Was macht eigentlich…..


Was macht Jesus eigentlich am Samstag nach seiner Keuzigung? Am Karsamstag oder am Ostersamstag? Schon, wie wir diesen Tag zwischen Tod und Leben nennen, hat viel mit unserer Gewichtung dieser Zeit zu tun.

Karsamstag verharrt in der Trauer, gefangen in Tod und Vergänglichkeit. Ostersamstag öffnet den Hoffnungsblick hinter den Horizont.

Am Samstag zwischen Karfreitag und Ostersonntag ist der Spalt dieser Tür schon ein wenig geöffnet, die den Raum zum Leben freigibt.

Was macht Jesus am Samstag? In einigen Kirchen liegt er aufgebahrt in einem Blumenmeer. Eine Tradition, die bis ins 10. Jahrhundert zurückführt. Ein mir sehr lieber Monsignore schrieb heute auf Instagram dazu, Jesus räume heute schon mal die Unterwelt auf.

Oder ruht er im Grab? Ist er sich vielleicht selbst nicht ganz sicher, ob er auferstehen wird, morgen? Oder schläft er, endlich, geborgen und unerreichbar für die Welt mit ihren Wünschen, Forderungen, Drohungen, mit ihrer Heldenverehrung und ihrem Hass. Mit ihrer tödlichen Gewalt?

Natürlich ist es müßig, sich solche eine Frage zu stellen. Sie kam mir gestern während eines Orgelkonzerts in der Sendlinger Himmelfahrtskirche. Die Töne brausten, rauschten, zischten, dröhnten, sie flüsterten und schmeichelten. Und da es um Jesus ging, in diesem Bachkonzert, kam mir die Frage in den vom Alltag leergefegten Sinn.

Was mache ich an diesem Samstag? Ergebe ich mich der Hektik, die einem Fest beinahe zwingend vorauszugehen scheint? Wenn Menschen kaufen, als stünde das Ende der Konsumwelt bevor, über ich mich in Zurückhaltung.

Aber ich mähe und pflanze und dünge, als gäbe es morgen kein Urbi et orbi, sondern ein Obi et Orbi, wie der Kolumnist im Sonntagsblatt treffend schrieb.

Nein. ich feiere kein Frühlingsfest und auch nicht das Erwachen der Natur. Das zelebriere ich bei meinen täglichen Hunderunden und dokumentiere seit 2 Monaten, wie sich die Knospen aus dem Winterschlaf schälen.

Ich feiere das Licht, das meine Dunkelheit zerreißt. Nachhaltig. Auf ewig.

Auch, wenn mir gerade jetzt die Menschen und die Tiere, die ich liebe und die ich nicht mehr um mich habe, ganz besonders fehlen. Auch, wenn mir gerade jetzt die Kraft ausgeht und ich tatsächlich denke, dass ich im Grunde gerne dieser Sehnsucht und meinen Lieben folgen möchte. Lieber früher als später. Jetzt sofort. Gerade dann spüre ich die Dankbarkeit darüber. dass ich daran glauben darf: es geht weiter. Besser. Ohne diesen Glauben wäre ja auch meine Trauer abgrundtief und bodenlos.

Jesus, der Christus, war vielleicht nie so sehr Mensch wie am Karfreitag. Welche Schmerzen, welches Leid. Und welche Ängste. Jeder, ob er oder sie glaubt oder nicht, kann das nachvollziehen. Jedem ist Jesus an diesem Tag nah. Als einer von Millionen, die gequält, gefoltert und getötet wurden und werden. Als einer von uns, die wir sterben werden. Viele, die nicht glauben – an Gott. an Götter, an Schuld und Erlösung, betrachten mich heute mitleidig oder, auch das, verächtlich. Manche werden angesichts meiner Osterfreude sogar aggressiv. Dabei ist unsere Motivation genau die gleiche. Nur mit umgekehrten Vorzeichen.

All das Leid, die Ungerechtigkeit, das Unvollkommene, all die Gewalt auf unserer Erde und in unserer Welt – für mich sind gerade sie Grund und Anlass zum Glauben. Verankert im Ostergeschehen.

Egal, was Jesus heute gemacht hat.

Ich gehe ins Bett. Und freue mich darauf, morgen das Licht zu feiern. In mir. Und zu hoffen, dass ich es weitergeben kann. Wortlos und nur mit einem Lächeln.

Adventskalender MiniKrimi am 12. Dezember


Aus Gründen

„Morgen.“ „Hi.“ „Uaahh – griaß Eich.“ Montagmorgen, sieben Uhr. Die Mitarbeitenden des kleinen Transportunternehmens Münchner Süden stehen zusammen in der engen Teeküche. Halten Tassen mit Tee oder Kaffee in der Hand. Gähnen. „Servus, Leute.“ Der Chef steht in der Küchentür. „Weiß einer von Euch, was mit dem Reza los ist?“ Allgemeines Kopfschütteln. „Muss krank sein, normal ist der doch immer als erster da…“ „Ihr habt’s aber nix von ihm gehört?“ „Na.“ Nee.“ „Nein.“

Als Reza im Laufe des Tages weder auftaucht noch anruft und auch niemand in seinem Auftrag eine Krankmeldung vorbeibringt, fängt der Chef an, sich Sorgen zu machen. Dieses Verhalten passt einfach nicht zu dem jungen Iraner. Reza arbeitet inzwischen seit 2 Jahren bei ihm, und noch nie hat er einen Tag gefehlt. Immer hat er alle Aufträge perfekt erledigt. Nie gab es eine Beanstandung, weder von Kunden noch von Kollegen. 

Die einzigen Probleme, die Reza hatte, haben mit seinem Aufenthalt zu tun. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, die Berufung ebenfalls. Nun besitzt er als einziges Ausweisdokument eine so genannte Duldung bzw. „Aussetzung der Abschiebung.“ Damit lebt Reza auf Messers Schneide, das Damoklesschwert der Abschiebung ständig über sich. „Wenn die mich zurückschicken, bin ich so gut wie tot,“ hat er manchmal, selten, im Gespräch mit seinen Kollegen gesagt. Und dabei gelacht. Um nicht zu weinen. Er ist Christ, und Christen werden im Iran ins Gefängnis gesteckt und nicht selten gefoltert. „Sie müssen ihren Glauben ja nicht offen ausüben. Wenn keiner weiß, dass sie Christ sind, passiert Ihnen auch nichts“, hat die Richterin als Erklärung der letzten Antragsablehnung gesagt. 

Aber selbst wenn Reza seinen Glauben verheimlichen würde, wären seine Überlebenschancen in der Heimat gering. Denn er leidet unter MS. Und auch, wenn ein iranischer Biologe vor kurzem ein Antigen zur Heilung der Krankheit entdeckt hat, fehlen in Rezas Heimatprovinz Mazandaran sogar die nötigsten Medikamente. 

Reza will nicht zurück. Es geht ihm gut, zum ersten Mal in seinem Leben muss er sich nicht verstecken. Er kann zur Kirche gehen, wann und so oft er will. Am helllichten Tag. Er übernimmt in der Gemeinde sogar kleine Aufgaben. Aus Dankbarkeit. Und aus Freude. Sein Neurologe hat ihn gut eingestellt, er kann trotz MS arbeiten. So viel, dass er sich ein kleines Appartement leisten kann. Er hat Freunde. Nicht viele, aber mehr als im Iran. Als das Militär den Gottesdienst sprengte und über die Hälfte der versammelten Menschen festnahm, stand Rezas Entschluss fest. In diesem Land konnte er nicht weiterleben. Nach Monaten im Gefängnis war sein Gesundheitszustand so bedenklich, dass er „zum Sterben“ nach Hause geschickt wurde. Seine Familie legte zusammen und finanzierte ihm die Flucht nach Europa. Eigentlich wollte er nach Schweden, zu seinem Onkel. Doch in Deutschland war Endstation. 

Inzwischen hat er sich nicht nur mit seinem neuen Wohnort arrangiert. Er fühlt sich zu Hause. Angekommen. Angenommen. Mittendrin. Und jetzt?

„Wo kann er nur sein?“, fragt sein Chef den Pfarrer der Gemeinde, die Reza regelmäßig besucht. Er hat ihn unterstützt, ihm dabei geholfen, einen guten Deutschkurs zu besuchen und noch einen, so lange, bis er sich gut verständigen konnte. Ist mit ihm die ersten Schritte gegangen und hat ihm Mut gemacht für sein neues, selbständiges Leben. Auch er hat keine Ahnung, aber eine Befürchtung. Gemeinsam fahren sie zu Rezas Wohnung. Klingeln. Nichts. Warten. Schließlich schaut eine Flurnachbarin aus ihrer Tür. „Der ist nicht da. Den haben sie heute Nacht abgeholt. Pack, ausländisches. Jeder von denen ist einer zuviel. Wir sind ja hier nicht….“ Die beiden Männer lassen die Frau stehen und laufen die Treppen hinunter. Es dauert mehrere Stunden, bis es ihnen gelingt, zu erfahren, was genau passiert ist. Und wo Reza sich jetzt befindet. Vermutlich.

Die Landespolizei hat Reza gegen Mitternacht in der Wohnung überrascht und mitgenommen. Am Flughafen wurde er der Landespolizei übergeben und nur zwei Stunden später in ein Flugzeug nach Teheran gesetzt.

Aktivisten von Amnesty International, die in der Iranischen Hauptstadt die Ankunft des Flugzeugs beobachtet haben, berichten später, dass mehrere junge Männer von bewaffneten Militärs abgeführt worden seien.

Monate vergehen. Dann liegt im Postkasten des Pfarramts ein Päckchen. Ein kleines Tagebuch. Auf Deutsch. Auf der letzten Seite steht:“ Lieber Pfarrer W., ich danke Ihnen und allen, die ich in München kennenlernen durfte. Sie haben mir die schönste Zeit meines Lebens geschenkt. Ich bin sicher, wir werden uns wiedersehen. In einem anderen, besseren Leben. Gott schütze Sie.“ 

Das Büchlein wurde dem Pfarrer über die Deutsche Botschaft geschickt. Es habe einem jungen Mann gehört, der in einem Teheraner Gefängnis gestorben sei. Unter natürlichen Umständen, hieß es.

Diese Geschichte ist nicht frei erfunden. Sie setzt sich zusammen aus vielen einzelnen Schicksalen. Einige habe ich in meiner Zeit als Asylberaterin selbst begleitet. Wenige erhielten eine Anerkennung und durften bleiben. Viele wurden abgeschoben. Einige sind nach ihrer Rückkehr verschwunden, andere wurden getötet. In diesen Tagen sind wieder einige iranische Christen in Gefahr, abgeschoben zu werden. Für manche von ihnen ist das ein Todesurteil.