Adventskalender MiniKrimi am 19. Dezember


Meine Allerlieblingsgeschichte. Ich könnte sie jedes Jahr wieder schreiben. Und danach lesen. Und Ihr?

Warum Krampus eine Windel trug

Artemis und Isidora waren Geschwister. Sie lebten in einem Altbau mitten im Münchner Stadtteil Schwabing, ganz in der Nähe des Englischen Gartens. Bis vor einem halben Jahr wohnten sie noch in Hamburg. Doch dann war ihre Mutter, die bei einer großen Werbeagentur arbeitete, nach München versetzt worden. Meistens wollen Kinder ihr gewohntes Umfeld nur ungern verlassen – ungezählte „Herzkino“-Filme handeln davon, wie sie sich zunächst sträuben, dann durch irgend einen meist dramatischen Umstand neue Freunde finden, Teenager verlieben sich auch oft – und am Ende weinen sie dem Meeresrauschen im hohen Norden und den Szenecafés von Blankenese keine Träne mehr nach und sind stattdessen ganz versessen auf Floßfahrten und Zelten entlang der Isar.

Artemis und Isidora hingegen waren gerne nach München gezogen, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen. Artemis war mit seinen 15 Jahren ein in einschlägigen Kreisen anerkannter Hacker, und einige seiner virtuellen Kollegen lebten in und um München. Die WizKidz von heute gehen viel gelassener mit ihrer Anonymität um, bzw. haben sie längst verstanden, dass nur der keine digitalen Spuren hinterlässt, der so wenige wie möglich macht. Briefe, Telefon und persönliche Treffen sind ihrer Meinung nach bedeutend sicherer als Konferenzen im Netz, ob hell oder „dark“. Für Artemis bedeutete die Veränderung also größere Nähe und kürzere Wege.

Isidora hingegen war von einer Zickengang an ihrer Mädchenschule gemobbt worden, und zwar ziemlich übel. Einmal hatten sie einen Tankini in ihrem Mathe-Hausaufgabenheft versteckt. Ihr Lehrer, ein junger Typ mit blonden Locken, auf den sie tatsächlich total stand, hatte das Teil mit seinem Kuli aus dem Heft gefischt, sie angegrinst und erklärt: „Meine Freundin trägt nur Badeanzüge.“ Danach war Isidora so lang nicht zur Schule gegangen, so lange, bis das Fieberthermometer beim Aufheizen auf dem Induktionsherd zersprungen war. Kurz vor den Sommerferien hatten die Zicken ihr die Reifen ihres Fahrrads zerstochen. Nein, Isidora war glücklich, Hamburg den Rücken zuzukehren.

Es gab aber noch einen anderen Grund, weshalb die Geschwister dem Umzug beinahe entgegengefiebert hatten: sie wünschten sich schon seit langem einen Hund. In Hamburg hatten die Eltern immer ein Argument gefunden, um diesen Wunsch abzulehnen: Der Vermieter erlaubte keine Haustiere, weit und breit war kein Park in der Nähe, das Tier wäre den halben Tag alleine gewesen. Hier in München aber waren die Bedingungen perfekt. Der Altbau mit seinen knarzenden Holztreppen, dem Geruch nach Grünkohl aus der Hausmeisterwohnung und vor allem mit dem Englischen Garten direkt vor Tür war wie geschaffen für eine Fellnase. Tatsächlich lebten dort auch schon eine Dogge und eine Katze. Hinzu kam, dass ihr Vater als freier Journalist für den Deutschen Tierschutzbund arbeitete – und das meist von zu Hause aus. Und wenn er mal reisen musste: sein Arbeitgeber konnte schlecht was gegen einen Hund im Gepäck haben! Aus unerfindlichen Gründen schienen die Eltern jedoch immer noch nicht mitzuziehen. „Lasst uns erstmal ankommen.“ „Vielleicht zu Weihnachten.“ „Seid Ihr sicher, dass Ihr nicht allergisch seid? Wir lassen Euch lieber erstmal testen.“

Da beschlossen die Geschwister, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Und so saßen Artemis und Isidora, Art und Isi, wie sie von ihren Freundinnen und Freunden genannt wurden, am Esstisch, vor sich eine Zeitung, die sie in ihrem Briefkasten gefunden hatten. „Hallo München“, ein Werbeblatt voller Anzeigen. Vom Bügelbrett über Häuser, Autos, Briefmarken bis zu erotischen Diensten wurde dort alles angeboten. Auch Hunde. „Schau mal, Arti, der sieht doch voll süß aus!“ Isi zeigte auf das Foto eines kleinen schwarzen Hundes mit einem weißen Fleck über dem rechten Auge. „Australian Shepherd Welpen, reinrassig. 3 Monate, 250 Euro.“ Genau soviel hatten die beiden bereits zusammengespart!

Art fand es schon seltsam, dass in der Anzeige kein Name stand, sondern nur eine Handynummer. Als er dort anrief, meldete sich eine Frau in gebrochenem Deutsch. Ja, genau dieser Welpe sei noch zu haben. Natürlich sei mit ihm alles in Ordnung. Er sei ein ganz besonders schöner Hund. Sie verlangte Arts Telefonnummer und sagte, sie würde anrufen, um den Übergabetermin festzumachen. „Ich weiß nicht, mir kommt das komisch vor,“ zweifelt der Junge nach dem Telefonat. „Wir sollten vielleicht doch liebe erst mit Papi…“ „Nein! Wir ziehen das jetzt durch!“ Isidora konnte für eine Dreizehnjährige sehr bestimmend sein. Und im Grunde wollte Artemis den Hund ja genauso gerne wie sie.

Die Tage vergingen, die Frau rief nicht an. Ihr Handy war ausgeschaltet. Endlich, am fünften Dezember – ein Anruf. „Hallo? Sind Sie noch interessiert? Dann kommen Sie morgen um 17 Uhr zum Busbahnhof Fröttmaning. Bringen Sie das Geld mit. Dann kriegen Sie den Hund!“

Vor Aufregung konnten Art und Isi in der darauffolgenden Nacht kaum schlafen. Beide halten im Grunde kein gutes Gefühl bei der Sache. Art hatte versucht, herauszufinden, wem die Nummer gehörte. Aber es war natürlich ein Prepaid-Handy gewesen. „Wir ziehen das jetzt durch,“ wiederholte Isi ihr Mantra, während sie am 6. Dezember zum Busbahnhof Fröttmaning fuhren. „Was kann uns schon passieren? Das ist ein riesen Busbahnhof mit vielen Leuten. Wenn sie uns überfallen, schreien wir einfach und laufen weg.“

Punkt 17 Uhr standen sie am Busbahnsteig. Überall fuhren Autos an und ab – der Busbahnhof ist ein zentraler Treffpunkt für Mitfahrgelegenheiten. Ein schwarzer Mercedes mit getönten Scheiben fuhr langsam die Reihe der Wartenden ab. Das Beifarerfenster wurde heruntergelassen, und eine Frau schaute zu Art und Isi herüber. „Haben Sie unseren Hund dabei?“ fragte Art schnell. Die Frau runzelte die Stirn, sagte etwas zum Fahrer des Wagens und dann: „Hund, jaja Hund. Kommen. Da vorne.“ Der Wagen fuhr weiter, bis ans Ende des Bahnsteiges, dort, wo keine Menschen mehr warteten. Art und Isi rannten hinterher. Atemlos standen sie dann neben dem Wagen. Der Fahrer stieg aus uns öffnete den Kofferraum. In einem mit falschem Leopardenfell ausgekleideten Karton purzelten fünf kleine Hunde durcheinander und fiepsten ängstlich. „Da, das ist er!“, rief Isi und wollte in den Karton greifen. „Halt! Zurück!“ befahl der Fahrer. „Gib Geld!“ Art holte die 250 Euro zwischen den Seiten seines Gesangbuches hervor („Wir haben noch Chor, Mami, sind in 2 Stunden zurück“, hatte er beim aus-dem-Haus-Gehen gelogen) und hielt sie in die Höhe. „Zuerst den Hund!“ Der Mann schnappte sich einen der Welpen und wollte ihn Isi in die Hand drücken. „Nein, das ist nicht unserer. Wir wollen den mit dem weißen Fleck.“ „Geht nicht. Der schon verkauft. Du nehmen diesen!“ Der Mann wurde ungeduldig. Aber er hatte nicht mit Isis Sturheit gerechnet. „Nein, wir wollen den anderen. Das war so abgemacht,“ rief sie, immer lauter. „Hallo, braucht Ihr Hilfe?“ rief jemand vom Bahnsteig, und jetzt schauten schon mehrere Leute in ihre Richtung. „Dann nix“, murmelte der Fahrer und wollte den Kofferraum zuklappen. Aber Arti griff blitzschnell hinein, nahm das kleine Fellündel in den Arm und rannte los, Isi hinterher. Sie hörten den Fahrer fluchen, denn inzwischen waren ein paar Personen in ihre Richtung gelaufen, um zu helfen, vielleicht auch aus Neugier, egal. Der Mercedes startete mit heulendem Motor und raste davon, aber Art hatte sich längst Autokennzeichen und Gesicht des Fahrers eingeprägt.

In der U-Bahn nach Schwabing besahen sich Art und Isi ihren Hund. Schwarz, zerzaust, mit verklebtem Fell und triefenden Augen. „Wir nennen dich Krampus,“ sagte Art. „Du schaust wirklich aus wie der Gehilfe vom Nikolaus, so finster und zerlumpt.“ Daheim schlichen sie gleich auf ihre Zimmer. Die Eltern waren zu einem Nikolausdinner eingeladen, und als sie nachts nach ihren schlafenden Kindern schauten, bemerkten sie den kleinen Krampus nicht, der unter Isis Bettdecke lag. Damit er nicht ins Bett machte, hatten die beiden ihm eine Windel angezogen, die sie sich von Jasmin aus dem dritten Stock geliehen hatten. Beziehungsweise von ihrer kleinen Schwester.

Als Isi am nächsten Morgen aufwachte, dache sie, Krampus sei tot. Stocksteif und still lag der kleine Hund im Bett. Auch Art sah sofort: das Tier war ernsthaft krank. Es wimmerte leise, und sein Bauch war ganz hart und geschwollen. „Wir müssen ihn zum Tierarzt bringen, und zwar, bevor Mami und Papi aufwachen.“ „Ich glaube, der muss ganz dringend und kann nicht. Wir machen ihm erst mal einen Einlauf.“ Das hatte Mami bei Isi gemacht, als sie mal zuviel Schokolade gegessen hatte. Da sie ohnehin Tierärztin werden wollte, dachte sie, sie könne genauso gut gleich mit einer Behandlung beginnen. Und tatsächlich: der Einlauf zeigte seine Wirkung. Bald war die Windel voll. Und mitten in dem weichen Haufen war eine kleine Tüte. Und darin glitzerte es verdächtig.

„Na, was wird denn das? Übt Ihr für die Weihnachtsgans? Das stinkt ja bestialisch.“ Ihr Vater stand in der Tür, angeekelt und fasziniert von dem, was da auf dem Parkettboden lag. Ein kleiner, völlig verwahrloster Welpe, ein Haufen Hundekot – und ein Säckchen mit Diamanten. Das stellte sich natürlich erst später heraus, nachdem Krampus in der Hundeklinik behandelt und die Windel samt Inhalt – ohne Tüte – entsorgt worden war.

Der Tierschutz-Journalist konnte zunächst nicht fassen, dass ausgerechnet seine Kinder mit illegalen Welpenhändlern ins Geschäft gekommen waren. Während er ihnen wieder und wieder erklärte, dass solche Leute die Tiere unter schlimmsten Bedingungen züchten, die meisten Welpen beim Verkauf todkrank sind und das Ganze nicht nur eine furchtbare Tierquälerei, sondern auch noch Geldverschwendung ist, saß Art schweigend an seinem Laptop.

Schließlich bat er den erstaunten Vater, ihn zur Polizei zu begleiten. Er habe sachdienliche Hinweise, die zur Ergreifung der Täter in einer Serie von Juwelendiebstählen im bayerisch-tschechischen Grenzgebiet führen würden, und der Vater könne gleich in Sachen Tierschutz aktiv werden. Dann fragte er die Mutter nach ihrer Kontonummer, auf die die Belohnung später überwiesen werden sollte. „Damit haben wir dann Kost und Logis für Krampus für die nächsten Jahre gesichert. Hundeschule und -sitter inbegriffen“, grinste Art.. Die Eltern sahen sich an. Wer konnte solch genialen Kindern schon widerstehen?

Nachtrag: Seither sieht man abends einen Mann und eine Frau Arm in Arm – oder auch Hand in Hand – aus dem Altbau in Schwabing kommen und die Straße in Richtung Englischer Garten entlang bummeln, neben sich an der Leine einen immer größer werdenden, munteren Australian Shepherd. An jedem Baum bleibt er stehen, markiert, dreht sich zu dem Pärchen um, bellt einmal freudig und tänzelt weiter.

Adventskalender Minikrimi am 11. Dezember


Foto: Vitabello

ES

Über Nacht ist es kalt geworden. Auf roten Häuserdächern glitzert Raureif, Hecken und Bäume sind weiß gepudert. Sehnsüchtig strecken schwarze Bäume kahle Silberäste nach einer noch unsichtbaren Sonne. In der Luft liegt die Erinnerung an ein erloschenes Streichholz, sonst nichts. Der Frost nimmt der Welt ihre Gerüche. Deshalb hasste ES den Winter. Bis zu diesem Jahr.

Wege knirschen unter seinen Schritten, als ES in den frühen Morgenstunden mit der Jagd beginnt. Von außen betrachtet ist ES ein mittelgroßer Mensch in dunklen Jeans und Parka mit auffällig großem Pelzbesatz. Das ist allerdings das einzige Merkmal, das einem Betrachter ins Auge stechen würde. Alles andere an ihm scheint Durchschnitt. Dem ist zwar nicht so, aber es kommt ihm zweifelsohne zugute, dass ES dafür gehalten wird.

An der Straßenecke, hinter der sein Transporter geparkt ist, wird ES förmlich umgeworfen von einem Geruch, den ES so noch nie wahrgenommen hat. Nachthaut, MakeUp-Reste, Kaffee, Zimtschnecke und Cornichons in einer vollkommen ausgewogenen Mischung. ES bleibt stehen, dreht sich um. Nichts. Blickt nach rechts. Niemand auf dem Zebrastreifen. Blickt nach links. Aus einem Hauseingang weht noch der Zipfel eines grünen Wollmantels. ES bewegt sich betont langsam, keine Aufmerksamkeit weckend. Zehn Namen. ES riecht den richtigen, ohne sich dem Schild zu sehr zu nähern. Lächelnd geht ES den Weg zurück, steigt in den Transporter und beginnt seine tägliche Jagd.

Eines seiner Opfer hatte ES beschuldigt, ein Psychopath auf den Spuren von Grenouille zu sein. Natürlich hatte ES das Parfum gelesen. Und ja, gewisse Ähnlichkeiten sind nicht zu leugnen. Aber sie sind ja so oberflächlich. Denn ES braucht keine Menschen zu töten, um ihnen in komplizierten Prozeduren den Duft von der Haut zu stehlen. Und schon gar nicht will ES sich in das perfekte Parfum hüllen, um bemerkt oder gar geliebt zu werden. Nein, ES ernährt sich von den Düften und Gerüchen von Menschen und ihrer Umgebung.

Im Sommer war das kein Problem. Morgens genügte ihm schon der Spaziergang durch eine kleinere Einkaufsstraße als Frühstück. Passanten auf dem Weg ins Büro, eingehüllt in ihre Wolke aus Duschgel, Shampoo, Waschmittel und Weichspüler, zuweilen Mottenkugeln, Schuhcreme, und das alles eingebettet in die einzigartige Komposition der Ausdünstungen ihrer Haut, ihrer Körper. Dazu Backwaren, Kaffee, Tee, der Teer der Straßen, der Beton der Häuser. In der Rush-Hour musste ES oft fluchtartig einen menschenleeren Ort aufsuchen, wo nur Gras und die Gerüche der Tiere, Mäuse, Kaninchen, Vögel, Würmer ES sanft umspielten, um dem olfaktorischen Overkill zu entgehen. 

Anders im Winter. Da entzieht die Kälte der Luft jeden Duft. ES hat lange Phasen akuten Hungers durchlitten. Letztes Jahr hat ES sich als Weihnachtsmann verdingt, um zumindest am Heiligen Abend sein Festmahl zu sichern. Die Zeitungen berichteten nach den Feiertagen von etlichen Familien, die auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen waren. Bei niemandem konnte allerdings ein Fremdverschulden festgestellt werden.

Dieses Jahr jedoch leidet ES keine Not und legt sich jede Nacht satt und zufrieden zur Ruhe. ES hat die Werbung eines großen Online-Versands gesehen. Fahrerinnen und Fahrer, die Pakete in jede Stadt, in fast jedes Haus tragen. Und alle freuen sich. Sogar die Pakete. ES hat sich ohne zu zögern beworben und wurde sofort eingestellt. Nun fährt es den ganzen Tag von Tür zu Tür, beladen mit allem, was die Menschen vor Weihnachten bestellen und kaufen. Von der Villa mit buchsbaumgesäumter Auffahrt über das Reihenhaus mit Leuchtgirlanden bis zur Mietswohnung, aus der Kinder in allen Größen herausquellen und der Fischgeruch das Treppenhaus füllt, ist alles dabei. ES braucht nur auszusuchen und sich zu bedienen. Kokosduftendes Mädchenhaar, Pfeifen- oder Zigarrenodeur? DieVielfalt der Besteller*innen ist grenzenlos.

Aber heute hat ES auf all das keinen Appetit. Immer wieder denkt ES an das Wesen mit der ausgewogenen Mischung aus Morgendüften. Als die Nacht auf die Straßen sinkt und die Lichterketten nur leise glänzen, fährt ES zu ihrem Haus. Parkt vorschriftsmäßig – wie immer – und klingelt. „Ihr Paket“. Sie hat keines bestellt, trotzdem flötet sie „danke“ und öffnet die Tür.

ES drückt ihr das Paket in die Hand, seine Finger zittern vor Hunger und Lust. Hier ist der Geruch von heute morgen fast überwältigend. ES atmet tief ein, ganz tief. Aber da ist sie schon in einem Zimmer verschwunden. „Komm nur“, lockt sie ihn. Und ES folgt ihr, wie hypnotisiert. ES greift nach ihrem Arm, lässt seine Nase über die Haut gleiten, betastet die feinen Härchen mit seiner Zunge. Und schreckt zurück. Nichts. Da ist absolut nichts. Kein Geruch! Wie kann das sein?

„Der Mantel gehört meiner Nachbarin. Ich habe ihn mir ausgeliehen, weil sie ihn seit Jahren nicht gewaschen hat. Der ideale Köder. Und jetzt setz dich und erkläre mir, wie du sie umbringst.“

„Ich bringe niemanden um!“ ES steht mit dem Rücken zur Wand. Will weg und kann nicht. 

„Aber warum sterben sie, nachdem du an ihnen gerochen hast?“

„Das weiß ich nicht. Vielleicht können sie sich selbst nicht mehr riechen? Und werden zu einem geruchlosen Nichts? Vielleicht können sie ohne Eigengeruch nicht überleben? Weil niemand, auch sie selbst nicht, Notiz von ihrer Existenz nimmt? Aber dafür kann ich nichts. Und jetzt lass mich gehen. Du bist so wie sie – mit dem Unterschied, dass du lebst, als Mensch ohne Geruch.“

„Ich lass dich nicht gehen. Ich habe dich lange gesucht. Ich werde dich töten und mir deinen Geruch anziehen. Dann stehen mir alle Türen offen.“

„Du hast zu viel im „Parfum“ gelesen. Und doch zu wenig. Sonst wüsstest du, dass fremder Geruch nicht glücklich macht.“ Sagt ES und wacht auf.

Schon halb sieben! Höchste Zeit, sich auf den Weg zu machen, der unter seinen Schritten knirscht. Um auf die Jagd zu gehen. Denn im Winter sind die Gerüche rar und die Suche dauert lange. Wie gut, dass ES als Paketausfahrer für den großen Online-Versand die Auswahl hat. Wen ES wohl heute „erriechen“ wird?

Adventskalender MiniKrimi vom 9. Dezember 2018


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Ihr Liebhaber gepflegter Adventskriminalistik: heute mal was Preisgekröntes. Mit dieser explosiven Adventstragödie habe ich mal den Krimipreis Goldbroiler gewonnen. Viel „Spaß“ beim Lesen….

Der Tod eines Traums. Adventstragödie in vier Akten.

1.

„Dicke rote Kerzen, Tannenzapfenduft..“ „Marie, leise, Papa schläft. War so viel los in der Schule!“. Sie legte sich aufs Bett, stöpselte das Lied ins Ohr. Die Wohnung duftete nach Zimt und Plätzchen. Marie liebte den Advent, die gemütliche Heimlichzeit.

Sieht aus wie eine dicke rote Kerze. Passt perfekt in den Adventskranz.  Keiner bemerkt, wer sich vor dem Blumenladen eine Zigarette anzündet und den Docht dazu.  Jetzt schnell weg und weiter, ein sichtlich unsichtbarer Schatten in der Menge wogender Mäntel. Der Kirchturm wird zum Logenplatz, die Straße zur Arena. Ein Knall, klirrendes Glas von zerberstenden Scheiben. Schreie. Schreie und Blut.

2.

„…Man begegnet hin und wieder schon dem Nikolaus“ Er hatte immer was Süßes im Sack. Anziehend und unheimlich zugleich. Ein geheimnisvoller Fremder. Bis er ihr zu nahe kam.

Bunt und laut und weihnachtsdurstig wimmelt die Samstagsmenge in der jubelbeschallten Einkaufsmeile. Alle freuen sich und viele nehmen gern den Glühwein, den ihnen der dick vermummte Nikolaus freundlich lächelnd anbietet. Sie kommen nicht weit. Rattengift wirkt schnell.

3.

„Lieb verpackte Päckchen, überall versteckt“. Am letzten Schultag wurde gewichtelt. Marie hatte Jo ein Schokoherz gekauft. Und er? Als sie ihr Päckchen auspackte, grölte die ganze Klasse. Ein kaputter Vibrator für „Lehrers Liebling“!

Am letzten Schultag strömen alle in die Aula. Neunhundert Schüler bestaunen die Riesentanne mit den Paketen für arme Kinder darunter. Halleluja singt der Chor der Ehemaligen. Ritual und Tradition. Diesmal mit Feuerwerk. Ein Handy klingelt, und schon wirbeln Sänger, Äste, Kerzen durch die Luft. Wie vorgezogenes Silvester.

4.

„Alte Lieder, Dunkelheit, Bald ist es so weit!“ Es war so einfach. Internet sei Dank. Erst der Flirt, dann die Kalaschnikow. Ein volles Magazin. Drei Treppen und ein Flur. „Schöne Bescherung, Papa, jetzt ist Schluss mit Weihnachtsmann“, und sie entsichert die Waffe.

Adventskalender MiniKrimi vom 6. Dezember 2018


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Von drauß‘ vom Walde…….

„Du weißt, was du tun musst Schließ die Tür ab und mach auf keinen Fall auf, wenn du alleine bist, kapiert?“ „Ich bin doch kein Baby. Ich bin schon fünf. Und ich bin auch nicht dumm. Ich weiß genau, was ich machen muss, wenn ich allein bin. Und wenn ein Einbrecher kommt und die Tür mit einer Bombe aufmacht, dann nehme ich mein Jedi-Schwert und mache so! Und zack ist er tot, der EInbrecher.““

„Ja. Schon klar. Du nimmst dein Jedi-Schwert. Aber trotzdem, für den Fall, dass ein Einbrecher kommt – es kommt ja vielleicht gar keiner, also ganz sicher, glaube ich. Aber für den Fall dass doch einer kommt, und wenn dann dein Jedischwert nicht funktioniert“ 

„Mein Jedischwert funktioniert immer!“

„Schon klar. Aber wenn es plötzlich doch nicht funktioniert, dann schau her, dann nimmst du das hier.“

„Aber das ist doch das Messer aus der Küche, das wir nicht nehmen dürfen. Das japanische, das vom Papa.“

“Genau. Es ist japanisch, das ist wie von Master Yoda. Ok?“

„Ela, ich will nicht, dass du weggehst. Die Mama hat gesagt, wir sollen beide daheim bleiben, bis sie von der Arbeit kommt. Du sollst mich nicht allein lassen, hat die Mama gesagt. Und später kommt der Nikolaus.“

„Ach mach kein Aufstand. Ich bin nur kurz drüben bei der Lara. Oder hast du Angst? Du bist ja doch noch ein Baby!“

„Nein bin ich nicht. Geh weg!“

„Ok. Ciao, Kleiner.“

Max setzt sich in seinem Zimmer auf den Boden. Die Kartons sind noch nicht alle ausgepackt. Er fühlt sich gar nicht zu Hause, hier in der Wohnung in der Minervastraße. Er wäre lieber in Schwabing geblieben. Aber er weiß, dass das nicht geht. Mama und Papa sind zwar noch seine Eltern, und Elas. Aber sie sind nicht mehr zusammen. Deshalb kann Mama nicht mehr in Schwabing wohnen, und er und Ela auch nicht. Mama will das so. Jetzt wohnen sie in einer ganz neuen Wohnung. Er hat ein eigenes Zimmer, nicht mehr mit Ela zusammen. Und Mama hat auch ein Zimmer. Mit Frank. Frank ist der neue Papa. Aber Max weiß nicht, was er davon halten soll. Er hat doch schon einen Papa. Vom Fenster aus kann er die Berge sehen, wenn der Himmel klar ist. Ob er den Nikolaus sehen kann, wie er durch die Wolken fliegt? Oder machst das nur der Weihnachtsmann? Es wird dunkel, und Max hat Angst. Die Wohnung ist voller Geräusche, nichts ist vertraut. Draußen kann er den Aufzug hören. Manchmal knallt eine Tür. Dann ist alles still. Wann kommt Ela? Und Mama? Und der Nikolaus?

Da klopft es an der Tür. „Ich bin der Nikolaus. Bist du der Max?“

„Ich darf die Tür nicht aufmachen, hat Ela gesagt. Geh weg und komm zurück, wenn Mama und Ela wieder da sind!“

„Aber Max, ich bin der Nikolaus. Vor mir brauchst du doch keine Angst zu haben!“

Doch, denkt Max. Und zur Sicherheit holt sein Jedischwert. Und das japanische Messer, so, wie Ela es ihm gesagt hat. Der Nikolaus kann warten, aber wenn da draußen ein Einbrecher ist, wird Max sich wehren.

Da hört er, wie sich etwas am Türschloss bewegt. Der Einbrecher, denkt Max. Jetzt bricht er die Tür auf, wie in den Filmen, die er nicht sehen darf.

Da, jetzt wird die Wohnungstür langsam geöffnet. Draußen im Flur ist es genauso dunkel wie in der Wohnung. Max sieht nur Umrisse, ein großer schwarzer Mann in einem langen Kampfumhang. Der Feind der Jediritter! Max umklammert das Messer mit beiden Händen und rammt es dem Mann in den Bauch. Max ist stark.

Frank stirbt auf dem Weg zum Krankenhaus. Er sollte Max und Ela als Nikolaus die Geschenke bringen. So war es ausgemacht. Aber Ela hatte ihr Gründe, sich nicht daran zu halten. Das Problem Frank war gelöst.

Adventskalender MiniKrimi vom 24. Dezember


Natale 15

Buon Natale, pace al mondo! Merry Christmas, peace to the world! Joyeux Noel, paix et amours au monde!

Meine diesjährige Weihnachtsgeschichte: ein kleiner, ganz normaler Familienkrimi mit fröhlichem Ausgang als Tipp für die Gestaltung des Heiligen Abends:

Die Weihnachtserbin

Was bisher geschah:

Heiligabend: Frida hat ihren Mann Jan und die Kinder auf den Weihnachtsmarkt geschickt, um in Ruhe die letzten Vorbereitungen für das Weihnachtsfest zu treffen. Alles wie jedes Jahr, sie erwarten Oma Anita, Opa Bernd und Jans arroganten Bruder David. Sie gilt als perfekte Gastgeberin. Aber heute fragt sie sich, ob sie in den letzten Jahren, seit sie in das Haus am Stadtrand von Berlin gezogen sind, nicht zu oft nachgegeben und zu wenig an sich gedacht hat. Ihr Blick fällt auf die rote Küchenuhr, die ihre besten Tage hinter sich hat. Vielleicht geht es mir genauso, denkt Frida. Und sie spürt, wie so etwas wie Unmut in ihr aufsteigt und Unzufriedenheit. Da klingelt es an der Tür. Wer kann das sein?

„Ja, bitte?“, fragt sie in das Schneegestöber. Vor ihr steht ein Mann mit roter Mütze. Nein, nicht der Weihnachtsmann, das erkennt Frida an der grimmigen Miene, mit der er ihr einen aufgeweichten Umschlag entgegenstreckt. „Frida Rosenzweig?“, schnauzt er sie an. „Ja. Haben Sie was gegen meinen Namen?“ „Ist mir egal, solange er auf dem Briefkasten steht.“ „Aber das tut er doch nicht!“ „Eben. Deshalb musste ich so lange suchen. Eilauftrag vom Kunden. Und das an Heiligabend. Hier, unterschreiben!“ Natürlich passt ihr ganzer Name, Kahler-Rosenzweig, nicht auf das Signaturpad. Ebenso wenig wie auf den Briefkasten. „K. Rosenzweig“ krakelt Frida auf das Pad, dann stürmt der Mann zurück auf die Straße. „Frohe Weihachten“, ruft sie ihm hinterher, um ihrem perfekten Image noch irgendwie gerecht zu werden.

Dann setzt sie sich mit dem Brief in die Küche. Dr. Ernst R. Schreck, Notar, steht auf dem Umschlag. Er enthält die Einladung zur „Testamentseröffnung im Erbfall Pepita Rosenzweig“ am 24.12.2015, 13 Uhr, in der Straße zum Löwen 12 in Wannsee. Frida schaut auf die Küchenuhr. Fünf vor zwölf. Wie passend, denkt sie. Was mache ich jetzt? Du kannst da unmöglich hin, sagt die perfekte Gastgeberin in ihr. Die Vorbereitungen! Na und, antwortet eine Stimme, die Frida nicht mehr gehört hat, seit sie hier eingezogen ist. Denk an dich! Pepita muss Oma Anitas totgeschwiegene Zwillingsschwester sein. Bestimmt hat sie dir was vererbt, sonst hätte dich dieser Schreck nicht eingeladen.

Frida schaut sich in der Küche um, sieht die abblätternde Farbe an den Fensterrahmen, die angeschlagenen Kacheln. „Willst du so weitermachen? Das Haus muss dringend renoviert werden. Aber dafür fehlt euch das Geld. Jan ist lieb und nett, aber er verdient nicht genug. Nimm die Sache selbst in die Hand. Zieh den Mantel an und geh.“

Und das tut Frida. Der Weg nach Wannsee über leergefegte Straßen ist kürzer als gedacht. Das Anwesen Nummer 12 entpuppt sich als majestätische Gründerzeit-Villa mit Auffahrt und Freitreppe. Frida parkt den alten Familienvolvo direkt neben einem grün funkelnden Jaguar XJ. Sie wird erwartet, in der Tür steht ein untersetzter Mann mit Kugelbauch und schütterem Haar. Auch kein Weihnachtsmann, konstatiert Frida mechanisch. „Frau Rosenzweig, schön, dass Sie da sind. Schreck“, sagt er mit öliger Stimme.

Die nächste Stunde vergeht wie im Traum. Das getäfelte Arbeitszimmer, die hohen Stühle. Das Video, in dem eine Frau wie ein Rabe im schwarzen Kleid mit funkelnden Knopfaugen sagt, dass sie Haus, Auto und Bankkonten ihrer Großnichte Frida vererben will. „Die einzige Bedingung, die du erfüllen musst“, krächzt ihre brüchige Stimme aus den Lautsprechern, „ist, zu beweisen, dass du nicht so verlogen bist wie der Rest meiner Familie.“ „Und wie?“ fragt Frida. „Ganz einfach“, erklärt der Notar, „Sie müssen vollkommen ehrlich sein. Und zwar alle.“ „Das sind wir doch immer“, strahlt Frida. Wenn’s weiter nichts ist. In Gedanken zieht sie schon in die prachtvolle Villa ein. Das Treppengeländer ist eine prima Skater-Rail für Finn, und im Garten könnte Annas Pony stehen. „Gehen wir?“ Dr. Schreck sieht sie auffordernd an. „Wir? Wohin?“ „Zu Ihnen nach Hause. Ihre Großtante hat mich mit der Überprüfung Ihrer Ehrlichkeit betraut“.

Die Rückfahrt verläuft schweigsam. Bestimmt würde Dr. Schreck den Heiligen Abend lieber woanders verbringen. „Mein Gänsebraten ist vorzüglich“, flötet Frida und öffnet die Tür. Rauchschwaden vernebeln die Sicht, ein beißender Geruch nach verbranntem Fleisch straft ihre Behauptung Lügen. Mit einem Schrei stürzt Frida in die Küche. Sie hantiert immer noch hektisch mit Töpfen und Pfannen, als Jan und die Kinder nach Hause kommen. „Was ist denn hier passiert?“ Anna rümpft die Nase. „Das stinkt.“ „Kinder, riecht doch lecker.“ Jan will die Stimmung retten. Da sieht er den rundlichen Mann, der Frida ein spöttisches Lächeln zuwirft. „Das gilt noch nicht“, sagt sie hastig. „Erst muss ich alles erklären.“

Jan runzelt kritisch die Stirn. Aber die Kinder sind begeistert. „Zum Glück ist die dumme Gans angebrannt“, ruft Finn. „Jetzt gibt’s Spaghetti mit Tomatenketchup, ok?“ „Das fängt ja gut an“, wispert Frida ihrem Mann zu. „Das wir noch viel besser“, antwortet er.

Statt eines „Du wirst immer jünger, wie machst du das bloß?“ hilft Jan Oma Anita mit der Bemerkung aus dem Mantel: „Du hast ganz schön zugenommen!“ Und Finn brüllt: „Pelz ist Mord! Freiheit für alle Tiere jetzt sofort!“ Opa Bernd erlangt nach Fridas Erklärung zu diesem „etwas anderen“ Heiligabend als erster die Fassung wieder. „Wir können endlich aufhören mit dem Theater, Anita.“ Dann fragt er: „Frida, darf mein Mann dazukommen?“ Denn Bernd und Anita gehen schon lange getrennte Wege. Sie unterhält einen Swingerclub auf Malle, und er hat seine heimliche Liebe Adam geheiratet. „Glaubt bloß nicht, dass ihr den Sommerurlaub bei mir verbringen könnt“, warnt Anita vorsorglich. “Ihr seid viel zu spießig für meine Gäste.“ Frida wundert sich, warum Anita und Pepita sich nicht vertragen haben. Wo sie sich so ähnlich sind. Zwillinge eben.

Als David kommt, macht es ihr sogar richtig Spaß, ehrlich zu sein. „Du bist viel zu spät. Wie immer. Gut, so haben wir wenigstens ohne deine Anzüglichkeiten essen können“, wirft sie ihm an den Kopf. Und setzt noch eins drauf: „Wir haben kein Geschenk für dich. Du bringst ja auch nie was mit.“ „Stimmt nicht“, antwortet David, zieht ein zerknülltes Päckchen aus der Manteltasche und beweist seine Anpassungsfähigkeit an die besonderen Umstände mit der Bemerkung: „Beim Ausmisten habe ich deine alten Topflappen gefunden, die musst du bei mir vergessen haben, als du zu Jan gezogen bist. Hier – stehen dir ganz wunderbar“.

Da stößt Finn einen Wutschrei aus. Anna und er haben ihre Geschenke ausgepackt. Der Junge hält einen Chemiebaukasten in die Höhe. „Papa. Was soll das? Wo ist mein neues Skateboard?“ „Kannst du mir mal sagen, warum dieses Kind sich für nichts von alledem interessiert, was mir als Kind Spaß gemach hat?“, fragt Jan leise seine Frau. „Das liegt vielleicht daran, dass er gar nicht dein Sohn ist, sondern der deines Bruders“, flüstert Frida zurück. Was für ein Albtraum, denkt sie. Und: hätte ich bloß diesen Brief nie bekommen!

Der Rest des Abends versinkt im Chaos. Bernd hat sich von Adam abholen lassen. David haben die beiden gleich mitgenommen, mitsamt dem Veilchen, das ihm Jan verpasst hat. Anita sitzt mit Dr. Schreck auf der Terrasse und raucht einen Joint. „Das habe ich mir auf Malle angewöhnt. Hilft super gegen Arthrose“. Jan hat die Kinder ins Bett gebracht. Jetzt steht er im Schlafzimmer und packt seinen Koffer. „Mensch Jan, bitte. Es tut mir so leid. Das war einfach alles zu viel für mich“, sagt Frida und macht eine ausladende Armbewegung. „Alles“ meint dieses Leben. „Wollen wir es nicht noch mal versuchen? In Tante Pepitas Haus? Ohne Sorgen?“ „Und wie bringen wir Dr. Schreck dazu, in uns eine ehrliche Familie zu sehen?“, fragt ihr Mann. „Hm, wir geben ihm einfach so viel zu trinken, dass er sich morgen an nichts mehr erinnert!“

Am 25. sitzen alle beim Frühstück. Frida und Jan, Finn, Anna und Oma Anita, als Dr. Schreck die Treppe hinunter kommt. Sein Aussehen macht seinem Namen alle Ehre. „Guten Morgen“, ruft Frida gut gelaunt. „Schauen Sie, die perfekte ehrliche Familie!“ „Von wegen“, sagt Schreck. „Sie sind verlogen! Sie haben mich gestern betrunken gemacht, damit ich mich an nichts erinnere. Aber hier, ich habe alles aufgenommen“, und er zeigt auf sein Handy. Da klingelt es an der Tür. „Das ist mein Taxi. Auf Nimmerwiedersehen, Familie Kahler-Rosenzweig,“ „Halt, Sie können uns doch nicht so einfach sitzen lassen, nach allem, was wir wegen Ihnen durchgemacht haben“, ruft Frida verzweifelt und versucht, ihn festzuhalten. Es klingelt ein zweites Mal. „Lassen Sie mich los“, faucht Dr. Schreck.

Als es zum dritten Mal klingelt, fährt Frida zusammen. Ist sie doch glatt am Küchentisch eingenickt! Es riecht nach verbranntem Braten, und durch dicke Rauschschwaden fällt ihr Blick auf die rote Uhr. So spät! Sie rennt zur Tür. „Schatz, wir haben die Zeit vergessen, nicht böse sein!“ Jan legt ihr mit beschwichtigender Mine den Arm und die Schultern. „Macht nichts!“ Frida strahlt ihre Familie an. „Ich bin auch noch nicht fertig. Hatte wichtigeres zu tun. Was haltet ihr davon, wenn wir Heiligabend heute mal anders feiern? Nicht perfekt, aber dafür so, dass alle Spaß haben?“ „Au ja“, ruft Anna. „Können wir statt dem Gänsebraten Spaghetti essen?“ Und Finn ergänzt hoffnungsvoll: „Mit Tomatenketchup?“

5. Dezember: In einem kleinen Apfel…..


IMG039Auf der Ismaninger Straße in unmittelbarer Nähe vom Max-Weber-Platz reihen sich die kleinen Geschäfte aneinander. Der Schreibwaren-Lotto-Toto-Laden mit dem Geschenke-Eck, in dem selbst die Briefumschläge dezent nach Zigarettenrauch riechen. Der überteuerte Grieche mit den wie gemalt in der Auslage prangenden Pizzarädern, aus dessen enger Tür Sommer wie Winter die Mittagsgäste ihre verwartete Zeit  auf die Straße ergießen. Und der Gemüsetürke, eine breitgesichtige Frau und ihr untersetzter Mann, genauer gesagt. Vor der Tür sind exotische Früchte in Holzkisten drapiert, saisonale Blumenbüschel daneben. Jetzt eben grade Tannengestecke mit staubbeschichteten Christbaumkugeln. „Mei, die Türken halt, was sie so von Weihnachten wissen“, flüstern die Alten im Vorübergehen. Und Alte gehen viele vorüber. Vor mir wieder eine. Drahtig und ganz aufrecht, das schulterlange strohweiße Haar frisch gelegt. Ihre blaue Stoffhose aus den Siebzigern mit Schlag gut gepflegt, die Sportjacke ein modernes Outdoormodell. Wie auf einem Gleis gehend strebt sie dem Gemüseladen zu. Bleibt vor der Auslage ruckartig stehen. Zieht den Kopf ein, ich sehe es ganz deutlich, wie eine Schildkröte, die zum Angriff ansetzt oder zur Flucht nach innen. Ihre behandschuhten Finger schießen hervor, umklammern einen Apfel – wie der Greifarm in den Münzaquarien, die früher an jeder Raststätte standen, bunt gefüllt mit billigsten Plüschtieren. Blitzschnell steckt sie den Apfel in ihre Jackentasche. Steht wie angewurzelt und schraubt ihren Blick ins Innere des Ladens. Erst, als der Besitzer auf sie zu kommt, bewegt sie sich. Dreht sich um und läuft, nicht rennt, gemessenen Schrittes davon. „Halt, halt!“ ruft der Türke und springt auf den Bürgersteig,……

 

Zeit finden………….


Nur noch drei Tage bis Weihnachten! Und noch fünf, sprich alle Geschenke zu kaufen! Mum, Pa, Sister, Oma, Freundin. Noch zwei Tage, um die Kohle dafür aufzutreiben! „Ich freu mich viel mehr über was Selbstgemachtes. Einen Kalender, zum Beispiel.“ O-Ton Mum. „Schenk mir keine Krawatte, die trag ich eh nicht. Schenk mir lieber, dass du mit mir Skifahren gehst, einen Tag lang.“ Sagt der Vater. „Ach, Kind, komm mich doch mal besuchen“, schrieb ihm Oma. Wünsche, die leider unerfüllbar sind. Denn Zeit ist genau das, was ihm fehlt, weiß Vic. Und er hat keine Ahnung, wo er die finden könnte. Weiterlesen „Zeit finden………….“

Alles auf weiß


Draußen tropft es weiß auf die Welt – und schmilzt zu braungrauen Pfützen auf Straßen und Wegen. Immerhin, für kurze Zeit wird so ein wenig Dreck verdeckt. Nicht nur der Hundekot im Park…..

Weiße Weihnacht. Komisch, wie die Menschen  – hier, zumindest – ihre emotionalen und auch intellektuellen Ansprüche zurückschrauben können, in der Adventszeit. Und ihre Erwartungen dessen, der und was da kommt. Schnee. Geschenke. Schnee und Geschenke. Und sonst nichts. Frieden? Nö. Klappt ja nicht mal interfamiliär. Sonderbar auch, dass sie  offenbar mit sensorischen Scheuklappen ausgestattet sind, die nur partielle Reize durchlassen. Kaufsensoren haben das Regiment übernommen, und das Hirn registriert vor allem Schnäppchen, Kerzen, Zimt- und Vanilledüfte und glänzende Kugeln in allen Variationen. Ich mache da keine Ausnahme. Meine Augen reagieren sogar ganz extrem, gepaart mit meinen Schleimhäuten. Nicht einmal nächtliches Isoptomax aus der Notapotheke vermochte meine Allergie zu dämpfen!

Alles auf weiß heißt nicht alles auf weis(e). Europa droht zu zerbrechen? In einer Zeit, in der längst nur noch drei Machtkontinente prognostiziert waren – hello Mr. Huxley – driften wir in den Nationalismus zurück? Russland wehrt sich schwarz gegen Revolutionen in orange, Jasmin und digital. Putin beschwört James-Bond-Fantasien herauf, Clinton hängt die Haare aus dem Fenster –  doch kommt da ein Rapunzelprinz?

Und England kapituliert vor der eisernen Festlandlady. „Politiker scheinen mehr auszuhalten als Normalos“, kommentierte gestern eine erstaunte und wohl übermüdete Journalistin die nie endende Energie der deutschen Bundeskanzlerin. Macht ist halt eine Droge.

Aber es geht doch um „uns“. „Wir“ sind das Volk. Die Völker. Sie haben es uns vorgemacht, in Tunesien, Ägypten, Lybien (ok ok, fb ist fast wie FBI nur kleingeschrieben, und naklar will der Westen seine Ölquellen erhalten). Aber wir – vergessen die paar Zelter an der Wallstreet und auf Europas Plätzen und wenden uns lieber Wichtigerem zu. Dem Christbaum am Marienplatz, der Flugentenvorbestellung, der besten Strategie zur Herstellung von Weihnachtsplätzchen und der Konservierung von Winterweiß. Weil jeder weiß: Weihnachten wird unterm Baum entschieden. Ja, passen wir nur auf, dass es nicht der nächste Schlagbaum wird!

SMS Adventskrimi. 13. Dezember: Dicke rote Kerzen


„Dicke rote Kerzen, Tannenzapfenduft….“ Sehr schön. Lass sie nur singen. In dicken bunten Stoffklumpen stehen sie um die Krippe herum, als gäbe es was umsonst. Auf die Ohren, ja. Aus der Konserve rieselt Weihnachtsmusik auf die Kunden herunter, unaufhörlich, wie überzuckerter Schnee. Seit Wochen schon. Wann hat er zuletzt in das Licht einer Kerze geschaut? Mit neun, kurz bevor seine Mutter den Job im Altenheim verloren hat. Rücken kaputt, Kopf kaputt, arbeitslos, Hartz IV. Seitdem flackern die Kerzen nur noch über den Bildschirm, daheim. Geschenke? Kein Geld. Gute Laune kommt nur noch vom Bier. Gute Worte gibts von den Leuten auf den Ämtern. Arbeitsamt. Sozialamt. Schulamt. Und Gutscheine. Geändert haben sich nichts. Aber er. Jetzt. Auch dieses Jahr wirds keine Kerzen geben. Keine Geschenke. Keinen Baum. Keinen Braten. Nicht für ihn. Aber auch nicht für die Leute da vorne, rund um die Dekokrippe. Er packt die beiden Mollys aus – seine Weihnachtsbastelei!

„Oh – du hast aber eine große Kerze! Aber meine brennt schon. Hier, schenk ich dir!“ Eine kleine Hand, eine winzige rotrunde Kerze. Ein Schneeflockenlächeln. Er packt die Mollys in den Rucksack und nimmt das flackernde Teelicht aus der Kinderhand. „Pass auf, dass sie nicht ausgeht, bis du daheim bist.“

Der SMS-Adventskrimi. 6. Dezember: Eingesackt.


„Wie süß! Der Chef schickt uns nen Nikolaus in den Laden! Hallo, lieber Nikolaus!“

Behäbig schiebt sich der dicke Mann in den Juwelierladen, die Glöckchen an seinem Stab bimmeln mit der Tür um die Wette.

„Hohoho….wart ihr auch alle brav?“

„Klar doch, wir haben heute ganz besonders viel Umsatz gemacht. Muss ja was rein in die Socken der Liebsten.“

„Schön schön schön. Dann macht mal schnell die Kasse auf – und rein in den Sack mit den Moneten. Und die ganzen Klunker hier noch dazu.“

Der Nikolaus leert seinen Sack auf den Boden – heraus purzeln Nüsse und Äpfel – und verleiht seinen Worten mit einer Beretta 92 FS Nachdruck.

„Haltet den Dieb! Stoppt den Nikolaus!“ Doch keiner nimmt die Rufe ernst. Am wenigstens die zwei, drei Dutzend Nikoläuse, die sich, schwer bepackt, auf der Fußgängerzone tummeln.

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