Mords-Malefiz (Auszug)
von Monika Nebel
Der Mann wird unruhig, wie soll er reagieren? Werden sie ihm abkaufen, dass er von nichts weiß?
Um ihn herum wird wild getanzt und gesungen. Heute haben die INNfernalischen einen beinahe lässigen Abend mit einem einzigen Auftritt vor sich. Ab morgen bis zum Ende der fünften Jahreszeit am Faschingsdienstag um 24 Uhr sieht es anders aus. Ein Termin jagt den nächsten, die 16 Tänzer und Tänzerinnen sind mit dem Bus quer durch die Dörfer rund um Wasserburg und Rosenheim unterwegs, begleitet von ihrem Team. Der Höhepunkt des Gardeauftritts ist der Tanz des Prinzenpaars Hubert II. und Luise I.
Doch nicht heute! In einer Stunde, so gegen 21 Uhr, werden die Trainerinnen, die Gardemajorin, die Hofmarschallinnen, der Präsident und vor allem der Prinz nervös werden. Und der Mann ahnt, was spätestens am nächsten Tag passieren wird: Ein Höllenfeuer wird bei den INNfernalischen ausbrechen. Entweder verschlingt es ihn selbst oder verbrennt zumindest seine Seele bis zur Unkenntlichkeit.
***
Am Sonntagmorgen gehen Maria und Johann Selbinger aus Griesstätt, dick eingemummelt in winterliche Kleidung, im nahe gelegenen Tal von Altenhohenau spazieren. Der Border Collie des Paars rast begeistert bellend den Inndamm entlang. Auf dem seit Wochen gefrorenen Boden liegt nun eine zarte Schicht Schnee. Der ist in der Nacht gefallen, in feinen Flocken nur, aber über ein paar Stunden. Ihr Auto parkt im Ort, die beiden haben den Weg oberhalb der Felder gewählt.
Das Paar hat Zeit, die Sonne scheint so schön, deshalb wandern sie bis zum nördlichsten Ende der Halbinsel, wo sich der Lambach dem kraftvoll dahinfließenden Inn anschließt. Dort erwartet sie ein wunderbares Panorama, das sie auf der Bank sitzend genießen: eisig wirkendes Wasser, glitzerndes Weiß an den Ästen, eine stille, friedliche Landschaft. Es ist nicht mehr weit bis Wasserburg, nur wenige Kilometer.
Zurück wählen sie einen anderen Weg. Bevor der Mann und die Frau den Wald betreten, leinen sie den Hund an, wie es im Naturschutzgebiet gefordert ist. Die Sonne blitzt durch die nackten Äste des Laubwaldes, ein Bach plätschert ein Stück parallel zum Weg. So kalt war es nicht, dass er ganz hätte zufrieren können. Sie folgen dem Weg und sehen bald darauf den Parkplatz für die Wanderer, auf dem aktuell nur ein Auto steht: ein eleganter blauer Mittelklassewagen, dessen Dach ebenfalls eine weiße Haube trägt.
Mit einem Mal bleibt ihr Hund stehen, sein Kopf in starr erhobener Haltung, er atmet heftiger, ein Zittern läuft über sein Fell. Sein Frauchen stutzt. So kennt sie das fröhliche Tier nicht.
»Ja, Cora, was ist denn los? Komm, geh weiter, gleich sind wir in der Sonne auf den Feldern, dann kannst du wieder von der Leine und sausen.«
Doch der Hund will nicht aus dem Wald, er wendet sich nach rechts und zieht Maria hinter sich her.
»Cora, jetzt bleib stehen!«, schimpft sie und stemmt sich mit den Füßen gegen die Zugrichtung in den Boden. Als sie verwundert ihren ungewohnt unfolgsamen Hund ansieht, bemerkt sie wenige Meter weiter einen farbigen Fleck zwischen den Bäumen. Ihr wird kalt, die Sonne scheint schwächer zu werden, die Welt etwas dunkler.
»Johann!«, sagt sie mit solch angespannter Stimme, dass ihr Mann neben sie tritt.
Gemeinsam starren sie in den Wald. Dort unter zierlichen jungen Ästen im unbelaubten Winterkleid, beinahe verborgen hinter einem kleinen Hügel liegt eine Frau. Ihr rot-schwarzes Kleid hebt sich vom Weiß der Umgebung deutlich ab, obwohl der Körper leicht von Schnee bedeckt ist. Die Spaziergänger werfen einander einen Blick zu, der verrät, wie die Situation sie verunsichert.
»Hallo?«, ruft Johann hinüber, erhält aber wie befürchtet keine Reaktion.
»Wer geht denn im Winter mit einem ärmellosen Kleid spazieren?«, fragt Maria ihren Mann irritiert, um sich selbst von dem Offensichtlichen abzulenken. Der bindet den neugierigen Hund an einem dicken Ast fest. Sie nähern sich mit einem unguten Gefühl. Seite an Seite, keiner mag zurückbleiben oder vorausgehen. So etwas sieht man sonst nur im Fernsehen oder liest darüber in Büchern. Und Maria mag keine Krimis oder Thriller.
Die Reglose hat einen Arm über ihren Augen liegen, als müsse sie sich vor der Sonne schützen, der andere ruht neben ihr im Schnee. Die Finger sind leicht nach innen gebogen. Um sie herum glitzert alles, bemerken die beiden Beobachter. Kommt es von den eisigen Kristallen auf ihrem schlanken Körper und auf dem Boden? Dasselbe Glitzern findet sich in ihrem brünetten Haar wieder, auf dem Kleid, sogar auf den roten Pumps, von denen sie nur noch einen trägt. Der andere liegt, wie willentlich abgestreift, neben dem schmalen Fuß. Sie scheint aus einer anderen Welt direkt in den bayerischen Schnee gefallen zu sein.
»Hallo, hören Sie uns?«, fragt Johann und kniet bei der Frau nieder. Er greift nach ihrer Hand und sieht seine Begleiterin unbehaglich an.
»Eiskalt!« Und einige Sekunden später fügt er ein wenig atemlos hinzu: »Kein Puls!«
Maria hat ihr Handy bereits gezückt und verständigt mühsam mit erstarrten Fingern den Notruf über den Fund der Leiche. Sie gibt ihrem Mann die Anweisung weiter, die sie von ihrem Telefonpartner erhalten hat, ihre Stimme bebt: »Wir sollen uns nicht bewegen, um keine Spuren zu zerstören.«
Sie reibt die Hände aneinander, wagt einen weiteren Blick auf die Frau im Schnee und schüttelt ungläubig den Kopf:
»Ist das ein Diadem, das sie trägt?«
Beide verharren wie angewiesen neben der Toten. Sie rühren sich nicht, bis die Einsatzkräfte eintreffen, obwohl sie frieren und der Hund winselt. Zwei Krankenwagen, ein Polizeieinsatzfahrzeug nähern sich, die Wartenden hören sie schon, als die Wagen die Straße von Wasserburg her den Laiminger Berg hinunterfahren. Nun biegen sie ab. Die Sirenen werden schwächer, weil sie hinter den Bauernhäusern verschwinden, dann wieder lauter, als sie den Weg zum Wanderparkplatz einschlagen. Glücklicherweise ist die Schneedecke dünn, sonst ist hier im Winter oft kein Durchkommen.
Zunächst steigen die Polizeibeamten und nur ein Sanitäter aus. Sie begrüßen Johann und Maria und treten vorsichtig zu der Toten.
Der eine Polizeibeamte pfeift durch die Zähne. »Die abgängige Prinzessin!«
Auf die fragenden Blicke der anderen hin erklärt er: »Sie sollte gestern auf einem Ball auftreten, die INNfernalischen und ihr Mann haben sie als vermisst gemeldet.«
»Und natürlich der Prinz«, kommt es vom Kollegen ein wenig spöttisch. Der Polizist versteht den Tonfall. Sie hatten neulich mit einer Streitschlichtung zwischen zwei hoheitlichen Konkurrentinnen um das schönere Diadem zu tun. Er seufzt.
»Ob der Prinz sie vermisst, weiß ich nicht. Im Fasching geht es manchmal höllisch zu. Auch unterm jeweiligen Hochadel der Saison gibt es sicher die ein oder andere Intrige.«
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