Heute lest ihr hier einen – längeren – Ausschnitt aus einem Krimi meiner Mörderischen Schwester Uschi Lange: Bella und das geheimnisvolle Kästchen.
Bella und das geheimnisvolle Kästchen
Prolog
Nur das seidene Geschenkpapier knistert noch. Stille.
Die fünf Frauen hocken wie vom Blitz getroffen um einen niedrigen, mit Resten von Köstlichkeiten der asiatischen Küche bedeckten Tisch. Annabel schluckt krampfhaft, der letzte Bissen will wieder nach oben kommen. Sie sitzt neben der Gastgeberin, Frau Akiko Mitsui, und kann den Inhalt des Kästchens ganz genau in Augenschein nehmen. Sie blickt kurz zu ihrer Freundin Hisako Bergius, die ihr direkt gegenüber hockt in die Augen und sieht deren Entsetzen. Auch die beiden anderen Japanerinnen, Freundinnen der Gastgeberin, sitzen mit starrem Blick und bleichen Gesichtern da, wie eingefroren. Annabel schaut wieder zu Frau Mitsui, die versucht vorsichtig den Inhalt des Kästchens zu berühren.
In dem offenen Kästchen aus Holz, lackiert in Grün und goldfarben liegt auf einem schwarzen kleinen Kissen, aufgespießt mit einer gelben Nadel, mit der man eigentlich Schmetterlinge oder Käfer befestigte, ein gelblich, bläulicher Stummel eines Fingers. Genauer gesagt, ein zwischen dem zweiten und dritten Glied abgeschnittener Ringfinger, an dem noch ein Ehering festsitzt. Annabel kann es jetzt ganz genau sehen.
Frau Mitsuis Finger schwebt vorsichtig darüber. Noch ein kleines Stück. Aber bevor sie ihn berührt, zuckt sie erschrocken mit ihrem Finger wieder zurück. Da holt eine der japanischen Frauen plötzlich tief Luft und fängt an jämmerlich zu kreischen. Erst leise, dann immer lauter, bis sie erschrocken wieder verstummt. Das Entsetzen bricht sich jetzt fast lautlos seine Bahn. Die zweite von ihnen läuft grünlich an, will sich zitternd aufraffen und fällt auf der Stelle ohnmächtig zur Seite. Da erbricht sich die erblasste Hisako still auf ihren Teller. Sie legt diskret eine Serviette darüber. Annabel ist abgelenkt von den Reaktionen und weiß nicht, ob dieser Finger jetzt echt ist oder nur ein fieser Scherz sein soll. Sie und Frau Mitsui schauen erstaunt, aber gefasst, um sich. Die beiden Japanerinnen, wieder bei Sinnen, versuchen aufzustehen, können es aber nicht, oder trauen sich nicht. Annabel kann es nicht zuordnen. Zur Bewegungslosigkeit verdammt, heulen und jammern sie leise vor sich hin. Annabel und Frau Mitsui starren wieder fassungslos auf den Finger. Stummes Entsetzen.
Abrupt richtet sich Annabel auf, greift nach dem hellblauen Töpfchen vor sich und kippt sich den, noch warmen, Sake durch ihre Kehle. Frau Mitsui tut es gleichfalls, wie synchron und wird sofort vollkommen ernst. Niemand kommt, um nach ihnen zusehen. Plötzlich blickt Frau Mitsui jede der Frauen mit einem durchdringenden Blick an, hebt ihre Hand und augenblicklich verstummen sie alle. Sie hat sich wieder absolut im Griff und übernimmt das Kommando. Annabel wartet auf ihre Ansprache. Schnell hat Frau Mitsui das Kästchen wieder geschlossen und lächelt beruhigend in die Runde. Jetzt sieht das gruselige Geschenk recht harmlos aus. Annabel ist erstaunt über so viel Selbstbeherrschung. Hoffentlich ist es nur ein Scherz gewesen. Sie hört ihr Herz klopfen, so eine Überraschung hatte sie beim japanischen Treffen der Frauen ganz sicher nicht erwartet. Frau Mitsui will sprechen, doch da öffnet sich die mit Papier bespannte Türe des Raumes und der Geschäftsführer der exquisiten Sushi-Bar Herr Matsumoto steht in derselben, um nach ihrem Unbehagen zu fragen. Frau Mitsuis Gäste sind plötzlich ganz verstummt und haben den Blick gesenkt. Annabel hat ihre Hände unter dem Tisch verkrampft. Sie warten alle auf das, was Frau Mitsui, ihre Gastgeberin, sagen wird. Höflich hält er den Kopf gesenkt und wartet. Nur Annabel blinzelt gelegentlich nach oben, um zu sehen, was weiter passiert.
Akiko Mitsui ist ruhig und wählt ihre Worte sorgfältig und mit Bedacht.
„Keine Sorge, es ist alles in Ordnung, wir haben uns nur alle über das Geschenk so gefreut. Wir möchten noch etwas Sake nachbestellen, bitte.“ Niemand der anderen Frauen wagt etwas anderes zu behaupten.
Der Kopf von Herrn Matsumoto wippt nur leicht und er bestätigt: „Aber gerne, ehrenwerte Mitsui-san und verzeihen sie mein Eindringen. Die ängstliche Kellnerin für ihren Raum werde ich auswechseln lassen. Bitte verzeihen Sie. Der Sake ist selbstverständlich ein Geschenk des Hauses. Gomen nasai, ich bitte sie die Unterbrechung zu entschuldigen.“
Frau Mitsui wedelt nur fächerartig mit ihrer Hand und der Geschäftsführer verschwindet sofort. Annabel ist vollkommen überrascht von dem Geschehen, doch die japanischen Sitten gebieten ihr als Fremde, sich nicht zu äußern und abzuwarten. Schließlich war die Einladung hierher für sie ein Privileg. Hisako, ihre Freundin, hatte sie darauf vorbereitet, keinen Ton von sich zu geben, sofern sie nicht aufgefordert wurde, etwas zu sagen. Was ihr sehr schwer fällt. Sie hat sich bereits am Anfang der Zusammenkunft schon zweimal auf die Zunge gebissen, sodass sie jetzt mindestens doppelt so dick sein muss. Sie schmeckt bereits Blut, doch der warme Sake hat es mit seiner Schärfe überdeckt. Vielleicht fällt es ihr deshalb leichter nichts zu sagen, man hätte sonst gemerkt, dass sie bereits leicht beschwipst ist. Denn sie hat vergessen nach dem zweiten Glas, es umzudrehen und so füllt ihr ihre andere Tischnachbarin, eine der Japanerinnen, höflich immer wieder nach. Trotzdem arbeitet es in ihrem Kopf und sie fragt sich, was noch kommt. Eigentlich sollte sie die Polizei rufen, aber keine der anderen Frauen reagiert. Frau Mitsui umschließt das Kästchen mit ihren Händen und wartet, bis die neue Kellnerin den Sake bringt. Sie beginnt wieder zu sprechen:
„Ich bitte Euch kein Wort darüber zu verlieren. Meine Familie ist euch dafür sehr dankbar und ihr kennt meine Familie. Ihr seid meine Freundinnen und ich kann mich auf euch verlassen. Nun zu Ihnen, Annabel-san. Ich hoffe, Sie bekommen keinen falschen Eindruck von mir.“
Annabel schüttelt instinktiv mit einem kleinen Lächeln den Kopf. Sie denkt sich, die Frau muss sich aber sehr gut im Griff haben, Respekt. Was will Frau Mitsui bloß von ihr, sie hat nicht den leisesten Hauch einer Ahnung. Halte dich an Hisako, die sie gerade hypnotisch anstarrt, sie fühlt ihren Blick regelrecht, sag vorerst kein Wort. Annabel reißt sich zusammen, irgendwie muss sie versuchen, an den Finger zu kommen, um zu testen, ob er echt ist oder ein Fake. Sonst hat sie keine Ruhe. Sie versucht langsam ein und auszuatmen. So tief war sie auch nicht in die japanischen Sitten und Kulturen eingetaucht, als dass sie sich mit einem leichten Schwips aus der Schlinge ziehen könnte. Plötzlich fällt ihr der Film mit den betrunkenen Karatekämpfern ein, wie hieß der noch, ach ja, „Drunken Master“. Sie muss leise kichern. Ich werde jetzt nicht albern. Beherrsche Dich und nimm Dir ein Beispiel an Frau Mitsui. Schnell verstummt Annabel und hält sich die Hand vor den Mund. Sie hat sich wieder im Griff und sieht Frau Mitsui gefasst an. Dieser verflixte warme Sake haut aber auch rein. Annabel ist sonst nur Wein oder europäische Spirituosen gewohnt. Sie bemüht sich um Haltung und versucht ihren Rücken gerade zu machen. Die Pause dauert schön lange, aber Japaner sind ja höflich und warten, bis sich ihr Gegenüber wieder im Griff hat. Dann spricht Frau Mitsui äußerst freundlich weiter:
„Gomen nasai, Entschuldigen Sie, aber Sie sind keine von uns. Ich möchte Sie anschließend gerne unter vier Augen sprechen. Bitte trinken Sie ab sofort Mineralwasser, bitte. Domo arigato.“
Annabel wird schlagartig nüchtern, errötet leicht und nickt, daran hat sie auch schon selbst gedacht, denn dieser Sake ist echt heimtückisch. Sie schaut kurz zu Hisako hinüber, kann aber keinen Blick mehr von ihr erhaschen. Alle haben den Kopf leicht gesenkt vor Respekt. Als der Sake und das Wasser da sind und die Papierwand wieder geschlossen, wartet Frau Mitsui, bis sie sicher ist, dass niemand von draußen lauschen würde. Zuerst stellt Frau Mitsui Annabel lächelnd ein Mineralwasser hin.
„Vergesst das Geschehene, meine Familie wird das Regeln! Lasst uns in Ruhe den netten Nachmittag beenden und ohne Angst und mit einem gefüllten Bauch nach Hause gehen. Genki desu, mir geht es gut. Das Kästchen bedeutet nichts, meine Lieben. Lasst uns den Rest der Feier genießen. Alles ist gut!“
Der weitere Nachmittag verläuft, als wäre nichts passiert. Die anderen Frauen haben sich einfach frisch gemacht und unter dem strengen Blick von Frau Mitsui wieder an ihren Platz gesetzt. Obwohl, das Kästchen ist noch immer da. Es steht geschlossen vor Frau Mitsui inmitten der anderen Geschenke. Es fällt kaum auf zwischen den vielen Gaben, wenn nicht alle wüssten, was es beinhaltet. Während sie alle erst zögerlich, dann aber fröhlich weiter essen und trinken. Annabel wird fast übel vor so viel Beherrschung. Ihrer aller Blicke meiden den Kontakt zum Objekt, aber aus den Augenwinkeln haben Frau Mitsui und Annabel ihn immer fest im Auge. Ihr graust ein bisschen davor, nachher mit Frau Mitsui allein zu sein, lässt sich aber nichts anmerken. Bis dahin würde sie sich schon etwas überlegt haben, um den Finger zu überprüfen, zu können. Sie will Frau Mitsui dann unbedingt davon überzeugen, zur Polizei zu gehen. Sie trinkt jetzt nur Mineralwasser, von etwas anderem wäre ihr auch nur schlecht geworden. Es wird langsam Abend und zum Abschluss wird noch eine landestypische Haifischflossensuppe gereicht. Danach verabschiedet Frau Mitsui eine Frau nach der anderen. Als letzte geht Hisako, mit einem letzten aufmunternden Blick auf Annabel, die nun mit Frau Mitsui allein ist. Sie nickt Hisako zum Abschied beruhigend zu und wartet ab. Annabel ist Hisako unendlich dankbar, ihr so einiges an japanischer Sitte und Gebräuche gezeigt zu haben. Sie ist nicht mehr allzu unsicher, wie sie sich verhalten soll.
Annabel wartet geduldig darauf, dass Frau Mitsui sie anspricht. Sie ist etwas überrascht, als diese noch einmal Sake für beide bestellt. Als der Sake auf dem Tisch steht, nimmt Frau Mitsui ausdruckslos ihr kleines Glas und gibt Annabel das andere. Dann schaut sie ihr in die Augen, was für japanische Verhältnisse eher ungewöhnlich ist: „Auf ihre Verschwiegenheit!“ Sie setzen die leeren Gläser ab und Frau Mitsui bedeutet ihr, gegenüber Platz zu nehmen. Was soll das jetzt mit Verschwiegenheit, sie muss das doch der Polizei melden. Annabel setzt an, um zu fragen, doch Frau Mitsui bedeutet ihr zu schweigen. Annabel fängt an, sich unwohl zu fühlen, was will diese Frau jetzt bloß von ihr.
Dann erklärt ihr Frau Mitsui ihr Anliegen: „Sie werden sich wohl wundern, warum ich Sie, eine Doitsu-jin, allein sprechen will. Aber Ihre Freundin und meine Cousine vierten Grades, Hisako, hat mir beiläufig von ihrem Beruf erzählt.“ Sie seufzte und holte tief Luft. Es schien ihr unangenehm, eine Fremde um etwas zu bitten.
„Nun denn, ich möchte Sie engagieren meinen Gatten zu suchen. Der abgeschnittene Ringfinger in dem Kästchen ist von ihm, ich habe den Ehering erkannt und es bedeutet eigentlich seinen Tod. Doch ich bin von Natur aus misstrauisch, vor allem in einem fremden Land. Es könnte auch eine Entführung sein, mein Vater besitzt eine gut situierte Traditionsfirma in Japan mit großem Einfluss. Bitte verstehen Sie! Ich muss es ganz genau wissen, bevor ich meinen Vater kontaktiere. Er ist bereits sehr alt und krank. Er verträgt keine Aufregungen. Nur sie können mir dabei helfen. Kudasai, bitte!“
Frau Mitsui schaut sie bittend an, eine kleine Träne rollt ihre Wange herunter. Sie senkt verschämt die Augen, die Hände wie betend zusammengefaltet und verbeugt sich kurz vor ihr. Annabel bekommt Mitleid mit dieser eigentlich so selbstbewussten, starken Frau und fühlt sich mulmig bei diesem kleinen Gefühlsausbruch. Was kann schon passieren, Annabel ist zwar nur die Sekretärin, doch ihr Freund Tom ist der Detektiv mit Lizenz und die Detektei „Albatros“ war dem Mann doch schon wegen Unterschlagung auf der Spur. Sie soll doch Frau Mitsui nur seinen Aufenthaltsort liefern. Den Rest würde sowieso dann die Polizei erledigen. Dafür brauchen sie sicher auch diesen Finger. Der Auftrag dürfte doch einfach werden und Tom wird ihr bestimmt helfen. Der letzte Sake macht sie wieder mutiger, trotz des reichlichen Mineralwassers. Sie verbeugt sich respektvoll bis auf Schulterhöhe ihrem Gegenüber, eine Würdigung an die Gastgeberin, das hatte sie von Hisako gehört, etwa drei Sekunden lang und gibt Frau Mitsui eine formelle Zusage.
„Sehr verehrte Frau Mitsui, ich werde mein Möglichstes tun, um Ihnen zu helfen. Bitte seien Sie versichert, dass ich Ihnen den Beweis, oder Hinweis, auf den Verbleib ihres Gatten liefern werde. Um eines muss ich sie noch bitten, geben sie mir das Kästchen für die Polizei mit. Oder, noch besser, bringen sie es selbst zur Wache. Bitte! Eine Untersuchung des Fingers ist dringend notwendig. Schließlich müssen wir wissen, ob er wirklich von ihrem Mann ist oder nicht! Vielleicht dürfte ich mir den Inhalt schon einmal genau ansehen?“
Frau Mitsui gibt ihr zögernd das Kästchen in die Hand und will sie dabei beobachten. In diesem Augenblick öffnet die neue Kellnerin die Türe, um nach dem abschließenden Service zu fragen und sie dreht sich in Richtung der Schiebetüre. Mit einem kurzen Blick auf Annabel redet sie einige Minuten mit ihr. Das ist die richtige Ablenkung, denn anscheinend muss sie einiges klären. Annabel lächelt und nutzt den unbeobachteten Moment instinktiv. Das Kästchen steht geöffnet vor ihr auf dem Tisch, ihre Handtasche liegt auf dem Stuhl neben ihr. Sie stellt sich zwischen Tisch und Tür, sodass Frau Mitsui das Kästchen nicht mehr im Blick hat. Schnell zupft sie mit einer Pinzette aus ihrer Tasche etwas Hautfetzen von dem Fingerstumpf und lässt die Probe in ein Taschentuch gleiten. Dann dreht sie sich wieder um. Gerade rechtzeitig, denn Frau Mitsui unterschreibt die Rechnung und wendet sich wieder ihr zu. Annabel tritt schnell zur Seite, tut so, als ob sie sich die Nase putzt und steckt das Taschentuch wieder in ihre Tasche. Sofort streckt Frau Mitsui ihre Hand nach dem Kästchen aus und legt wieder den Deckel darauf. Sie wickelt eine der weißen Stoffservietten herum und steckt es vorsichtig in ihre Handtasche.
„So, die Feier ist beendet und ich werde mich jetzt auf den Weg zur Polizei machen, wie sie es mir geraten haben. Nochmals, vielen Dank für ihre Hilfe und melden sie sich möglichst bald bei mir, Bachmann-san.“ Damit übergibt sie Annabel ihre Visitenkarte und verbeugt sich leicht mit einem kleinen Lächeln: „Domo arigato, danke schön!“
Frau Mitsui lässt ein Taxi für sich und eins für Annabel bestellen. Damit ist die Sache beschlossen. Sie fahren in entgegengesetzter Richtung fort.
Kapitel 1
Bella war froh, als sie zu Hause in ihren eigenen vier Wänden, der kleinen Dachgeschosswohnung, in der Altstadt ankam. Sie schloss die Tür hinter sich und lehnte sich kurz mit dem Rücken an die Tür, in ihrem Kopf drehte sich alles. Was hatte sie sich dabei gedacht, diesen Auftrag anzunehmen! Sie war doch nur die Schreibkraft, aber der Gedanke an ihre Freundin hatte sie vorschnell handeln lassen. Nun konnte sie nicht mehr zurück. Sie fühlte sich erschöpft. Sie warf den Schlüssel mitsamt der Visitenkarte auf die Kommode im Flur, streifte ihre Schuhe nacheinander ab und ließ die Handtasche fallen. Die lag jetzt offen vor ihr und mit zwei Fingern nahm sie das Taschentuch mit der Probe heraus, ging in ihre kleine Küche und steckte es in eine Frischhaltetüte. Sie öffnete ihren Kühlschrank, da war sowieso nicht viel drin und legte die Tüte ins oberste Fach. Sie schlug die Tür mit einem Ruck zu und atmete tief durch. Morgen früh würde sie dieses widerliche Teil als erstes, nach einem kleinen Frühstück, bei ihrem befreundeten Techniker im Kriminallabor vorbeibringen. Sicher ist sicher. Hoffentlich ging Frau Mitsui mit dem Finger auch zur Polizei.
Worauf hat sie sich da bloß eingelassen!
Mit einem tiefen Seufzer ging Bella in ihr Schlafzimmer und sank in ihren Klamotten auf ihr Bett. Verzweifelt versuchte sie noch ihren Kollegen Tom anzurufen, sie brauchte ihn jetzt zum Reden, aber sein Handy war aus. Keine Antwort. Sie ließ ihr Handy auf den Nachttisch fallen und starrte an die Decke. Ihre Augen wollten nicht zufallen. Was würde Tom wohl dazu sagen, oder ihr Chef, oder gar Hisako. Hoffentlich hatte sie nichts Verkehrtes gesagt oder getan. Himmel, war das ein anstrengender Nachmittag. Alles drehte sich. Sie rannte zum Klo und übergab sich. Mühsam schlich sie zurück ins Bett.
Annabel Bachmann, genannt Bella, mittelgroß, grüne Augen, sportlich, dunkelblonde Haare, wälzte sich unruhig in ihrem breiten Bett hin und her. Nachdem sie sich im Bad erleichtert und wieder ins Bett gekrochen war, hatte sie mit zitternden Händen nach den Schlaftabletten im Nachtschrank gesucht. Die Ärztin in Hamburg hatte ihr das Valium für den Notfall mitgegeben, weil sie sich geweigert hatte auf Dauer Psychopharmaka zu nehmen. Bella hatte eine Aversion gegen Tabletten jeglicher Art. Bisher hatte sie ihre Angstdepression auch so im Griff gehabt und war lange stabil gewesen. Doch jetzt hatte dieser Vorfall sie überrollt. Sie hörte noch die eindringlichen Worte ihrer Ärztin, möglichst nur eine halbe Tablette zu nehmen und niemals mit Alkohol. Doch ihr Zittern hörte nicht auf und kalter Schweiß brach ihr aus, als sie sich wieder hinlegen und die Augen schließen wollte. Die gruseligen Bilder dieser Tee Party ließen sie nicht los. Das grausige Kästchen, die kalten, blauen Augen der Gastgeberin und die blassen, ängstlichen Gesichter der Japanerinnen schwebten auf dunklen Wolken durch ihren Kopf. Oh Himmel, geht doch einfach weg! Da würde eine halbe Tablette ihr wenigstens durchgehenden, hoffentlich traumlosen, Schlaf geben. Das Röhrchen lag in der hintersten Ecke ihres Nachttisches und beinahe wäre ihr der ganze Inhalt auf den Boden gefallen. Bella kniete vor ihrem Bett und versuchte sich zusammen zu reißen. Sie nahm mit zittriger Hand eine halbe Tablette mit viel Wasser und füllte die restlichen Tabletten wieder vorsichtig ein. Dann verschwand das Röhrchen wieder da, wo sie es versteckt hatte. Erleichtert legte sie sich auf ihr Bett und starrte wieder an die Decke. Aufregende Träume würden zwar dennoch kommen, aber sie hatte einen Trick im Schlaf, um sie abzumildern. Ihr Traumfahrstuhl, der sie in ein ruhigeres Level brachte. Die Tablette half ihr, nicht in Panik zu verfallen und verfrüht aufzuwachen. Endlich fielen ihr die müden Augen zu und sie hoffte, der nächste Tag würde ihr wieder Mut und Elan bringen. Dann hatte sie auch ihre Freunde, die ihr helfen würden, den Vorfall irgendwie zu verarbeiten. Endlich schlief sie erschöpft ein, wilde Träume von Samurai und Ninjas, denen ein Finger fehlte, verfolgten sie fast bis zum Morgengrauen, als sie endlich in ihren Fahrstuhl flüchten konnte. Danach atmete sie ruhiger, schlief tief und fest ein. Endlich.
In ihrem kleinen Appartement unterm Dach in der Düsseldorfer Altstadt wurde es langsam hell. Erste Sonnenstrahlen schienen durch das kleine Dachfenster in ihr Schlafzimmer, direkt auf ihr Gesicht. Sie hatte vergessen das Rollo zu schließen. Es war morgens früh um sieben. Die ersten Schwalben begrüßten den sommerlichen Tag. Abrupt waren auch ihre Alpträume vorbei, zuletzt von einem Ehemann, der merkwürdigerweise wie Tom aussah, und zwei kleine, schreiende Kinder in einem kleinen Reihenhaus. Na ja, wenigstens waren dadurch die Ninjas verschwunden, die versucht hatten, ihr die Finger mit ihren scharfen Schwertern abzuschneiden. Da war sie schnell in ihren imaginären Aufzug gestiegen und ihnen nur knapp entkommen. Die letzten paar Stunden hatte sie wenigstens erholsam schlafen können. Sie fühlte die Sonnenstrahlen wärmend auf ihren geschlossenen Augen und dämmerte noch etwas vor sich hin. Da klingelte der Wecker plötzlich penetrant. Sie rollte sich grummelnd auf die Seite und hieb mit ausgestrecktem Arm ihre Hand darauf, sodass er auf den Boden fiel. Gähnend rieb sie sich den Schlaf aus ihren Augen und richtete sich langsam auf. Alles war wieder gut, wenigstens hatte sie noch ein paar Stunden durchgeschlafen. Trotzdem fühlte sie sich gerädert, wie nach einem Marathon. Sie brauchte jetzt unbedingt einen starken Kaffee, eine Dusche und andere Kleidung. Merkwürdig, sie hatte gar keine Kopfschmerzen, nach diesem japanischen Reiswein. Das jährliche Familientreffen am vorherigen Wochenende in Hamburg, auf dem sie nie fehlen durfte und jetzt noch dieses japanische Frauentreffen, beides hatte sie doch sehr mitgenommen. Dann war da noch der kurze, besorgte Anruf ihrer Mutter am späten Abend, oder mitten in der Nacht, an den sie sich fast nicht mehr erinnern konnte. Bella stöhnte auf, das alles hatte sie innerlich ziemlich erschöpft. Sie erinnerte sich nur verschwommen, dass sie ihre Mutter auf einen Rückruf vertröstet hatte, weil sie todmüde und bereits im Halbschlaf gewesen war. Dabei war sie die Einzige der Familie, zu der sie noch regelmäßig Kontakt pflegte.
Nach dem Tod ihrer Zwillingsschwester hatte sie den Geburtsnamen ihrer Mutter angenommen, um nicht mehr mit der Reederei ihres Vaters in Verbindung gebracht zu werden. Sehr zur Freude ihres Bruders, der nun die Geschäfte leitete. Ihre Eltern verbrachten ihren Lebensabend in ihrer herrlichen Villa an der Außenalster, mit einer Haushälterin und einer examinierten Pflegerin. Der Vater saß seit einem Schlaganfall im Rollstuhl und war stolz auf seinen Sohn. Für ihn waren beide Töchter gestorben und niemand konnte ihn vom Gegenteil überzeugen, auch Annabel selbst nicht. Er erkannte sie nicht einmal, wenn sie zu Besuch da war, für ihn war sie eine Fremde. Bella hatte damit abgeschlossen und wollte wieder mehr vom Leben als nur die Tochter aus reichem Haus sein. Ihr waren diese gesellschaftlichen Intrigen zuwider und die affektierten Partys, auf denen sie kaum ehrliche Gespräche führen konnte. Ihre Schwester hatte es genossen und sich gerne über die Leute lustig gemacht, wenn sie beide abends noch zusammen in der Gartenlaube die Sterne betrachteten. Bella konnte dann wenigstens mit ihr darüber lachen. Jetzt gab es sie nicht mehr und Bella hatte festgestellt, dass der Tod schneller kommen konnte, als man dachte. Sie hatte Angst davor, das Schicksal ihrer verunglückten Schwester zu teilen, wenn sie nicht weit weg von zu Hause bliebe. Deshalb war sie auch sechs Monate in Therapie in einer Privatklinik gewesen. Ihre Ängste hatten sie zu stark blockiert und zerrten an ihrer Seele. Nur ihre Mutter hatte Verständnis für ihre Befindlichkeiten. Zu ihr hielt sie weiter heimlich Kontakt, die anderen Familienmitglieder ignorierte sie, um ihren Seelenfrieden und ihre Nerven zu schützen. Ihrem Bruder und seiner Frau war das nur Recht.
Hier in Düsseldorf hatte Bella ihr eigenes, unabhängiges Leben und liebe Freunde gefunden.
Bellas Glieder fühlten sich ein bisschen an wie Blei und ihre Muskeln ächzten nach Erholung. Bloß nicht hängen lassen, ihr Körper brauchte nur wieder Koffein. Wenigstens hatte sie ihre neugewonnene Selbstsicherheit zurück. Sie konnte alles schaffen, wenn sie aufmerksam war und sie hatte ihre Freunde, die sie unterstützen würden.
Seit einiger Zeit verlief ihre Woche doch recht anstrengend. An drei Tagen intensive Schreibarbeiten in der Detektei Albatros, die dann sogar oft bis kurz vor Mitternacht dauerten. Sonst war es nicht so zeitaufwendig, Berichte für das Büro nach Band zu schreiben und sie hatte öfters mal frei. Aber Erich Rothbaum, Chef der Detektei Albatros, war bei dem jetzigen Fall mit den Japanern recht penibel. Herrje, und ins Englische übersetzten sollte sie das auch noch. Dafür bekam sie allerdings extra Honorar. Obwohl sie einen Fond von ihrer Familie besaß, wollte sie finanziell so weit wie möglich unabhängig bleiben. Niemand wusste hier in Düsseldorf, wer sie in Wirklichkeit war und das sollte auch so bleiben. Nur ihr Chef Erich Rothbaum war im Bilde, ihr polizeiliches Führungszeugnis kam ja aus Hamburg und er schwieg eisern. Ihm konnte sie vertrauen. Ihr jetziges Leben gefiel ihr, so wie es war, unbeschwert, abwechslungsreich und unabhängig. Na ja, bis auf den vergangenen, gruseligen Zwischenfall.
In ihrer gemütlichen Wohnung stolperte Bella vom kleinen Schlafzimmer durch den Flur in die Wohnküche. Verflixt, dabei hatte sie sich ihren kleinen Zeh am Türpfosten gestoßen, sie biss die Zähne zusammen und humpelte bis der Schmerz langsam nachließ. Rasch räumte sie ein paar Sachen zur Seite und wollte die Tür zu ihrer kleinen Dachterrasse schließen. Sie hielt inne und lauschte. Die Terrasse hatte mal gerade Platz für einen Liegestuhl, zwei Klappstühle, einen kleinen Tisch und eine halb vertrocknete Palme. Hier ruhte sie gern abends aus, um vom Tag herunterzukommen und ihren Blick über den nächtlichen Rhein schweifen zu lassen. Nachts lullten sie dann die Geräusche bei offener Tür ein. Das Hupen der Berufsschiffer und das Schlagen der Wellen an die Uferböschung wirkten beruhigend nach einem ereignisreichen Tag. Die Geräusche erinnerten sie an zu Hause und nahmen ihr das Heimweh, das sie doch manchmal heimlich überfiel. Frühmorgens machte sie schon mal ein paar Dehnübungen, wenn es nicht regnete. Jetzt roch sie mit geschlossenen Augen die feuchte Luft, die vom morgendlichen Rheinnebel herüber wehte und atmete tief ein. Sie hatte heute keine große Lust auf sportliche Tätigkeiten, nach den Atemübungen fühlte sie sich bereits besser. Sie war versucht sich niederzulassen und die frische Luft noch länger zu genießen. Nichts da, wach bleiben und beeilen, sie wurde gegen Mittag im Büro erwartet und sie hatte doch vorher noch was Wichtiges zu erledigen. Entschlossen schloss sie mit einem lauten Ruck die Terrassentüre, ging zurück ins Bad und roch an ihren alten Klamotten. Pfui, sie rochen nach Schweiß, bestimmt Angstschweiß von gestern. Sie schaute in den Spiegel und erschrak über das graue Gesicht, dass ihr dort entgegenblickte. Dieser warme Sake hatte ordentlich Spuren hinterlassen, verflixt. Schnell unter die heiße Dusche. Sie ließ das heiße Wasser über ihren Kopf den Körper hinunterfließen und nahm ihr duftendes Shampoo zur Hand. Ach, herrlich, als ob sie sich alle Sorgen herunter wusch. Nach dem Abduschen schnell abtrocknen und dann fertig machen. Noch etwas Make-up half da sicher auch, etwas Tusche und Lippenstift, dann relativ frische Sachen an und wieder raus hier. Im Wohnraum stand der leere Kleiderständer, daneben der Wäschekorb, Mist. Bella wühlte darin und schlüpfte in eine dunkelblaue Jeans, schnüffelte an einem roten T-Shirt, sie sollte ein Neues anziehen, aber die Waschmaschine war noch immer nicht ausgeräumt. Heute Abend musste sie die Sachen unbedingt auf ihrer Terrasse zum Trocknen aufhängen, sonst hatte sie bald nichts mehr anzuziehen. Sie seufzte ärgerlich auf. Das rote Shirt roch jedenfalls nicht nach Angstschweiß, nur etwas muffig. Sie verzog trotzdem angewidert ihr Gesicht. Bella zog dann doch lieber das dunkelgrüne Shirt von vorgestern an, dass sie noch im Bad hatte, hängen sehen. Das roch jetzt wenigstens nach ihrem großartigen Duschgel. Sie sollte sich mal wieder etwas Schickes gönnen.
Ihr fiel plötzlich der jadegrüne Seidenanzug ein, den Frau Mitsui bei der Teegesellschaft getragen hatte. Der war bestimmt sündhaft teuer gewesen und sie hatte nicht einen Fleck nach dem aufregenden Ereignis darauf gesehen. Kein Soßenfleck oder so. Dabei hatte die Frau ihren Trinkbecher fast fallen lassen. Bella schüttelte ihren Kopf. Den Anzug hatte sie mal in rubinrot im japanischen Kaufhaus gesehen, wo die Japanerinnen meistens einkauften. Herrje, sowas gab es sicher auch in einer der kleinen Boutiquen, in Saphir-blau würde der ihr auch stehen. Bella nahm sich vor, gleich übermorgen einmal danach zu suchen. Doch jetzt musste sie sich sputen, Bella seufzte und lächelte zaghaft. Positive Gedanken würden ihr wieder Mut geben und die Vorfreude auf ein neues Kleidungsstück war doch positiv, oder?
Sie ging in die Küche. Der Kühlschrank könnte auch wieder mal Nachschub gebrauchen. Igitt, da lag ja die Tüte mit der Hautprobe. Eigentlich hatte sie sich gewünscht, das mit dem Kästchen hätte sie nur geträumt. Aber nun erschreckte es sie zum Glück nicht mehr so sehr. Verflixt, sie blickte auf ihre Uhr, sie musste sich wirklich beeilen und sofort damit ins Labor fahren, bevor sich da zu viele Leute tummelten. Es sollte doch niemand davon erfahren und Sebastian war eigentlich sehr verschwiegen, wenn ihn niemand bei einem Gefallen für die Detektei erwischte. Die Sache mit dem halben Finger machte sie wieder vollkommen nervös und ihr wurde leicht übel. Sie hatte einen bitteren, galligen Geschmack im Mund und spülte ihn schnell mit Mundspülung im Bad aus. Bella war froh, wenn sie die Tüte abgegeben hatte und nie mehr sehen musste. Sie blickte noch schnell in den Spiegel und war zufrieden.
Wieder in der Küche griff sie nach einer Schale, holte einen Esslöffel und öffnete den Schrank. Nach einem mageren Frühstück mit Haferflocken und Milch, Mist, die war schon wieder sauer, also mit Kranwasser, packte sie rasch ihre Sachen zusammen. Ihr Magen hatte wenigstens etwas zu verdauen und war beruhigt. Schon fühlte Bella sich fit genug, um loszustürmen. Na ja, ein starker Kaffee täte jetzt wirklich gut, aber sie hatte wie immer keinen im Haus. Gut, dass es unten Pedros Coffeeshop gab, bei dem holte sie sich, wie fast jeden Morgen, ihren Aufwachkick, Milchkaffee mit einem Schuss Karamell zum Mitnehmen. Pedro sorgte für sie, wie ein Vater und sie mochte seine große Familie. Seine Frau Maria achtete darauf, dass Bella mindestens abends eine warme Mahlzeit hatte. Bella packte jetzt die eklige Tüte mit der Gewebeprobe vorsichtig an, griff sich ihre Schlüssel von der Kommode und hob ihre braune Umhängetasche aus speckigem Leder auf, in der sie ihre lebensnotwendigen Utensilien, wie Deo, Handy, Pinzette und Pfefferminz-Bonbons befanden. Eine weitere Auflistung wäre zu umfangreich und sie kannte den Inhalt schon selbst nicht mehr genau. Bald brauchte sie eine Taschenlampe, um irgendetwas darin zu finden. Schnell ließ sie die eklige Tüte hineinfallen und warf sich die Tasche über die Schulter. Bella hoffte noch, dass alles ein makabrer Scherz war und das Ganze nur eine Prüfung ihrer Integrität oder die Abschreckung einer Gaijin war. Damit käme sie klar, aber sollte das Gewebe echt sein, fürchtete sie, dem nicht ohne Hilfe gewachsen zu sein. Ihr Chef wäre nicht besonders begeistert über ihren eigenwilligen Einsatz. Rasant hüpfte sie die Treppen der fünf Etagen runter, schon 8.30 Uhr. Warum gab es hier bloß keinen Aufzug? Wahrscheinlich würde der auch noch steckenbleiben bei ihrem Glück. Aber nachdenken sollte sie darüber, die alte Dame im vierten Stock kam kaum noch vor die Türe. Bisher hatte die Familie aus dem dritten Stock ihr immer geholfen und für sie eingekauft. Gelegentlich hatte auch Bella Besorgungen für sie erledigt. Jetzt ließ Frau Jovanovic sich oft die Sachen liefern. Das mit dem Aufzug würde sie später mal mit Pedro besprechen, denn insgeheim war sie zwar die Eigentümerin des Hauses, aber er kümmerte sich um alles Technische hier. Sie erreichte die letzten Stufen und wäre beinahe gestolpert, konnte sich aber gerade noch fangen. Bella hielt für einen Moment an und atmete tief durch. K a f f e e, ich brauche dringend Kaffee!
Gott sei Dank haben sie gestern Mittag vor ihrem japanischen Frauentreffen einen Parkplatz fast direkt vorm Haus gefunden. Ihre Freundin Hisako hatte sie mit dem Taxi abgeholt. Es hatte Bindfäden geregnet und sie war knapp zwischen den Regentropfen durchgeschlüpft, weil sie keinen Regenschirm besaß. Der warme Mai Regen wollte an dem Tag gar nicht aufhören. Sie hatte angemessene Kleidung anziehen müssen. Eine dunkle Hose und eine weiße Bluse, die sie sonst nur für Feiertage im Schrank hatte, mit einem schwarzen Jackett darüber. Jetzt wieder in ihren Alltagsklamotten, Jeans, T-Shirt und Turnschuhe, fühlte sie sich viel wohler.
Bella war unten angekommen, jetzt aber schnell in den Coffeeshop. Pedro hielt ihr den fertigen Kaffee schon grinsend entgegen. Er hörte sie immer die Treppe herunterrennen, weil sie es meistens eilig hatte. Sie nahm dankbar den Kaffee entgegen, aber beim Umdrehen rempelte sie mit einem jungen Mann zusammen, der eine Tüte mit frischen Brötchen in der Hand hielt und aus der Küche kam. Die Tüte riss und die Brötchen kullerten auf den Boden.
„Oh, entschuldigen sie, ich habe sie nicht gesehen!“
Blaue Augen schauten sie erst vorwurfsvoll an, doch dann lächelte der Typ wieder. „Kein Problem, Maria gibt mir neue Brötchen mit. Meine Tante ist da sehr penibel!“
Bella schaute ihn fragend an. „Ähem, ich bin Kai-Uwe und wohne in den Semesterferien bei meiner Tante, Frau Jovanovic, vierter Stock!“ Sie lächelte zurück und zwinkerte ihm zu: „Schön, ich bin Bella aus dem fünften Stock, dann sehen wir uns bestimmt noch ein paar Mal! Liebe Grüße an ihre Tante, ich muss jetzt aber los!“
Bella warf Pedro noch einen Handkuss zu und eilte mit dem Kaffee in der Hand zu ihrem Auto. Wenn sie so weiter machte, war sie bald am Coffeeshop beteiligt. Heute schien auch wieder die Sonne hinter den abziehenden Wolken und ließ die letzten Pfützen trocknen. An der Straße pustete Bella auf ihren Becher und nahm erst einmal einen großen Schluck Kaffee. Ihr Kreislauf begann wieder auf normal zu schalten. Sie atmete auf, erblickte erleichtert ihr Auto und lief langsam darauf zu. Sie schloss die Fahrertür auf und warf ihre Tasche auf den Beifahrersitz. Das Labor müsste jetzt bereits besetzt sein, hoffentlich war Sebastian Dragovic noch allein da. Er war mit ihrem Chef Erich Rothbaum aus der Detektei gut bekannt und hatte schon öfters versucht Bella zum Essen einzuladen. Bisher ohne Erfolg. Sie stand nicht so auf blonde Jungs. Aber für so einen Gefallen, würde sie es schon machen, war ja nichts dabei.
Mehr über die Autorin erfahrt ihr hier: www.uschilangesbuecherkrimis.jimdo.com





