“ Krippen stehen sollen – und wo nicht.

Eberhard K. Wiesner ist ein Selfmademan, wie er im Buche steht. Hat als Putzmann angefangen und sich konsequent hochgeschrubbt. Heute steht vor fast jedem Bürohaus in München ein „Wiesner-wienert-Auto“. Seine Frau  – die 3. – findet den Slogan peinlich. Aber Eberhard weiß, dass der sitzt. Und darauf kommt es an. Bei seiner Frau allerdings kommt Eberhard derzeit nicht sehr gut an. Sie ist eine „Zugroaste“, aber sie will das so gut wie möglich verheimlichen. Will „daheim“ sein in Bayern. Und dazu gehört neben dem Prunkdirndl und dem Wiesntisch beim Käfer eine große weihnachtliche Krippe. Von einem renommierten Krippenbauer. Vom besten. Und das ist unbestritten der Huber Schorsch in Unterammergau. Sie hat seine Krippen gesehen, bei der Frau Bürgermeister. Und bei diversen anderen Honoratioren. Im Stall stehen Ochs und Esel, aber auch Gänse, Hühner und Enten. Maria hat zarte braune Locken, ein blasses Dirndl und ein Gesicht zum Verlieben. Und die Details! Eisblumen an den Fenstern des stilisierten Stalls. Innen sieht man die Stube samt Kachelofen und Fleckerlteppichen. Ganz klar: Eine Huberkrippe muss es sein. Aber der Huber Schorsch weigert sich seit nun schon sechs Monaten, den Wiesners eine Krippe zu bauen. Nicht nur das, er ist nicht einmal bereit, ihnen eine fertige Krippe zu verkaufen. Für kein Geld der Welt. Denn der Wiesner war mit dem Huber Schorsch in der Grundschule, drüben in Garmisch. Und er war damals schon „an rechter Saubua“. Einmal hat er den Schorschi verpetzt, ais der aus der Werkstatt seines Vaters eine Handvoll scharfer Sägespäne mitgenbracht und auf dem Stuhl vom Lehrer verteilt hat. Nein, der Wiesner kann dem Huber Schorsch gestohlen bleiben mitsamt seinem ganzen Geld.

Jetzt ist schon Advent, und in der Villa in Grünwald steht immer noch keine Krippe. Frau Wiesner ist außer sich. Sie beschimpft den Huber am Telefon, sie beschimpft ihren Mann beim Essen und im Schlafzimmer. Der zuckt ergeben die Schultern und zieht schließlich mit der Bettdecke in eines der vielen Gästezimmer. Seine Frau geht ihm zunehmend auf die Nerven. Morgen wird er nochmal beim Huber Schorsch in der Werkstatt anrufen.

Als Eberhard aufsteht – heute muss er ausnahmsweise erst zur Spätschicht raus, um seine Leute zu kontrollieren – ist seine Frau schon weg.

Sie hat sich so über ihn geärgert, dass sie kaum geschlafen hat. Um acht Uhr ist sie in ihren SUV geklettert und Richtung Alpen gefahren. Jetzt verlässt sie die Autobahn. Die Straße sieht aus wie ein Tunnel, auf beiden Seiten türmen sich Wände aus Schnee. Die Berge drohen weiß und  kalt vor einem schiefergrauen Himmel. Die Tannenbäume am Rand der Hauptstraßen sind lichtbekränzt und leuchten um neun Uhr früh immer noch. Sie ist ein Stadtkind von der Reeperbahn, Die Berge, die Holzhäuser mit den windschiefen Balkonen und den verblassten Heiligenbildern an den Wänden machen ihr Angst. Genauso wie die Frauen, die auch an einem ganz normalen Tag im Trachtenrock auf die Straße gehen, oder, schlimmer, die Männer mit den dichten Bärten und dem Wildererblick. Sie fährt durch schmale Gassen, die alten Häuser auf beiden Seiten so windrschief, dass sie sich beinahe berühen. Und kein Laut. In der Stadt ist immer ein Grundton zu hören. Ein rauschender Mix aus Autobahn, Zügen und Menschen. Aber hier: Stille. Mal bellt ein Hund, mal kräht ein Hahn, mal lamentiert eine Rabenkrähe. Sonst nichts.

Dort hinten ist das Huberhaus. „Krippenmacher“ prangt das bunte Holzschild groß und trügerisch. Von wegen. Ihr macht er keine. Aber das wird sich zeigen. Jetzt. Sie parkt auf dem Hof. Steigt aus dem SUV. Niemand da? Überall Holz. Sogar oben auf der Tenne stehen schwere Klötze. Eine neue Lieferung? Als sie näherkommt, löst sich ein Klotz und fällt hinab. Sie ist auf der Stelle tot. Genickbruch. So ein Unglück. Der Huber Schorsch kommt gleich angerannt, er war nur kurz beim Bäcker. Mei, das tut ihm so leid! Andererseits – es ist die Frau vom Wiesner. da kommt der Geselle ums Eck, zu schnell für einen Zufall, zu scheinheilig, als dass der Huber Schorsch ihm den Schrecken abnimmt.

Der Huber traut dem Wiesner alles zu. Auch, den Gesellen zu bestechen, damit der die Wiesnerin um- und den Huber in die Bredouille bringt. Aber, und auch das war schon immer so, Wiesner ist schlau, aber nicht klug. Und schon gar nicht weitsichtig.

Ein Anruf bei seinem Freund Xaver auf der Kriminalpolizeidienststelle Garmisch-Partenkirchen , ein strammes Verhör mit Androhung lebenslanger Haftstrafen und der Aussicht auf Bewährung im Falle eines Geständnisses – und schon liegt der Sachverhalt offen. Also, bis auf die Tatsache, dass der Geselle nur die halbe Bestechungssumme angibt. Die andere Hälfte hat er dem Huber aushändigen müssen, damit der ihn nicht auf der Stelle derschlägt, mit einem weiteren Holzklotz vom Dach.

Der Wiesner sitzt, so munkelt man, Zelle an Zelle mit einem Münchner Gastronomen, der wegen massiver Steuerhinterziehung ins Gefängnis musste. Der Geselle sitzt nicht ganz so komfortabel. Nur der Huber Schorsch sitzt sehr gemütlich in einem Korbstuhl irgendwo in der Karibik, gibt das halbe Bestechungsgeld vom Wiesner aus und lässt seinen Bruder samt Schäferhund auf die Krippen aufpassen. Derweil schaut die geschnitzte Maria, die mit dem blassen Dirndl, den zarten Locken und dem Gesicht zum Verlieben, recht wissend drein. Jetzt hat sie noch ein Geheimnis mehr zu bewahren.

Adventskalender MiniKrimi am 18. Dezember


Heute wird es mystisch im MiniKrimi Adventskalender. Die heutige Story stammt aus der Feder von Patrick Woywod. Er hat ein Faible für Krimis, Msytik und hilfebedürftige Tiere. Viel Spaß beim Lesen seines MiniThrillers.

„Die Schatten des Vergehens“

Robert war schon immer fasziniert von der Polizeiarbeit. Seit seiner Kindheit träumte er davon, eines Tages bei Scotland Yard Verbrecher zur Strecke zu bringen. Sein Interesse für das Unheimliche und das Mysteriöse machte ihn zu einem wahren Krimi-Fanatiker.

Eines Tages erhielt Robert einen Anruf von seinem besten Freund Marcus. Marcus war DS (Detective Sergent) bei der Hertfordshire Constabulary. Er berichtete beunruhigt von einer Serie ungelöster Morde, die die Stadt heimsuchte. Die Opfer wurden auf grausame Weise verstümmelt, und am Tatort fand man mysteriöse Symbole. Scotland Yard kam nicht weiter, denn alles Mystische wurde von vornherein ignoriert, und jeglicher Hinweis, der in diese Richtung deutete, landete unbearbeitet in der immer dicker werdenden Akte.

Deshalb griff Markus kurzentschlossen zu einer unorthodoxen Maßnahme und bat Robert um Hilfe bei der Aufklärung dieser unheimlichen Mordserie. Robert war von Marcus‘ Bitte begeistert und stimmte sofort zu. Gemeinsam durchkämmten sie die alten Polizeiakten und stießen auf eine verblüffende Tatsache: Alle Opfer hatten eines gemeinsam – sie waren Mitglieder einer alten Geheimgesellschaft, die vor vielen Jahren in der Stadt ihr Unwesen getrieben hatte.

Die Spuren führten Robert und Marcus zu einer verlassenen Villa am Stadtrand. Eine unheimliche Aura umgab das alte Gemäuer, und die Schatten der Bäume tanzten unheilvoll im Mondlicht. Mutig betraten sie das gruselige Anwesen, bereit, dem mysteriösen Täter auf die Schliche zu kommen.

In den dunklen Fluren der Villa schienen die Wände zu lauschen, und die alten Dielen knarrten bedrohlich unter ihren Füßen. Ein eisiger Luftzug jagte Robert Schauer über den Rücken, aber er konzentrierte all seine Sinne auf das Unerklärliche um sie herum.

Jetzt hörten sie ein heiseres Flüstern in den Schatten. Unerschrocken folgten die beiden Männer der geisterhaften Stimme und gelangten in einen geheimen Raum, dessen Wände mit mysteriösen Symbolen bemalt waren. Auf dem Boden lagen in staubigen Stapeln uralte Bücher. In der Mitte des Raumes stand ein Altar, und darauf lag ein blutbeflecktes Messer.

Robert erkannte, dass sie dem Täter auf der Spur waren. Endlich! Plötzlich wurde es dunkel: die Flammen der Kerzen auf dem Altar erloschen, und die Türen schlossen sich mit einem lauten Knall.

In der Dunkelheit hörten sie bedrohliches Lachen. Eine unheimliche Gestalt tauchte aus den Schatten auf. Sie trug ein langes schwarzes Gewand, ihr Gesicht war von einer Maske verdeckt. Es war der greise Anführer der alten Geheimgesellschaft, der die Mordserie inszeniert hatte.

Mit einer für sein hohes Alter unerwarteten Geschmeidigkeit sprang er auf die beiden Eindringlinge zu. Ein gezielter Stoß mit der blutbefleckten Waffe, und Marcus sank schwerverletzt zu Boden. Jetzt wandte der Mörder sich Robert zu. Unerbittlich drang er auf ihn ein und trieb ihn in die dunkelste Ecke des Raumes. Verzweifelt stemmte Robert beide Hände gegen die Wände hinter seinem Rücken. Er wollte den rasenden Alten mit einem Fußtritt zurückdrängen. Doch da ertasteten seine Finger kaltes Metall. Ein Säbel an einer brüchigen Wandhalterung. Robert riss ihn heraus. Mit der Kraft der Verzweiflung versetzte er seinem Widersacher einen Hieb, der dessen Schulter zerschnitt.  

Marcus überlebte den Anschlag nur knapp. Statt einer Belobigung für die Festsetzung eines gesuchten Serienmörders erhielt er eine – allerdings nur milde – Verwarnung, weil er sich alleine, nur in Begleitung einer Zivilperson, auf die Jagd nach dem „Schatten des Vergehens“ gemacht hatte. So ist die englische Polizei.

Adventskalender MiniKrimi am 17. Dezember


Die pure Lust

„Tschüss, Schatz. Ich bin spätestens um 19 Uhr wieder da.“

„Was, 19 Uhr? Jetzt ist es gerade mal drei. Was hast du den ganzen Nachmittag über vor?“

„Schatz,“ – leichte Ungeduld in ihrer Stimme – „ich bin bei Franck. Er ist nicht einfach ein Friseur, er ist ein Coiffeur, ein echter Haar-Künstler. Deshalb nimmt er sich für jede Kundin genau die Zeit, die er braucht, um ihre innere Schönheit nach außen leuchten zu lassen. So steht’s auf seiner Webseite, und genau so ist das auch. Jetzt schau mich nicht so an, ich kannte Franck schon, da hatte ich keine Ahnung, dass es dich irgendwo gibt. Deine Eifersucht ist hier wirklich fehl am Platz. Weißt du was, ruf deinen Freund Harald an und triff dich mit ihm im Fitnessclub. Der ist praktisch bei Franck um die Ecke. Dann kannst du mich abholen und mit deiner schicken Frau ins Schumanns gehen, auf einen Cocktail, und dich in den neidischen Blicken der Leute baden.“

Bevor sie Tom kennengelernt hatte, hatte sie ihr Single-Dasein in vollen Zügen genossen und nichts anbrennen lassen, wie man so schön sagt. Und Franck war immer hautnah dabei gewesen. Die Schmetterlinge im Bauch, die heißen Tränen und die kalte Wut – sie hatte alles mit ihm geteilt, denn sie hatte ihm alles mitgeteilt. Sie waren weit mehr als Friseur, pardon Coiffeur und Kundin. Über die Jahre hatte sich zwischen Waschtisch, Trockenhaube und Scheren eine Art Freundschaft entwickelt. Aseptisch und asexuell, trotz der weit über tausend Berührungen.

Sie genoss ihre Termine bei Franck, und egal, wie eifersüchtig Tom auch sein mochte, auf den Luxus, ihre Haare dem besten Friseur der Stadt anzuvertrauen, wollte und würde sie nicht verzichten. Sie hatte sich der zugegeben einzigen Macke ihres ansonsten praktisch perfekten Ehemanns schon oft genug gefügt. Der wunderbare Putzmann war einer unzuverlässigen Haushaltshife mit Staubblindheit und der Vorliebe für die Hausbar ihrer Arbeitgeber gewichen. Wenn sie den Wagen zur Inspektion brachte, achtete sie darauf, zu dem einzigen mit einer Frau besetzen Schalter zu gehen. Das gleiche galt für die Supermarktkasse. Wobei der stets zart gebräunte, glutäugige Filialleiter nicht nur schöner, sondern auch schneller war als die weiblichen Angestellten.

Aber bei Franck war Schluss. Sollte Tom doch endlich lernen, mit seiner völlig unbegründeten Eifersucht umzugehen!

In Francks Salon war kurz vor Weihnachten ungewöhnlich viel Betrieb. Normalerweise organisierte er seine Termine mit geradezu pedantischer Präzision. Aber Franck war eitel. Wenn Frau von Bodmer ihm am Telefon entgegenflötete: „Ach bitte, Franck, Sie müssen einfach ein Minütchen für mich finden. Die Horner-Backridges kommen am ersten Feiertag. Wenn Sie meine Haare nicht stylen, verkrieche ich mich in der Besenkammer!“ Also hatte er die von Bodmer noch reingezwängt, terminlich und räumlich, denn der Salon war mit nur drei Plätzen pures Understatement. Und dann war auch noch Susi Schwan von Sunny TV reingeschneit. Die vergaß nie, vor der Kamera zu erwähnen, dass „der liebe Franck“ ihr wieder so eine tolle Frisur gezaubert hatte.

Kurz, um fünf saß sie immer noch in dem einzigen eleganten und dem entsprechend unbequemen Besuchersessel. Um sechs endlich ging die Bodmer, unmittelbar gefolgt von einer glücklich glucksenden Susi.

„Uff! Sorry, Schätzchen, tut mir unendlich leid! Du weißt ja selbst, sowas ist mir bei dir noch nie passiert. Und auch bei keiner anderen. Aber jetzt habe ich nur noch Augen und Hände für dich. Komm, wir trinken erst mal ein Glas Champagner, zur Entspannung.“

Entspannung war genau das, was sie brauchte. Ihr Nacken fühlte sich an, als hätte ihn eine Horde Elefanten als Trampelpfad benutzt, Während sie sich mit dem kalt prickelnden Schampus zuprosteten, schaute sie auf die Uhr über der Tür und dachte flüchtig an Tom, der jetzt wahrscheinlich mit Harald beim Training war. Soll ich ihn anrufen und sagen, dass er mich nicht vor acht abzuholen braucht? Ach was, dann störe ich ihn nur beim Rudern oder was er sonst gerade macht. Wenn er da ist, ist er da. Muss er sich halt beim Warten langweilen. Dann sieht er wenigstens, dass seine Eifersucht total unbegründet ist.

Franck färbt ihr mit gekonnten Griffen die Haare. Nach einer dank der zweiten Flasche Champagner kurzweiligen Einwirkzeit geht’s an Auswaschen.

Mit geschlossenen Augen und zrurückgelehntem Kopf lässt sie sich von Franck massieren. Schläfen, Nacken, die empfindlichen Stellen hinter den Ohren. „Ooohhhh ja, Franck, das tut so gut. Ooohhh jaaa. Bitte, mach weiter, bitte, ja, jaaaaaa“, stöhnt sie genussvoll mit vom Alkohol angerauter Stimme und einen Tick lauter als nötig.

Beide sind so in den Augenblick vertieft – sie in den entspannenden Genuss und der Coiffeur in seine Arbeit, dass sie das Klingeln der Salontür überhört haben müssen. Plötzlich steht Tom vor ihnen, Schweißperlen auf der hochroten Stirn. „Ich hab’s ja gewusst“, schreit er. „Ich hab dich schon an der Tür stöhnen hören. Jetzt tut nicht so unschuldig. Ihr seid ja wie die Tiere. Treibt es auf dem Friseurstuhl.“

Und schon stürzt er, die Schere in der Hand, auf Franck zu. Instinktiv hebt sie ihren Fuß, um Tom einen Tritt zwischen die Beine zu versetzen. Tom taumelt, rutscht auf dem nassen Boden aus – Franck hat vor Schreck die Brause über den Rand des Waschbeckens fallen lassen, und rund um den Stuhl hat sich eine Lache gebildet – und stürzt so ungeschickt, dass er sich die Schere in den Bauch rammt.

Nachdem der Krankenwagen mit Tom und Blaulicht in die nächste Klinik gefahren und die unter Schock stehende Kundin und der Coiffeur vom Notarzt mit einem Beruhigungsmittel versorgt worden waren, kehrte Ruhe ein, im Salon.

Eine zeitlose Weile saßen die beiden auf der Couch in Frankcs privatem Bereich und nipptem an frischem, eisgekühltem Champagner. Die Luft war schwer von edlen Räucherkerzen, und der vergoldete Buddha auf der Marmorsäule senkte dezent den Blick, als die zwei ausgehungert und nach betäubender Nähe lechzend endlich übereinander herfielen, ganz so, als hätten sie sich bereits tausendmal berührt.

Adventskalender MiniKrimi am 14. Dezember


Früher, als Studentin, und auch später noch, bevor ich Mutter wurde, bin ich sehr oft und sehr gerne ins Kino gegangen. Vor allem die Nouvelle Vague Filme hatten es mir angetan. Aber auch Hitchcock. Und die Rocky Horror Picture Show. Die habe ich 15 Mal gesehen. Heute ist mein cineastisches Wissen ziemlich eingerostet. Aber der Fehler, der meinem Protagonisten Giovanni unterlaufen ist, wäre mir nicht passiert.

EInem Cineasten wär‘ das nicht passiert!

Seit zwei Jahren wohnt Michaela, genannt Michi, jetzt schon in dem Hochhaus am Stadtrand von München. Die Siedlung ist, entsprechend dem Münchner Modell, das Sozialwohnungen mit Eigentumswohnungen mixt, ein Kaleidoskop mit vielen Generationen, Kulturen und Lebensentwürfen. Trotzdem hat sie in ihrem Haus keine neuen Freunde gefunden. Bis auf Giovanni. Er arbeitet in einem Restaurant, Michi in einem Saunaclub. Seit sie sich auf dem Nachhauseweg von der Arbeit eines Morgens um drei im Treppenhaus begegnet sind und gemeinsam vergeblich 10 Minuten auf den wieder mal defekten Fahrstuhl gewartet haben, treffen sie sich mindestens einmal pro Woche, um zusammen zu kochen, zu essen und einen kitschigen LIebesfilm zu schauen. Beide sind Single, und beide schmelzen jedes Mal dahin, wenn das Traumpaar nach 90-minütigen Irrungen und Wirrungen endlich für immer zueinander findet.

Seit drei Wochen ist Giovanni ganz verändert. Er versalzt das Pasta-Wasser, schaut wieder und wieder verträumt ins Nichts oder seufzt unvermittelt mit einem verklärten Lächeln im Gesicht. „Giovanni, gib’s zu, du bist verliebt“, hat Michi schon mehrfach gesagt. Aber Giovanni, der sonst all seine Geheimnisse mit der Freundin teilt, hat nur den Kopf geschüttelt. „Ich verrate nichts. Noch. Das bringt Unglück, sagt meine Großmutter.“ Seine sizilianische Großmutter ist Legende. Gegen ihre Lebensweisheiten kommt Michi nicht an. Also wartet sie ab.

„Was ist eigentlich mit der Nachbarin aus dem 9. Stock?“, fragt sie, um das Thema zu wechseln. „Ach, quella stronza (das übersetze ich jetzt nicht) hat mir schon wieder ihren Anwalt auf den Hals gehetzt. Und diesmal gleich mit einer Klageandrohung.“ „Warum denn diesmal?“ „Versuchter Mord. Angeblich habe ich sie mit einem Messer bedroht.“ „Schon wieder? Und warum? Letztes Mal hat sie doch ne Abfuhr von der Polizei kassiert wegen Notrufmissbrauch, weil du glaubhaft versichern konntest, dass du vor dem Müllhäuschen mit einem Kneipchen einen Amazon-Karton zerschneiden wolltest – und nicht ihre Kehle:“ „Ja, genau. Diesmal hat sie bei mir geklingelt, weil ich angeblich zu laut Musik anhatte. Gut, ich habe l’italiano vero von Toto Cotugno gehört und mitgesungen, ungefähr so: Lasciatemi cantaaareeeee..:“ „Ja, ist gut. Hör auf, ich kenne den Song und deine Interpretation. Zum Glück musst du im Restaurant nicht als singender Kellner auftreten. Aber was hat das mit dem Messerangriff zu tun?“ „Allora: ich war beim Zwiebelschneiden, und als sie geklingelt hat, bin ich gleich zur Tür gelaufen. Mit dem Messer in der Hand.“ „Lass mich raten, das Yaxell Gou mit 101 Lagen?“ „Genau.“ „Ok…“ „Sie hat mich gar nicht angeschaut, nur auf das Messer gestarrt, und hat angefangen, zu brüllen, als wäre sie ein Schwein und ich der Metzger. Ich wollte sie beruhigen, dabei habe ich wahrscheinlich gestikuliert.“ „Wie ein Italiener das halt macht.“ „Jedenfalls, als nächstes flattert mir dieses Schreiben ins Haus.“ „Und jetzt?“ „Jetzt warte ich auf die Entscheidung der Staatsanwaltschaft.“

Wow. Armer Giovanni. Die Frau ist wirklich gestört. Michi vermutet, dass sie insgeheim in ihn verliebt ist, und weil er keinerlei Interesse an ihr hat, rächt sie sich, indem sie ihm einen Haufen Scherereien macht. „Das ist total schlimm, aber bitte, zieh nicht weg. Sonst bin ich hier komplett allein.“ „Nein, tesoro, mach dir keine Sorgen. Noch ziehe ich nicht weg. Vielleicht, wenn ich eine feste Freundin habe. Aber das dauert noch eine Weile.“

Michis ist sofort hellhörig und will Details erfahren. Aber mehr ist aus Giovanni nicht rauszuholen. „La nonna, du weißt ja.“

Aber schon eine Woche später rückt Giovanni endlich mit der Sprache raus. Gut gelaunt und in einem schicken neuen Hemd öffnet er ihr die Tür und streckt ihr zur Begrüßung ein Glas Limoncello Spritz entgegen. „Hey, was ist passiert?“ „Vieles. Erstmal hat die Staatsanwaltschaft die Anzeige der stronza über mir eingestellt. Kein hinreichender Tatverdacht.“ „Hey, super. Gratuliere. Und sonst?“ „Ach, ich bin doch auf dieser Dating-Plattform. Singles in München.“ „Aahaaaaa.“ „Ja, und da habe ich vor einem Monat eine tolle Frau kennengelernt. Blond und schöne wie ein Engel. Wir haben es bewusst ganz langsam angehen lassen und uns erstmal viel voneinander erzählt. Ich wollte sie ja schon lange treffen. Aber sie war zurückhaltend. Kommt aus einer gläubigen Familie, irgendwie.“ „Oh, Mann, kein Sex vor der Ehe? Giovanni, ob das mal gut geht?“ „No. So schlimm ist es nicht. Außerdem hat sie mir ja genau heute geschrieben, ob wir uns nicht auf einen Drink treffen wollen. Das war total cool. Erst hab ich in der Post die gute Nachricht wegen der Anzeige, und dann schlägt sie ein Date vor. Das ist mein Glückstag!“ „Ich freu mich für dich. Wann sehr Ihr Euch?“ „Heute! Sie hat gesagt, sie holt mich später ab. Sie hat einen Porsche. Dann muss ich nicht mit der U-Bahn reinfahren.“

„Aber dann kochen wir lieber nicht, und du machst dich fein.“ „In nessun caso. Auf gar keinen Fall. Wir essen unsere Spaghetti Alfredo. Und wenn du zur Arbeit musst, hab ich noch etwas Zeit, um mir die Zähne zu putzen und eine rote Krawatte anzuziehen. Mein Erkennungszeichen. Sie kommt um elf,“ und er grinst.

„So spät?“ Egal. Michi freut sich sehr für Giovanni. Sie selbst hat nach dem Scheitern ihrer letzten Beziehung noch keine neue Frau fürs Leben gefunden. Um so glücklicher ist sie, dass es bei ihm endlich zu klappen scheint.

Nach einem wunderbaren Essen macht sich Michi fertig für die Arbeit. Sie ist eine perfekte Rezeptionistin, die von Kunden und Saunaclub-Mitarbeiterinnen gleichermaßen geschätzt wird. Das liegt vielleicht auch daran, dass sie jede Auseinandersetzung im Club dank ihres schwarzen Aikido-Gürtels im Keim erstickt.

Als sie aus dem Haus geht, ist es draußen stockdunkel. Die Außenlampe ist schon wieder zerschlagen worden! Bis zur nächsten Straßenlaterne sind es hundert Meter, aber Michi geht schnell und gezielt Richtung U-Bahn. Da löst sich ein Schatten aus dem Gebüsch und ist mit einem Satz neben ihr, in der einen Hand eine Spraydose, in der anderen ein Messer. Japanisch, registriert Michi automatisch, während sie bltzschnell der Waffe ausweicht. Doch der Pfeffer aus der Dose trifft ihr linkes Auge. „Du dreckige Nutte, machst mit Giovanni rum. Deshalb hat er mich verlassen. Jetzt kriegst du dein Fett. Und er gleich hinterher. Ich hab’s ja bei Gericht versucht. Aber Ihr steckt doch alle unter einer Decke. Bullen, Richter, Mafia. Ich mach euch beide kalt!“, zischt die Gestalt. Wut und Adrenalin verzerren die Stimme, aber nicht genug. Michi erkennt Giovannis Erzfeindin. Trotz des stechenden Nebels vor ihren Augen macht sie ein paar geübte und gezielte Bewegungen, und die Mieterin aus dem neunten Stock liegt wehrlos am Boden.

Schritte nähern sich. „Hallo, was ist da los? Was machen Sie? Lassen Sie sofort die Frau los“, ruft Giovanni und beleuchtet die Szene mit der Taschenlampe seines Handys. „Michi!“ Er starrt auf die am Boden liegende Frau im schwarzen Trench und mit roten High Heels. Ihr schwarzer Hut mit einer frischen roten Rose ist im Kampf auf den Weg gefallen. „Bella! Das ist Bella, mein Date. Sie hat sich extra für mich so angezogen. Schwarz rot. Und ich mit roter Krawatte.“ Givanni schluckt, schaut auf die am Boden liegende Frau und fragt schließlich: „Michi, was hast du getan?“

„Das ist nicht Bella. Das ist die „stronza“ aus der Wohnung über dir. Sie leidet ganz offensichtlich unter Wahnvorstellungen. Sie denkt, Ihr zwei wart ein Paar und ich habe euch auseinandergebracht. Deshalb wollte sie jetzt kurzerhand uns beide umbringen. Schau, sie hat sich extra ein Messer wie deines zugelegt. Aber sag mal, habt ihr denn keine Fotos ausgetauscht?“

„Doch, natürlich. Schau mal, das ist sie.“ Giovanni holt mit zitternder Hand den Computerausdruck eines Fotos aus der Jackentasche. „“Oh nein. Ich glaube, statt Herz-Schmerz-Schnulzen müssen wir uns in Zukunft französische Filme anschauen. Das ist ein Foto von Catherine Deneuve in jungen Jahren.“

Adventskalender MiniKrimi am 13. Dezember


Erstaunlich, dass manche Dinge sich nicht zu ändern scheinen, Heute habe ich einen DHL Boten glücklich gemacht. Er schleppte 4 Kisten Hundefutter à 24 Kilo an meine Haustür. Vielleicht hätte er sie sogar in den Keller getragen, wenn ich nett darum gebeten hätte. Oder so. Hab ich aber nicht. Stattdessen bot ich ihm einen Espresso an, den er mit Hinweis auf die noch im Transporter befindlichen 300 Pakete, deren Empfänger ihn allesamt sehnsüchtig erwarteten, ablehnte. Woraufhin ich im ein selbstgemachtes Platzerl (ein gutes!) und 5 Euro anbot, welche er beide annahm.

Es ist eine Unsitte, online zu bestellen. Siehe meine gestrigen Ausführungen. Aber es ist zuweilen unumgänglich. Und was der Bote nicht bringt… müssen wir selbst holen. Das ist nicht immer ganz einfach und bringt zuweilen die verrücktesten Geschichten zutage. Wie diese hier.

Apfel, Nuss und… weißes Pulver

Im Zuge der Rationalisierung hat die Post ihre Annahmestellen ausgelagert. In Supermärkte oder Tankstellen, zum Beispiel. Das Personal dort ist vielleicht nicht so geschult wie die Postbeamt*innen hinter den gelben Schaltern, aber dafür in der Regel freundlicher. Die junge Frau, die am späten Nachmittag die Postfiliale in der Allguth-Tankstelle betritt, ist sichtlich überfordert, verschwitzt und ungekämmt. Sie schaut sich suchend um, dabei schiebt sie die dichten Haarsträhnen zur Seite, die ihr immer wieder ins Gesicht fallen. Vor ihr stehen zwei Männer und eine Frau in der Schlange. Wollen Pakete von Amazon und Zalando zurückgeben. Sie könnte schreien vor Glück.


Hilflos zuckt sie die Achseln und reiht sich ein. Da taucht neben dem Mitarbeiter, der für die Nachmittagsschicht am Schalter abgestellt worden ist, eine Blondine auf. Mittelblond, mittelalt und nur mittelgut geübt im Posthandwerk, soll sie ganz offensichtlich eingearbeitet werden. Die überforderte junge Frau strahlt sie aus unschuldig blauen Augen an. „Entschuldigung, können Sie mir vielleicht helfen, einen passenden Karton hierfür zu finden? Sonst halte ich den ganzen Betrieb auf, wenn ich dran bin….“. Und sie hält etwas in die Höhe, was aussieht wie ein sehr grober, überdimensionierter und arg verbeulter Strumpf. „Mein Sohn ist im Schullandheim, wissen Sie. Aber er wartet ganz bestimmt auf seinen Nikolaus.“


Die Blonde lächelt, sie hat vielleicht auch ein Kind. Schließlich finden sie einen geeigneten Karton. „Ist zwar für Flaschen, aber wenn wir den Strumpf etwas anpassen….“ „Ich mach schon“, sagt die junge Mutter. „Ach, lassen Sie mal. Ich mach das hier fertig, und Sie gehen heim und trinken eine große Tasse Kaffee. Die Adresse haben Sie schon auf den Versandschein geschrieben, sehe ich. Und das Porto online bezahlt. Vorbildlich.“ Sie lächelt. „Na gehen SIe schon. Ich krieg das hin, sind ja nur weiche Sachen drin, außer dem Apfel.“

„Wenn der nicht reinpasst, lassen Sie ihn einfach weg. Essen Sie ihn doch auf. DIe Sorte ist echt lecker. Und vielen Dank. Den Kaffee und ein paar Minuten ohne Stress kann ich echt brauchen.“ Mit einem letzten Strahlen geht die junge Mutter beschwingt aus der Tankstelle. Es gibt doch noch nette Leute. Am Postschalter hätte sie stundenlang gewartet und wäre dann noch reihum von den Leuten hinter ihr und dem oder der Postangestellten wegen der vielen Umstände fertig gemacht worden.

Die nette blonde Aushilfe geht mit Strumpf und Karton nach hinten. Sie drückt und quetscht, und in der Tat lässt sich der Inhalt gut genug verformen, um in die Verpackung zu passen. „Nur ein paar Tüten mit Mandeln“, ruft sie lachend ihrem Kollegen zu, der die beiden Frauen stirnrunzelnd beobachtet hat. Am Ende bleibt der Apfel draußen. Schließlich ist alles verpackt, die Adresse des Schullandheims ist ein einfacher Postkasten an einer oberbayerischen Straßenkreuzung.


Die Blonde freut sich über ihre gute Tat. Sie hat eine Mutter glücklich gemacht. Und ihren Partner, der das reine Kokain am Nikolausmorgen aus dem Postkasten an der oberbayerischen Straßenkreuzung fischen wird.  Spurlos verschwunden aus der Asservatenkammer am Münchner Flughafen. „Apfel, Nuss und Mandelkern. Nur, dass der Apfel durch den Koks ersetzt wurde.  

Den Nikolausstrumpf wird er natürlich im Postkasten lassen. Für den kleinen Jungen, der dafür hoffentlich von seinen Klassenkamerad*innen nicht ausgelacht werden wird.