MiniKrimi Adventskalender am 21. Dezember


Heute gibt’s hier wieder einen Krimi aus meiner Feder. Mit Anklängen an meine väterlichen Wurzeln. Die liegen nämlich zum Teil in Süditalien… Viel Spaß beim Lesen und danke fürs Teilen und für eure Kommentare!

Engel mit schwarzen Locken

„Hallo, Kleine! Wie heißt du eigentlich?“

„Gemima.“

„Dsche… Aaaha. Und weiter?“

„Hagenrath“

„Und deine Mama?“

„Meine Mama und meine Mami heißen so wie ich. Hagenrath.“

„Und dein Papa?“

Stille. Dann: „Das weiß ich nicht.“

„Warum wollen Sie das wissen?“ Marlene Hagenrath steht an der Haustür, beladen mit Tüten und einem Kasten leerer Saftflaschen. Sie klingt barsch, und das liegt daran, dass sie diese Situation so oder ähnlich schon öfter erlebt hat, seit sie mit ihrer Frau Claudia und der gemeinsamen Tochter Gemima in die Minervastraße eingezogen ist. Zu oft, als dass sie dafür noch Toleranz aufbringen könnte.

„Man wird doch wohl noch fragen dürfen, oder? Schließlich hat jedes Kind eine Mutter und einen Vater. Das ist ein Naturgesetz.“ Frau Degenfeld ist pikiert. Erst gestern haben sie und ihre Freundinnen beim Mahjong-Nachmittag gerätselt, warum der Vater des süßen Mädchens mit den schwarzen Locken und den grünen Augen noch nie in der Siedlung aufgetaucht ist.

„Ich habe eine Mama und eine Mami. Mehr brauche ich nicht. Oder?“, fragt Gemima und schaut der älteren Dame mitten ins Gesicht. Unangenehm, dieser bohrende Blick. Der ist bestimmt antrainiert. Von einer der beiden Frauen, die sie Mama und Mami nennt.

„Zu meiner Zeit war das undenkbar. Zwei Mütter. Aber heute – vollkommen zerrüttet, die Moral bei den Jüngeren.“ Kopfschüttelnd geht Frau Degenfeld weiter Richtung Tiefgarage.

Es ist der 21. Dezember. In 3 Tagen beginnt die Weihnachtszeit. Überall in der Minervastraße leuchten Sterne und Jakobsleitern in den Fenstern, die Balkone sind mit Girlanden behängt, die meisten leuchten golden. Die einzige grellbunte auf der Terrasse gegenüber der Tarotlegerin Lenor wurde nach einem tragischen Tod entfernt.

Gemima sitzt am Küchentisch, lässt die Beine baumeln und sticht andächtig Plätzchen aus. Dabei schiebt sie voller Konzentration die gerollte Zungenspitze zwischen die Lippen.

„Woher hat sie das nur?“, fragt ihre Mutter Marlene sich zum x-sten Mal. Sie hat das Zungenroller-Gen nämlich nicht. „Muss der Spender sein“. Obwohl – der hatte es angeblich auch nicht. Unglaublich, was man bei angeblich anonymen Samenspenden heute für Informationen finden oder erfragen kann.

Da klingelt es an der Haustür. „Hallo?“, ruft Marlene in die Sprechanlage.

„Paket für Sie“, antwortet eine Männerstimme. „Ich lege es auf die Treppe.“

„Könnten Sie es mir nicht schnell raufbringen, bitte? Dritter Stock?“

„Sorry, zu viel Arbeit. Geht nicht. Schöne Weihnachten.“

Marlene seufzt, schlüpft in ihre Mules und springt die Treppe runter. Wo ist das Paket? Auf der untersten Treppenstufe liegt keines. Nur ein roter Umschlag mit einem bedruckten Weihnachtsmann und darauf ein in Cellophan verpackter Keks.

„Hahaha“, murmelt Marlene. Sie ist allerlei „Schabernack“ von den Nachbarn gewöhnt. Viele haben sich immer noch nicht damit abgefunden, dass ein weibliches Ehepaar mit Kind bei ihnen wohnt.

„Falscher Alarm. Aber leckerer Keks. Magst du ihn?“, ruft sie und schließt die Wohnungstür. „Gemima?“

Keine Antwort.

„Gemmi?“ Nichts. Sie schaut ins Kinderzimmer. Leer. Auch das Wohnzimmer. Der Küchenstuhl, auf dem das Mädchen gerade noch gesessen hat, ist umgekippt. Der Vorhang vor dem Küchenbalkon bauscht sich im Wind, und eine Handvoll Schneeflocken fliegt herein.

„Gemima, was machst du da draußen? Du wirst dich erkälten.“

Aber auch auf dem Balkon: keine Spur ihrer Tochter. Panik steigt in Marlene hoch. Als hätte sich die Kleine in Luft aufgelöst. Das geht entschieden zu weit. Das ist kein Scherz mehr. Wenn sie den findet, der dafür verantwortlich ist….

„Marlene, Gemmi, bin wieder daaa!“

„Claudia! Stell dir vor, Gemima ist verschwunden!“

Die beiden Mütter suchen die ganze Nacht hindurch nach dem Kind. In der Wohnung, im Haus, im Keller, auf dem Dachboden. Schließlich in der ganzen Siedlung. Und sie sind nicht allein. Zu Claudias und Marlenes Erstaunen helfen ihnen viele Nachbarinnen und Nachbarn. Sogar Frau Degenfeld und ihr Mann. Schließlich sollte das Mädchen bei der lebendigen Krippe, die die Bewohner der Minervastraße am ersten Weihnachtstag geplant haben, einen Engel spielen. „Sie wird ganz entzückend aussehen, mit diesen schwarzen Locken. Von wem sie die wohl hat?“

Am nächsten Morgen wird die Polizei eingeschaltet, doch auch sie findet Gemima nicht. Einzig ein Fußabdruck im Blumenbeet unter dem Küchenfenster – Größe 43 – und Sprossen einer offenbar zersägten Metalleiter im See weisen darauf hin, dass das Kind entführt worden ist.

Wer denkt in einer solchen Situation schon an einen ungeöffneten Brief? Als Claudia den roten Umschlag auf der Kommode im Flur sieht, nimmt sie ihn automatisch mit ins Wohnzimmer. Geistesabwesend reißt sie den Umschlag auf.

„Marlene! Woher kommt dieser Brief? Wer hat ihn dir gegeben? Seit wann hast du ihn? Warum hast du denn nichts gesagt?“

Marlene ist verwirrt. Todmüde, verängstigt und zermürbt von der erfolglosen Suche.

„Den? Ach, das ist doch bloß wieder so ein blöder Scherz von den Nachbarn. Ich wollte Ivan gestern noch danach fragen, aber…

„Nein! Das ist kein Scherz. Lies!“ Claudia hält Marlene den eng bedruckten Zettel unter die Nase.

Sie haben mich bestohlen. Jetzt hole ich mir mein Eigentum zurück. Versuchen Sie nicht, mich oder meine Tochter zu finden! Sonst wird das Kind einen tödlichen Unfall erleiden.

„Siehst du, das ist doch einer von diesen Scherzen. Nur viel gemeiner als sonst. Na warte, Ivan.“ Marlene greift zum Telefon, um ihren Nachbarn zur Rede zu stellen.

„Nein, Marlene. Ivan hat absolut nichts damit zu tun. Verstehst du denn nicht? Das ist ein Bekennerbrief von dem Menschen, der Gemima entführt hat.“

„Was? Du spinnst ja, Claudia! Ich habe den anonymen Spender aus der Datenbank von Neovita Labs. War teuer genug. Und absolut seriös. Das hat uns Dr. Wonnegrat ja schriftlich gegeben.“

„Dr. Wonnegrat. Nomen es Omen. Die Frau ist mir gleich suspekt gewesen. Einfach einen Tick zu seriös, wenn du weißt, was ich meine.“

„Nein, das weiß ich nicht. Und ich finde, du greifst nach Strohhalmen. Aber egal. Uns bleibt ja nichts anderes übrig. Die Polizei kommt nicht weiter. Wir fahren jetzt zu Neovita Labs.“

Ein kühles Ambiente in Pastelltönen. Gedämpfte Musik. Klassik, nichts Weihnachtliches. Dr. Wonnegrat empfängt Marlene und Claudia in ihrem Büro. Sie ist sichtlich nervös. Marlene, bleich, mit rotgeränderten Augen, kommt gleich zur Sache: „Unsere Tochter ist entführt worden. Von jemandem, der behauptet, ihr genetischer Vater zu sein. Wie ist das möglich? Sie haben mir versichert, die Spende sei anonym und man könne sie nicht auf den Samengeber zurückführen? Sie haben sie doch allein aus diesem Grund aus Zypern kommen lassen.“

„Haben Sie uns zumindest gesagt“, wirft Claudia ein. „Und uns für Ihre Bemühungen eine astronomische Summe abverlangt. Und das, obwohl das Gesetz, nach dem Samenspenden im zentralen Register dokumentiert werden müssen, in Deutschland erst 2018 in Kraft getreten ist.“

Dr. Wonnegrat lächelt gequält. “Ja, das stimmt.“

„Und? Sie kennen den Spender!“ Marlene ist außer sich vor Wut. „Geben Sie’s zu!“

„Ja. Ich kenne ihn. Also, ich kannte ihn. Er musste sich einer Vasektomie unterziehen und wollte sicherstellen, dass er dennoch eine Erbin oder einen Erben hat.“


Die Frauen sind fassungslos. Wonnegrat erklärt, der Mann, ein italienischer Mafiaboss, habe sie unter Druck gesetzt. In der Hand gehabt. Um Leben und Tod sei es damals gegangen. Um ihr Leben oder ihren Tod. Die beiden seien für ihn das ideale Paar gewesen: rechtlich „angreifbar“, ohne einen großen Unterstützerkreis, in einem Umfeld, das juristisch und gesellschaftlich immer noch als „weich“ wahrgenommen wird.

„Finden Sie sich damit ab. Gemima ist längst in Süditalien, und die Adoption war schon in wenigen Stunden unter Dach und Fach. Sie haben keinerlei Rechte mehr an Ihrem Kind. Aber ich verstehe natürlich Ihren Unmut. Ich könnte Ihnen mit einer kostenfreien Samenspende entgegenkommen? Sie sind noch so jung…“

Geistesgegenwärtig verhindert Claudia, dass Marlene der Ärztin den Briefbeschwerer auf dem Schreibtisch ins Gesicht schleudert.

„Entweder Sie bringen uns Gemima zurück, oder Ihr Laden hier fliegt auf. München ist nicht Süditalien. Wenn wir auspacken, sind Sie geliefert. Sie verlieren nicht einfach Ihr Labor und ihre Approbation. Sie landen im Gefängnis. Und zwar für sehr, sehr lange.“

Stille. Schließlich sagt Wonnegrat: „Gut. Ich kann nichts versprechen. Aber ich tue mein Möglichstes.“

„Sie haben 24 Stunden Zeit. Dann gehen wir zur Polizei. Und an die Presse.“

Es ist der 23. Dezember. Ein Tag vor Heiligabend. Marlene und Claudia kauern auf der Wohnzimmercouch. Vor ihnen steht der Weihnachtsbaum. Ungeschmückt. „Unser Ultimatum läuft ab. Ich habe wirklich geglaubt, sie meint es ernst und gibt uns Gemima zurück. Anzeige, Verfahren, schlechte Medienberichte – das ist mir doch alles egal. Ich will nur meine Tochter.“

Es klingelt an der Tür. „Ein Paket für Sie.“ Wie in einem Déjà-vu rennt Marlene die Treppen hinunter, Claudia direkt hinter ihr. Nichts. Auf der untersten Stufe liegt ein roter Umschlag. Claudia reißt ihn auf. Ein Foto, mehr nicht. Eine Frau liegt mit dem Oberkörper auf einem Schreibtisch in einem pastellenen Büro. Überall Blut. Darunter der Aufdruck: Schweigt, oder es geht euch genauso.

Entsetzt gehen die beiden zurück in ihre Wohnung. Es zieht. Der Vorhang des Küchenbalkons flattert im Wind. Auf der Wohnzimmercouch liegt ihre Tochter. Sie schläft.

Am nächsten Morgen wird Gemima sich an nichts erinnern. Und ihre Mütter werden sie nichts fragen.

Und Marlene löscht die Mail, die in ihrem Posteingang war, als sie mit dem Foto in der Hand wieder in die Wohnung kam.

Ich habe Wort gehalten. Ein Neffe unseres gemeinsamen Bekannten schuldete mir noch einen Gefallen. Den habe ich eingelöst. Ich habe mich damit in seine Hände begeben. Ich hoffe, Sie wissen das zu schätzen. Er wird ihre Tochter zurückbringen lassen. Der Verlust des gerade erst wiedergefundenen Kindes wird für den todkranken Onkel so schmerzhaft sein, dass er sich das Leben nimmt. Das ist die Version des Neffen für die Medien. Mehr müssen Sie nicht wissen. So haben alle etwas davon, der Neffe die freie Bahn zur Spitze des Imperiums und Sie ihr Kind. Leben Sie wohl.
Dr. A. Wonnegrat

Nun, der Neffe ist der großen Aufgabe ganz offensichtlich gewachsen. Er geht keine unnötigen Risiken ein. Und er kann ganz sicher sein, dass alle Beteiligten schweigen. Für immer.

Adventskalender MiniKrimi am 7. Dezember


Habt Ihr den Nikolaustag gut verbracht? Ich hoffe, es war so viel los bei euch, dass Ihr die Fortsetzung von Cop Orange nicht vermisst habt. Übrigens: was hat es mit dem Titel auf sich, warum steht da „orange“?

Gestern war „Kind“ angesagt. Wir hatten viel Gemeinsamzeit, und dann habe ich ihn mit zum Flughafen begleitet. Das erste Mal so weit und so lange weg von allen und allem. Ich hoffe, er hat sehr viele sehr schöne Erlebnisse und Momente und kommt erfüllt zurück.

Aber jetzt geht*s weiter mit

Cop Orange

Leise vor sich hin schimpfend steigt Arne aus. „Machen Sie mal den Kofferraum auf!“ „Was? Wieso? Was soll denn…“ Die Beamtin zückt ihr Mobiltelefon und schickt sich an, eine Nummer zu wählen.


„Jaja, Moment.“ Mit klammen Fingern drückt Arne auf die Fernbedienung. Der Kofferraumdeckel hebt sich. „Was haben wir denn da? Was ist in dem Aktenkoffer?“

„Ich wüsste nicht, was Sie das angeht!“ Arne wird plötzlich kämpferisch. Vielleicht liegt es am Alkohol, vielleicht an der Kälte. Vielleicht ist er auch einfach müde und hat die Situation satt. „In einer Verkehrskontrolle entscheidet die Polizei, was sie etwas angeht und was nicht“, belehrt in die Beamtin. Sie ist nicht mal unfreundlich. Schade, dass er ihr Gesicht nicht erkennen kann. Bleibt sie absichtlich im Schatten?

„Aufmachen!“ befiehlt sie jetzt, „na los, wird’s bald!“ Arne beugt sich in den Wagen und nestelt am Verschluss des Koffers. Da trifft ihn ein harter Schlag auf den Kopf. Er verliert das Bewusstsein.

3 Stunden später.

Polizeinspektion Frankfurt Seckbach. Arne ist verzweifelt.

„Glauben Sie mir nicht, oder was? Sie werden ja wohl nicht denken, dass ich mir selbst mit einer Flasche Glühwein auf den Kopf gehauen habe. Ich sage doch, das war eine Kollegin von Ihnen. Sie hatte so eine Kelle für die Verkehrskontrollen. Und sie hatte eine Polizeimütze auf. Nein, ich sag Ihnen doch, sie war die ganze Zeit im Dunkeln, ich konnte das Gesicht nicht sehen. Nein, keine Ahnung, wie sie hieß. So, wie die drauf war, wollte ich sie bestimmt nicht nach ihrem Namen fragen.

Wie – heute gab es in Seckbach gar keine Verkehrskontrolle? Sie meinen wohl, ich hab‘ das geträumt? Und wer hat mir dann die Tageseinnahmen aus dem Koffer geklaut? Ja, schon klar, eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus…

Was soll ich machen? Eine Anzeige gegen Unbekannt? Ich weiß, was ich mache. Ich gehe an die Presse. Das mache ich! Was? Das wollen wir ja mal sehen, ob die mir nicht glauben. Ich bin sicher, die Zeitung mit den vier Großbuchstaben interessiert sich dafür!“

Flughafen Rhein-Main. Zwei Frauen Mitte Dreißig, die eine, Sina, hat kurze braune Haare, die andere, Susi, lange blonde. Sie haben die Sicherheitskontrolle passiert und steigen jetzt in ihren Flieger nach Bangkok.

Sina: „Ich kann’s noch gar nicht fassen, Susi. Es hat geklappt! Wir sind FREI!“

Susi: „Wahnsinn, geht mir genauso. Hast du ‘ne Ahnung, wieviel Schiss ich hatte, als ich den Typen angehalten habe? Ich dachte, der checkt das sofort, gibt Vollgas und fährt mich über den Haufen!“

Sina: „Dein Plan war perfekt. Alles bis ins kleinste Detail vorbereitet, und dann nur noch auf den richtigen Augenblick gewartet. Aber als du mich dann angerufen und gesagt hast, dass es losgeht, da war mir plötzlich komplett komisch. Plötzlich wusste ich nicht mehr, wo Patrick die Kelle hingelegt hatte.“

Susi; „Ich habe Gernots Mütze auch beinahe nicht gefunden. Er setzt sie ja praktisch nie auf, aber ich musste so lange suchen, ich dachte, ich schaffe es nicht mehr, bei dir die Kelle zu holen und rechtzeitig in Seckbach zu sein. Und dann musste ich noch ‘ne Stunde warten, bis der Typ endlich aufgekreuzt ist. Meinst du, unsere Männer checken, dass ihnen eine Kelle und eine Mütze fehlen und dass wir die geklaut und bei einem Überfall benutzt haben?“

Sina: „Keine Ahnung. Eher nicht. Dazu sind sie zu sehr von sich eingenommen. Egal. Wir haben‘s hinter uns. Ab jetzt ist entspannen angesagt. Und chillen. Und Party. Vielleicht.“

Susi: „Vielleicht. Aber diesmal passen wir genau auf, um nicht wieder an Typen wie unsere Ehemänner zu geraten. Wenn mich nochmal ein Mann anfasst – frühestens, wenn die letzten blauen Flecken, die Gernot mir verpasst hat, unter der Bräune verschwunden sind -dann nur, um mich zu streicheln. Sonst verpass ich ihm gleich eine, dass er weiß: diese Frau wird nicht misshandelt.“

Sina: „Jetzt hast du ja Übung darin, ’nem Mann einen überzuziehen. Damit hättest du viel früher anfangen müssen.“

Willkommen an Bord des Lufthansa Flugs 772 nach Bangkok. Ich bin Ihr Kapitän, mein Name ist Luisa Wolf, tönt es aus dem Lautsprecher.

Sina: „Eine Pilotin. Unser zweites Leben fängt supergut an.“

Frankfurt Höchst. Zwei Männer sitzen in einem Wohnzimmer, vor sich zwei Flaschen Henninger Bier. Sie schauen sich immer wieder an und schütteln die Köpfe. Ratlos.

Gernot: „Was machen wir jetzt? Meinst du, der Überfall auf den Typen hat was damit zu tun, dass wir am Nachmittag genau bei dem Juwelier waren wegen dem Ladendiebstahl?“

Patrick: „Kann ich mir gar nicht vorstellen. Woher sollte die Frau mit der falschen Verkehrskontrolle denn wissen, dass wir dem Filialleiter geraten hatten, die Tageseinnahmen mitzunehmen?“

Gernot: „Und dass die wie ‘ne Polizistin aussah? Ist das etwa auch Zufall?“

Patrick: „Was sonst?“

Gernot: „Mein Handy ist manipuliert worden. Vielleicht hat jemand alles mitgehört.“

Patrick: „Du schaust zuviel CSI.“

Gernot: „Und wo sind unsere Frauen? Hast du mal nachgeschaut, ob deine Ausrüstung komplett ist? Bei mir fehlt die Mütze.“

Patrick: „Du meinst, Sina und Susi? Die sind doch viel zu blöd für sowas. Außerdem haben wir die doch extra ins Wellness Wochenende in den Taunus geschickt, damit wir in Ruhe pokern können. Ich hoffe, du hast genug Geld dabei!“

Gernot: „Als mir das letzte Mal die Hand ausgerutscht ist, hat Susi gesagt: das machst du nie wieder. Oder ich mach dich fertig. Vielleicht stecken die zwei wirklich dahinter. Und was machen wir dann?“

Patrick: „Nichts! Oder willst du deinen Beamtenstatus und den Job verlieren? Wenn sie die Kelle und die Mütze jemals finden, können wir immer noch sagen, dass sie uns gestohlen wurden. Aber so dumm sind die Mädels sicher nicht. Wir haben sie einfach die ganze Zeit unterschätzt. Vor dem Typen brauchen wir keine Angst zu haben. Dem glaubt eh keiner. Und das geklaute Geld? Der hat bestimmt ‘ne top Versicherung. Nee, nee, wir halten schön still. Aber was machen wir mit Sina und Susi, wenn sie aus dem Urlaub zurückkommen?“

Gernot: „Zurückkommen? Du glaubst wohl noch an den Weihnachtsmann? Sieh*s mal positiv. Keine Scheidung, keine Verluste. Sollen die zwei mit dem Geld glücklich werden, solange es geht. Das sind eh die klassischen Opfer. Die haben in null Komma nix wieder den nächsten Herrn und Meister an der Backe.“

Wenn er sich da mal nicht täuscht.

Lilith


In der Bibel gibt es viele Frauenfiguren in der Bibel – und auch in älteren Schriften, z.B. im Talmud. Diese Frauen spielen dabei keine unterwürfige Rolle, ganz im Gegenteil.  Vielleicht sind sie uns deshalb oft unbekannt.

Sex hatte im Judentum immer einen besonderen Stellenwert – auch Frau sollte und soll auf ihre Kosten kommen. Spuren von dieser Denk- und Lebensweise finden wir in alten Gestalten. Eine besonders spannende ist

Lilith

Begleitet mich ins Deutschland am Ende der 1960, Anfang 1970er Jahre. Hier treffen wir ADAM.

Das erste Semester VWL in Berlin war für Adam ein Feuerwerk. Täglich neue Erlebnisse. Cafés, Kneipen, Geschäfte. Menschen mit Kopftuch, mit Turban, mit Irokesenschnitt, mit grünen, braunen oder gar keinen Haaren. Mit Ringen und Bemalungen an allen Körperteilen. Das Einzige, was er von zu Hause kannte, war die Lernroutine.

Und die allabendlichen Sauftouren mit den Kumpanen, jetzt Kommilitonen.


Adam war auf einem großen Gut in Norddeutschland aufgewachsen. Zwischen Weiden, Pferden, Grünkohl und Pinkel. Ungefähr das spannendste Geschehen war gewesen, am Sonntag in der Kirche zu sehen, wer von ihnen die Wette gewonnen hatte, wie blau der Pfarrer diesmal sein würde. Ob er nur die Worte beim Vaterunser verwechselte oder direkt die Altarstufen runterstolperte. Einmal hatte es ihn auf dem Weg nach oben glatt umgehauen!

Und jetzt die Uni. Große Freiheit. Fremde Welt. Politische Aktionen – Leute stellen plötzlich sein Weltbild in Frage, Kapitalismus als Feind. Statt Saufgelagen abendliche Diskussionen, Gitanes Mais und Marihuana.

Und mitten unter ihnen SIE. Rothaarig, langbeinig, grünäugig. Sie hatte alles gelesen, was man brauchte, um politisch mitzureden. Marx und Lenin, Adorno, Horckheimer, Marcuse. Und war ganz offensichtlich bei der Lektüre nicht eingeschlafen! Sie schrieb regelmäßig Artikel für den „Anschlag“. Was sie sagte, war Gesetz. Und zwar nicht nur bei den Mädels. Auch die jungen Männer, langhaarig, krausbärtig, mit Schlaghosen, hingen an ihren Lippen.  Wie sie sie aufpeitschte, jedes Mal, bevor sie zu einer Demo gingen. Mit rauer Stimme und diesem Blick, der dich aufspießt, festhält und in dich hineinkriecht. Ganz tief. Bis dir heißt wird und du an ganz andere Dinge denkst als daran, die Flugblätter mitzunehmen und an die Passanten zu verteilen, die Gaffer, die sich die „wilde Generation“ mal von nahem anschauen wollen, wie Affen in einem Zoo.

Adam hatte nur Augen für Lilith, und eigentlich ging er zu den Asta-Versammlungen auch nur wegen ihr. Ob sie ihn überhaupt je bemerkt hatte? Adam wusste es nicht. Bis zu jenem Sonntag.

Zuvor hatte es bei einer Demo einen Toten gegeben. Ein junger Student, Benno Ohnesorg. Jetzt war die Gewalt offen ausgebrochen, und Demonstranten und Polizei gingen wie im Krieg aufeinander los. Was heißt wie: Das WAR Krieg. Straßenkrieg. Und sie, die Studenten, waren die Guten. Die anderen, die Polizisten, gingen mit Wasserwerfern und brutaler Härte vor. Schlagstöcke hagelten auf Frauen nieder, junge Männer wurden getreten, auch, als sie noch am Boden lagen. Sogar Kinder kassierten Schläge.

Die Demonstranten warfen Steine und Molotow-Cocktails. Adam rannte mit den restlichen Flugblättern unterm Arm die Allee hinunter. Hinter ihm drei Polizisten mit erhobenen Schlagstöcken. Da standen plötzlich vor ihm wie aus dem Nichts zwei weitere Beamte, einer davon mit der Waffe im Anschlag. „Das ist alles ein großes Missverständnis“, wollte Adam ihnen entgegenschleudern. „Ich bin der älteste Sohn der Familie von Bredow. In meinen Adern fließt das Blut deutscher Kaiser. Ich muss die Linie weiterführen, ihr dürft mich nicht…“

Da krallte sich eine Hand in seinen Arm, riss ihn in einen engen Hauseingang, ums Eck und eine Kellertreppe hinunter. Stockdunkel. Die Polizisten kamen in den Hof gerannt, schauten sich um – fanden niemanden und liefen weiter.

„Das war knapp, Adam, Süßer“, flüsterte eine raue Stimme. Und dann küsste sie ihn, als wolle sie ihn in sich aufsaugen. Adam war starr vor Schreck, aber nicht lange. Lilith riss ungeduldig an seiner Jeans, schob ihren Rock in die Höhe und setzte sich auf ihn. Mitten im Kohlenkeller wurde Adam entjungfert. So hatte er sich das in unzähligen feuchten Nächten in seinem Bredower Jugendzimmer nicht vorgestellt. Nein, das war besser als in seinen kühnsten Träumen. Was sein Vater wohl dazu sagen würde?

Wenn Adam gedacht hatte, durch diesen Kellersex sei er in einer Beziehung mit Lilith, dann war diese jedenfalls anders, als er sich eine Partnerschaft vorgestellt hatte. Nämlich so, wie bei seinen Eltern und allen anderen Leuten in und um Großosterode. Das hatte der Mann das Sagen, die Frau war zu Hause und wartete auf ihn, hübsch angezogen und mit dem fertigen Essen. Anders bei Lilith. Sie kam und sie ging, wann und wie sie wollte. Eines Tages zog sie bei ihm ein, allerdings, ohne ihn gefragt zu haben.

Sie bediente sich an seinem Kühlschrank, an seinem Körper und seinem Geld.


Aber das alles war schon irgendwie ok, für Adam. Denn inzwischen durfte er sie sogar in der Öffentlichkeit küssen. Sie waren ein Paar. Zugegeben, sie stritten sich häufig, vor allem, wenn er nicht wollte, dass sie schon wieder auf eine Demo gingen, statt auch mal in die Oper. Kapitalistengesülze, sagte Lilith dazu. Und setze sich durch.

Als Trauzeugen waren zwei Zufallsbekanntschaften mit auf dem Standesamt, und die Unterschriften waren in zwei Minuten erledigt. Adams Vater hatte auf den Anruf seines Sohnes mit der Einladung zur Hochzeit am nächsten Tag nur mit einem „Aha“ reagiert. Und Lilith hatte es wohl niemandem mitgeteilt.

Sie zogen in eine große Altbauwohnung, und schon bald campierten dort regelmäßig ziemlich dunkle, ungewaschene Gestalten. Als Adam eine Waffe im Waschbecken fand und sein Konto in den Miesen, stellte er Lilith zur Rede.

„Ich dachte, wir stehen beide an vorderster Front in diesem Klassenkampf, das ist doch das mindeste, was du tun kannst, um die Schuld deiner Familie zu sühnen“, erklärte ihm seine Frau. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er sie lieben musste. Warum war er sonst mit ihr zusammen? Also ging er mit, als sie vermummt in die Bank einbrachen.

Lilith und die beiden Komplizen verschwanden mit einer Beute von 1000 DM. Adam verstauchte sich beim Sprung aus dem Fenster den rechten Fuß. Sein Vater sagte ihm nie, was es ihn gekostet hatte, die Anklage gegen den Sohn niederzubügeln.

Als er einen Monat später aus dem Krankenhaus kam – bei der Festnahme hatte er ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma erlitten, war die Altbauwohnung leer und Lilith verschwunden. Er suchte nach ihr in all den üblichen Kneipen, Cafés, Versammlungsräumen. Nichts. Schließlich steckte ihm ein früherer Kommilitone einen Zettel zu mit einer Adresse auf Cuba.

Es war nicht ganz leicht für Adam, die Reise dorthin zu organisieren. Aber mit Hilfe von ein paar amerikanischen Freunden gelang es ihm doch. Schließlich fand er Lilith. Sie trafen sich in einem Straßencafé, und das erste, was ihm an ihr auffiel, waren die schwarz gefärbten Haare. Das zweite ihr Babybauch. „Ein Kind ist die beste Tarnung“, erklärte sie ihm. „José und ich haben schon 500 Mann, alle militärisch ausgebildet und mit den neuesten Waffen. First we take Manhattan, then we take Berlin.“ Sie lachte. Ihre Stimme war so rau wie immer. Dämonisch, irgendwie.

„Woher hast Du das Geld dafür?“, fragte Adam.

Kannst du dir nicht denken, was? Wieder dieses Lachen. „Der Stammhalter der von Bredows muss die Linie weiterführen. Das war deinem Vater ganz schön was wert. Eine Million, um genau zu sein. Er hat sich den legitimen Enkel gekauft. Immerhin sind wir noch verheiratet. Über die näheren Umstände der Befruchtung wollte er nichts wissen. Gleich nach der Geburt bekommt er sein Eigentum. Wenn‘s sein muss, per Luftpost.“

Und mit einem angedeuteten Griff an ihre Militärkappe verließ Lilith das Café und Adam. Für immer.

Der Rest ist auch hier Geschichte. Adam heiratete Eva, bekam mit ihr zwei Kinder und sie lebten ein ziemlich langweiliges Leben. Aus dem Paradies hatte eigentlich schon Lilith ihn vertrieben. Denn von ihr träumte er Zeit seines Lebens. Aber nur heimlich.

Jetzt fragt Ihr euch: WAS bitte ist daran biblisch? Bitte sehr:

Im Talmud wird berichtet, dass Gott an Adams Seite eine Frau namens Lilith schuf. Sie war diesem völlig gleichberechtigt und ebenbürtig, daher verstand sie sich als ein freies Wesen, dem Unterordnung völlig fremd war.  Ihr stolzes und selbstbewusstes Auftreten, ihre Weigerung, Adam zu dienen, stießen – so der natürlich auch von Männern verfasste Talmud, nicht gerade auf die Zustimmung Gottes, der Adam als Abbild seinesgleichen sah und damit ihren Freiheitswillen als Rebellion gegen sich verstand. Es wird weiterhin erzählt, dass Lilith beim Sex stets oben liegen wollte. Adam aber wollte sich die dominante Position nicht nehmen lassen, und schließlich kam es zum Eklat zwischen den beiden.

Lilith sprach den geheimen Namen des Herrn „Schem Hammephorasch“, eine Zauberformel, aus und flog davon. Auf Adams Flehen hin sandte Gott drei Engel (Sanvi, Sansanvi und Semangelaf) aus, um sie zurückzuholen. Aber Lilith brach nur in schallendes Gelächter aus ob deren Versuche und Adams Wehklagen.

Sie hatte sich an der Küste des Roten Meeres niedergelassen und war mittlerweile eine Verbindung mit dem Dämon Djinns eingegangen, mit dem sie viele Kinder gezeugt hatte. Als Strafe für ihren „Ungehorsam“ ließ Gott jeden Tag 100 ihrer Kinder töten. Vor Trauer wahnsinnig, begann sie nun selbst als kindermordende Dämonin Schrecken und Angst zu verbreiten. Auch soll sie die Schlange im Paradies gewesen sein, welche Eva die Frucht vom Baum der Erkenntnis angeboten hat.

Für Adam, der mit der umgänglichen Eva ein gutes Leben führte, hatte damit das Vergnügen wieder ein Ende. Bekanntermaßen mussten er und Eva aus dem paradiesischen Zustand heraus in die harte Wirklichkeit.

Soweit die Geschichte von Lilith, die ihr übrigens vergeblich in der Bibel suchen werdet. Überhaupt sind die überlieferten Hinweise zu Lilith recht spärlich und noch dazu stark geprägt vom Zeitgeist. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Jahrtausende lang haben sich die Patriarchen aller Konfessionen redlich Mühe gegeben, Lilith als verteufeltes Weib darzustellen, die sich Männern als verruchte Verführerin und widerspenstige Gottesgegnerin entgegenstellt, um sie vom rechten Weg abzubringen. In die entgegengesetzte Richtung zielen die jüngsten feministischen Bemühungen, Lilith schlicht als Symbol für ihren eigenen Freiheitsdurst und Kampf um Unabhängigkeit zu sehen. Obwohl wir Frauen aus Liliths Geschichte natürlich einiges lernen können, wenn wir sie als potentiellen Teil unserer Persönlichkeit wiederfinden. 

Der Name Lilith wird vom babylonischem Wort Lilitu abgeleitet und bedeutet übersetzt Windgeist. Im Alten Testament (Jesajas 34,14) wird sie als weiblicher Dämon ( die Nächtliche) erwähnt, ihren Ursprung hat sie allerdings eher in der babylonischen Mythologie, wo sie als Lilitu auftritt. Ihre sumerische Entsprechung findet sie in der Kiskil-lilla. Im bereits erwähnten Talmud gilt sie blutsaugendes Nachtgespenst, als ein Weib des Teufels. Die kabbalistische Schrift Sohar zeichnet ihr Bild in den typischen erotischen Fantasien sex- und frauenfeindlicher Männer. Mitunter wird aber auch als göttliches Geschöpf genannt, wie in Griechenland, wo sie sich mit Hekate verband.

Oft wird sie von Kopf bis Nabel als wunderschöne Frau dargestellt, hüftabwärts aber als brennendes Feuer, was ein eindeutiger Verweis auf ihre starke erotische Leidenschaft sein dürfte. Das ihr zugeordnete Tier ist die Eule, die sowohl als Sinnbild der Weisheit, wie auch als Totenvogel gilt.

Mini Bibel Thriller: Das letzte Ma(h)l


Vorab:  Kennt Ihr die Serie „Der Bachelor“ ? Darin ist ein Jungeselle auf der Suche nach seiner Traumfrau, die er aus 22 Bewerberinnen in 6 Wochen in einer Traumlocation auswählen darf. Fraglich ist, wer es ehrlich meint und wer nur spielen möchte. Erforderlich ist eine gute Strategie, um den „Bachelor“ um den Finger zu wickeln. Was ist Schein und was Sein?

Ein Abend wie aus tausendundeiner Nacht. Armand liegt auf einem samtenen Sonnenbett am Strand. Das sanfte Rauschen der Wellen ist die Musik dieses Films, und Armand spielt die Hauptrolle. Gleich wird Julia zu ihm kommen, in einem verführerischen Hauch von nichts, die Haut schimmernd und duftend. Nach Rosen? Oder Yasmin? Aus der dunklen Villa im maurischen Stil entweicht ein Lichtstrahl. Zerschneidet den Sand wie ein Schwert. Wie ein leuchtender Laufsteg. Eine helle Gestalt schreitet ihn entlang. Julia? Inga? Oder doch Samira? Ach – egal. Nach 8 Tagen kann Armand sich die Mädchen immer noch nicht merken. Weder die Namen noch die Gesichter. Sie unterscheiden sich in nichts. Schablonengemalte Brauen, geklebte Wimpern, aufgespritzte Lippen. Lange Haare in allen Schattierungen. Identische Körper. Kurvig. Braun. Wie soll er sie auseinanderhalten? Fast bereut er seine Zusage bei der Reality Show.

Damals, kurz nach der Scheidung von Monique, seiner ersten Frau, hatte er das für eine gute, zumindest aber witzige Idee gehalten. Die Bachelor-Produzenten waren überglücklich gewesen – und sein Security Chef James stinksauer. Ein millionenschwerer Investor als begehrter Junggeselle – da würden die Einschaltquoten in die Höhe sausen, und Armands Liebesleben wäre in aller Munde. „Wie stellen Sie sich das vor? Wer soll sie am Set inmitten eines Haufens liebestoller Weiber beschützen? Und wie?“, polterte James. Armands Teilnahme war vielleicht ein netter Werbegag, der von seinen jüngsten Rüstungs-Transaktionen mit einer osteuropäischen Macht ablenken konnte. Aber genauso gut konnte ein Geheimdienst eine Agentin einschmuggeln……

Nach den ersten Tagen und Begegnungen mit 8 identisch aussehenden, sprechenden und lachenden Damen sehnt Armand sich nur nach einem: Ruhe!

„Hallo, ich will dich gar nicht stören. Ich dachte nur, du magst vielleicht was trinken.“ Oh nein, nicht schon wieder. Die Mädels scheinen zu denken, dass er sie nur betrunken ertragen kann. Womit sie gar nicht so falsch liegen. „Frisch gepresster Orangensaft. Aber wenn du lieber ein Glas Champagner willst – ich glaube, da hinten kommt Julia mit einer Flasche Veuve und zwei Gläsern.“

„Danke – ich ziehe Orangensaft vor. Warte. Bleib stehn. Wer bist du? Kennen wir uns?“ Sie lacht. Offen. Nicht affektiert. „Dolores. Wir sind uns am Anfang der Woche vorgestellt worden. Aber ich erwarte nicht, dass du dich an mich erinnerst. Zu viele Mädchen in zu kurzer Zeit…“ Dolores lächelt. Ein wenig. „Unser Date ist für übermorgen geplant. Aber…“ „Aber?“ „Ach, nichts. Da ist Julia. Viel Spaß, Ihr zwei,“ sagt sie laut in Richtung der straffen Blondine, die sie misstrauisch beäugt. Hat die dumme kleine Außenseiterin vielleicht gerade gegen die Regeln verstoßen? Kann man sie dafür anschwärzen und heimschicken? Eine Konkurrentin weniger…

„Hallo, mein Süßer. Jetzt ist Schluss mit der Einsamkeit. Die süße Julia ist da, um dich zu verwöhnen“, gurrt sie und lässt sich ungefragt auf seinen Schoß gleiten. Wäre sie eine Taube, wurde er sie leicht verscheuchen können. Denkt Armand. Aber so…

Während Julia schnurrend an ihm herumzupft, versucht Armand, sich Dolores in Erinnerung zu rufen. Stimmt. Am allerersten Abend standen die Mädchen, aufgereiht wie die Orgelpfeifen, vor ihm auf der mit Lampions beleuchteten Terrasse. Langbeinige langhaarige junge Frauen, aufgeputzt zu dem Schönheitsideal, das dem Privatsender-Publikum am meisten entspricht. Armand stand einer Wand aus künstlichen Körpern und Lächeln gegenüber, aus der keine hervorstach. Aber nein. Links außen, einen halben Meter von der Beautywall entfernt, lehnte eine Frau an der Wand. Kein Mädchen. Definitiv. Cargohosen statt Satinmini. Kurzer Bob statt wallender Mähne. Ein Lippenstift in nude als einzige Konzession an die Maske. Graue Augen, die ihn stachen. Dolores.

„Kennst du Dolores? Wie ist sie denn so?“, fragt Armand und schieb sanft, aber bestimmt Julias Finger aus seinem Schritt. „Dolo wer? Ach diiiiieee. Langweilig. Kann sich über nichts unterhalten. Kennt keine Promis, war noch nie auf Ibiza und hat keine Ahnung von Mode und Makeup. Vergiss die. Die will sich nur an dir bereichern.“

„Und du nicht?“, fragt Armand. „Naklar“, Julia macht einen Schmollmund und sieht aus wie eine französische Bulldogge. „Aber von mir kriegst du wenigstens anständig was für dein Geld.“ Wieder schieben sich ihre dezimeterlangen roten Nägel seinen Oberschenkel hinauf.

„Entschuldige, aber mir ist nicht gut. Ich muss mich unbedingt bewegen. Komm doch einfach mit!“ Mit einem behänden Satz springt er von der Liege auf und joggt den Strand entlang, ohne sich nach Julia umzuschauen. Die versucht zunächst tatsächlich heldenhaft, mit ihren High Heels im weichen Sand Tritt zu fassen. Doch schon beim dritten Schritt knickt sie um.

Nach einer eingehenden Untersuchung durch den Teamarzt steht fest: das war’s für Julias Teilnahme am „Bachelor.“ Welche Erwartungen hatte sie an diese Woche geknüpft. Wie die meisten der Kandidatinnen war sie nicht mit der Hoffnung auf die große Liebe zum Casting gegangen. Die Show sollte sie berühmt machen. Sie wollte entdeckt werden. Von wem auch immer. Vom Bachelor, den Fotografen, die im Pulk vor den Zäunen der Villa lauerten, von einem der vielen Werbepartner. Zur Not auch vom Regisseur.

Aber als sie mit den anderen Mädels zusammen auf der Terrasse stand, hinter sich die märchenhafte Kulisse der Insel mit ihren weißen Häusern, die sich an die blühenden Hänge schmiegten, und den steilen Treppen dazwischen, mit den schroffen Klippen und dem weichen, weißen Sand, mit dem leise murmelnden Meer – als sie dort stand und Armand zu ihnen trat, da wusste sie, dass sie keinen Werbevertrag wollte und keine Einladung zum Modelkurs. Nein, Armand persönlich musste es sein. Und Julia wusste auch: ich kann es schaffen. Acht Tage hatte sie darauf gewartet, aber nun war der Zeitpunkt gekommen. Heute Abend wollte sie Armand verführen und für sich gewinnen. Nur ein paar romantische Stunden sollten sie von ihrem Lebensglück trennen,  die neue Madame Arnaud, Ehefrau des milliardenschweren Investors.

Und dann das! Während sie ihre Koffer packt und auf Krücken durchs Zimmer humpelt, weiß Julia ganz genau, wem sie dieses unrühmliche Ende ihres Traums zu verdanken hat. Dolores. Und sie wird es ihr heimzahlen!

Julia ist nicht die Einzige, die Dolores für ihr Unglück verantwortlich macht.

Als er Armand partout nicht von der Teilnahme am „Bachelor“ abbringen konnte, ließ James ihm schließlich seinen Willen. Aber natürlich nicht, ohne seinen Boss auf seine ganz eigene Weise abzusichern. James, der ehemalige Fremdenlegionär, misstraute der laienhaften Security der Produktionsfirma. Und schleuste seine allerbeste Mitarbeiterin als last-minute- Kandidatin ein. Dolores.

Dolores stammt aus einem Clan, der ursprünglich im Libanon beheimatet war, bevor sich die Mitglieder in der ganzen Welt verteilten. Die meisten übten den Beruf aus, den sie am besten beherrschten. Kämpfen.

Dolores Vater war leider aus der Art geschlagen. Er studierte Literaturwissenschaft und fristet als Uni-Dozent an der Sorbonne ein im Vergleich zu seinen Brüdern, Cousins und Onkels ärmliches Dasein. Das sah auch seine Tochter so. Nach einem Jahr in Chicago kam Dolores mit mehreren Diplomen zurück. Allerdings nicht von einer renommierten Universität. Sie hatte stattdessen die Kunst des Kämpfens erlernt, und das zur Perfektion.

So war es nicht weiter verwunderlich, dass James bei seiner Rekrutierungstour auf Dolores aufmerksam wurde. Seitdem arbeitet sie in seiner Special Security Einheit und hat schon mehrere heikle Aufträge übernommen – darunter, während des ziemlich unappetitlichen Scheidungskriegs, die Entsorgung des letzten Liebhabers von Armands Noch-Ehefrau Monique. Wobei keiner auf den Gedanken kam, dass sie dem Mann, statt ihn zu töten, eine neue Identität als Fischer auf den Shetland-Inseln besorgt hat – unter Androhung des direkten Vollzugs der Todesstrafe, sollte er jemals zurückkommen.

Dolores hat ein weiches Herz. Wir werden sehen, ob das wirklich ein Makel ist.

Sie hat zwar die Nase gerümpft, als James sie für ihren Under Cover Aktion bei der Bachelor-Show gebrieft hat. Aber Job ist Job. Und so folgt Dolores Armand seit Drehbeginn wie ein Schatten. Effizient unsichtbar. Schon nach einem Tag tut ihr der arme Mann leid. Was will er hier? Er ist ja nicht dumm? Er weiß ganz genau, worauf es die Mädels abgesehen haben. Warum spielt er bloß mit? Die Gage braucht ER wirklich nicht. Also muss es ein politischer Schachzug sein. Oder ein persönlicher. Rache an der Ex vielleicht?

Heute Abend ist Armand schon lange vor dem geplanten Date mit Julia vor den gebündelten Banalitäten geflüchtet. An den Strand. Da hat Dolores in einem Moment unsäglichen Mitleids einen Krug mit Orangensaft zu ihm runtergetragen. Damit er nur für einen Moment aufatmen konnte.

„Was hast du dir dabei gedacht*, fragt James Dolores beim abendlichen Debriefing. „Ich bin nur in meiner Coverperson geblieben“, verteidigt sich Dolores. James antwortet nicht. Er will ihr nicht erzählen, dass Armand ihn beauftragt hat, alles über sie herauszufinden. Also über die Kandidatin Dolores. Er wird sich alle Mühe geben, ihr so viele Skandale anzuhängen, dass Armand sie nicht mal mit der Kneifzange anfassen wird. Dolores. Die Unnahbare, Kühle. Die Berechnende und Berechenbare. Bis heute. Stimmt es wirklich, dass sie Armand aus ihrer Rolle heraus den Saft gebracht hat? Oder ist da mehr?

Ja, da war mehr. Am nächsten Tag wirft Armand den Bachelor-Drehplan um und fährt mit Dolores im Cabrio über die Insel. Sie essen in einem Fischerdorf fangfrische Garnelen aus einer Tüte Zeitungspapier. Trinken offenen Rotwein – und reden. Armand erzählt ihr sein Leben. Die behütete Kindheit, die Einsamkeit eines kleinen Genies. Die Gründung seines Imperiums. Monique. Anfang und Ende seiner Ehe. Er fragt und will alles über Dolores wissen, aber es gelingt ihr, die Wahrheit zu verschweigen, ohne zu lügen.

Und am Tag darauf fliegen Armand und James zurück nach Paris. Mit Dolores und einem ovalen Lab-Grown-Diamanten von 12 Karat als Verlobungsring. Die Kosten für die geplatzte

Produktion zahlt Armand aus der Portokasse.

James ist außer sich. Genau wie Monique, die er sofort nach ihrer Rückkehr über die neuesten Entwicklungen informiert. „Wie konnte das passieren?“ „Keine Ahnung.“ „Biete ihr einen anderen Job. Weit weg. Biete ihr eine Million. Oder zwei. Sie ist hinter seinem Geld her. Was hat sie bei dir schon verdient? Jetzt wittert sie Morgenluft, Ist doch klar.“ Aber so einfach liegt die Sache leider nicht. Denn Dolores hat sich in Armand verliebt. Ernsthaft verliebt.

„Dann musst du ihm eben reinen Wein einschenken. Oder besser ich mache das. Wenn er weiß, dass sie nur ein Bodyguard ist und sich seine Gunst praktisch erschlichen hat, lässt er sich sofort fallen.“

James ist da anderer Meinung. Er kennt seinen Boss besser als die Ehefrau dies tut. Nein. Und wenn Dolores eine Killerin wäre – Armand ist verliebt. Er wird nichts gelten lassen.

Doch James hat nicht vor, das Happy End tatenlos mit anzusehen. Er will die Hochzeit unbedingt verhindern und gleichzeitig Dolores dafür bestrafen, dass sie sich nicht für ihn entschieden hat. Dabei hatte James alles schon perfekt geplant. Noch ein Jahr in seiner Truppe, dann wäre Dolores die beste weibliche Kampfmaschine der westlichen Hemisphäre gewesen. Und ihm absolut ebenbürtig, Dann hätte er ihr das größte Geschenk gemacht und ihr angeboten, seine, James McMurdochs Frau zu werden. Ein Angebot, das sie unmöglich hätte abschlagen können. Dachte er.

Nun, wenn er sie nicht haben kann, soll Armand sie jedenfalls auch nicht kriegen! Er hat schon kurz mit dem Gedanken gespielt, sie mit einem präparierten Auto die Küstenstraße entlangfahren und an geeigneter Stelle die Klippen hinabrasen zu lassen. À la Grace Kelly. Aber dann wäre sie auf der Stelle tot. Und er will doch, dass sie leidet. Ja, sich in ihrem Leid vielleicht sogar ihm, James zuwendet. Bittend. Weinend. Auf Knien. Aber dann wird es zu spät sein. Er wird sich abwenden, die Schultern zucken und sagen: je suis désolé, ma petite. Ich kann nichts mehr für dich tun!

Aber dann, als er schlaflos auf der obersten Terrasse von Armands schlossähnlicher Villa vor den Toren von Paris dem Vollmond sein Dilemma klagt, schwebt eine Fledermaus vom Dach herunter, verfängt sich in seinem Haar – und krallt sich eine Schrecksekunde lang in seiner empfindlichen Kopfhaut fest. Bevor er sie greifen kann, befreit sie sich mit einem schrillen Schrei und schwingt sich in den nächtlichen Sommerhimmel.

„Man müsste euch alle töten, Pack!“, schreit Armand der Fledermaus hinterher. Und da weiß er, was er tun muss. Sieht den ganzen Plan vor sich, in seiner genialen Einfachheit. Er wird einen Hinterhalt inszenieren, in dem ein paar seiner Männer das Leben lassen werden. Er hat sie schon im Blick, Claude, Mike, Silver, vielleicht. Die Schwächsten, Unzuverlässigsten, die Aufmüpfigen. Drei Fliegen mit einer Klappe!

Danach wird er Armand von einem Gespräch mit dem Polizeipräsidenten berichten – streng vertraulich, natürlich. Ein Informant habe glaubwürde Beweise dafür, dass ein libanesischer Clan hinter dem Angriff stecke. Im Auftrag eines hochrangigen Saudiarabischen Prinzen, der Armands Imperium ins Wanken bringen und dann günstig aufkaufen wolle. Ein Milliardenschnäppchen, sozusagen.

Der Pariser Polizei seien die Hände gebunden, wir er Armand erzählen. Der Polizeipräsident habe ihm quasi einen Blankoschein für die Ausrottung des Clans gegeben. Durchaus im gegenseitigen Interesse.

Danach wird James zu Dolores gehen. Er wird ihr sagen, dass Armand in Absprache mit der Pariser Polizei ihren Vater töten wird, zusammen mit ihrem Onkel und dessen Söhnen, die sich gerade zu Besuch bei Dolores Familie befinden. Weil er sie, die Mitglieder des libanesischen Clans, für die Mörder seiner Leute hält.

Und es wird nur einen Menschen geben, der – oder vielmehr die – dieses sinnlose Blutbad verhindern kann. Wie wird Dolores sich entscheiden? Sie kann nicht zu Armand gehen, ohne ihren familiären Background preiszugeben. Aber wenn sie ihren Onkel und die Cousins zum Flughafen begleitet und mit ihnen nach Chicago fliegt – One Way, versteht sich – dann, das verspricht ihr James, wird ihre Familie verschont werden.

Ein genialer Plan!

Dolores liegt währenddessen nichtsahnend auf dem Bett und grübelt. Wie so oft, seit sie aus der Wirklichkeit in diese parallele Märchenwelt gestolpert ist. In diesen Traum, aus dem sie jeden Moment aufwachen wird, hoffentlich. Denn sie erkennt sich gar nicht wieder. Hat sich in Armands Augen verloren. Er hat sie in die Arme genommen, und nun schwimmt sie in einem Meer von Gefühlen, die sie bislang nie gespürt hat. Sie klammert sich an jede Minute mit ihm, als müsse sie ohne sein Lächeln ertrinken. Und sie versteht sich selbst nicht mehr.  Ihr Vater würde diesen Zustand Liebe nennen und ihr eine Auswahl an Büchern anbieten, aufgeschlagen, mit markierten Worten und Passagen, in denen Dichter und Dichterinnen diese Emotionen zu beschreiben, zu be-greifen versuchen.

Wie sinnlos, denkt Dolores. Wenn du denkst, verlierst du dich im Strudel des Fühlens und gehst unter. Besser du lässt dich einfach treiben.

James holt sie zurück in die Gegenwart. Erstürmt in ihr Zimmer, ohne anzuklopfen. Und als er zu sprechen beginnt, mit Sorgenfaltenstirn und leiser Kümmerstimme, da schlagen die schwarzen Wogen über ihr zusammen. Gefühle, ja, aber keine Liebe. Hass.

Gestern Nacht, sagt er, wurden ein paar von unseren Security Männern in einen Hinterhalt gelockt. Von Mitgliedern eines libanesischen Clans. Drei Männer sind tot, Freunde von Dolores. Jetzt geht es um Vergeltung. Der Clan muss vernichtet werden. Und alle, die ihm angehören. Der Polizeipräsident deckt die Aktion. Berichtet James.

Dolores ist nicht dumm. Sie versteht seinen Plan. Bewundert ihn sogar. Gut gedacht. Gut gemacht. Drei Fliegen! Sie hört zu, ohne James zu unterbrechen. Ohne eine Frage. Ohne eine Klage, sogar. Sie nickt und bittet um einen Abend, nein, nicht Bedenkzeit. Zeit, um alles zu organisieren. Die Tickets zu kaufen. Den Eltern eine glaubwürdige Geschichte zu präsentieren, eine nachprüfbare.

Und James willigt ein. Er ist nicht enttäuscht, weil Dolores nicht geschrien hat, nicht geweint, nicht gefleht. Das hat sie ohnehin nur in seinen Träumen, von denen er wusste, dass sie nie wahr werden würden. Aber die Schwingung in ihrer Stimme bebte vor verletztem Stolz. Das hat er gemerkt. Und zehrt davon, genießt jeden Bissen dieser Erinnerung, während ihm nichts weiter bleibt als die Zeit, bis sie verrinnt.

Showdown: Dolores arrangiert ein Gala-Dinner. Lädt alle dazu ein. Erklärt Armand, dass er sie im Grunde noch gar nicht allen Bekannten vorgestellt hat. Auch seine Exfrau Monique soll kommen. Auch der Polizeipräsident. James sagt sie, dass sie sich mit einem „boom“ verabschieden möchte. Sie zeigt ihm die Flugtickets, ihr Gepäck ist bereits am Airport. Alle Verträge gekündigt. Der misstrauische James ist beruhigt.

Es wird ein fürstlicher, ein königlicher Abend. Alt funkelndes Silber, Glen Geschirr mit einem Meer verstreuter Sommerblumen, Baccarat Kristallgläser, jedes ein schimmerndes Unikat. Auf dem weißen Leinen türmten sich kulinarische Köstlichkeiten. Die Gäste werden von einem livrierten Butler angekündigt. An jedem Platz liegt als Gastgeschenk ein kleines Aktienpaket.

Das Essen ist mehr als einen Stern wert – natürlich, denn es sind mehrere Sterne-Köche und Köchinnen am Werk. Fleisch und Fisch, Gemüse, vegane Kreationen aus den besten Küchen der Welt. Desserts, Obst und Torten. Ein lukullisches Fest.

Als der Champagner in den Gläsern perlt, erhebt sich Armand. Er dankt den Gästen und wendet sich Dolores zu: „Ganz besonders danke ich meiner Dolores. Sie hat dieses Fest für mich arrangiert. Für uns!“

Sie steht auf, ein schwarzes Ausrufezeichen inmitten der bunten glitzernden Abendgesellschaft. Ihre grauen Augen blitzen, als sie sagt: „Armand, Lieber, danke. Aber ich habe noch eine Überraschung. Denn der Dank gebührt nicht nur mir, sondern vor allem auch unserem unglaublichen James McMurdoch!“

Aller Augen suchen den Mann im dunklen Anzug, der sich über seine Muskeln spannt. Und finden ihn direkt am Eingang. Er bewacht die Tür. Damit niemand hinein aber auch nicht hinaus kann. „Mesdames et Monsieurs, erheben Sie das Glas auf den Boss der AA Security“, ruft Dolores. Und spricht ein einziges leises Wort in ihr Headset, das so gut in ihrem schwarzen Haar verborgen war. Nicht einmal James hat es bemerkt.

Zwei Klicks, und die Wand gegenüber von Armand öffnet sich, gibt einen Monitor frei. Darauf erscheinen bewegte Bilder. Ein Film? Die Gäste raunen. Entzückt, zunächst. Dann kippt die Stimmung in höfliche Verwirrung. Schließlich in stummes Entsetzen.

Auf dem riesigen Monitor sind Menschen zu sehen, schwarz gekleidet, mit Maschinengewehren bewaffnet. Sie stürmen einen dunklen Gang hinunter. Plötzlich eine Explosion vor ihnen. Und aus dem Loch., das eben noch eine Eisentür war, dringen Schusssalven. Schreie, Claude! Mike! Silver! Merde!!!! Und dann, über dem Gewirr von Stöhnen, Schreien und Schüssen glasklar die Stimme von James McMurdoch: „Mission erfolgreich. Drei Mann exekutiert. Gut gemacht, mes amis. Rückzug. Eure Belohnung erwartet euch im Hauptquartier.“

Der Bildschirm wird schwarz. Alle Augen suchen den Mann im dunklen Anzug, der sich über seine definierten Muskeln spannt. Jetzt greift er unter sein Jacket nach seiner Waffe. Zwei paar Hände drehen seine Arme nach hinten. „Danke Yves, danke Jaqueline. Wir werden den Tod unserer Freunde nicht ungesühnt lassen.“ Dolores spricht, nicht ins Headset, sondern laut in die Totenstille des Saales hinein.

Armand und die Gäste drehen sich zu James, dann zu Dolores. „Ich bin ein Dolores Hatoum. Dein Bodyguard. Die Beste. Abgestellt, um über dir zu wachen. Willst du mich heiraten, Armand Arnaud?“

„Ich glaube, du hast mich inzwischen schon zweimal gerettet. Mindestens. Ja, Dolores Hatoum. Ich will“ Klatschende Gäste. Während der Polizeipräfekt aufsteht und James eigenhändig abführt. Champagnerkorken knallen. Monique schiebt sich an der Wand entlang Richtung Ausgang. Bleibt plötzlich stehen. Hebt den Kopf. Strafft die Schultern. Greift nach dem nächstbesten Glas und ruft laut: „Vive la nouvelle Mme Arnaud.“ 

Para? Para!


handicap

Ich bin nicht besonders nah am Wasser gebaut. Aber grade habe ich feuchte Augen, und das ist nicht der Allergie geschuldet! Ich sitze vor dem Fernseher, am hellichten Mittag, und bin live dabei bei der Eröffnung der Paralympics in PyeongChang. Der Klöppel der überdimensionalen Trommel in der Handprothese des Trommlers. Sportlerinnen und Sportler in Rollstühlen, mit Blindenstöcken, einer oder zwei Beinprothesen. Die jüngsten unter zwanzig, der älteste über sechzig. Und alle mit einem riesengroßen Lächeln im strahlenden Gesicht. Mexiko ist mit einem einzigen Sportler vertreten. Serbien auch, und etliche andere. Dann die „großen“ Mannschaften, Norwegen, Amerika, Schweden. Die Halle ausverkauft, die Freude überschäumend.

Para heißt auf spanisch „für“.  Und tatsächlich sind das Bilder für das eine Leben. Mit Handicap und ohne Unterschiede. Warum nur prägen diese Bilder nicht den Alltag? Warum ziehen Menschen mit Behinderung immer Blicke auf sich, offen und verstohlen? Warum ist es immer noch nicht selbstverständlich, als Mensch mit Handicap einfach in die Stadt zu fahren, in ein Café zu gehen, einen Laden, ein Theater?

Sport öffnet die Herzen, und tatsächlich sind die Zuschauerzahlen weltweit bei den Paralympics z.T. größer als bei Olympischen Spielen. Ich wünsche mir, dass dieser Funken überspringt und die Spiele überdauert. Denn Sport findet ganz offensichtlich Wege, die anderen verschlossen bleiben. In der großen Politik, zum Beispiel. Warum also nicht auch im Kleinen? Menschen mit Behinderung brauchen auch bei uns noch mehr. Unterstützung, Finanzierung, Verständnis, um so zu leben, wie es eigentlich selbstverständlich ist: mittendrin. Nicht nur bei Sportfesten, sondern im Alltag.