Königsplatz, 10. Mai 2011.
16.00 Uhr, Königsplatz München. Auch dort, wo der Rasen nicht rundverbrannt wurde, zum heutigen Gedenken an das Geschehen 1933, ist der Rasen glutgelb verfärbt. Vor der Glyptothek steht ein weißes Zelt mit Technik, davor reihen sich gut besuchte Bierbänke. Schattenlose Zuhörer und seltsam fremde Zufallstexte. Wechselnde Gesichter, Stimmen, Stimmungslagen. Schön das Vater-Sohn-Duo, das mit sonorer Klanggewalt und mit Gitarren-Akkord-Untermalung deklamiert – ich weiß nicht mehr genau, was. Die deutsche Jugend, falscher Klassenkampf und ungerechter Krieg in Ewigkeit, war das der Inhalt?
Manche Menschen hängen sich ans Mikro, als hinge ihre Existenz davon ab, gehört zu werden. Aus 5 angebotene Leseminuten werden schnell 10 und mehr. Trotz der großen Mahnuhr auf dem schwarzbezogenen Tisch.
16.30 Uhr. Dann endlich sind wir doch an der Reihe. Wir, Anna Roma und ich. Eingedenk des Gehörten und Erlebten fassen wir uns. Kurz.
Wir lesen Gedichte von Else Lasker-Schüler, geboren 1869 in Deutschland, gestorben 1945 in Israel.
Wir lesen Else Lasker-Schüler, weil sie von Hitler gleich dreimal verbrannt wurde. Als Jüdin, als Frau und als Künstlerin.
Wir lesen Else Lasker-Schüler, weil sie in Deutschland allen bekannt und von niemandem erkannt war.
Wir lesen Else Lasker-Schüler, nicht, weil sie Männer und Sicherheit verließ, nicht, weil sie Konventionen und Moral in den Wind schrieb.
Wir lesen Else Lasker-Schüler, weil sie immer vom Leben vertrieben wurde. Und sich deshalb immer allem ganz und kompromisslos ergab. Der Leidenschaft. Der Liebe. Den Worten.
Wir lesen Else Lasker-Schüler, weil sie nie und nirgends zu Hause war. „Mitten unter Leuten war sie von Einsamkeit umhüllt, als würde sie ihre Zelle mit sich herumtragen, wie eine Schnecke ihr Schneckenhaus.“ So hat der Maler Miron Sima sie in ihren letzten Jahren in Jerusalem beschrieben.
Ich lese mein Lieblings-Liebeslied. Von Else Lasker-Schüler:
„Wie ein heimlicher Brunnen
Murmelt mein Blut,
Immer von dir, immer von mir.
Unter dem taumelnden Mond
Tanzen meine nackten, suchenden Träume;
Nachtwandelnde Kinder,
Leise über düstere Hecken.
O, deine Lippen sind sonnig…
Diese Rauschedüfte deiner Lippen…
Und aus blauen Dolden silberumringt
Lächelst du … du, du.
Immer das schlängelnde Geriesel
Auf meiner Haut
Über die Schulter hinweg –
Ich lausche…
Wie ein heimlicher Brunnen
Murmelt mein Blut…“
