MiniKrimi Adventskalender am 21. Dezember


Heute gibt’s hier wieder einen Krimi aus meiner Feder. Mit Anklängen an meine väterlichen Wurzeln. Die liegen nämlich zum Teil in Süditalien… Viel Spaß beim Lesen und danke fürs Teilen und für eure Kommentare!

Engel mit schwarzen Locken

„Hallo, Kleine! Wie heißt du eigentlich?“

„Gemima.“

„Dsche… Aaaha. Und weiter?“

„Hagenrath“

„Und deine Mama?“

„Meine Mama und meine Mami heißen so wie ich. Hagenrath.“

„Und dein Papa?“

Stille. Dann: „Das weiß ich nicht.“

„Warum wollen Sie das wissen?“ Marlene Hagenrath steht an der Haustür, beladen mit Tüten und einem Kasten leerer Saftflaschen. Sie klingt barsch, und das liegt daran, dass sie diese Situation so oder ähnlich schon öfter erlebt hat, seit sie mit ihrer Frau Claudia und der gemeinsamen Tochter Gemima in die Minervastraße eingezogen ist. Zu oft, als dass sie dafür noch Toleranz aufbringen könnte.

„Man wird doch wohl noch fragen dürfen, oder? Schließlich hat jedes Kind eine Mutter und einen Vater. Das ist ein Naturgesetz.“ Frau Degenfeld ist pikiert. Erst gestern haben sie und ihre Freundinnen beim Mahjong-Nachmittag gerätselt, warum der Vater des süßen Mädchens mit den schwarzen Locken und den grünen Augen noch nie in der Siedlung aufgetaucht ist.

„Ich habe eine Mama und eine Mami. Mehr brauche ich nicht. Oder?“, fragt Gemima und schaut der älteren Dame mitten ins Gesicht. Unangenehm, dieser bohrende Blick. Der ist bestimmt antrainiert. Von einer der beiden Frauen, die sie Mama und Mami nennt.

„Zu meiner Zeit war das undenkbar. Zwei Mütter. Aber heute – vollkommen zerrüttet, die Moral bei den Jüngeren.“ Kopfschüttelnd geht Frau Degenfeld weiter Richtung Tiefgarage.

Es ist der 21. Dezember. In 3 Tagen beginnt die Weihnachtszeit. Überall in der Minervastraße leuchten Sterne und Jakobsleitern in den Fenstern, die Balkone sind mit Girlanden behängt, die meisten leuchten golden. Die einzige grellbunte auf der Terrasse gegenüber der Tarotlegerin Lenor wurde nach einem tragischen Tod entfernt.

Gemima sitzt am Küchentisch, lässt die Beine baumeln und sticht andächtig Plätzchen aus. Dabei schiebt sie voller Konzentration die gerollte Zungenspitze zwischen die Lippen.

„Woher hat sie das nur?“, fragt ihre Mutter Marlene sich zum x-sten Mal. Sie hat das Zungenroller-Gen nämlich nicht. „Muss der Spender sein“. Obwohl – der hatte es angeblich auch nicht. Unglaublich, was man bei angeblich anonymen Samenspenden heute für Informationen finden oder erfragen kann.

Da klingelt es an der Haustür. „Hallo?“, ruft Marlene in die Sprechanlage.

„Paket für Sie“, antwortet eine Männerstimme. „Ich lege es auf die Treppe.“

„Könnten Sie es mir nicht schnell raufbringen, bitte? Dritter Stock?“

„Sorry, zu viel Arbeit. Geht nicht. Schöne Weihnachten.“

Marlene seufzt, schlüpft in ihre Mules und springt die Treppe runter. Wo ist das Paket? Auf der untersten Treppenstufe liegt keines. Nur ein roter Umschlag mit einem bedruckten Weihnachtsmann und darauf ein in Cellophan verpackter Keks.

„Hahaha“, murmelt Marlene. Sie ist allerlei „Schabernack“ von den Nachbarn gewöhnt. Viele haben sich immer noch nicht damit abgefunden, dass ein weibliches Ehepaar mit Kind bei ihnen wohnt.

„Falscher Alarm. Aber leckerer Keks. Magst du ihn?“, ruft sie und schließt die Wohnungstür. „Gemima?“

Keine Antwort.

„Gemmi?“ Nichts. Sie schaut ins Kinderzimmer. Leer. Auch das Wohnzimmer. Der Küchenstuhl, auf dem das Mädchen gerade noch gesessen hat, ist umgekippt. Der Vorhang vor dem Küchenbalkon bauscht sich im Wind, und eine Handvoll Schneeflocken fliegt herein.

„Gemima, was machst du da draußen? Du wirst dich erkälten.“

Aber auch auf dem Balkon: keine Spur ihrer Tochter. Panik steigt in Marlene hoch. Als hätte sich die Kleine in Luft aufgelöst. Das geht entschieden zu weit. Das ist kein Scherz mehr. Wenn sie den findet, der dafür verantwortlich ist….

„Marlene, Gemmi, bin wieder daaa!“

„Claudia! Stell dir vor, Gemima ist verschwunden!“

Die beiden Mütter suchen die ganze Nacht hindurch nach dem Kind. In der Wohnung, im Haus, im Keller, auf dem Dachboden. Schließlich in der ganzen Siedlung. Und sie sind nicht allein. Zu Claudias und Marlenes Erstaunen helfen ihnen viele Nachbarinnen und Nachbarn. Sogar Frau Degenfeld und ihr Mann. Schließlich sollte das Mädchen bei der lebendigen Krippe, die die Bewohner der Minervastraße am ersten Weihnachtstag geplant haben, einen Engel spielen. „Sie wird ganz entzückend aussehen, mit diesen schwarzen Locken. Von wem sie die wohl hat?“

Am nächsten Morgen wird die Polizei eingeschaltet, doch auch sie findet Gemima nicht. Einzig ein Fußabdruck im Blumenbeet unter dem Küchenfenster – Größe 43 – und Sprossen einer offenbar zersägten Metalleiter im See weisen darauf hin, dass das Kind entführt worden ist.

Wer denkt in einer solchen Situation schon an einen ungeöffneten Brief? Als Claudia den roten Umschlag auf der Kommode im Flur sieht, nimmt sie ihn automatisch mit ins Wohnzimmer. Geistesabwesend reißt sie den Umschlag auf.

„Marlene! Woher kommt dieser Brief? Wer hat ihn dir gegeben? Seit wann hast du ihn? Warum hast du denn nichts gesagt?“

Marlene ist verwirrt. Todmüde, verängstigt und zermürbt von der erfolglosen Suche.

„Den? Ach, das ist doch bloß wieder so ein blöder Scherz von den Nachbarn. Ich wollte Ivan gestern noch danach fragen, aber…

„Nein! Das ist kein Scherz. Lies!“ Claudia hält Marlene den eng bedruckten Zettel unter die Nase.

Sie haben mich bestohlen. Jetzt hole ich mir mein Eigentum zurück. Versuchen Sie nicht, mich oder meine Tochter zu finden! Sonst wird das Kind einen tödlichen Unfall erleiden.

„Siehst du, das ist doch einer von diesen Scherzen. Nur viel gemeiner als sonst. Na warte, Ivan.“ Marlene greift zum Telefon, um ihren Nachbarn zur Rede zu stellen.

„Nein, Marlene. Ivan hat absolut nichts damit zu tun. Verstehst du denn nicht? Das ist ein Bekennerbrief von dem Menschen, der Gemima entführt hat.“

„Was? Du spinnst ja, Claudia! Ich habe den anonymen Spender aus der Datenbank von Neovita Labs. War teuer genug. Und absolut seriös. Das hat uns Dr. Wonnegrat ja schriftlich gegeben.“

„Dr. Wonnegrat. Nomen es Omen. Die Frau ist mir gleich suspekt gewesen. Einfach einen Tick zu seriös, wenn du weißt, was ich meine.“

„Nein, das weiß ich nicht. Und ich finde, du greifst nach Strohhalmen. Aber egal. Uns bleibt ja nichts anderes übrig. Die Polizei kommt nicht weiter. Wir fahren jetzt zu Neovita Labs.“

Ein kühles Ambiente in Pastelltönen. Gedämpfte Musik. Klassik, nichts Weihnachtliches. Dr. Wonnegrat empfängt Marlene und Claudia in ihrem Büro. Sie ist sichtlich nervös. Marlene, bleich, mit rotgeränderten Augen, kommt gleich zur Sache: „Unsere Tochter ist entführt worden. Von jemandem, der behauptet, ihr genetischer Vater zu sein. Wie ist das möglich? Sie haben mir versichert, die Spende sei anonym und man könne sie nicht auf den Samengeber zurückführen? Sie haben sie doch allein aus diesem Grund aus Zypern kommen lassen.“

„Haben Sie uns zumindest gesagt“, wirft Claudia ein. „Und uns für Ihre Bemühungen eine astronomische Summe abverlangt. Und das, obwohl das Gesetz, nach dem Samenspenden im zentralen Register dokumentiert werden müssen, in Deutschland erst 2018 in Kraft getreten ist.“

Dr. Wonnegrat lächelt gequält. “Ja, das stimmt.“

„Und? Sie kennen den Spender!“ Marlene ist außer sich vor Wut. „Geben Sie’s zu!“

„Ja. Ich kenne ihn. Also, ich kannte ihn. Er musste sich einer Vasektomie unterziehen und wollte sicherstellen, dass er dennoch eine Erbin oder einen Erben hat.“


Die Frauen sind fassungslos. Wonnegrat erklärt, der Mann, ein italienischer Mafiaboss, habe sie unter Druck gesetzt. In der Hand gehabt. Um Leben und Tod sei es damals gegangen. Um ihr Leben oder ihren Tod. Die beiden seien für ihn das ideale Paar gewesen: rechtlich „angreifbar“, ohne einen großen Unterstützerkreis, in einem Umfeld, das juristisch und gesellschaftlich immer noch als „weich“ wahrgenommen wird.

„Finden Sie sich damit ab. Gemima ist längst in Süditalien, und die Adoption war schon in wenigen Stunden unter Dach und Fach. Sie haben keinerlei Rechte mehr an Ihrem Kind. Aber ich verstehe natürlich Ihren Unmut. Ich könnte Ihnen mit einer kostenfreien Samenspende entgegenkommen? Sie sind noch so jung…“

Geistesgegenwärtig verhindert Claudia, dass Marlene der Ärztin den Briefbeschwerer auf dem Schreibtisch ins Gesicht schleudert.

„Entweder Sie bringen uns Gemima zurück, oder Ihr Laden hier fliegt auf. München ist nicht Süditalien. Wenn wir auspacken, sind Sie geliefert. Sie verlieren nicht einfach Ihr Labor und ihre Approbation. Sie landen im Gefängnis. Und zwar für sehr, sehr lange.“

Stille. Schließlich sagt Wonnegrat: „Gut. Ich kann nichts versprechen. Aber ich tue mein Möglichstes.“

„Sie haben 24 Stunden Zeit. Dann gehen wir zur Polizei. Und an die Presse.“

Es ist der 23. Dezember. Ein Tag vor Heiligabend. Marlene und Claudia kauern auf der Wohnzimmercouch. Vor ihnen steht der Weihnachtsbaum. Ungeschmückt. „Unser Ultimatum läuft ab. Ich habe wirklich geglaubt, sie meint es ernst und gibt uns Gemima zurück. Anzeige, Verfahren, schlechte Medienberichte – das ist mir doch alles egal. Ich will nur meine Tochter.“

Es klingelt an der Tür. „Ein Paket für Sie.“ Wie in einem Déjà-vu rennt Marlene die Treppen hinunter, Claudia direkt hinter ihr. Nichts. Auf der untersten Stufe liegt ein roter Umschlag. Claudia reißt ihn auf. Ein Foto, mehr nicht. Eine Frau liegt mit dem Oberkörper auf einem Schreibtisch in einem pastellenen Büro. Überall Blut. Darunter der Aufdruck: Schweigt, oder es geht euch genauso.

Entsetzt gehen die beiden zurück in ihre Wohnung. Es zieht. Der Vorhang des Küchenbalkons flattert im Wind. Auf der Wohnzimmercouch liegt ihre Tochter. Sie schläft.

Am nächsten Morgen wird Gemima sich an nichts erinnern. Und ihre Mütter werden sie nichts fragen.

Und Marlene löscht die Mail, die in ihrem Posteingang war, als sie mit dem Foto in der Hand wieder in die Wohnung kam.

Ich habe Wort gehalten. Ein Neffe unseres gemeinsamen Bekannten schuldete mir noch einen Gefallen. Den habe ich eingelöst. Ich habe mich damit in seine Hände begeben. Ich hoffe, Sie wissen das zu schätzen. Er wird ihre Tochter zurückbringen lassen. Der Verlust des gerade erst wiedergefundenen Kindes wird für den todkranken Onkel so schmerzhaft sein, dass er sich das Leben nimmt. Das ist die Version des Neffen für die Medien. Mehr müssen Sie nicht wissen. So haben alle etwas davon, der Neffe die freie Bahn zur Spitze des Imperiums und Sie ihr Kind. Leben Sie wohl.
Dr. A. Wonnegrat

Nun, der Neffe ist der großen Aufgabe ganz offensichtlich gewachsen. Er geht keine unnötigen Risiken ein. Und er kann ganz sicher sein, dass alle Beteiligten schweigen. Für immer.

MiniKrimi Adventskalender am 20. Dezember


Heute lest ihr einen Auszug aus „Das verschwundene Gemälde“ von meiner Mörderischen Schwester Petra Haghjou. Das ist der zweite Band 2 der Krimi-Reihe „Eine mörderische Reportage“.

Das verschwundene Gemälde


Kurz vor ihrem Ziel zog ein winterliches Gewitter mit Schneegestöber über die Stadt. Fast fegte ein besonders heftiger Windstoß Charlotte von den Beinen, als sie mit Watsamon zur Haustür eilte. Sie ging schneller und stellte sich unter die Überdachung. Der Schlüssel entglitt Watsamons Fingern, die in schlüpfrigen Wollhandschuhen steckten, und fiel klirrend zu Boden. Eilends bückte sie sich und steckte den Schlüssel ins Schloss. Die Tür glitt nach einem kräftigen Stoß auf. Charlotte lief voran in das Hochparterre, den Gang entlang zu Sabrinas Wohnungstür und drückte auf die Klingel. Nichts tat sich. Verdammte Sabrina! Womöglich hatte sie es sich anders überlegt.

»Ich rufe sie an.« Charlotte wählte Sabrinas eingespeicherte Nummer. 
»Pscht!«, zischte Watsamon. »Ich glaube, es läutet unten im Keller.« 

Gedämpft hallte ein fetziger Klingelton durch das Treppenhaus. Sabrina, oder zumindest ihr Telefon, war im Keller. Charlotte hastete den Flur zurück und die Treppen hinunter. Im Halbdunkel erkannte sie eine schwere Tür. Watsamon öffnete sie mit ihrem Schlüssel und betätigte den Lichtschalter. Verstaubte Neonröhren schalteten sich ein, unter denen sich die Überreste von Insekten abhoben. Sie flimmerten altersschwach und spendeten trübes Licht.

»Hier links geht es zu unseren Kellerabteilen und auf der anderen Seite zum Heizungsraum.« Watsamon deutete auf eine zerkratzte Stahltür, die einen Spalt offenstand. 

»Sehen wir zuerst dort nach.« Charlotte drückte mit der Schulter die Tür auf und schlüpfte hindurch. 

Im Heizungsraum war einiges los. Das Gebrodel, das Blinken, die unzähligen Rohre und Lichter erinnerten Charlotte an Versuchslabore durchgeknallter Erfinder in alten Frankenstein-Filmen. Durchgeknallt musste auch derjenige sein, der für das verantwortlich war, was sich ihren Augen bot. Sabrina befand sich in einer halb knienden, halb gebeugten Haltung auf dem Boden neben einem verspinnwebten Hauptrohr. Das Gesicht steckte bis über die Ohren in einem Eimer mit der Aufschrift Gestalten Sie Ihr Zuhause schöner mit Color – Deutschlands beliebter Innenfarbe. Darunter klebte ein Etikett mit Apfelgrün.

»Das ist der Behälter mit meiner neuen Wohnungsfarbe«, rief Watsamon. »Was tut sie bloß darin?«

Charlotte zog scharf die Luft ein. »Sie steckt sicher nicht freiwillig im Farbeimer fest.«

Selbst in dieser unwürdigen Position wirkte Sabrina immer noch äußerst attraktiv – zumindest der sichtbare Teil. Die apfelgrüne Wandfarbe klebte dick und zäh am Hinterkopf, aber die rotgoldenen Locken breiteten sich in ihrer ganzen Pracht über den Rücken aus. Dazu trug Sabrina einen hautengen Minilederrock. Ihr Popo ragte dem Betrachter regelrecht entgegen. Charlotte kniete nieder und hob die lasch herabhängende Hand hoch. Sie klatschte auf den Boden zurück, sobald sie sie losließ. Es half alles nichts. Sie musste sich vergewissern, ob wirklich Sabrina in dem Farbeimer steckte. Beherzt griff Charlotte mit beiden Händen in den Topf, umfasste den Kopf und hob ihn hoch. Die apfelgrüne Farbe floss träge in Rinnsalen das Gesicht herab. Charlotte begann die zähflüssigen Masse wegzukratzen. Vorsichtig zog sie ein freigelegtes Lid hoch und entblößte ein starres lebloses Auge.

Foto (c) Tiziana Viviano

Mehr über die Autorin erfahrt ihr hier: Petra Haghjou – Die Mörderischen Schwestern Bayern

Und auf: 

https://www.instagram.com/petrahaghjou

Petra Haghjou

„Das verschwundene Gemälde“ ist erhältlich bei:…

Amazon.de
Thalia.de
Hugendubel.de
bookbeat.de 
skoobe.de

u.v.m.

MiniKrimi Adventskalender am 19. Dezember


Amigos gibt es nicht nur in Spanien. Auch Bayern hat da so einige zu bieten. Und sehr selten bekommen sie die Konsequenzen ihres Handelns zu spüren. Autorin Lycia H. weist ausdrücklich darauf hin, dass Personen und Handlung völlig frei erfunden und etwaige Ähnlichkeiten rein zufällig und nicht beabsichtigt sind.

Maskerade

Die Tat

Ein lauter Knall zerriss die gepflegte vorweihnachtliche Stille in der Minervastraße. Die von den Anwohnern sofort alarmierte Polizei stand wenig später vor dem offenbar durch einen illegalen Böller demolierten Briefkasten eines Markus Hahn. Daneben, in seinem Blut, besagter Herr. Der illegale Böller hatte ihm beide Arme abgerissen, der starke Blutverlust hatte in Minuten zum Tod geführt. Ein ebenso sinnloser wie zu verurteilender Tod, wie es in der Stellungnahme seiner Partei, der Bayerisch Christlichen Vereinigung (BCV), wenig später hieß.

Der Vorfall, der den aufstrebenden Politiker das Leben gekostet hatte, blieb im sozialen wie medialen München natürlich nicht unkommentiert. Einige Medien befürchteten, die furchtbare Tat hätte ihre Ursache im Schwulenhass der weniger erfolgreichen Konkurrenten in der BCV. Andere mutmaßten, der luxuriöse Lebenswandel von Hahn und seinem Ehemann Andreas könnte angesichts des sogenannten Maskenskandals, in den er verwickelt war, zu der furchtbaren Bluttat geführt haben.

Dabei hatte doch gerade der Umzug von Berlin zurück in die bayerische Heimat die Wogen glätten sollen, die bei der Aufarbeitung besagten Skandals sehr hochgeschlagen waren. Nicht sofort natürlich. Solange Markus Hahn noch Gesundheitsminister in der vorangegangenen Regierung war, beließ man es in Berlin bei dem dort üblichen Gemunkel über Insidergeschäfte, illegale Bereicherung auf Kosten des steuerfinanzierten Staatshaushaltes und so weiter. Wie immer eben. Erst nach dem Ende der Regierungszeit fühlte sich der Staatsapparat dazu berufen, dem Skandal auf den Grund zu gehen. 

Doch das erwies sich im Verlauf der Ermittlungen als gar nicht so einfach. Nicht nur, dass Herr Hahn, mit der Begründung, es gäbe auf dem gesamten Weltmarkt nach Ausbruch der Corona Pandemie keine Masken mehr, seinen bevorzugten Münchener Herrenausstatter mit der Anfertigung entsprechender Stoffmasken beauftragt hatte, Er setzte den Preis für die bestellten Masken auch noch willkürlich in schwindelerregenden Höhen an. In Bayern heißt so ein Verhalten spätestens seit Streibl Amigo-Affäre und wird dort auch nach wie vor gerne, wenn auch mit größerer Zurückhaltung, praktiziert. In Berlin stieß der bayerische Stil-Import übel auf. So übel, dass dem nunmehr entlassenen Gesundheitsminister dringend nahegelegt wurde, seinen Lebensmittelpunkt bitte wieder in die bayerische Landeshauptstadt zu verlegen. Niemand hatte damit gerechnet, dass gerade in München eine Amigo-Affäre zu einem brutalen Mord eskalieren würde.

Darum favorisierte die BCV strikt ein schwulenfeindliches Tatmotiv und verwahrte sich entschieden gegen anderslautende Vermutungen. Schließlich war diese Erklärung sowohl der Bevölkerung als auch den Parteigenossen deutlich besser zu vermitteln als das Bild eines arroganten Machtpolitikers, dessen korruptes und unverbesserliches Verhalten derart extreme Rachereaktionen hervorrufen konnte. Das hätte womöglich noch Nachahmer auf den Plan gerufen. Im herrschaftlichen Freistaat. Also beklagte die BCV laut die schwulenfeindlich rückschrittliche Athmosphäre in der Landeshauptstadt – und nutzte dies gleich zu einem geschickten Seitenhieb auf die angeblich so queerfreundliche Kommunalpolitik.

Der Blick zurück

 Zu Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 befand sich der damalige Gesundheitsminister Markus Hahn, unbestrittener Hoffnungsträger der BCV, auf Stippvisite in seiner Heimatstadt München. Wohlgefällig drehte er sich vor dem großen Spiegel seines exklusiven Herrenausstatters Meyer in der Maximilianstraße. Je nach Lichteinfall changierte der Kaschmirstoff seines neuen Anzugs zwischen blau und grau. Gerade wollte Herr Meyer die Ärmel des Maßanzuges an die beeindruckend muskulösen Oberarme des Gesundheitsministers anpassen, also weiten, als dieser energisch einschritt. „Das soll genau so bleiben“, blaffte er den Herrenausstatter an. Schließlich waren Jacketts, deren Ärmel leicht spannten, sein Markenzeichen. Bei seinen politischen Feinden, und davon hatte er auch in der eigenen Partei eine ganze Menge, hatte er den Spitznamen Eitler Gockel weg. Was Markus Hahn allerdings nicht störte. Im Gegenteil. Er wertete es als Neid der weniger erfolgreichen und charismatischen Kollegen in der Fraktion.

Während er sich so im Spiegel des Herrenausstatters betrachtete, fiel sein Blick auf den Ballen Stoff am Eingang des Geschäftes. Feinster Hemdenstoff aus ägyptischer Baumwolle, wie Herr Meyer ihm auf seine Nachfrage erklärte. Und somit hervorragend geeignet zur Herstellung von provisorischen Masken, dachte Hahn. Die Idee war geboren. Nach einigen vertraulichen Beratungen waren sich der Gesundheitsminister und Herr Meyer einig. Markus Hahn bestellte für den Anfang kurzerhand 500.000 Stoffmasken bei dem Herrenausstatter seines Vertrauens. Schließlich war gewissermaßen Gefahr in Verzug für die Bevölkerung. Natürlich sollte auch ein nicht unerheblicher Teil des zu erwartenden enormen Gewinnes Herrn Hahn selbst zufließen. Schließlich war er gerade dabei, im Alleingang das deutsche Volk zu retten. Da war so ein heimlicher Bonus durchaus angemessen. Die genauen Modalitäten wurden schriftlich fixiert und Stillschweigen darüber vereinbart.

Leider kam es im Verlauf der folgenden Jahre anders. Wie viele andere Maskenlieferanten, so ging auch Herr Meyer leer aus, und das bis heute. Von Wuchermasken war jetzt die Rede, von unberechtigten Ansprüchen der geldgierigen Maskenhersteller. Auch Meyer blieb somit nicht nur auf den gesamten Kosten der Produktion sitzen, sondern erlebte dazu auch die Schadenfreude seiner Kollegen. Schließlich musste der Herrenausstatter sogar sein alteingesessenes Unternehmen in der Maximilianstraße schließen, sehr zum Leidwesen der Mitglieder der BCV, deren bevorzugter Maßschneider er war. Herr Meyer war zu einem Kollateralschaden im Bereicherungsplan eines eitlen Gesundheitsministers geworden. Und er begann, auf Rache zu sinnen. Der Rest war ein Kinderspiel.

Conclusio

Polizei und Staatsanwaltschaft blieben – wen wundert’s – bei der anfänglichen Vermutung eines schwulenfeindlichen Mordanschlags und verzichtete im Sinne der Einsparung von Steuergeldern auf anderweitige Ermittlungen. Leider, so hieß es in Legislative, Judikative und Exekutive unisono, sei Bayern – natürlich mit Ausnahme der sehr toleranten BCV – doch nach wie vor als extrem konservativ und in jeder Hinsicht genderresistent einzuordnen. Eine Interpretation, der sich schließlich auch die Medien widerwillig beugen mussten. Die guten Kontakte der Partei beschränkten sich ja nicht auf exklusive Herrenausstatter. Auch die gesamte bayerische Medienlandschaft inklusive namhafter, auch überregional agierender Verlage und TV-Imperien, profitierte regelmäßig von ebendiesen guten Kontakten.  Ein Täter wurde folgerichtig nie ermittelt und Herr Meyer konnte, dank der innigen Beziehung zur BCV, nach kurzer Zeit wieder ein Geschäft eröffnen. Vamos, Amigos!

MiniKrimi Adventskalender am 18. Dezember


Heute zeigt euch meine Mörderische Schwester Monika Buttler, was es mit der feinen englischen Art auf sich hat… Viel Spaß beim Lesen!

Auf die feine englische Art (Auszug Kurzkrimi)

von Monika Buttler

Als es passierte, an einem dieser englischen Tee-Nachmittage im Hotel „Vier Jahreszeiten“, da war ich ja nur Publikum. Was heißt ‚nur’ – geborgen im braunen Rund eines Chippendale-Chairs, hatte ich den besten Logenplatz meines nun 70-jährigen Lebens inne. Es war Adventszeit. Draußen, hinter den Scheiben, lag das Nachtgemälde der Alster, leuchtend im Schein einer Riesentanne, im schwarzen Himmel glühten Reklame-Sterne. 

Drinnen, in der Heimeligkeit roten Plüschs, dunklen Leders und dämpfender Teppiche beugte ich mich über das viktorianische Service und schenkte mir meinen „Classic English Tea“ ein. Kräftig aromatisch, aus Assam, Ceylon und Kenia, dazu ein wenig Sahne aus dem Kännchen, so wie es beim Afternoon-Tea nun mal dazugehört. Wohlig wälzte ich den Schluck im Mund und wartete. Worauf? Darauf, dass sich der Vorhang hob. Der unsichtbare Vorhang für eine Salonkomödie. Noch besser wäre natürlich eine Tragödie, denn meine reizarme Solo-Existenz brauchte dringend eine Auffrischung. Warum gönnte ich mir denn so oft diese kostspielige Tea-time mit Sandwiches, Scones, Clotted Cream and so on? Eben. Bestimmt nicht nur, weil ich mal Oberstudienrätin für Englisch war.Ich durchwitterte die Atmosphäre. Nein, das Licht des Kronleuchters flackerte nicht; der hanseatische Ratsherr im Goldrahmen blickte nicht düsterer als sonst, am Piano perlte wie immer Gershwin. So schaute ich wieder zu der silbernen Etagere auf meinem Tisch, von der mich Pikantes und Süßes verlockend anlachte. Gerade hatte ich mir ein Gurken-Sandwich auf den Teller bugsiert, als es im Tee-Salon plötzlich still wurde. Ein Auftritt! Und was für einer! Unser makel- und zeitloser Empfangschef geleitete eine Königin durch den Raum. Ja, die Samtkappe auf dem welligen Blondhaar musste eine Krone sein, denn die Dame ging nicht – sie schritt. Schwarz und samten auch das Kleid mit Spitzeneinsatz, weihnachtlich überglänzt von Juwelen. ‚Juwelen’, das klingt altmodisch, aber Diamanten und Brillanten konnte ich leider noch nie unterscheiden. An einem Vierer-Tisch, für mich in bester Bühnensicht, rückte ihr unser Empfangschef das Sesselchen zurecht.

Ich ließ mein Gurken-Sandwich ruhen und betrachtete sie. Diskret natürlich. Ein Gesicht, zart wie ein verblasster, alter Brief. Fünfzig plus sagt man heute, aber ich nenne es inbetween. Zwischen den Altern. Schon irreparabel verblüht, aber noch hungrige Hoffnung in den Augen. Das hatte ich zum Glück hinter mir. Ich schielte nicht zu Männern, sondern zu den aufgeschichteten Delikatess-Schnittchen.Ein Kellner brachte der Dame den dunklen Holzkasten. Zwölf Sorten Tee unter Glas – die „Speisekarte“. Sie tippte mit reich beringter Hand nach oben, offenbar mochte auch sie die „Classic“-Variante. Wenig später standen Stövchen, Kanne und Etagere auf ihrem Tisch. Sie hob die Tasse, und ich fing ihren Blick. Lebenshunger? Nein, ich musste mich geirrt haben, ihr Kleiderglanz war eine Täuschung. Bestürzend nackt erschien mir dieser Blick, wie preisgegeben, als könne sie nichts mehr verletzen. Jetzt schloss sie die Augen, schmeckte lange, lange den Tee. Nein, nicht genussvoll, sondern eher so, als schmecke sie ihn das letzte Mal. Schlucke des Abschiednehmens? Sie hielt sich gerade, aber ihre Geste war müde, als sie sich nun ein Sandwich nahm. Eine Einsame, dachte ich, Miss Einsamkeit persönlich. Ich würde sie Blanche nennen, so wie die Südstaaten-Schönheit in dem Drama von Tennessee Williams.

Ich hatte sie inzwischen mit einem Krabben-Sandwich überholt. Was feierte diese aufpolierte Lady da mit sich selbst? Ich wollte meine Neugier schon im Tee ertränken, als mich weitere Geschehnisse wieder aufstörten. Die Elegische hatte eine feinrandige Brille aufgesetzt und las, wiederkehrend wie bei einem Rosenkranz, die wenigen, auf einen fliederfarbenen Bogen geschriebenen Briefzeilen. Endlich steckte sie den Umschlag zurück in ihre Krokotasche. 

Das Ritual ihrer festlichen Teestunde hatte plötzlich einen Riss bekommen, sie rührte nichts mehr an. Ich dagegen war schon bei der mittleren Ess-Etage angelangt und holte mir Trüffel, kleine Windbeutel und Baisers auf den Teller. Ich kaute und wartete. Wartete mit Blanche, deren Blick zwischen Armbanduhr und Eingang pendelte. 

Der Kurzkrimi ist erschienen in:

Monika Buttler: Manchmal nützt nur Mord. Kriminalgeschichten de luxe. elbaol verlag hamburg, ISBN 978-3-384-32134-3, 174 Seiten, 13 Euro.

Dazu gibt es einen Ergänzungsband:

Monika Buttler: Tödliche Taten. Mehr Kriminalgeschichten de luxe. elbaol verlag hamburg, ISBN 978-3-384-31741-4, 194 Seiten, 14 Euro. 

Erhältlich im Buchhandel

www.monikabuttler.de

MiniKrimi Adventskalender am 17. Dezember


Manche Geschichten kann sich nur das Leben ausdenken. Und manchmal gehen die sogar noch halbwegs glimpflich aus. Damit das aber so bleibt, denkt bitte daran und tut das eure dazu: #AfD und #AfDVerbotjetzt.

Alexander der Große

Alexander ist behütet aufgewachsen. Als er 14 war, zogen seine Eltern aus dem Gärtnerplatzviertel hinaus in die neu erbaute Siedlung an der Minervastraße. Immer noch nah genug an der Innenstadt, aber noch näher an Wiesen und Feldern. Genau genommen beginnt die Ödnis bereits an dem kleinen Tümpel im Park. See? Lächerlich. Einmal hat Alexander mit seinen Freunden am Steg eine Flasche Wodka gesoffen. Es dauerte keine halbe Stunde, da waren die Bullen da. Von wegen „dein Freund und Helfer.“ Schergen der Bourgoisie waren das.

Überhaupt gefällt es Alexander so gar nicht in der MInervastraße. Alles ist so auf etepetete gebürstet. Die Leute tun so, als seien sie was Besseres. Sogar die Ausländer. Und die Schwulen. Und die Lesben. Und die aufgetakelten Tussis mit ihren frisierten Hunden. Alexander bezweifelt, dass die einem anständigen Beruf nachgehen. Die Ausländer werden wahrscheinlich vom Staat unterstützt, und die Tussen… naja, denen sieht ma doch an, womit sie ihr Geld verdienen.

Seine Familie passt nicht in die Siedlung. Das hat der Junge schon von Anfang an gespürt. Wie die Nachbarn geschaut haben, wenn der Vater abends mit seinem Metzgerei-Transporter vor die Tiefgarage gefahren ist! Und die Mutter ist auch viel bodenständiger als die anderen Frauen hier. Sie färbt sich die Haare selbst, und auch Alexander und der Vater lassen sich von ihr regelmäßig einen ordentlichen Schnitt machen. Die Eigentumswohnung war teuer genug, da müssen sie nicht auch noch viel Geld für einen Friseur ausgeben.

„Wir wohnen jetzt in einer exklusiven Wohngegend, Alexander“, hat die Mutter beim Einzug gesagt. „Schau, dass du immer gut gekleidet bist. Und benimm dich anständig.“ Am Anfang hat Alexander das auch tatsächlich versucht. Leider lebten und leben in der Siedlung nur ein paar Kleinkinder, die alle dort geboren sind. Keine Teens und Twens. Also hing Alex meistens mit seinen Kumpels aus der Realschule rum, am liebsten in der Stadt. Nur zum Zocken kamen seine Freunde ein paarmal mit zu ihm nach Hause. Aber nachdem er die Seitenblicke und das kaum verhaltene Lachen gesehen hat, mit dem sie die Spitzendeckchen auf dem Sofa, die Kuckucksuhr an der Wand und die Kittelschürze seiner Mutter bedachten, nahm Alexander niemanden mehr mit heim. Was denken die eigentlich? Seine Eltern sind anständige Leute, sie sind in Deutschland geboren und aufgewachsen, im Bayerischen Wald. Sein Vater hat sich alles hart erarbeitet, den eigenen Betrieb, die Wohnlandschaft, die Ferien an der Ostsee. „Fliegt ihr im Urlaub nie nach Dubai oder in die Dom Rep?“, hat ihn sein Freund Max mal gefragt.

„Warum? Wir finden es in Deutschland auch sehr schön. Und da versteht man wenigstens, wenn wir ein Bier bestellen.“

„Klar, ne?“ hat Max geantwortet, und damit war die Freundschaft der beiden dann auch vorbei.

Seine Eltern und er sind anders. Passen nicht in das Bild der Siedlung. Die Mutter trägt schon mal Alditüten statt Prada, der Vater sitzt mit Zigarette und Bier auf dem Balkon und nicht mit Champagner. Und er, Alexander, geht nicht auf ein privates Gymnasium, sondern auf die Realschule.

Im Sommer bleibt Alexander sitzen, und seine Eltern schicken ihn auf die BOS. In der Vorklasse lernt er ganz andere Leute kennen. Viel cooler als seine tranigen Realschulfreunde. Statt für’s Klima zu demonstrieren fährt Alex – so nennt er sich jetzt, um nicht so abgehoben zu klingen – mit seiner neuen Clique auf lauten Mopeds über Land, besucht Volksfeste und richtige bayrische Wirtschaften, nicht die teuren Clubs in der Innenstadt. Nur das Gaming hat er beibehalten. Online. Mit einer Handvoll Leuten, die ok sind. Vor allem Lisa. Sie ist saugut, nicht nur für ein Mädchen, sondern überhaupt. Wenn er bei Battlefield 6 gegen sie verliert, stört ihn das nicht. Manchmal ertappt er sich dabei, dass er sie gerne kennenlernen würde.

Seine neuen Freunde sind alle deutsch. Biodeutsch. Klar gibt es auf der Schule auch Ausländer, aber mit denen haben sie nichts zu tun. Eigentlich ist es voll ungerecht, dass die hier so lange zur Schule gehen dürfen, statt zu arbeiten. Wahrscheinlich kriegen die auch staatliche Ausbildungsförderung, und die Eltern sitzen daheim, trinken Tee und kassieren Bürgergeld. Und das alles, während es dem elterlichen Betrieb immer schlechter geht. Plötzlich wollen die Leute Biofleisch, am besten von Kälbern, die mit Mozart und Muttermilch aufgezogen worden sind. Und bitte lieber kein Schweinefleisch. „Wir haben zu Hause selbst ein kleines Schweinchen, wissen Sie“, hat kürzlich eine Kundin gesagt. Dass der Vater die hohen Preise dafür nicht zahlen kann, ist so einer eh egal.

„Es stimmt was nicht mehr, bei uns in Deutschland“, sagt der Vater immer öfter. „Der Staat malt den Teufel an die Wand und will uns vorschreiben, wie wir heizen sollen, will uns das Autofahren und unser Schweineschnitzel verbieten. Und den Ausländern schiebt er die Kohle hinten rein. Und den Transsexuellen. Den Behinderten. Ja, wenn du bei uns deutsch, gesund, normal und arbeitswillig bist, hast du schlechte Karten.“

Alex’s neue Freunde sehen das genauso. Sie treffen sich jetzt immer sonntags in der „Deutschen Eiche“ und reden beim Bier darüber, wie schlecht es ihnen und ihren Familien geht. Draußen stehen ihre Motorräder, Bikes und Autos. Aber das ist für sie kein Widerspruch. In letzter Zeit kommen immer wieder Vertreter einer neuen, deutsch nationalen Partei. Die reden nicht in geschwollenen Luftblasen wie die anderen, die „g’standenen“ Politiker. Die verstehen, worum es den jungen Leuten geht. Sie haben klare Ideen und geben Parolen und Visionen aus. Alex folgt ihnen in den Sozialen Medien, und die haben echt was drauf, findet er. Endlich fühlt er sich nicht mehr minderwertig. Endlich kann er’s allen zeigen. Seinen alten Klassenkameraden mit den grünversifften Halluzinationen, den arroganten Bewohnern in der Minervastraße, die auf seine Familie runterschauen.

Seine neuen Freunde wissen auch schon, wie.

Es ist Sommer, ein lauer Abend. Alex zieht sich die Sturmhaube über den Kopf, dann rennt er los, zusammen mit drei anderen. Sie haben Moliies in der Hand und werfen sie durch das Schaufenster in einen Laden im Erdgeschoss eines Altbaus mitten in Schwabing.

Der Laden ist ein Nest von linksgrünversifften Transen und Behinderten, hat ihnen Karl, der Parteigenosse, erklärt. „Wenn wir erst mal an der Regierung sind, schmeißen wir die alle in den Knast. Da sollen die erstmal lernen, gescheit zu arbeiten, statt auf unsere Kosten zu leben und uns dafür auch noch Vorschriften zu machen.“

Die Mollies explodieren nach Plan. Drinnen Schreie, ein Kind weint. Ein Kind?, denkt Alex. „Los, rein, die kaufen wir uns“, ruft Franz, ihr Anführer. Das Lokal ist offenbar kein linksterroristisches Zentrum, sondern ein Platz, an dem sich junge Leute zum Gamen treffen. Leute wie er. Überall Computer und Spielekonsolen, ein paar in Flammen. Franz drischt mit einem Baseballschläger auf die Geräte ein. Und auf den jungen Mann, der ihn davon abhalten will.

„Nein! Hilfe!“ Hinten in der Ecke sitzt jemand in einem Rollstuhl. Lange blonde Haare, die Feuer gefangen haben.

„Geschieht dir recht, du Terrrorschlampe“, lacht Franz. „Los, mach du auch mal was“, fordert er Alex auf.

Aber Alexander steht wie angewurzelt auf der Schwelle.

„Hilfe!“, schreit das Mädchen. Da zieht Alexander seine große schwarze Jacke aus und beginnt, es abzulöschen. So, wie er es mal in der Schule gelernt hat. Polizeisirenen nähern sich, seine Freunde laufen davon. Alexander bleibt. Er hält die Hand des Mädchens auch noch, als der Rettungswagen kommt.

„Wollen Sie mitfahren?“, fragt der Sani.

Doch da wird Alexander schon von zwei Polizisten zu Boden gedrückt.

„Lisa. Ich heiße Lisa. Besuchst du mich im Krankenhaus?“, ruft das Mädchen. Und dann, zu den Polizisten: „Er hat mir das Leben gerettet, wissen Sie?“

Und für diejenigen unter euch, die sich ein Happy End wünschen:

Fast wäre er Alex geworden. Aber Lisa nennt ihn Alexander. Alexander den Großen, ihren Retter. Er ist mit einer Bewährungsstrafe davongekommen. Und geht jetzt sonntags zum Gamen statt in die „Deutsche Eiche.“

MiniKrimi Adventskalender am 16. Dezember


Jetzt hat es beinahe nicht rechtzeitig geklappt mit dem Türchen-Öffner. Mein Internet hat sich verabschiedet. Aber zum Glück habe ich noch einen Hot Spot im Ärmel. Also Daumen drücken, dass der bis 18 Uhr durchhält. Hier die Infos zum Krimi meiner lieben bayerischen Mörderischen Schwester Monika Nebl.

Mords-Engerl: Krimi-Minnies sechster Fall

Der Fall: Taschendiebe auf dem Wasserburger Christkindlmarkt, viel Blut in einem Parkhaus und ein schlimmer Fund auf der Kapuzinerinsel. Der neue Fall geht Minnie ans Herz und an die Nieren.

Im sechsten Band der humorvollen Reihe schlägt sich die töpfernde Hobbydetektivin und Autorin nicht nur in ihrem Plätzchenstand mit viel zu viel Geglitzer und Jingle Bells herum, zudem schmuggelt sich ein kleiner Engel in ihr Herz. Und wie soll sie Weihnachten genießen, wenn auch noch um den Christbaum gestritten wird?

Aus dem Kapitel „Spaziergang mit Schuss“ Hobbyermittlerin Minnie und ihr Freund Alex haben im Wasserburger Parkhaus Schüsse gehört und Verdächtige fliehen gesehen. Nun erscheinen die Polizeikollegen Gerhard und Sigi, die sich nicht mehr wundern, dass die Krimi-Minnie mal wieder vor Ort ist.

Der dunkle Fleck, den wir vorhin direkt hinter der Ausfahrkurve im Parkhaus bemerkt haben, ist natürlich Blut. Viel Blut! Dem Gerhard sind bei der Menge die üblichen Witze zu meinem unpassenden Auftauchen wohl im Hals steckengeblieben. Er schüttelt fassungslos den Kopf, während Sigi mit der Spurensicherung telefoniert.

»Kein Verletzter am Tatort. Mei, weit kann der ned kommen, mit dem Blutverlust.«

Er schaut mich nachdenklich an und nickt. »Wir haben Zeugen hier. Ja, bis gleich.«

Nun staubt er die Schaulustigen zurück und fertigt die anderen rigoros ab.

»Lasst euch abholen, an euer Auto könnt ihr aktuell ned ran. Außerdem wollt ihr doch ned durch das ganze Blut fahren, oder?«

Mit feinfühligen Zwischentönen hat es der Sigi nicht, da ist ja der Gerhard empathischer. Der nimmt mich jetzt ins Visier.

»Minnie, das kann ned wahr sein«, sagt er ein bisschen schwach für seine Verhältnisse. Ich sehe keinen Sinn darin, mich zu entschuldigen, nur weil ich – mal wieder – zur richtigen Zeit am falschen oder richtigen Ort war.

»Wir waren spazieren, haben den Schuss gehört und den Schrei einer Frau. Dann haben wir euch angerufen. Als sie noch mal geschrien hat, mussten wir doch nachsehen, ob wir helfen können.«

Nun stehen Gerhard und Sigi neben uns und nicken.

»Verständlich, trotzdem gefährlich«, meint der Sigi, dem man selten irgendeine Regung ansieht. Ich spähe an den Männern vorbei. So viel Blut! Aber nicht von der geflohenen Frau, da bin ich mir sicher. So kampfbereit und schnell verschwunden, wie sie war, würde ich sie nicht als schwer verletzt einschätzen.

Während Alex versucht, sie zu beschreiben – schwierig, denn außer Mütze, Augen und Blut gibt es da nichts –, und den zweiten Flüchtenden erwähnt, sehe ich in der Blutlache etwas schimmern.

»Da drüben liegt eine Patronenhülse.«

Sigi geht bis ans Absperrband ran. »Scharfe Augen, Minnie. Die kann sich die SpuSi dann aus der Lackn fischen.«

»Also ein Schütze, der ganz nah am Opfer stand?«, ist meine Folgerung. Schlagartig beginne ich zu zittern. Wenn ich mir das vorstelle!

»Wie wütend oder abgebrüht muss man sein, dass man aus einer solchen Nähe schießt?«, frage ich zähneklappernd in die Runde.

»Ziemlich, würd’ ich sagen«, ist Sigis nüchterne Erwiderung. »Ihr meint, die Frau war eher ned verletzt, und der andere ist zackig davon? Also wird es der Dritte gewesen sein, den die beiden Männer aus dem Queens gesehen haben, der viel Blut verloren hat.«

Alex und ich nicken. Meine Füße sind auf dem kalten Betonboden mittlerweile zu Eis erstarrt. Trotzdem tun sie weh. Gerhard bittet nochmals über Funk um eine Suchmannschaft. Für die Flüchtigen und vor allem für den »mutmaßlich« Schwerverwundeten. Die Antwort lautet, dass die Rosenheimer Kollegen gleich da sein müssten.

Als mein Zähneklappern im Parkhaus zu hallen beginnt, grinst der Sigi glatt, was mich aufrüttelt.

»Ja, dann gehen wir mal heim in die heiße Badewanne und zum Tee. Ich drück’ euch die Daumen«, grantele ich vor mich hin. Das Klack-klack erzeugt aber offensichtlich mehr Mitleid und Besorgnis als Neid.

»Ja, geht’s heim, Minnie. Bevor’s nächste Woche im Standerl keine Platzerl gibt«, Gerhards größte Sorge gilt wie immer dem Essen.

»Oder dich einer mit deinen rotnasigen Töpfertieren verwechselt«, witzelt der Sigi mit todernster Miene.

Sehr witzig. Leider sind Kiefer und Hirn gefroren, weswegen ich keine passende Antwort artikulieren kann.

In der Badewanne grummle ich wieder aufgetaut vor mich hin. „Du kriegst spezielle Platzerl von mir, Sigi. Da wirst schauen, wie rot die Augen werden, wenn ein bisserl Chilipulver im Teig verbaut und mit Lebensmittelfarbe getarnt ist!“

***

Natürlich bin ich dafür zu gutmütig, aber der Sigi zuckt tatsächlich mal mit der Wimper, als ich ihm ein paar Tage später eine Plätzchentüte vorbeibringe.

»Extra für dich, Sigi, für dein Einfühlungsvermögen. Lass es dir schmecken«, säusle ich auffällig süß. Was sein Misstrauen weckt.

»Äh, ich darf ned, wegen dem Zucker.«

»Ist gar ned so viel drin, ich habe mir etwas Neues einfallen lassen«, erwidere ich mit emporzuckenden Augenbrauen. Daraufhin reicht er die Tüte eilig an Gerhard weiter, der seine bereits nach Sekunden vernichtet hatte. Bevor ein Kollege reinkommt und was abhaben will.

Verlegen stottert der Sigi, der etwa Schrankgröße und -breite besitzt, mit roten Ohren: »Das blockiert meinen Muskelaufbau, der Gerhard legt da ned so viel Wert drauf wie ich. Aber vielen Dank, Minnie, das ist sehr nett von dir.«

Sei es, dass Gerhard mich besser einschätzen kann und darauf vertraut, dass ich Sigi nichts Böses will. Oder er hat einfach den üblichen Riesenhunger und geht daher das Risiko gern ein. Ich tippe auf Letzteres. Er verspeist den Tüteninhalt am Stück, grinsend, während Sigis Gschau immer düsterer wird.

»Ja, es freut mich, dass es dir schmeckt, Gerhard. Ich wünsch’ euch einen schönen Tag«, flöte ich und verlasse die Inspektion.

Fotos:

Autorenfoto: Fotoatelier G. Nebl

Cover: Bildnachweis: © stock.adobe.com: Jenny Sturm, John Cater und Roman Samokhin / © macrovector auf Freepik / © Fotoatelier G. Neb

Mehr zum Text:

Webseite: https://www.monika-nebl.de/humorkrimis

Erhältlich als Taschenbuch (978-3969667354) bei allen Buchhandlungen für 12,50 €, auch online, E-Book (Asin B0CFMWGY6X) bei Amazon und anderen.

MiniKrimi Adventskalender am 15. Dezember


Hochmut kommt vor dem Fall, heißt es. Meine Co-Autorin Lydia H. erklärt euch heute, warum…. Viel Spaß beim Lesen!

Let it snow

Katja

Katja, eine mehr schlecht als recht erfolgreiche bildende Künstlerin, hatte vor 6 Monaten eines der Ein-Zimmer-Appartements in der Minervastraße ergattert. Diese kleinen Wohnungen dienten meist gut betuchten Münchnern als Kapitalanlage. Manchmal bewohnte auch der eigene Nachwuchs nach dem Auszug aus der elterlichen Villa am Münchner Stadtrand eine der kleinen Wohnungen, als erster und wohlbehüteter Schritt in ein eigenständiges Leben. So waren die Sprösslinge auch während des Studiums noch unter elterlicher Beobachtung. Katja war dank ihrer Bekanntschaft mit Cosima zu einer der begehrten Wohnungen gekommen. Cosima, eine Kommilitonin an der Akademie der bildenden Künste in München, verbrachte gerade 2 Semester in Paris. Ein wahrer Glücksfall für Katja, die ohnehin nicht vorhatte, im Freistaat Wurzeln zu schlagen, sondern ihr Studium in Barcelona beenden wollte.

Daniela

Als Mitglieder der Düsseldorfer Haute Volée bewohnte das Ehepaar Hochmut nach dem Umzug in die bayerische Metropole natürlich eine der standesgemäßen Dachgeschosswohnungen in der Minerva-Siedlung.  Daniela Hochmut, eine elegante Erscheinung um die 40, und Ihr Mann Detlef, 53 und erfolgreicher Geschäftsmann aus dem Finanzsektor, hatten die Wohnung vor einem Jahr gekauft, wobei der Umzug nach München nicht ganz freiwillig gewesen. Mit seinem skrupellosen Geschäftsgebaren hatte sich Detlef in Düsseldorf und Umgebung nämlich nicht nur Freunde gemacht, vorsichtig ausgedrückt. Die Investitionen in seinen selbst kreierten Krypto Coin, zu denen er gefühlt Halb Düsseldorf verführt hatte, entpuppten sich nämlich als Totalverlust für die Anleger. Nur für die Anleger natürlich, denn das Ganze war von vornherein als Schneeballsystem gedacht gewesen.  Das Geld hatte Detlef schon längst in die Schweiz transferiert und in ihre neue Bleibe in der Minervastraße investiert. Nachdem das Hochmutsche Anwesen in Düsseldorf mit Farbe beschmiert und sogar die Reifen von Olafs Hummer zerstochen worden waren, stand fest, dass der Zeitpunkt für eine geographische Veränderung gekommen war.

Daniela allerdings war von dem notwendig gewordenen Umzug nicht begeistert gewesen.  Ihr fehlte die illustre Düsseldorfer Gesellschaft. Die ausgedehnten Shoppingtouren an der Königsallee, die Vernissagen, die Prosecco-geschwängerten Treffen mit ihren reichen Freundinnen. München dagegen konnte Daniela, die als repräsentative Ehefrau eines erfolgreichen Geschäftsmannes nicht erwerbstätig sein musste, nicht zufriedenstellen. Zu anders war die sogenannte Münchener Schickeria. Bunt, immer etwas schrill und meistens damit beschäftigt, sich selbst zu feiern, war sie das genaue Gegenteil der auf die strikte Einhaltung gesellschaftlicher Konventionen bedachten Düsseldorfer Haute Volée. In der Münchener Schickeria fanden allerlei „seltsame“ Gestalten eine Heimat. Schauspieler und solche, die sich dafür hielten, Transvestiten, Künstler aller Art und jede Menge Selbstdarsteller, alle vereint durch ein „Mir san mir“-Gefühl, an dem Daniela als „Zugroaste“ nicht teilhaben konnte.

Sogar ihre Nachbarschaft in der Minervastraße war vor solchen Gestalten nicht sicher. Direkt unter ihnen war jetzt ein derartiges Geschöpf eingezogen. Ärmlich gekleidet, meistens mit Farbe bekleckert, wohl eine brotlose Künstlerin. Besonders unangenehm war allerdings die Art, wie die Kleine Detlef im Hausflur anstarrte. Bei ihrer ersten Begegnung im marmornen Treppenhaus der Minervastraße war sie förmlich zur Salzsäule geworden und hatte ihn nur unverwandt angesehen. Natürlich war ihr Mann ein gut erhaltener und sehr gepflegter Vertreter seines Geschlechts, und Daniela war die bewundernden Blicke der Damenwelt durchaus gewohnt. Sie erfüllten sie sogar mit einem gewissen Stolz. Aber für dieses junge Ding war Detlef doch sichtlich zu alt. Und noch dazu in der falschen Liga.

Katja

Als Katja Herrn Hochmut zum ersten Mal in der Minervastraße sah, erkannte sie ihn sofort. Immerhin war er der Grund gewesen, warum sie nach dem Tod ihrer Eltern ihre Heimatstadt Düsseldorf verlassen hatte. Genauer gesagt, war er auch der Grund für den gemeinsamen Selbstmord ihrer Eltern gewesen. Nachdem die beiden, leidenschaftliche Wirtsleute und Inhaber einer gutgehenden Kneipe in der Düsseldorfer Altstadt, ihre gesamte Altersvorsorge in den hochgelobten  Krypto Coin des Betrügers investiert hatten, schien ein Jahr lang alles gut zu laufen. Die garantierte Rendite von 25 Prozent war sensationell und wurde in den ersten 5 Monaten auch pünktlich ausgezahlt. Katja Eltern waren von ihrem Investment so begeistert gewesen, dass sie mehrere enge Freunde von dem Krypto Coin überzeugt hatten. Doch dann folgte das böse Erwachen. Zunächst kamen die Renditeauszahlungen nur noch sporadisch, dann gar nicht mehr. Was Katjas Eltern besonders zu schaffen gemacht hatte, waren die Vorwürfe ihrer Freunde, welche sie zu der Investition in den Coin überredet hatten. Irgendwann hielten sie dem Druck von allen Seiten nicht mehr stand und beendeten ihr Leben mit einer Überdosis Schlafmittel. Den Prozess gegen Herrn Hochmut erlebten die beiden nicht mehr.  Katja dagegen schon. Er endete für Detlef Hochmut mit einem Freispruch mangels Beweisen für eine Betrugsabsicht. In dubio pro reo. In der Hoffnung, der Vergangenheit zu entfliehen, verließ Katja Düsseldorf kurz darauf in Richtung München.

Und nun das. Anstatt diese ganze ungerechte Tragödie hinter sich gelassen zu haben, würde sie nun fast täglich mit dem Verursacher konfrontiert sein. Ein unhaltbar Zustand. Gerade jetzt zur Weihnachtszeit vermisste Katja ihre Eltern besonders schmerzlich. In diesem Jahr sollte es nach Auskunft des Wetterberichtes sogar eine weiße Weihnacht geben.  Wie im Märchen. In Düsseldorf kamen weiße Weihnachten statistisch gesehen nur alle 20,4 Jahre vor. Überhaupt schneite es in Nordrhein-Westfalen so gut wie nie, und Katja, die die kalte Jahreszeit schon immer geliebt hatte, war nicht zuletzt wegen des Winterwetters nach München gezogen. Wie sehr hatte sie sich auf schneebedeckte Bäume und Eiszapfen an den Dächern gefreut. Stattdessen würde sie nun auf ihrem Futon hocken und Rachepläne schmieden.

Moritz

Auch Moritz, der Sohn von Albrecht und Martina Müller, studierte in diesen Tagen oft die Münchner Wetterkarte. In der Mittagspause stand er mal wieder vor dem elterlichen KFZ-Betrieb am Düsseldorfer Stadtrand, blickte versonnen in den Himmel und summte das Weihnachtslied „Let it snow“. Den Betrieb hatte Moritz, der eigentlich Maschinenbau studiert hatte, in diesem Jahr von heute auf morgen übernehmen müssen. Auch seine Eltern hatten ihre Altersvorsorge in den Krypto Coin von Detlef Hochmut investiert und einen Totalverlust erlitten. Nach dem skandalösen Ende des Prozesses vor dem Düsseldorfer Landgericht hatte Moritz Vater einen tödlichen Herzinfarkt erlitten. So stand Moritz nun tagein tagaus in der väterlichen Werkstatt. Wie das Leben so spielt.

Kurz nach dem Prozess hatte die Rheinische Post über den Fall geschrieben und erwähnt, dass der von allen Vorwürfen freigesprochene Angeklagte Hochmut seinen Wohnsitz nach München verlegen wollte, um den Schikanen der zu Unrecht erbosten Anleger zu entfliehen.  Wie der Zufall es wollte, war am selben Tag ebendieser Herr Hochmut in Moritz Werkstatt gekommen, um noch vor seinem Umzug nach München winterfeste Reifen aufzuziehen. Man wusste ja, in München wehte wettermäßig ein anderer Wind, schwadronierte er selbstgefällig, und da wolle er lieber schon gut ausgestattet ankommen. Es war eine ganz spontane Idee von Moritz gewesen, anstellte der Winterreifen Sommerräder auf den teuren Geländewagen zu montieren.

Der erste Schnee fiel heuer in München und den Bergen früh und reichlich. Sehr zum Gefallen des Ehepaares Hochmut. Hatten sie sich doch eine sündhaft teure Skiausrüstung zugelegt und brannten darauf, sie bei einem eleganten Einkehrschwung in Elmau zu präsentieren. Sogar Daniela war von der Idee begeistert gewesen. Leider wurde schon die erste Kehre den Hochmuts zum Verhängnis. Der schwere Geländewagen schlitterte über den Straßenrand, riss die Leitplanke mit, überschlug sich mehrmals und stürzte in die Tiefe. Die Flachlandtiroler wieder, hieß es bei der herbeigerufenen Bergwacht in Garmisch-Partenkirchen nur lapidar.   

Hochmut komm vor dem Fall.

MiniKrimi Adventskalender am 14. Dezember


Heute tretet ihr durch das Türchen mitten hinein in das bunte – und zuweilen auch tödliche – Leben im Schrebergarten meiner lieben Mörderischen Schwester Martina Pahr. Absolut lesenswert und vielleicht ja noch ein Last-Minute-Geschenk?

Nur die Wühlmaus war Zeuge (Kapitel 18: Valentina bei Wiggerls Nachbarn)

Ich amüsierte mich, wenn ich im Ausland bestätigt bekam, dass man andernorts ganz Deutschland auf sein Bundesland Bayern reduzierte und bei der Nennung von München sofort das Oktoberfest erwähnte. »Beer Festival!«, sagen sie lachend von Auckland bis Alaska, von Skandinavien bis Südafrika und von Myanmar bis Mexiko. Als Wahlmünchnerin schwanke ich dann immer zwischen Stolz und Scham. Freut man sich darüber, überall auf der Welt mit Betrunkenen in Tracht assoziiert zu werden, die sich vor laufenden Fernsehkameras einnässen und übergeben? 

»Saufen und fressen, pissen und kotzen«, hatte mein Ex immer unvergleichlich charmant gesagt, wenn die Rede auf das traditionelle Fest im Herbst kam, das er inzwischen durch die gewiss gepflegteren Weinverkostungen in den Burgenländer Buschenschanken ersetzt hatte. 

Aber ich lasse es mir nicht nehmen: München ist eine rundum schöne Stadt. Sie hat die meisten der Vorurteile nicht verdient, die ihr die Auswärtigen entgegenbringen: dass sie Schickeria ist und die Leute von oben herab, dass alle CSU wählen, Bier trinken und jeden Sonntag in Lederhose und Dirndl mit dem Cabrio zur Kirche fahren. Sicher ist die Cabrio-Dichte hier höher als anderswo, und sicher zeigen viele nur allzu gern das Geld her, das sie bei BMW, Siemens oder der Allianz verdienen. 

Aber das wahre München, das besteht nicht nur aus Weißwürsten und Zwiebeltürmen. Das sind die Parktickets, die man überall zuverlässig nach nur einer Viertelstunde in der zweiten Reihe bekommt; das sind die Wohnungen, deren Mieten Geringverdienende nicht bezahlen können; das sind die Staus auf dem Mittleren Ring nicht nur zu Stoßzeiten; das sind die herzlichen Menschen, die gern lachen und gern essen; das sind die lauen Sommerabende, an denen man draußen vor den Bars und Cafés oder gleich in den Biergärten sitzt und das Dolce Vita in der »nördlichsten Stadt Italiens« genießt – und das sind nicht zuletzt die gesalzenen Preise, die man für diesen ganzen Genuss bezahlt. 

Am Morgen nach dem Schlüsselfund radelte ich zu Wiggerls Wohnung im Westen Schwabings, dem Ort, wo er seine Winter verbracht hatte. Wirklich gelebt hatte er ja das restliche Jahr über im Garten. Es war nicht weit, und ich liebe die Stadtvormittage im Frühling und Sommer, wenn sich die Tage frisch und verheißungsvoll präsentieren. Früh am Morgen glaubt man noch, es könne einem nichts Schlimmeres passieren, als dass man eine Breze erwischt, die nicht resch, sondern letschert ist. 

Bei dem Gebäude, in dem sich die Wohnung befand, handelte es sich um ein typisches Mehrparteienhaus, nicht schäbig, aber längst nicht nobel, an einer befahrenen Straße gelegen und weit davon entfernt, jene Anonymität zu garantieren, die man in einer soliden Großstadt erwarten würde. Davon halten wir in München nicht allzu viel. Und tatsächlich: Als ich drinnen vor der Wohnungstür stand, die mit einem Polizeiaufkleber versiegelt war, und über das weitere Vorgehen grübelte, steckte der Nachbar von nebenan die Nase aus seiner Tür. 

»Sind Sie eine Verwandte vom Herrn Wetzstein?« 

Fragen immer mit Gegenfragen kontern, hatte mir Friedl eingeschärft. Und die Medienanwältin meines Vertrauens hatte geraten, unverfänglich zu bleiben und keine konkreten Statements abzugeben, die später gegen mich verwendet werden könnten. 

»Vielleicht können Sie mir ja sagen, wo er steckt?«, fragte ich deshalb. »Kennen Sie ihn denn gut? Und warum ist seine Wohnung versiegelt?« Ich war ja wohl in Topform! 

Der Nachbar, ein Herr Metzger, wie sein Türschild verriet, murmelte ein paarmal: »Schlimm, ganz schlimm.« Dann bat er mich auf einen Kaffee in seine Wohnung. 

Als er mir zu dem starken Gebräu nicht nur Waffelröllchen, sondern auch einen vormittäglichen Eierlikör reichte, war mir klar, dass er mir die Nachricht vom Tode meines vermeintlichen Verwandten schonend beibringen wollte. Eine Aufgabe, mit der er vollkommen überfordert schien. »Meine Frau ist beim Arzt, so ein Jammer. Hoffentlich kommt sie bald.« 

Ich beschloss, ihm ein wenig die Hand zu reichen. »Nur freiheraus, lieber Herr Metzger. Telefonisch ist Ludwig nicht zu erreichen, und jetzt klebt ein Polizeisiegel an der Tür. Ich kann mir schon denken, dass da etwas passiert ist.« 

Einen Augenblick lang starrte mich Herr Metzger fassungslos an, dann griff er nach dem Gläschen Likör, das er mir hingestellt hatte, und trank es auf ex. Was bei einer dickflüssigen Masse wie einem Advocaat eine wenig elegante Angelegenheit ist. Dann berichtete er in wenigen ungelenken Sätzen, dass vor Kurzem die Polizei vor der Tür gestanden sei und ihm mitgeteilt habe, dass der freundliche Herr Wetzstein von nebenan tot in seinem Garten aufgefunden worden sei. 

»Tot?«, markierte ich die Überraschte. »Woran ist er denn gestorben? Ein Herzinfarkt?« 

»Jede Menge Fragen haben die gestellt, das können Sie sich nicht vorstellen«, wich Herr Metzger meiner Frage aus. »Wissen Sie, wenn man jahrelang Wand an Wand lebt, nimmt es einen schon mit, wenn man auf einmal mit einer solchen Nachricht konfrontiert wird. Ich werde Ihnen die Nummer des zuständigen Polizeibeamten geben.« 

Demnach war den Metzgers nicht aufgefallen, dass die Wohnung neben ihnen bereits seit eineinhalb Jahren leer stand. Herr Metzger stand auf und kramte in der Kommode in der Diele, dann kam er mit einer Visitenkarte zurück, die er neben meine Kaffeetasse legte. 

»Den Sommer über hat man ihn eh nie zu Gesicht bekommen, da war er in seinem Garten«, fuhr er fort. »Aber ich weiß noch, dass ich schon im vorletzten Winter zu meiner Frau gesagt habe, dass man vom Herrn Wetzstein gar nichts mehr sieht und hört. Aber die hat dann gemeint, dass sie ihn erst kürzlich gesehen hat.« 

Ich horchte auf. In diesem Augenblick, wie aufs Stichwort, kam Frau Metzger nach Hause. 

Doch, den Herrn Wetzstein habe sie Anfang des letzten Jahres noch gesehen. Da habe es recht spät im Frühjahr einen kurzen Kälteeinbruch mit Schnee gegeben, daran erinnere sie sich genau. Und einen Witz habe sie gemacht, über die schwarze Maske, die er getragen habe. Corona schön und gut, aber schwarz? 

»›Ist denn jemand gestorben?‹, hab ich ihn noch gefragt.« 

Ja, es war jemand gestorben. Und derjenige, der sich hinter der Maske verborgen hatte, hatte ihn höchstwahrscheinlich auf dem Gewissen. Das sollte Frau Metzger, die gute Haut, aber nicht erfahren. Ich lächelte freundlich und fragte: »Was hat er denn darauf gesagt?« 

»Nichts, nur gelacht hat er«, sagte Frau Metzger. »Hatte tüchtig zugelegt über den Winter, das ist mir aufgefallen.« Sie wiederholte: »Eine schwarze Maske, stellen Sie sich das vor. Und Kapuze und Schal, regelrecht vermummt ist er gewesen. Der Polizei hab ich es auch erzählt. Da hat er noch gelebt, hab ich gesagt.« 

»Werden Sie alles erben?«, erkundigte sich ihr Mann. 

Und Frau Metzger fragte fast zeitgleich: »Ziehen Sie jetzt hier ein? Das würde uns freuen. Wir wussten ja gar nicht, dass er Familie hat.« 

»Die Leute sterben wie die Fliegen«, sagte Herr Metzger. »Da dachte man, Corona würde die Alten niederstrecken, aber die Nachbarin von unten ist in ihrer Wohnung gestürzt und der Wetzstein in seinem Garten.«

Und seine Frau bohrte nach: »Sind Sie die Tochter?« 

Ich parierte mit einer Gegenfrage. »Warum fragen Sie?« Was Besseres fiel mir nicht ein. 

»Na, so was interessiert einen doch! Bisher sind ja noch nie Angehörige aufgetaucht.« 

»Zu den Kindern von Ludwig habe ich gar keinen Kontakt.« 

»Und in welchem Verhältnis stehen Sie zu ihm?« Frau Metzger ließ nicht locker. 

Es wurde knifflig. Doch dann erinnerte ich mich an die alten Familiengeschichten meiner Mutter. Wohlgemerkt: nicht nur Geschichten unserer Familie, sondern sämtlicher Familien, von denen sie je erfahren hatte und deren Historie sie in irgendeiner Form bemerkenswert fand. Ich pfiff auf die Empfehlungen von Friedl und der Lerche und legte los: »Ludwig ist gar nicht mein richtiger Onkel, sondern der Adoptivbruder von einer Tante, Tante Helene. Und Tante Helene ihrerseits ist nicht blutsverwandt, sondern hat in unsere Familie eingeheiratet, nämlich den Schwager meines richtigen Onkels, also des Bruders meiner Mutter.« 

Herr Metzger sah beunruhigt aus. Seine Frau dagegen war auf der Höhe der verwandtschaftlichen Verhältnisse und erklärte ihm: »Der, den sie geheiratet hat, das ist der Bruder der Frau des Bruders ihrer Mutter.« 

»Die Frau des Bruders, also die Schwägerin meiner Mutter, heißt übrigens auch Helene«, fuhr ich gnadenlos fort. »Das hat bei uns in der Familie immer für Verwirrung gesorgt, zwei Schwägerinnen mit demselben Namen, das geht ja gar nicht. Also hat man zur Schwägerin meiner Mutter immer Neni gesagt und zur anderen Helen.«

»Das ist ja auch irgendwie ungeschickt, dass keine der beiden Frauen ihren richtigen Namen benutzen konnte, wenn man’s recht betrachtet«, mischte sich Herr Metzger ein, und ich nickte eifrig. 

»Helen ist blutjung in den Norden gezogen, Ludwig derweil in München geblieben. Die beiden haben zeitweise völlig den Kontakt zueinander verloren. Da war nämlich Eifersucht im Spiel, glaube ich. Ludwig war zwar immer sehr verträglich, aber mit dem Mann von Helen hat er ums Verrecken nicht gekonnt.« 

Ich holte tief Luft. Die Blicke der Metzgers waren teils aufmerksam, teils überfordert. Das reichte, um voller Elan fortzufahren: »Möglicherweise hatte Ludwig ja selbst ein Auge 

auf Helen geworfen, aber das hat er dann unterdrücken müssen, weil sie ja seine Adoptivschwester war. Und das könnte der Grund dafür gewesen sein, weshalb er Onkel Heinrich, den Mann von Helen, nicht leiden mochte. Jedenfalls war der Kontakt völlig eingeschlafen, bis dann Onkel Heinrich vor wenigen Monaten gestorben ist. An Krebs.« 

Das Ehepaar Metzger gab Laute der Anteilnahme von sich. 

»Und deshalb habe ich keinen Kontakt zu den Kindern, ja ich weiß nicht einmal, ob Ludwig überhaupt welche hatte. Ich war gerade in der Gegend und wollte ihn besuchen.« 

Die Metzgers ließen mich gern und in Frieden ziehen. Sie wagten es offensichtlich nicht, mir weitere Fragen zu stellen. 

Fotos:

Im Anhang – Bildrechte Cover emons Verlag, Bildrechte Autorin Marion Vogel

Hier geht#s zu Martinas Webseite: www.martinapahr.de

Das Buch ist erhältlich im gutsortierten Buchhandel oder direkt bei der Autorin (mit SIgnatur!) über  info@martinapahr.de.

MiniKrimi Adventskalender am 13. Dezember


Heute gibt’s was für die Hundebubble! Da Bruna, Pepita und Giove, meine drei Hunde, auf Instagram kürzlich die 2000 Follower-Marke geknackt haben, hier was für all ihre zwei und vierbeinigen Freundinnen und Freunde. Aber ich hoffe, auch ihr anderen habt etwas Spaß und seht es meinem Zwergdackel nach, dass sie beim Erzählen immer mal auf eine andere Spur gerät.

Pepita Holmes oder die ersten Karafghanen

Mein Name ist Pepita. Ich bin zwar in Frankreich geboren, lebe aber schon seit meinem 2. Lebensmonat in der Minervastraße. Das ist an sich eine schöne Gegend. Viele Büsche direkt vor der Tür, ideal für das schnelle „Bieseln“, und nach einem kurzen Stück durch die Siedlung kommt man an einen kleinen See. Kein Badesee, an dem Hunde von Mai bis September verboten sind – als würden wir nicht genauso gerne schwimmen wie die Menschen, also die meisten von uns und die meisten von denen. Gut, im Sommer wird der Steg hartnäckig von ein paar „Gottesanbeterinnen“, wie, Chris, meine Besitzerin, sie nennt, belagert. Ich habe mich bei Emma Peel, der klugen Dobermannhündin in der Agentur zweites Glück, informiert. Gottesanbeterinnen sind Insekten. Auf dem Steg jedoch liegen Frauen zwischen 30 und 50. Eindeutig keine Fangschnecken, was sie der Ordnung nach wären. Oder doch? Chris hat eine scharfe Zunge, im übertragenen Sinn, und vielleicht besteht die Ähnlichkeit in ihren Augen darin, dass besagte Frauen ihre bräunenden Gliedmaßen so lange männlichen Seebesuchern entgegenrecken, bis einer sie vom Steg pickt und auf den mäandernden Wegen der Siedlung zum Traualtar führt.  

Aber ich schweife ab. Was nichts damit zu tun hat, dass ich mir immer einen schönen, fedrigen Schweif gewünscht habe. Wie den von Soraya, der wundervollen Afghanin – ich meine die Rasse, ihr wisst schon, die, denen manche Besitzer immer einen Schal um die Ohren wickeln, mit dem sie aussehen wie Witwe Bolte. Kennt ihr die? Die ist aus dem schlimmsten Thriller überhaupt, Max und Moritz. Meine Besitzerin liest mir manchmal daraus vor und zeigt mir schlimme Bilder, damit ich nicht auf dumme Streich-Gedanken komme.

Soraya also. Eine Schönheit. Sie ist recht neu in der Siedlung, und beinahe wäre aus dem Umzug nichts geworden, weil ihre Besitzer, Daniel und Horst, beim Besichtigungstermin Emma Peel und ihrem Bruder John Steed begegnet sind und Soraya John gleich in ihr weißes Herz geschlossen hat. Das geht aber leider gar nicht, denn ihre Besitzer haben Großes mit ihr vor. Kein Wunder, Soraya hat mir in einer gemeinsamen Pinkelpause erzählt, dass sie soviel gekostet hat wie ein Kleinwagen. Deshalb soll sie schon dieses Jahr Welpen bekommen. So richtig professionell. Ihre Besitzer wollen mit ihr die Afghanenzucht „vom Minvervatempel“ starten. Puh! Bin ich froh, dass ich nur ein Zwergdackel bin und mehr mit Tümpeln als mit Tempeln zu tun habe. „Du bist mir ja ‚ne Tümpelratte“, hat meine Besitzerin erst kürzlich gerufen, als ich aus einem Schlammloch am Minervasee aufgetaucht bin. Leider ohne die Maus, die ich verfolgt hatte. Pepita von den schlammigen Tümpeln – das wär’s doch, oder? Aber ich soll nicht zu Zuchtzwecken „verwendet“ werden. Und das ist gut so. Wenn ich läufig bin, habe ich nämlich immer so ganz arge Bauchkrämpfe. Kennen die Frauen unter euch wahrscheinlich. Nee, das muss ich nicht immer haben.

Soraya also. Die mit dem schönen Schweif. Wie bin ich nochmal auf sie gekommen? Wisst ihr, Dackel sind von Natur aus nicht so gradlinig. Wir spüren ja Fährten auf, immer mit der Nase ganz nah am Boden – deshalb haben wir ja auch so kurze Beine, damit wir immer ganz nah dran drin. Fährten verlaufen nicht gerade. Also laufen auch wir im Zickzack. Und irgendwie hat sich das auf unser Denken übertragen. Ich hoffe, ihr seht es mir nach.

Fährten. Ja, genau. Läufige Hündinnen hinterlassen sehr markante Fährten, also Spuren. Duftspuren. Und nun stellt euch vor, was in unserer Siedlung passiert ist!

Soraya war läufig. Beim nächsten Mal soll sie gedeckt werden. Also haben die Besitzer auf sie aufgepasst wie die Schießhunde – wo kommt diese Redewendung bloß her? Ich kenne keinen Hund, der schießen kann, sie haben also aufgepasst, dass ihre Hündin ja keinem Rüden begegnet. Oder von ihm „erkannt wird“, wie es in diesem alten Buch steht, das meine Chris manchmal liest. Da steht auch sowas drin wie „der Mensch denkt, und Gott lenkt“. Hahahaa, in diesem Fall haben die Menschen gedacht – und die Hunde gelenkt.

Soraya war es nämlich irgendwann leid, mit Windelhöschen zuhause rumzusitzen. Plötzlich schwebten von draußen allzu verlockende Gerüche in ihren Garten. Und siehe da, der hohe Zaun war für die stolze Afghanin kein Hindernis. Mit einem majestätischen Satz überwand sie ihn, und nur ihr rosa Höschen mit der weißen Spitze blieb daran hängen. Was aber kein Verhängnis war, denn so eine Hundewindel hat angeblich noch keinen heißen Rüden abgehalten. Sagt zumindest John Steed. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob seine Aussage glaubwürdig ist, denn als Kastrat kann er da eigentlich nicht wirklich mitreden, oder?

Ups, schon wieder ne falsche Fährte. Also wieder zurück. Die Duftspur führte Soraya direkt runter zum Minervasee. Und dort nahm das Verhängnis – aus Sicht der Besitzer – bzw. das Verhältnis – aus Sorayas Sicht, nun tatsächlich seinen Lauf. Angelockt durch Sorayas Pheromonspur, war Hasso, der „gespitzdackelte Windhund“, was soviel bedeutet wie Promenadenmischung, vom Schrottplatz auf der anderen Seite der Bahnlinie zum See geeilt. Rüden riechen eine paarungsbereite Hündin auf Kilometer, und der große schwarze Hasso, der aussah wie ein Höllenhund, hatte kein Problem mit Entfernungen, genauso wenig wie mit Erziehung.

Nun, es kam, wie es kommen musste und von der Natur vorgesehen ist. Soraya und Hasso hatten ihren Spaß. Allerdings nur so lange, bis die Besitzer der Stammesmutter „vom Minervatempel“ herbeigeeilt kamen. Leider, oder, aus Sicht der beiden Hunde, zum Glück kamen sie ein paar Sekunden zu spät. Und es sei Hasso verziehen, dass er nicht länger als nötig bei seiner Eroberung blieb, sondern vor den beiden wutschnaubenden Menschen die Flucht zurück zu seinem Schrottplatz antrat. Alles, was Soraya und ihren Besitzern blieb, war ein Handy-Schnappschuss von ihr und ihrem Hasso, als er gerade von ihr abstieg.

Just dieses Foto wurde zum zentralen Beweisstück in der Schadenersatzklage, die Horst und Daniel gegen den Schrottplatzkönig Hans H. anstrengten. Das weiß ich aus erster Hand, denn die verzweifelte Soraya berief schon kurz nach ihrem Liebesglück eine Krisensitzung in der Siedlung ein, an der Emma, John und ich teilnahmen. Das ging über ein paar Zäune und Stockwerke hinweg und war ziemlich laut, könnt ihr euch denken!

Jedenfalls berichtete Soraya mit tränenerstickter Stimme, dass sie „guter Hoffnung“ sei. Wir alle gleich: „Wow, Gratulation!“. Aber sie: „Nein! Horst und Daniel wollen mir die Babys wegmachen lassen.“ Ok, nicht so toll. Warum?, wollte ich wissen. Weil, erklärte Soraya, ein Hund, der von einem Mischling gedeckt worden ist, nicht mehr zur Zucht zugelassen wird, wenn er, also sie, Mischlingswelpen geworfen hat. „Horst will jetzt von Hassos Besitzer Zehntausende Euro. Weil so ein Schrottplatz ja viel abwirft. Dabei hat Hasso mir gesagt, dass er manchmal nicht mal was zu fressen bekommt, so wenig Geld hat der Hans.“

Hm, wunderte ich mich. Zeit zum Reden hatten die beiden also auch? Sie haben sich wohl öfter getroffen? Und vielleicht hat dieser Hans nicht zu wenig Geld, sondern zu wenig Interesse an Hasso?

Wie dem auch sei: Soraya brauchte Hilfe. Sie wollte in einer Nacht-und-Nebel-Aktion – wörtlich, um nicht gefunden zu werden – zu Hasso flüchten. Dann würden sie gemeinsam in die Welt hinausziehen und sich ein neues Zuhause suchen.

Ich liebe mein Zuhause. Mein Körbchen vor dem Kamin, meinen Platz unter „Mamas“ Bettdecke (sagt ihr ja nicht, dass ich sie Mama genannt habe. Das kann sie gar nicht leiden). Ich könnte mir nicht vorstellen, das alles zu verlassen. Vor allem, weil es draußen oft so schrecklich kalt ist. Aber Soraya war verzweifelt. Also versprachen wir, einen Schlachtplan zu entwerfen. Schlacht fand ich jetzt nicht so toll. Vor allem, weil ja ihre Welpen… aber egal. Bin schon wieder auf ‘ner falschen Fährte.

Wir waren ehrlich gesagt noch nicht sehr weit mit unseren Fluchtplänen, als ich Soraya ganz aufgelöst beim Gassigang auf der Hundewiese traf. Am Abend zuvor war es bei ihr zu einem Beinahe-Showdown gekommen. Hans stand plötzlich am Gartentor. Mit zwei riesigen Männern und einer Knarre. So nennen die in den Filmen, die meine Chris dauernd schaut, eine Waffe. „Wenn du deine Klage nicht sofort zurücknimmst, knallen wir erst deinen Dreckshund ab und dann dich“, hat er wohl zu Horst gesagt. Und hat Soraya als Warnung ganz brutal in die Seite getreten. Als Daniel dazwischen wollte, hat einer der beiden anderen ihn mit einem Faustschlag einfach umgehauen.

„Was mache ich jetzt?“, fragte Soraya. Sie war völlig fertig. Sie wollte ihre Besitzer nicht in Gefahr bringen, aber auch nicht ihre Welpen. Und ihre große Liebe, Hasso. „Wer weiß, vielleicht hat Hans ihn schon umgebracht“, jammerte sie.

Sie tat mir entsetzlich leid. Und dann hatte ich plötzlich eine Idee.

Das ist jetzt schon ein halbes Jahr her. Gerade komme ich mit meiner „Mama“ von einem ganz besonderen Besuch.

Aber der Reihe nach. Ich hatte mich an zwei Damen erinnert, die ganz in der Nähe eine Hundepension haben. Dort nehmen sie Hunde auf, die ihre Besitzer aus welchem Grund auch immer nicht mitnehmen können, wenn sie in Urlaub fahren, oder auf Geschäftsreise. Oder so. Meine „Mama“ nimmt mich immer überall mit. „Wozu hab‘ ich dich denn sonst?“, fragt sie. Aber ich weiß, dass das wirklich nicht immer und bei allen geht. Die Hundepension soll toll sein, das hat mir Emma Peel berichtet, die mal mit John eine Woche dort war, als Elvira, ihre Besitzerin, ins Krankenhaus musste. Dorthin durften die beiden Dobermänner nicht mit. Doof, oder? Egal – Emma schwärmte in höchsten Tönen von Claudia und Ulrike. Angeblich hatten sie dort jeden Tag jede Menge Leckerli bekommen, Streicheleinheiten und sogar lange Spaziergänge, obwohl die Pension mitten in einem großen Wald liegt.

Daran erinnerte ich mich und wusste sofort: das ist das ideale Versteck für Soraya und Hasso. Denn in diesem Wald hatten Claudia und Ulrike auch eine Hütte, komplett mit Hundebetten, Wasser und allem, was Vierbeiner halt so brauchen. Oder sich wünschen. Vielleicht sollte ich auch mal dort „Urlaub“ machen? Hm… halt, falsche Fährte, schnell wieder zurück.

Ich erspare euch die Details darüber, wie unser Liebespaar zur Hütte gelangte. Claudia und Ulrike entdeckten die beiden natürlich, aber da Soraya inzwischen sichtbar trächtig war, behielten sie sie erst einmal da. Die zwei sahen nach ihrer Odyssee über Straßen, einen Bach und durch dichtes Gestrüpp sehr verwahrlost aus, außerdem hatten sie beide kein Halsband an, und immer, wenn Claudia nach dem Chip am Hals suchen wollte, wurde Hasso richtig wütend. Überhaupt kümmerte er sich zärtlich um seine Soraya. Wirklich, Leute, die große Liebe gibt’s auch bei Hunden!

Und dann waren die Welpen da. Sie waren wunderschön, mit langem, seidigem schwarz-weißem Fell, niedlichen Ohren und riesigen pechschwarzen Augen. Die tollste Mischung aus beiden Eltern.

Bei der Geburt hatte die Tierärztin es geschafft, Sorayas Chip auszulesen. Und so kamen bald darauf Daniel und Horst in die Hundepension. Was soll ich euch sagen? Sie haben sich sofort in die Welpen verliebt und wollten sie gleich samt der Mama mit nach Hause nehmen. Aber da hatten sie die Rechnung ohne den Papa gemacht. Und auch Soraya weigerte sich, ohne Hasso auch nur einen Schritt zu gehen.

Tja. Und gerade eben kommen „Mama“ und ich von einem Besuch bei Soraya zurück. Sie lebt jetzt mit ihren Welpen und Hasso bei Daniel und Horst. Die beiden haben auf das Schmerzensgeld verzichtet und im Gegenzug Hasso bekommen. Jetzt züchten sie eine neue Rasse, die Karafghanen. Die Tierärztin hat nämlich erkannt, dass Hasso gar kein Mischling ist, sondern ein reinrassiger Karakatschan-Schäferhund. Da staunt ihr, was?

Allerdings habe ich bei unserem Besuch erfahren, dass Hans, der Schrotthändler, jetzt vielleicht seinerseits klagen will, auf die Herausgabe der neuen Rasse-Welpen. Oder so.

Doch das wäre eine neue Geschichte. Oh – ihr sagt, das heute sei gar kein richtiger Krimi? Hm, da ssehen Soraya und alle Hunde in der Minervastraße aber ganz anders. Außerdem: Weihnachten ist doch die Zeit der Wunder, oder?

Übrigens habe ich jetzt einen Zweitnamen. Ich heiße Pepita Holmes. Na, wie findet ihr das?