AdventsKalender Mini“Krimi“ vom 14. Dezember


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Tief unter dem Fell / I.

Ich bin im Juli geboren. Wir hatten Glück. Als bei meiner Mutter die Wehen einsetzten und sie auf der Straße zusammenbrach, wurde sie von Ehrenamtlichen aufgenommen und betreut. An die ersten Tage meines Lebens kann ich mich nicht erinnern. Später, als ich anfing, mich umzuschauen, war die Welt um mich herum warm, bunt und laut. Ein Kaleidoskop sich bewegender Menschen und Tiere, von Geräuschen, Gerüchen und Düften. Schon morgens um sechs klapperten die Töpfe in der Küche, und dann gab es Essen für alle unter der Pergola im Garten. Lavendel, Jasmin und Majoran wehten mit der salzigen Brise vom Meer herüber, und unter den schattigen Palmen leuchteten rote Hibiskusblüten. Meine Schwester und ich hatten den ganzen Tag nichts weiter zu tun, als zu spielen und immer neue Streiche auszuhecken. Wir versteckten uns zwischen den frisch gewaschenen Laken und zerrten so lange daran, bis sie ins Gras glitten. Das fanden die Hunde besonders lustig, und sie stapften mit ihren sandigen Tatzen darauf herum, bis die Tücher aussahen aus wie große, zum Trocken ausgelegte abstrakte Gemälde. Nur den guten Leuten oben in der Finca gefiel unser spontanes Kunstwerk leider gar nicht.

Immer häufiger standen sie zusammen und besprachen sich leise. Dann schauten sie zu uns herüber, zu meiner Schwester und mir, und tuschelten weiter. Was sie sagten, verstanden wir nicht. Also taten wir so, als wäre alles wie immer. Das war in dem Paradies, in dem wir lebten, nicht schwer. Der blaue Himmel, die stillen Wolken, das flüsternde Meer, die Zikaden, die Sonne.

Und dann kam der Herbst. Leise wie ein Wolf hat er sich in unsere Welt geschlichen und sie eingehüllt in sein wolliges Grau. Sein kalter Atem verwehte die Weinblätter an der Pergola, die Vipern verschwanden zwischen den Steinen und die Leute frühstückten in der Küche, eingehüllt in die Düfte und Dämpfe von Suppe und Brot. Auch wir lagen dort in der rauchigen Wärme und dösten. Da nahmen die Leute meine Schwester und mich auf den Arm und trennten uns.

Krisenhelfer in Not


DSCN2976Heute Morgen rief mich eine Freundin an. Eine sehr liebe Freundin. Eine „patente Frau“, so hätte man sie früher genannt. Steht mit beiden Beinen mitten im Leben, beruflich erfolgreich,  tough, mit Herz und Verstand. Sie war aufgewühlt und bat mich um Unterstützung bei einer Frage, die sie umtreibe: wie könne es sein, dass im bayerischen Grenzland kleine Kinder stundenlang in der Kälte warten müssten, um weiter verteilt zu werden. Warum die Staatsregierung nicht einfach mehr Busse zur Verfügung stelle. Warum in München die Helfer arbeitslos da stünden, bereit, und die Unterkünfte leer seien. Es könne doch nicht angehen, dass kleine Kinder frieren müssten, hier bei uns.

„Nein, sagte ich. Das kann nicht angehen. Ich finde es aber auch unverantwortlich, sich mit kleinen Kindern auf den Weg zu machen, in die Ungewissheit. Außer, man ist vom Tode bedroht.“ Fast hätte sie aufgelegt, und ich fühlte mich instinktiv schuldig ob meiner in der kurzen Form roh und feindlich klingenden Antwort. Ich habe sie weiter verwiesen an eine Fachpolitikerin. Und ihr einen Artikel in der SZ von heute nachgeschickt, der sehr gut erklärt, was da gerade wie, wo und warum geschieht, flüchtlingspolitisch, in Bayern und München. Hier ist der Link

Und dann habe ich ihr eine E-Mail geschrieben:

Meine Liebe, ein Grund für die aktuelle Situation ist,  dass der Umgang mit den ankommenden Flüchtlingsströmen inzwischen – wie in Deutschland gen-immanent –  professionalisiert worden ist. Das ist vielleicht gar nicht so sinnvoll, bzw. müssten die in den Sommermonaten „wild“ erstellten und dann erprobten Strukturen einfach etwas angepasst und verändert werden – aber das ist das Problem mit Strukturen, „einfach“ geht gar nicht, denn sie sind per definitionem schwerfällig. Das ist keine Entschuldigung, nur eine Erklärung, die tatsächlich auch mit der soziologischen Sichtweise übereinstimmt.

Aber darunter leiden Menschen, und das ist schrecklich! Das muss behoben werden, da bin ich ganz bei dir!

Die Flüchtlingskrise kann nicht mit einer Stellschraube beendet werden. Es müssen parallel viele Aktivitäten greifen, mehrere tragende Säulen aufgestellt werden. Die eine ist die Hilfe für die Menschen, die unterwegs sind. Und da sind, das hat sich erwiesen, Ehrenamtliche die Schlüsselfiguren, eben, weil sie keinen bürokratischen Strukturen unterworfen sind. Das hat natürlich wieder ganz spezifische Nachteile, denn es sind immer auch psychisch schwierige Menschen darunter, für die Helfen ein Selbstzweck ist und die damit ihre innere Leere füllen. Aber unterm Strich ist das grade mal egal, denn sie sind unverzichtbar. Aber diese improvisierte Unterstützung  ist und darf nichts anderes sein als Akuthilfe, schnell, effizient und punktuell. Sie kann keine offiziellen Strukturen ersetzen und sich deshalb auch nicht institutionalisieren. Auch auf die Gefahr hin, dass den Helfern plötzlich ihre eigene Tagesstruktur entgleitet und sie selbst „hilflos“ im Wortsinn werden.

(Allerdings werfen genau diese Menschen dann, wenn die Hilfe strukturiert wird, riesige Probleme auf, denn solche Psychopathen sind Egomanen, die an einem bestimmten Punkt viel Schaden anrichten, weil sie uneinsichtig sind und kritikresistent, weil sie meinen, am besten zu wissen, was den Hilfebedürftigen fehlt, weil diese für sie zu „Hilfeopfern“ werden, im schlimmsten Fall).

Die andere – und die ist immens wichtig und gerät leider hier oft aus dem Blick – ist die optimale Ausstattung der Füchtlingslager in den an die Kriegsgebiete angrenzenden Orten. Wenige wollen weiter weg als notwendig! Viele würden nicht nach Deutschland wollen, wenn sie mit Nahrung, Arbeit, Bildung ausgestattet nahe der Heimat auf ein Kriegsende warten könnten. „Would you like leaving home?“, so die Gegenfrage eines jungen Syrers, von dem ich wissen wollte, ob es ihm leicht gefallen sei, das zerbombte Damaskus zu verlassen. Leider ist es so, dass das viele Geld, das ehrenamtlich für die Flüchtlingshilfe unterwegs längs den Routen aufgebracht wird, dort unten immens helfen könnte. Klar, UNCHR für ein Camp im Nordirak zu spenden ist so, wie einen Baum in Brasilien zu kaufen. Das ist für viele nicht so sexy, wie Geld für einen WiFI-Hotspot in Presevo zu sammeln, oder Decken nach Kroatien zu fahren, über Nacht im geliehenen LKW.  Es tut mir leid, wenn das jetzt brutal klingt, aber ich habe in den letzten Monaten aufgrund meines Engagements für den Keleti-Bahnhof und in dessen Folge unendlich viele Ehrenamtliche kennengelernt, die genau so denken und handeln. Alternativlösung also: Geld sammeln, in größtem Stil, für die grenznahen Lager. Und, an alle Katastrophen-Touristen gerichtet: Fahrt Eure Geldbomben meinetwegen höchstpersönlich in die Türkei. Hier ist ein Link dazu

Und die dritte Lösungssäule entzieht sich auch nur scheinbar unseren Möglichkeiten. Die Politik muss am Frieden interessiert sein! USA, Russland, Iran, Saudi-Arabien, Europa, Syrien, Irak, Israel, Afghanistan, Pakistan. Solange wirtschaftliche und Machtinteressen den Friedenswillen blockieren, wird in der Levante und Nordafrika kein Frieden einziehen (Afrika ist ein differenziertes Problem, der Westbalkan hat sich der Wanderbewegung aus wirschaftlichen Gründen angeschlossen, das ist ein EU-Thema, das leider auch sehr langsam in Angriff genommen wird. Und die Sinti und Roma will keiner haben, das ist eine entsetzliche Wahrheit). Aber auch die Politik kann von den Bürgern beeinflusst werden. Durch Petitionen, durch Demonstrationen.

Schließlich muss Deutschland sich ganz offiziell zu dem bekennen, was es faktisch schon lange ist: ein Einwanderungsland. Wir können und dürfen nicht mehr unterscheiden zwischen Asylsuchenden und Wirtschaftsflüchtlingen. Höchstens zwischen Bleibewilligen und temporär sich hier Aufhaltenden. Natürlich ist es verrückt, zu glauben, dass sich Heerscharen auf den Weg machen, nur, weil „Mama Merkel“ gesagt hat, Flüchtlinge seien willkommen. Aber, und das berichten die Angekommenen immer wieder, es existiert in den Köpfen dieser leidenden Menschen das Bild eines Landes, in dem JEDER sei Glück machen kann und darf. Ganz ehrlich: es wäre SCHÖN, wenn dies so wäre! Denn wir brauchen sie, die jungen, die tatkräftigen, die ehrgeizigen Leute aus aller Welt. Und vergessen wir nicht, eine prosperierende Wirtschaft – wie wir sie haben – ist die allerbeste Voraussetzung für gelingende Integration. Deshalb braucht man nicht mal als Flüchtling zu kommen, sondern als Einwanderungswilliger. Und wir müssen diese Menschen mit offenen Armen empfangen. Als Einwanderer in unsere überalternde Gesellschaft. Das sind nämlich keine Almosenempfänger, die wir mit Geschenken überhäufen oder mit Fußtritten verjagen wollen. Das sind unsere Zukunftsträger. Es gibt bereits erste zaghafte Versuche, in einigen Ländern Hotspots einzurichten, in denen sie Ausreisewillige registrieren lassen können, Vorstufen einer Green Card, sozusagen. Das würde dann auch die menschenunwürdigen Odysseen der Flucht unterbinden, den Kindern das Frieren ersparen, das Hungern, das Ausharren in engen Unterkünften – und den Schleppern den Geldhahn zudrehen.

Das ist ein weiter Weg. Aber auch er beginnt mit dem ersten Schritt.


	
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