Kommt Zeit, kommt Rat
von Roswitha Zatlokal
Kommt Zeit, kommt Rat von Roswitha Zatlokal
Widerwillig betrat Otto das Lokal. Ihm war sofort klar, warum Regina ausgerechnet dieses Schickimicki-Restaurant ausgesucht hatte. Er hasste diese eingebildeten Deppen, die in derartigen Lokalitäten verkehrten, und das wusste sie. „Zieh dir gefälligst was Anständiges an“, hatte sie ihn am Telefon noch angekeift. Als ob er nicht immer ordentlich angezogen wäre. Nur weil er kein Anzugträger war, hieß das noch lange nicht, dass er sich nicht zu kleiden wusste. Hoffentlich war dieser Zirkus bald vorbei. Diese Frau brachte ihn noch ins Grab.
Suchend sah er sich um. Ein Kellner watschelte schnurstracks in seine Richtung. Sein Auftreten eine Spur zu hochnäsig, die angedeutete Verbeugung beinahe widerwillig ausgeführt. Herablassend fragte er: „Sie wünschen, der Herr?“
„Ich werde erwartet. Von Frau Mittergruber Regina, um genauer zu sein.“ Otto sah über die Schulter des Kellners. „Ah, da hinten sitzt sie ja und winkt mir zu. Danke.“ Er streifte den Kellner im Vorbeigehen an der Schulter, entschuldigte sich jedoch nicht. Forschen Schrittes ging er auf Reginas Tisch zu. „Wieso hier in diesem Restaurant? Und warum jetzt? Und wie bist du überhaupt an die Reservierung gekommen, wartet man hier nicht wochenlang auf einen Tisch? Ich übernehme mit Sicherheit nicht die Rechnung, meine Liebe.“
„Freut mich auch, dich zu sehen, mein Lieber.“ Sie erhob sich. Angedeutete Küsschen links rechts wurden an seinen Ohren vorbeigehaucht, seine Hände von ihren gedrückt. „Komm, schau nicht so grantig. Setz dich.“
„Was willst du?“ Er traute dem plötzlichen Frieden nicht. „Geht es um die Scheidung? Das Haus? Das Auto?“
„Aber nicht doch, mein Lieber, nichts dergleichen. Ich hab nachgedacht. Alles, was ich will, ist Theo. Sonst nichts.“
„Theo?“ Er spürte die Bleiche in seinem Gesicht aufsteigen, Schwindel ergriff ihn. „Wieso Theo. Du weißt genau, wie viel er mir bedeutet.“
„Schau, ich liebe Theo doch auch. Im Gegenzug verzichte ich auf alle deine Reichtümer.“ Sie zeichnete bei ihrem letzten Wort Entenfüßchen in die Luft. „Sogar auf die mir zustehenden.“ Betont milde lächelte sie, zwinkerte ihm verschwörerisch zu.
„Ich verstehe nicht ganz. Wieso? Du hast doch bis vorige Woche um jeden Cent gestritten. Ist es, weil du mein Elternhaus nicht kriegst?“
„Ach, komm. Das hab ich doch nur gesagt um dich zu ärgern. Wer will schon dieses alte Haus? Werde doch glücklich damit. Ich habe alles schon geplant. Ich ziehe nach unserer Scheidung zu meiner Schwester nach Spanien, brauche also deinen ganzen Krempel überhaupt nicht. Aber Theo würde ich gerne mitnehmen. Er gehört schließlich nicht nur dir. Wir haben ihn gemeinsam zu uns geholt, falls du dich noch daran erinnerst, mein Lieber.“
„Im Adoptionsvertrag steht aber mein Name.“ Seine Augenbrauen zogen sich unwillkürlich zusammen, die Ader auf seiner Stirn pochte. Er hasste es, wenn er so reagierte. Regina brauchte ihn nur anzusehen, und sie wusste, wie es um ihn stand.
„Otto, Theo ist doch nur ein Hund. Du kannst dir einen anderen aus dem Tierheim holen.“ Sie lächelte zuckersüß.
„Nur ein Hund? Nur ein Hund?“ Seine Stimme überschlug sich beinahe. Die anderen Gäste reckten ihre Hälse. Empörte Blicke wegen der mittäglichen Ruhestörung und aufgeregtes Murmeln waren die Folge seines Ausbruches. Besänftigend hob er die Hände und deutete eine Verbeugung in sämtliche Richtungen an. Das letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war, sich in der Öffentlichkeit zu streiten. Er durfte nichts tun, was ihr bei der Scheidung in die Hände spielte.
Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. „Du weißt, dass ich das nicht so gemeint habe. Ich wollte nur zum Ausdruck bringen …“
„Warum um Teufels Namen holst DU dir nicht einfach einen anderen Hund? Wieso möchtest du unbedingt Theo?“
„Dasselbe habe ich eben zu dir gesagt, mein Lieber.“ Freundlich lächelte sie ihn an.
Sie beobachtete wie er an seinem Hemdkragen zerrte. Jetzt hatte sie ihn genau da wo sie ihn haben wollte. Aufgebracht, polternd und am Rande eines Herzinfarkts. Ein Riese von einem Mann, der wegen eines kleinen Hundes jämmerlich einknickte und vor Verzweiflung am liebsten losgeheult hätte. Insgeheim kicherte sie in sich hinein. Er war so herrlich einfach gestrickt, so berechenbar. Ihn zu manipulieren bereitete ihr eine Mordsfreude.
„Niemals. Nur über meine Leiche“, keuchte er mit hochrotem Gesicht. „Theo ist alles für mich.“ Er griff sich an die Brust. „Du miese kleine …“ Er röchelte.
„Ja, ja. Aber hier trink erst einmal einen Schluck Wasser. Du kriegst ja noch einen Herzinfarkt, wenn du so weitermachst. Ich weiß, Theo erinnert dich an deinen Strolchi aus Kindheitstagen, der für dich gestorben ist, indem er dich von der Straße weggezogen hat, um dich vor einem Auto zu retten. Aber Theo ist nicht Strolchi. Hol dir einen ähnlich aussehenden Hund und gib mir Theo. Dann siehst du mich nie wieder.“
Er griff mit zitternden Händen nach dem Glas, stürzte den Inhalt hinunter. Dann nestelte er eine Packung Tabletten aus seiner Jackentasche. „Los, gib mir noch ein Glas Wasser.“ Sie füllte das Glas nach und sah ihm zu, wie er zwei Tabletten aus der Schachtel nahm und mit dem Wasser einnahm. „Niemals! Du kriegst Theo niemals. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen! Er sprang auf, der Stuhl kippte polternd zu Boden. „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, meine Liebe.“ Als wäre der Teufel hinter ihm her, rannte er aus dem Lokal. Entschuldigend nickte Regina in die Runde. Mitfühlende Blicke streiften sie. Regina deutete dem Kellner, die Rechnung zu bringen.
„Nicht doch, meine Liebe. Ich übernehme das für Sie. Dieser Rüpel hat sie doch tatsächlich mit der Rechnung sitzen gelassen, Menschen gibt`s.“ Der Herr vom Nebentisch gab dem Kellner ein Zeichen, alles auf seine Rechnung zu schreiben.
„Danke, das ist sehr nett von Ihnen.“ Regina nickte höflich und verließ hocherhobenen Hauptes das Restaurant.
„Was haben wir?“ Major Stettel von der Mordkommision stopfte sich den Rest seiner Leberkässemmel in den Mund und schaute seinen Kollegen Meierhofer, der bereits in einem kleinen Park auf ihn wartete, erwartungsvoll an.
„Gute Frage. Männliche Leiche, Mitte fünfzig, keine äußeren Verletzungen. Gefunden wurde er von der Dame dort drüben. Anfangs dachte sie, er schlafe hier seinen Rausch aus. Als sie ihn nicht wachbekam, hat sie sofort die Rettung und die Polizei verständigt.“
„Und wieso bin ich hier?“ Stettel dachte an die zweite Leberkässemmel im Auto, die er noch gerne gegessen hätte, solange der Leberkäse noch heiß war.
„Weil es auch dein Job ist, hier zu sein. Fürchtest du dich neuerdings vor Tatorten?“
„Quatsch. Aber ein Toter ohne jegliche Gewaltanwendung kann auch bis morgen auf mich warten. Oder schaffst du den nicht alleine? Was sagt denn unser Medikus?“
„Erst wenn der Mann auf seinem Tisch war, kann er mehr sagen.“
„Also wie immer. Gut, dann geh ich wieder zu meiner Leberkässemmel.“
Seufzend sah ihm Meierhofer nach. Stettel war der unmotivierteste Kollege, mit dem er jemals zusammengearbeitet hatte. Welch ein Glück, dass Stettel in drei Wochen in Pension ging.
„Meine Lieben, der Doc sagt, Euer Toter vom Park hatte es mit dem Herzen. Möglich, dass er wegen der Herzattacke panisch wurde und sich zu viele Medikamente eingeschmissen hat. Ihr wisst ja, wenn das Herz rast, sich vielleicht sogar der Hals zuschnürt und man nach Luft schnappt …Aber das müsst ihr herausfinden.“ Inspektor Gruber legte einen Akt auf Meierhofers Schreibtisch.
„Also nix mit Mord. Wie ich es mir ja gleich gedacht habe.“ Stettel grinste selbstgefällig.
„Zumindest auf den ersten Blick, sagt der Doc.“ Gruber stibitzte sich einen Keks von Stettels Schreibtisch. „Ich soll dir übrigens ausrichten, dass du deinen Leberkässemmel-Konsum ein wenig einschränken sollst, deine Blutfette sind nicht gerade ohne.“
„Was zum Teufel gehen dich meine Blutfette an? Hat der Doc nicht so was wie Verschwiegenheitspflicht?“, grantelte Stettel. „Da bittet man ihn um eine Kleinigkeit, und der macht das gleich in der ganzen Abteilung publik.
„Selber schuld, wenn du in die Patho gehst statt zum Hausarzt.“ Meierhofer schüttelte missbilligend den Kopf.
„Ich wollte doch nur Elvira beweisen, dass alles in Ordnung ist.“
„Oh, hat die Frau Gemahlin bemerkt, dass du von ihrer gesunden Jause nicht so zugenommen haben kannst und Euer Hausarzt ihr das stecken könnte?“, feixte Gruber.
Meierhofer griff nach seiner Jacke. „Du, ich möchte trotzdem nochmal mit der Frau von unserem Toten reden. Die hat das doch sehr gefasst aufgenommen, das mit seinem plötzlichen Tod. Findest nicht auch?“
„Die leben schließlich getrennt, wollten sich scheiden lassen. Warum sollte sie sein Tod da noch erschüttern? Hat sie nicht gesagt, dass sie nach der Scheidung zu ihrer Schwester nach Spanien ziehen wollte?“
„Hat sie. Aber was heißt das schon?“
„Frau Bogner, Ihr Mann hatte es mit dem Herzen?“ Meierhofer zückte Bleistift und Notizblock und sah sie erwartungsvoll an. Stettler seufzte insgeheim. Dass Meierhofer immer so eine Getue veranstalten musste. Der guckte echt zu viele Krimis im Fernsehen.
„Ja, das sagte ich Ihnen ja schon. Und auch, dass er sich bei unserem Gespräch furchtbar aufgeregt hat. Es war eine derart peinliche Situation, einfach nur furchtbar.“
„Wir haben im Lokal nachgefragt. Ihre Aussage wurde uns bestätigt. Aber nochmals, nur damit ich es auch verstehe: Ihr Mann hat sich wegen ihrem Hund Theo so aufgeregt?“
„Ja. Ich wollte Theo mitnehmen ins sonnige Spanien. Das hat ihn total aufgebracht. Plötzlich wollte er den Hund behalten und mir im Gegenzug sogar sein Elternhaus überschreiben. Aber der Herr vom Nebentisch hat das ja alles mitangehört. Leider.“
„Nun, das mit Theo hat er mitbekommen. Aber ob ihr Mann ihnen das Haus überschreiben wollte, konnte er nicht bestätigen. Obwohl die Worte Haus und Vermögen gefallen sind, sagt er. Auch hat er gesehen, dass ihr Mann etwas einnahm.“
„Ja, auch das sagte ich Ihnen schon. Seine Medikamente. Aber was wollen Sie jetzt von mir?“
„Laut ihrem Hausarzt Doktor Pichler war ihr Mann doch schon seit zehn Jahren krank und wusste genau umzugehen mit seinen Medikamenten. Wieso also hat er sich dieses Mal wohl bei der Dosierung vertan?“
„Sie fragen mich das im Ernst? Ich meine, ich war doch nicht ständig bei ihm. Woher soll ich das denn wissen?“ Regina zog ihre Augenbrauen derart hoch, dass Stettler befürchtete, sie würden ihr am Haaransatz kleben bleiben.
„Wer alles hatte Zugang zu den Medikamenten?“ Meierhofer ließ nicht locker. Stettler verfluchte ihn dafür. Er könnte jetzt friedlich im Büro bei einem Kaffee sitzen und sich im Internet die Wiederholung des gestrigen Fußballspieles ansehen, welches er versäumt hatte. Er hatte extra keine Zeitung gelesen und keine Nachrichten gehört, damit er das Ergebnis nicht kannte. Aber nein, sein Herr Kollege musste ja nachfragen. Wenn der sich wo festgebissen hatte, gab es kein Erbarmen.
„Auch das kann ich Ihnen nicht sagen, da ich bereits seit Wochen nicht mehr im Haus wohne. Ich hatte doch nicht einmal mehr einen Schlüssel dafür.“
„Aber sie wollten doch gar nichts, sagten sie.“
„Ach du meine Güte. Haben Sie sich noch nie getrennt? Da sagt und tut man Dinge, die man gar nicht so meint und im Prinzip auch gar nicht machen möchte. Hören Sie, wenn Sie mich jetzt nicht bald in Ruhe lassen, rufe ich meinen Anwalt an. Ich fühle mich schikaniert.“ Sie verschränkte die Arme und schaute ihn böse an.
„Wann fliegen Sie nach Spanien?“ Stettler wollte das Thema wechseln. Auch ihm ging Meierhofer mittlerweile gründlich auf die Nerven.
„Ich weiß es noch nicht. Es gibt noch so viel zu erledigen. Die Beerdigung und die Verlassenschaftsangelegenheiten. Keine Ahnung.“
„Sie wandern also trotzdem noch aus?“ Meierhofer konnte es einfach nicht lassen.
„Ich weiß es noch nicht. Würden Sie jetzt bitte gehen?“
„Eine Frage noch“, Meierhofer kratzte sich am Kopf. „Was wollte Ihr Mann wohl in dem Park?“
„Vielleicht sich beruhigen, was weiß ich! Wahrscheinlich ist er rausgerannt aus dem Restaurant und hat sich dort auf diese blöde Bank gesetzt, um sich zu beruhigen.“
„Was war das gerade? Wieso schikanierst du die Frau so? Ich meine, wie soll die Schuld am Tod ihres Mannes sein? Indem sie mit ihm gestritten hat?“, giftete Stettler, kaum dass sie vor dem Haus standen.
„Da stinkt doch was. Ich mein, die bestellt ihn in dieses schicke Lokal, streitet mit ihm, und dann fällt der einfach tot um?“ Meierhofer schüttelte den Kopf. „Das stinkt, sag ich dir.“
„Nein, er ist gestorben, weil er sauwütend war und sich dadurch sein Zustand derart verschlechterte, dass er in Panik zu viele Medikamente zu sich nahm. Das ist ein großer Unterschied, mein Lieber. Nicht alle Witwen haben ihre Männer umgebracht.“
Am Tag der Beerdigung beobachtete Meierhofer griesgrämig aus einiger Entfernung die Trauerzeremonie. Es ärgerte ihn maßlos, dass der Leichnam trotz seines Protestes freigegeben worden war. Stettler, dieser verfressene Faulpelz, hatte dem Staatsanwalt bestätigt, dass es keinerlei Indizien für einen gewaltsamen Tod gab. Die Witwe veranlasste natürlich sofort eine Feuerbestattung. Hätte er auch gemacht an ihrer Stelle. Einen verdammten Tag mehr hätte es gebraucht, und dieser Vollpfosten wäre in die Pension verabschiedet gewesen. Meierhofer schüttelte verärgert den Kopf.
Erleichtert und mit sich zufrieden stieg Regina vor ihrem Haus aus dem Taxi. Mit dem Wissen, wie es um Otto stand, war alles ein Kinderspiel gewesen. Aufregungen taten ihm nicht gut. Aufregungen am laufenden Band waren mittlerweile lebensbedrohlich für ihn. Ihn zu ärgern war nicht schwer gewesen. Otto kochte schon immer leicht über, geriet wegen Kleinigkeiten in Rage. Ihn dann auf diesem Level zu halten, war das reinste Kinderspiel, je länger sich die Scheidungsgeschichte hinzog. Theo ins Spiel zu bringen, war ihr Meisterstück. Niemals hätte er freiwillig auf seinen geliebten Hund verzichtet. Niemals! Sie grinste zufrieden und schloss die Tür auf.
„Frau Bogner?“ Eine Männerstimme brachte sie zum Innehalten. Langsam drehte sie sich um. Es war der nette Mann aus dem Restaurant, der ihre Rechnung übernommen hatte.
„Ja?“ Misstrauisch beäugte sie ihn.
„Ich denke, wir haben einiges zu bereden.“
„Wir? Ach, wegen der Rechnung vom Restaurant? Wollen Sie das Geld zurück?“
„Geld will ich schon, aber nicht für die Restaurantrechnung. Das wäre doch unehrenhaft, das Geld jetzt von Ihnen zurückzuverlangen, finden Sie nicht auch?“
„Aber, was wollen Sie denn dann von mir?“
„Nun, ich habe alles gesehen. Sie wissen schon, die Tabletten in der Wasserkaraffe, die Sie dann nach all der Aufregung aus Versehen umgeschüttet haben und das alles.“
Verdammt, dieser Mistkerl! Ob er bluffte? „Ich weiß zwar nicht wovon Sie reden, aber kommen Sie doch erst einmal herein.“ Regina hielt ihm freundlich die Tür auf. Nur nicht aufregen, Regina, dachte sie bei sich. Wie hat Großmutter schon immer gesagt? Kommt Zeit, kommt Rat. Sie lächelte und schloss die Tür hinter sich.

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