Adventskalender MiniKrimi am 19. Dezember


Meine Allerlieblingsgeschichte. Ich könnte sie jedes Jahr wieder schreiben. Und danach lesen. Und Ihr?

Warum Krampus eine Windel trug

Artemis und Isidora waren Geschwister. Sie lebten in einem Altbau mitten im Münchner Stadtteil Schwabing, ganz in der Nähe des Englischen Gartens. Bis vor einem halben Jahr wohnten sie noch in Hamburg. Doch dann war ihre Mutter, die bei einer großen Werbeagentur arbeitete, nach München versetzt worden. Meistens wollen Kinder ihr gewohntes Umfeld nur ungern verlassen – ungezählte „Herzkino“-Filme handeln davon, wie sie sich zunächst sträuben, dann durch irgend einen meist dramatischen Umstand neue Freunde finden, Teenager verlieben sich auch oft – und am Ende weinen sie dem Meeresrauschen im hohen Norden und den Szenecafés von Blankenese keine Träne mehr nach und sind stattdessen ganz versessen auf Floßfahrten und Zelten entlang der Isar.

Artemis und Isidora hingegen waren gerne nach München gezogen, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen. Artemis war mit seinen 15 Jahren ein in einschlägigen Kreisen anerkannter Hacker, und einige seiner virtuellen Kollegen lebten in und um München. Die WizKidz von heute gehen viel gelassener mit ihrer Anonymität um, bzw. haben sie längst verstanden, dass nur der keine digitalen Spuren hinterlässt, der so wenige wie möglich macht. Briefe, Telefon und persönliche Treffen sind ihrer Meinung nach bedeutend sicherer als Konferenzen im Netz, ob hell oder „dark“. Für Artemis bedeutete die Veränderung also größere Nähe und kürzere Wege.

Isidora hingegen war von einer Zickengang an ihrer Mädchenschule gemobbt worden, und zwar ziemlich übel. Einmal hatten sie einen Tankini in ihrem Mathe-Hausaufgabenheft versteckt. Ihr Lehrer, ein junger Typ mit blonden Locken, auf den sie tatsächlich total stand, hatte das Teil mit seinem Kuli aus dem Heft gefischt, sie angegrinst und erklärt: „Meine Freundin trägt nur Badeanzüge.“ Danach war Isidora so lang nicht zur Schule gegangen, so lange, bis das Fieberthermometer beim Aufheizen auf dem Induktionsherd zersprungen war. Kurz vor den Sommerferien hatten die Zicken ihr die Reifen ihres Fahrrads zerstochen. Nein, Isidora war glücklich, Hamburg den Rücken zuzukehren.

Es gab aber noch einen anderen Grund, weshalb die Geschwister dem Umzug beinahe entgegengefiebert hatten: sie wünschten sich schon seit langem einen Hund. In Hamburg hatten die Eltern immer ein Argument gefunden, um diesen Wunsch abzulehnen: Der Vermieter erlaubte keine Haustiere, weit und breit war kein Park in der Nähe, das Tier wäre den halben Tag alleine gewesen. Hier in München aber waren die Bedingungen perfekt. Der Altbau mit seinen knarzenden Holztreppen, dem Geruch nach Grünkohl aus der Hausmeisterwohnung und vor allem mit dem Englischen Garten direkt vor Tür war wie geschaffen für eine Fellnase. Tatsächlich lebten dort auch schon eine Dogge und eine Katze. Hinzu kam, dass ihr Vater als freier Journalist für den Deutschen Tierschutzbund arbeitete – und das meist von zu Hause aus. Und wenn er mal reisen musste: sein Arbeitgeber konnte schlecht was gegen einen Hund im Gepäck haben! Aus unerfindlichen Gründen schienen die Eltern jedoch immer noch nicht mitzuziehen. „Lasst uns erstmal ankommen.“ „Vielleicht zu Weihnachten.“ „Seid Ihr sicher, dass Ihr nicht allergisch seid? Wir lassen Euch lieber erstmal testen.“

Da beschlossen die Geschwister, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Und so saßen Artemis und Isidora, Art und Isi, wie sie von ihren Freundinnen und Freunden genannt wurden, am Esstisch, vor sich eine Zeitung, die sie in ihrem Briefkasten gefunden hatten. „Hallo München“, ein Werbeblatt voller Anzeigen. Vom Bügelbrett über Häuser, Autos, Briefmarken bis zu erotischen Diensten wurde dort alles angeboten. Auch Hunde. „Schau mal, Arti, der sieht doch voll süß aus!“ Isi zeigte auf das Foto eines kleinen schwarzen Hundes mit einem weißen Fleck über dem rechten Auge. „Australian Shepherd Welpen, reinrassig. 3 Monate, 250 Euro.“ Genau soviel hatten die beiden bereits zusammengespart!

Art fand es schon seltsam, dass in der Anzeige kein Name stand, sondern nur eine Handynummer. Als er dort anrief, meldete sich eine Frau in gebrochenem Deutsch. Ja, genau dieser Welpe sei noch zu haben. Natürlich sei mit ihm alles in Ordnung. Er sei ein ganz besonders schöner Hund. Sie verlangte Arts Telefonnummer und sagte, sie würde anrufen, um den Übergabetermin festzumachen. „Ich weiß nicht, mir kommt das komisch vor,“ zweifelt der Junge nach dem Telefonat. „Wir sollten vielleicht doch liebe erst mit Papi…“ „Nein! Wir ziehen das jetzt durch!“ Isidora konnte für eine Dreizehnjährige sehr bestimmend sein. Und im Grunde wollte Artemis den Hund ja genauso gerne wie sie.

Die Tage vergingen, die Frau rief nicht an. Ihr Handy war ausgeschaltet. Endlich, am fünften Dezember – ein Anruf. „Hallo? Sind Sie noch interessiert? Dann kommen Sie morgen um 17 Uhr zum Busbahnhof Fröttmaning. Bringen Sie das Geld mit. Dann kriegen Sie den Hund!“

Vor Aufregung konnten Art und Isi in der darauffolgenden Nacht kaum schlafen. Beide halten im Grunde kein gutes Gefühl bei der Sache. Art hatte versucht, herauszufinden, wem die Nummer gehörte. Aber es war natürlich ein Prepaid-Handy gewesen. „Wir ziehen das jetzt durch,“ wiederholte Isi ihr Mantra, während sie am 6. Dezember zum Busbahnhof Fröttmaning fuhren. „Was kann uns schon passieren? Das ist ein riesen Busbahnhof mit vielen Leuten. Wenn sie uns überfallen, schreien wir einfach und laufen weg.“

Punkt 17 Uhr standen sie am Busbahnsteig. Überall fuhren Autos an und ab – der Busbahnhof ist ein zentraler Treffpunkt für Mitfahrgelegenheiten. Ein schwarzer Mercedes mit getönten Scheiben fuhr langsam die Reihe der Wartenden ab. Das Beifarerfenster wurde heruntergelassen, und eine Frau schaute zu Art und Isi herüber. „Haben Sie unseren Hund dabei?“ fragte Art schnell. Die Frau runzelte die Stirn, sagte etwas zum Fahrer des Wagens und dann: „Hund, jaja Hund. Kommen. Da vorne.“ Der Wagen fuhr weiter, bis ans Ende des Bahnsteiges, dort, wo keine Menschen mehr warteten. Art und Isi rannten hinterher. Atemlos standen sie dann neben dem Wagen. Der Fahrer stieg aus uns öffnete den Kofferraum. In einem mit falschem Leopardenfell ausgekleideten Karton purzelten fünf kleine Hunde durcheinander und fiepsten ängstlich. „Da, das ist er!“, rief Isi und wollte in den Karton greifen. „Halt! Zurück!“ befahl der Fahrer. „Gib Geld!“ Art holte die 250 Euro zwischen den Seiten seines Gesangbuches hervor („Wir haben noch Chor, Mami, sind in 2 Stunden zurück“, hatte er beim aus-dem-Haus-Gehen gelogen) und hielt sie in die Höhe. „Zuerst den Hund!“ Der Mann schnappte sich einen der Welpen und wollte ihn Isi in die Hand drücken. „Nein, das ist nicht unserer. Wir wollen den mit dem weißen Fleck.“ „Geht nicht. Der schon verkauft. Du nehmen diesen!“ Der Mann wurde ungeduldig. Aber er hatte nicht mit Isis Sturheit gerechnet. „Nein, wir wollen den anderen. Das war so abgemacht,“ rief sie, immer lauter. „Hallo, braucht Ihr Hilfe?“ rief jemand vom Bahnsteig, und jetzt schauten schon mehrere Leute in ihre Richtung. „Dann nix“, murmelte der Fahrer und wollte den Kofferraum zuklappen. Aber Arti griff blitzschnell hinein, nahm das kleine Fellündel in den Arm und rannte los, Isi hinterher. Sie hörten den Fahrer fluchen, denn inzwischen waren ein paar Personen in ihre Richtung gelaufen, um zu helfen, vielleicht auch aus Neugier, egal. Der Mercedes startete mit heulendem Motor und raste davon, aber Art hatte sich längst Autokennzeichen und Gesicht des Fahrers eingeprägt.

In der U-Bahn nach Schwabing besahen sich Art und Isi ihren Hund. Schwarz, zerzaust, mit verklebtem Fell und triefenden Augen. „Wir nennen dich Krampus,“ sagte Art. „Du schaust wirklich aus wie der Gehilfe vom Nikolaus, so finster und zerlumpt.“ Daheim schlichen sie gleich auf ihre Zimmer. Die Eltern waren zu einem Nikolausdinner eingeladen, und als sie nachts nach ihren schlafenden Kindern schauten, bemerkten sie den kleinen Krampus nicht, der unter Isis Bettdecke lag. Damit er nicht ins Bett machte, hatten die beiden ihm eine Windel angezogen, die sie sich von Jasmin aus dem dritten Stock geliehen hatten. Beziehungsweise von ihrer kleinen Schwester.

Als Isi am nächsten Morgen aufwachte, dache sie, Krampus sei tot. Stocksteif und still lag der kleine Hund im Bett. Auch Art sah sofort: das Tier war ernsthaft krank. Es wimmerte leise, und sein Bauch war ganz hart und geschwollen. „Wir müssen ihn zum Tierarzt bringen, und zwar, bevor Mami und Papi aufwachen.“ „Ich glaube, der muss ganz dringend und kann nicht. Wir machen ihm erst mal einen Einlauf.“ Das hatte Mami bei Isi gemacht, als sie mal zuviel Schokolade gegessen hatte. Da sie ohnehin Tierärztin werden wollte, dachte sie, sie könne genauso gut gleich mit einer Behandlung beginnen. Und tatsächlich: der Einlauf zeigte seine Wirkung. Bald war die Windel voll. Und mitten in dem weichen Haufen war eine kleine Tüte. Und darin glitzerte es verdächtig.

„Na, was wird denn das? Übt Ihr für die Weihnachtsgans? Das stinkt ja bestialisch.“ Ihr Vater stand in der Tür, angeekelt und fasziniert von dem, was da auf dem Parkettboden lag. Ein kleiner, völlig verwahrloster Welpe, ein Haufen Hundekot – und ein Säckchen mit Diamanten. Das stellte sich natürlich erst später heraus, nachdem Krampus in der Hundeklinik behandelt und die Windel samt Inhalt – ohne Tüte – entsorgt worden war.

Der Tierschutz-Journalist konnte zunächst nicht fassen, dass ausgerechnet seine Kinder mit illegalen Welpenhändlern ins Geschäft gekommen waren. Während er ihnen wieder und wieder erklärte, dass solche Leute die Tiere unter schlimmsten Bedingungen züchten, die meisten Welpen beim Verkauf todkrank sind und das Ganze nicht nur eine furchtbare Tierquälerei, sondern auch noch Geldverschwendung ist, saß Art schweigend an seinem Laptop.

Schließlich bat er den erstaunten Vater, ihn zur Polizei zu begleiten. Er habe sachdienliche Hinweise, die zur Ergreifung der Täter in einer Serie von Juwelendiebstählen im bayerisch-tschechischen Grenzgebiet führen würden, und der Vater könne gleich in Sachen Tierschutz aktiv werden. Dann fragte er die Mutter nach ihrer Kontonummer, auf die die Belohnung später überwiesen werden sollte. „Damit haben wir dann Kost und Logis für Krampus für die nächsten Jahre gesichert. Hundeschule und -sitter inbegriffen“, grinste Art.. Die Eltern sahen sich an. Wer konnte solch genialen Kindern schon widerstehen?

Nachtrag: Seither sieht man abends einen Mann und eine Frau Arm in Arm – oder auch Hand in Hand – aus dem Altbau in Schwabing kommen und die Straße in Richtung Englischer Garten entlang bummeln, neben sich an der Leine einen immer größer werdenden, munteren Australian Shepherd. An jedem Baum bleibt er stehen, markiert, dreht sich zu dem Pärchen um, bellt einmal freudig und tänzelt weiter.

Adventskalender MiniKrimi am 18. Dezember


Der heutige MiniKrimi stammt aus der Feder von Dagmar alias Traumspruch. Mehr über sie und von ihr gibt’s auf ihrer Homepage.

Zingiber Officinale 

Ja, sie war ziemlich stolz auf ihre selbstgezüchtete Ingwerpflanze. Vorgestern hatte sie sich mit ihrem Nachbarn darüber unterhalten. Der war ja eigentlich ein Muffel und redete mit keinem der anderen Anwohner. Ein Eigenbrötler, aber stinkreich und geizig, so sagte man. Nicht einmal eine Zugehfrau leistete er sich, obwohl er alleinstehend war. 

Als er vom Fenster gegenüber auf ihrer Fensterbank die ungewöhnliche Pflanze entdeckt hatte, rief er sie an, einfach so. Und sie unterhielten sich gut. Nicht nur, das sie quasi Garten an Garten, Fenster an Fenster wohnten, sie bemerkten, dass sie einige gemeinsame Interessen hatten. Aber leider mussten sie das Gespräch bald beenden, denn Herr Schneider, so hieß der Nachbar, hatte noch eine ebay-Auktion laufen, um die er sich nun würde kümmern müssen. Ein Sammlerstück, das er gerne in seinen Besitz bekommen würde. Quasi ein Schnäppchen, so schwärmte er ihr gestern noch vor. Heute war sie mit ihm verabredet. Er wollte sich ihre kuriose Ingwerpflanze, die auf der Fensterbank so gut gedieh, mal genau anschauen und würde deshalb zu Besuch kommen.

Leider erschien er nicht. 

Denn bereits kurz nach Ablauf der ebay-Auktion erhielt Herr Schneider selbst Besuch.

Noch am Nachmitag wollte der Verkäufer der kostbaren Uhr diese persönlich überbringen. Herr Schneider war nicht argwöhnisch, so würde der edle Chronograph beim Versenden keinen Schaden nehmen können. Auch die beiläufige Frage nach den Nachbarn, die man unter Umständen durchs Fenster sehen könnte, ließ keinen unguten Gedanken bei Herrn Schneider aufkommen.

Auf die Frage gab Schneider kurz zur Antwort, da wohne nur eine blinde Frau.  

Aha, die sieht uns also eh nicht, lachte der Schurke, und bedrohte Herrn Schneider plötzlich mit einer Waffe, die er statt der zu liefernden Uhr aus der Jackentasche zog. Unbeobachtet und in aller Ruhe fesselte er das Opfer und machte sich schließlich ebenso beruhigt mit dem Diebesgut davon.   

Sie war nur ein klein wenig enttäuscht, dass ihr Nachbar sie versetzt hatte. Das kannte sie ja schon. Die Leute wussten nicht, wie man mit einer Blinden umgeht.

Man nahm sie oft nicht für voll. Ja ja, diese Behinderte, die konnte doch froh sein, wenn man sich ihr überhaupt mal zuwendete. So überspielten manche die eigene Unsicherheit gekonnt mit einem Scheinargument. Da käme es doch nicht auf den Tag an, sie säße doch sowieso immer zuhause. Draußen sei es für sie zu gefährlich, da würde sie sich doch nicht mehr zurecht finden… so argumentierte man. 

Aber von diesem feinen Herrn hätte sie das nicht erwartet. Der hatte eigentlich einen netten Eindruck auf sie gemacht. Eigentlich, ja, eigentlich.

Aber Tatsache war, er hatte sie versetzt.

Es war zwar erst mitten am Nachmittag, aber er wollte doch seinen Besuch bei ihr noch bei Helligkeit abstatten. Jetzt wurde es bald dunkel – er würde nun nicht mehr erscheinen. 

Das sollte ihr jedoch die Laune nicht verderben. Würde sie halt ein bißchen twittern. Dort gab es bestimmt jemanden, mit dem sie sich unterhalten konnte. Und so war es. Bald hatte sie einen interessanten twitter-Austausch über Gewürzpflanzen. Auch über ihren Ingwer.

Jetzt wollte ein Twitterer sogar ein Foto sehen. Ob sie das hinbekäme? Ja klar, sie sah zwar nicht, was sie fotographierte, aber das iPhone lässt sich auch blind gut bedienen. Kamera starten, Kameramodus auswählen, Blitz aus, damit es keine Spiegelung gibt, Bild aufnehmen, Doppeltipp. Fertig. Sie würde gleich ein Bild von ihrer Pflanze machen und twittern. 

Das war dann doch nicht so schnell bewerkstelligt. Als sie das Foto samt Bildbeschreibung online gestellt hatte, war ihr Bekannter bei twitter offenbar bereits offline. Er reagierte jedenfalls nicht auf ihre Nachricht. Nun, er würde das Bild ja dann in der timeline finden. 

Es war schon ein wenig knifflig, so die richtige Einstellung zu finden, damit alles auf dem Bild zu sehen sein würde. Normalerweise stellte sie auch nicht einfach mal so eine Aufnahme ins Netz, bevor nicht ein Helferlein einen Blick darauf geworfen und das Go gegeben hatte. Mittlerweile hatte sie geübt, dass nicht auf jedem Schnappschuss ihre Füße zu sehen waren, oder der unaufgeräumte Esstisch, oder irgendein Gegenstand, der mehr über sie verraten würde, als ihr lieb wäre. Aber bei der Grünpflanze konnte sie nichts verkehrt machen. Ihre Füsse steckten in fotogenen Wollsocken, das breite Fensterbrett war aufgeräumt, und der Bildhintergrund war in diesem Fall sowieso egal. Es ging nur um die schilfartigen Blätter, die aus der Knolle wuchsen.  

Sie war gespannt was…@GrünerDaumen zu ihrem Ingwersprössling sagen würde.

Lecker, wie der Tee schmeckte, den sie am Montag gekauft hatte. Teetrinken und abwarten, das war eine gute Einstellung. Die Gedanken kommen lassen, die Gedanken ziehen lassen. Achtsamkeit. 

Ein Klingeln an der Haustür ließ sie aufschrecken. 

Ein Polizist verlangte Einlass. Sie war sehr skeptisch, sie liess nicht einfach so fremde Menschen in ihre Wohnung. Moment! Einen Moment würde man schon warten müssen. Sie würde die Nachbarin von nebenan anrufen und diese bitten, doch mal eben rüber zu kommen. Nicht alle Polizeidienstausweise hatten eine Braillebeschriftung. Da brauchte sie sehende Unterstützung, der sie vertrauen konnte. Gerade kletterte die Nachbarin über den niedrigen Zaun, der die beiden Grundstücke seitlich trennte. An der Straße fuhr ein Streifenwagen vor. Ein weiterer Polizist betrat das Grundstück. Nachdem die Dienstausweise gecheckt waren, gewährte sie den Ordnungshütern Einlass. 

„Na, da hat ihr Nachbar aber noch mal Glück im Unglück gehabt“ erläuterte der zweite Beamte. „Dank ihrer Aufnahme, die sie in twitter gestellt haben und aufgrund der wir alarmiert wurden, konnte Herr Schneider gerade noch rechtzeitig befreit werden. Er hatte vor lauter Aufregung einen Asthmaanfall und konnte gefesselt keine Hilfe rufen. 

Die Sammler-Uhren ist er zwar los. Der Räuber hat bereits das Weite gesucht. Das sollte aber jetzt kein Problem sein, denn wir haben ja ein excellentes Fahndungsfoto, der Dieb ist gut zu erkennen; auch wenn unscharf im Vordergrund des Fotos irgendwelche grüne Blätter abgebildet sind.“ 

Mit dem Beweisfoto war sogar eine ganze Fotoreihe ausgelöst worden. Das würde die Fahndung wesentlich erleichtern. 

So hatte man den Dieb bereits dingfest gemacht, als sich Herr Schneider am übernächsten Tag bei ihr zu einer Tasse Tee und zur Begutachtung der seltenen Grünpflanze anmeldete und seinen versäumten Besuch nachholte.

copyright: Traumspruch

Bei Anruf Schock


Heute ist wieder so ein Tag. Gestern auf FB und Twitter Hiobsbotschaften verschiedener Bekannter gelesen. Ich frage mich, womit ich verdient habe, wenn es mir gut geht? Und wie lange noch? Prompt bekomme ich Kopfschmerzen. Tumor? Metastasen? Oder doch der Heuschnupfen?

Ich nehme ein Medikament gegen die Allergie und warte darauf, dass die Wirkung einsetzt. Da klingelt das Telefon (komisch, wir sind in unserer Sprache so digitalisiert, haben wir für alle technischen Funktionen moderne Namen. Aber das Telefon klingelt nach wie vor. Auch, wenn es eigentlich singt, bellt oder ein ganzes Orchester auffährt. Das Smartphone übriges auch).

Das Telefon klingelt, und ich registriere mit Unbehagen die Meldung „Unbekannt“ auf dem Display. Ich mag keine Heimlichtuereien. In diesem Fall bestätigt sich mein Gefühl. Ein Mann meldet sich mit einem Wortschwall im Staccato-Ton, aus dem ich nur die Worte „Polizei“ und den Namen meines Mitbewohners herausfiltern kann. Ich frage nach, als Antwort nur die Gegenfrage, ob ich Herr XX sei. „Ich habe doch eine Frauenstimme“; will ich sagen. Erkläre dann aber – warum nur? – dass Herr XX nicht da sei. Darauf wieder das Staccatobellen mit den verständlichen Satzbrocken alte Dame, Überfall, nahe unserer Straße. Herr XX solle als Zeuge befragt werden. Und dann, aggressiv; „Wer sind Sie?“

Meine Liebe zur Polizei ist hinreichend bekannt. Ich werde langsam wütend. Gleichzeitig weiß ich: der Anrufer ist mitnichten ein Polizist. Als ich ihm sage, dass ich ihn kaum verstehe, brüllt er: „Sie sie schwerhörig?“ Ich bitte einmal, zweimal, dreimal, er solle mir die Nummer seiner Dienststelle geben, ich würde zurückrufen.

Als Antwort wieder nur ein Schwall unverständlicher Worte, zugleich mit einem Rauschen. Wo immer er stehen mag, er hat schlechten Empfang.

Mitten in seinem Reden lege ich auf. Frag mich: was sollte das? Bin ich jetzt in Gefahr?

Ich rufe unsere Polizeidienststelle an. Muss lange in der Leitung warten. „Sie sind ungefähr die Tausendste, die heute deshalb anruft. Die ziehen grade wieder einen üblen Rentner-Trick durch. Aber ich schicke Ihnen eine Streife vorbei, damit wir eine Strafanzeige ausfüllen können.“ Der Beamte scheint froh zu sein, in mir eine valide Zeugin zu haben. Eine, die noch gut hören und klar denken kann.

Ich bin eigentlich gar nicht zuhause. Ich muss arbeiten, und mittags dann zum Sport. Ich bin nämlich keine Rentnerin. Auch, wenn ich un halb elf noch ans Telefon gehe. Weil ich Freelaancerin bin.

Seitdem spiele ich unterschiedlichste Antwort-Szenarien mit dem unbekannten Anrufer durch. Immer mit mir als Heldin, die den Anrufer blamiert, verunsichert, erschreckt, zum Weinen bringt. Mindestens. Was mich am meisten schockt: Der hat mich offensichtlich für eine RENTNERIN gehalten.

MiniKrimi vom 22. Dezember


Heute wieder eine Geschichte nach den Clues von Monika. Du machst es mir nicht leicht, meine Liebe….

Schöne Bescherung

Der Weihnachtsmann hatte seinen Sack gut zugeschnürt. Dachte er. Aber für Timo und Ali war es nicht schwer, ihm zu folgen. Denn auf dem frisch gefallenen Schnee, auf dem feuchten, salzglänzenden Asphalt und dem hellen Marmor der Hausflure und Treppen hinterließ er eine feine, funkelnde Spur aus engelshaarfeinem Lametta. Es rieselte aus dem unauffälligen Loch, dass Timo mit seinem Messer in den Sack geschnitten hatte, während Ali einen Zusammenstoß mit dem Mann im dick ausgestopften Kostüm simulierte. Unglaublich, wie fahrlässig die Leute zu Weihnachten wurden. Als raubte ihnen der kindliche Glaube an das Gute, das alle Jahre wieder über sie hereinbrach, jeglichen Sinn für Vernunft. Anders war es nicht zu erklären, dass sie dem Weihnachtsmann ihre teuren Geschenke für Frauen und Kinder, Eltern und Freundinnen anvertrauten, nur, damit alle so tun könnten, als glaubten sie noch immer an Märchen. Stattdessen würden sie in dieser stillen Nacht, in der die reiche Vorstadtwelt wie eine mit Zuckerguss verzierte Tortenlandschaft aussah, ihr blaues Wunder erleben. Von wegen Bescherung. Beziehungsweise würde die ganz anders ausfallen als erwartet.

Timo und seine „Gangstas“ hatten alles genau geplant. Mike war der Spion und hatte ausgekundschaftet, welche Geschenke der Weihnachtsmann wo abliefern würde. Timo und Ali schlichen hinter dem armen Mann her, der sichtlich an der Gabenlast zu schleppen hatte. „Nicht mehr lange, und wir erleichtern dir die Arbeit“, flüsterte Timo, und Ali keckerte sei Lachsack-Lachen. Er hörte gar nicht mehr auf damit. Timo stieß ihn unsanft in die Rippen, denn gerade ertönte Mikes Pfiff. Darauf hatten die beiden Diebe gewartet.

Während der Weihnachtsmann sich mit aller Kraft mühte, mit dem umständlichen Kostüm die Feuerleiter hinauf und dann den Kamin hinabzuklettern, huschte Timo behände hinter ihn und legte ihm die Hand mit einem in Chloroform getränkten Lappen auf Mund und Nase. Mit einem leisen Seufzer, wie ein Luftballon, aus dem das Gas entweicht, ging der gute Mann zu Boden. Das letzte, was er sah, waren zwei Aliens mit schwarzwollenen Gesichtern, aus denen nur die Augen hervorglühten.

„Schnell, her mit dem Sack, und dann nichts wie ab“, befahl Timo. Ali schulterte ächzend den Jutesack. Wahnsinn, wie schwer der war. Kein Wunder, bei all den Uhren, Diamanten, Laptops und Kameras, die da drin steckten und jetzt nur darauf warteten, von Timo und seiner Bande vertickt zu werden.

Die beiden Halbstarken zogen und zerrten den Sack schließlich gemeinsam die Feuerleiter hinunter. Erschöpft ließen sie sich nebeneinander auf den Boden gleiten. Da brauste auch schon der geklaute Buick um die Ecke, mit Mike am Steuer. Auf dem frischen Schnee kam der Wagen in der Kurve ins Schleudern und hätte beinahe den Sack über den Haufen gefahren. „Schnell rein mit euch“, rief Mike. Sie warfen sich auf die Rücksitze, den Weihnachtsmannsack fest zwischen sich. Und dann gings los, in einem halsbrecherischen Tempo quer durch die Stadt bis hinaus zu den Dünen am Strand. Um die Zeit und bei dem Wetter war selbst die Polizei nicht draußen. Keiner verfolgte die jungen Männer. Und eine Stunde später saßen sie im Sand und begutachteten ihre Beute. „Das Zeug ist mindestens eine Million Dollar wert“, sagte Timo. Und Ali pfiff anerkennend durch seine Zahnlücke. „Wir haben echt n super Ding gedreht!“ Schließlich lag nur noch ein kleines, flaches Kästchen im Sack, nicht größer als eine Streichholzschachtel. „Was isn das?“, fragte Mike. „Keine Ahnung“, sagte Timo und dreht das Ding vorsichtig zwischen den Fingern. „Bugatti„, war darauf eingraviert. Und an der einen schmalen Seite, kaum sichtbar, blinkte es rot.

Und dann blinkte es um sie herum, viele Lichter, weiß, rot und blau. Der ganze Strand wimmelte von Polizisten. „Halt, Pfoten hoch, Jungs“, hörten sie, ohne zu verstehen, was plötzlich los war. Auch, als sie beim Verhör saßen, konnten sie sich nicht erklären, wie die Polizei sie gefunden hatte. Ein Sergeant hatte schließlich Mitleid mit den drei Möchtegern-Ganoven. „Das kleine Kästchen ist eine Mini-Alarmanlage. Sie gehört zu dem Bugatti, den Marvin C. seiner Freundin zu Weihnachten schenken wollte. Marvin war selber ein Gangsta, bevor er als Rapper Millionen verdient hat. Deshalb hat er die Alarmanlage scharf gemacht. Sie hat die ganze Zeit Signale gesendet – die kamen aber nicht zu Marvin C.s Haus, sondern entfernten sich immer mehr. Da hat er uns verständigt. Und wir haben Euch gefunden. Schöne Bescherung, Jungs.

„Ich glaub, ich mach im Knast nen Rappel-Kurs“, murmelt Timo zu Ali, als er in U-Haft geführt wird.

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