MiniKrimi Adventskalender am 19. Dezember


In der Kürze liegt die Würze. Oder Mut zur Lücke? Vielleicht möchte ich aber auch nur einmal einen MiniKrimi OHNE Tippfehler veröffentlichen?

Alles und nichts von alledem. Heute Morgen las ich auf einer FB-Gruppe (für Krimi Autor*innen), deren Mitglied ich bin, folgende Tagesaufgabe: Minikrimi mit Handycap: max 30 Worte und keines darf 2x vorkommen.

Gesagt, getan. Ja, ich kann auch kurz und kürzer. Und Ihr freut Euch vielleicht, dass Ihr heute nicht so lange auf das Krimi Türchen warten müsst und schneller ins Bett kommt. Oder zu den noch nicht erledigten Vorweihnachtsaufgaben.

Et voilà. Der Titel wird übrigens nicht mitgezählt. Ebensowenig wie die Anführungszeichen.

Date à la carte

„Schatzi, wir ham nur noch eine Keule inner Truhe. Du musst wieder in die Dating App. Such diesmal aber bitte was mit mehr Fleisch auf den Rippen aus.“

MiniKrimi Adventskalender am 14. Dezember


Mosting oder Mord?

Ewa ist seit unglaublichen vier Jahren Single – aus Gründen, wie sie gerne kryptisch lächelnd erklärt, wenn Bekannte sie ungläubig anschauen. Denn Ewa sieht so aus, als könne sie sich vor Verehrern nicht retten. Da wird doch wohl einer dabei sei, mit dem sie es wagen könnte. Und wenn nicht – wartet der Nächste sicher schon auf seine Chance.

Aber nein – Ewa hat niemanden erhört und erwählt. Aus Gründen.

Warum meldet sie sich dann ausgerechnet jetzt bei einer Dating App an? Auch noch bei einer, bei der man nach rein optischen Kriterien „aus dem Bauch heraus“ – oder vielleicht doch etwas tiefer? – nach links oder rechts swiped? Wir kennen Ewas Antwort: aus Gründen.

Kaum hat sie ihr Profilbild hochgeladen, kommen auch schon die ersten Likes. Ewa hat nichts anderes erwartet, denn das Bild zeigt eine Frau mit langen blonden Haaren, gewinnendem Lächeln und großen, freundlichen Augen. Nicht aufgestylt, sondern natürlich. Klassisch. Genau so soll das ideale Profilbild aussehen.

Schon am ersten Abend hat Ewa einige Matches. Doch sie lässt sich Zeit. Drei, vier Männer verwirft sie nach den ersten Chats gleich wieder. Zu platt, zu offensichtlich, zu bedürftig.

Doch dann erhält sie eine Chatnachricht von Ben. Ben – sie schaut noch einmal nach – ja, richtig. Das war der dunkelharige Mittdreißiger (so steht es zumindest im Profil) mit den blauen Augen. Sie hat ihn geliked, weil sein Foto so authentisch ist. Er lehnt an einer Hauswand, im Hintergrund ein Ufer mit Segelbooten. Blaues T-Shirt, Jeansjacke, ganz leises Lächeln. Keiner, der auf den ersten Blick smashen will. Aber seine Chateinladung berührt sie: „Hallo Ewa, ich möchte dich kennenlernen. Das schreibt wahrscheinlich jeder, aber ich kann keine Originalität vortäuschen, wenn es um banale Fakten geht. Dein Bild gefällt mir, ich würde gerne mehr über dich erfahren, mehr von dir sehen. Wenn es dir mit mir genausp ginge, wäre das der erste Schritt auf meiner Himmelsleiter.“

Das ist keine Anmache. Das klingt nach echtem Interesse. Ewa spürt ein Kribbeln auf der Haut, so fremd, dass sie es beinahe nicht erkennt. Sie zögert kurz, dann gibt sie nach. Wirft alle Erinnerungen an frühere Verletzungen über Bord und springt kopfüber in den Strudel aus verliebtem Werben.

Mit jedem Chat kommen Ewa und Ben sich näher. Er schreibt ihr Dinge, die noch nie ein Mann zu ihr gesagt und ganz sicher auch nie über sie gedacht hat. Er versteht es, ihr Herz in seine Hände zu nehmen, sanft und behutsam. Er spürt ihre Zerbrechlichkeit und legt sich um ihre Angst wie Watte. „Ich bin deine Zuckerwatte“, flüstert er ins Telefon. Ich umgebe dich mit mir – komm doch und schmecke mich.“

„Ich. Habe. Angst.“ Jetzt hat sie es gesagt. Wird er verschwinden, wird er sie ghosten, weil ihm das verbale Vorspiel zu lange dauert? Nein. „Ich liebe dich mehr als mein Leben, Ewa. Ich warte auf dich bis ans Ende aller Tage. Bis wir beide alt und grau sind, meinetwegen. Es gibt nur dich für mich. Das weißt du.“

Und sie glaubt ihm. Ihre Angst wird brüchig, und sie zeigt es ihm.

Die erste Nacht bei ihm ist unbeschreiblich. Schön. Die zweite Nacht bei ihr womöglich noch viel schöner. „Wo stehst du jetzt auf deiner Himmelsleiter?“, flüstert sie an seinem Hals. „Die Leiter? Brauche ich nicht mehr. Ich bin auf Wolke sieben. Und dort bleiben wir für immer.“

Am nächsten Morgen liegt neben Ewa nur ein zerknittertes, liebesfeuchtes Seidenlaken. Kreditkarte und Bargeld sind verschwunden. Ebenso ihr goldenes Medaillon. „Das Abschiedgeschenk meiner Mutter, mein wertvollster Schmuck“, hat sie Ben vor ein paar Stunden noch erklärt.

Den ganzen Tag schaut sie auf die Dating-App. Keine Nachricht von Ben. Sein Profil ist gelöscht. Mosting soll noch viel schmerzhafter und grausamer als Ghosting. Weil dir jemand nicht nur Verliebtheit vorspielt, sondern die ganz große Liebe. Und weil, wenn er diesen Traum zerstört, deine Selbstachtung zerbricht.

Und wie geht es Ewa? Die Begründung für ihr konsequentes Singledasein, das war das unheilbare Geschenk ihres langjährigen Verlobten. Er hatte sie mit Lues angesteckt, und als die Krankheit bei ihr entdeckt wurde, hatte der Erreger bereits ihr zentrales Nervensystem befallen. Die Behandlung mit Antibiotika konnte den Verlauf nur noch abmildern und verzögern. Der Schock darüber nahm ihr jede Lust auf eine neue Beziehung. In der Ruhephase nach dem zweiten Krankheitstadium versuchte Ewa, ihr normales Leben wieder aufzunehmen. Doch mit dem dritten Stadium kam, mit der Müdigkeit, der Schwäche von Augen und Muskeln, die Wut. Eine kalte, harte Wut auf alle Männer. Ihren Verlobten konnte sie nicht mehr bestrafen. Er hatte sich vor drei Jahren während eines von der Neuro Syphilis ausgelösten depressiven Schubs erhängt.

Vielleicht leidet auch Ewa bereits unter Wahnvorstellungen? Jedenfalls sind für sie Männer allesamt potentielle Mörder – und müssen mitleidslos bestraft werden. Auf der Dating App suchte und fand sie schnell ihr erstes „Opfer“. Kühl und jeder Emotionen beraubt durschaute sie Bens Liebesschwüre. Und rächte sich an ihm. Medaillon, Kreditkarte – alles gefakted. Um ihn in Sicherheit zu wiegen.

Die Syphilis oder Lues ist bis zum dritten Krankheitsstadium hoch ansteckend. Allerdings verläuft die erste Phase nach der Infektion meist symptomlos oder unerkannt. Bis Ben merkt, welchen Preis er für sein Mosting gezahlt hat, wird vielleicht auch er dem sicheren Tod entgegen gehen.

In der Zwischenzeit verändert Ewa ihr Profil und beginnt wieder zu swipen.

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