Make Europa Great Again – oder was?


Der Zeitpunkt könnte nicht besser sein. Heute jährt sich das Ende des 2. Weltkrieges. Demokratische Politiker*innen betonen, dass unter dieses Kapitel der deutschen Geschichte nie ein Schlussstrich gezogen werden darf.

Denn, wie Max Mannheimer sagte: „Ihr seid nicht für das verantwortlich, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon.

Aktuell erleben wir, dass die Rufe nach einem „Ende der Schuld“ in Bezug auf die von Deutschland verübten Verbrechen an Jüdinnen und Juden, An Sinti und Roma, an politisch Andersdenkenden immer lauter werden. Deckungsgleich mit der Forderung „Deutschland den Deutscher“ – wer immer angesichts von 30% deutscher Staatsbürger*innen mit Migrationshintergrund (mich eingeschlossen) damit gemeint ist.

Es wird nach einem Einwanderungsstopp geschrien, ganz offensichtlich von Leuten, die keine Ahnung von der Genfer Konvention und Deutschlands Unterschrift darunter haben. Es wird davon gefaselt, Ausländer abzuschieben, ganz im Stil von Gauland, der suggerierte, in Anatolien würden sie dann schon entsorgt werden. Er wird solchen Leuten wohl zukünftig Blut abnehmen, das Krankenhausbett machen und im Altenheim den Po abwischen? Hoffentlich haben sie genug Rssourcen unter Gleichgesinnten. Sonst wird’s unter Umständen ungemütlich, bei Pflegebedarf.

Der neue Innenminister (OMG, dass wir das noch erleben müssen, der wäre ja sogar als Verkehrsminister noch etwas weniger schädlich gewesen) hat gleich am ersten Amtstag den Ärger Europas auf sich gezogen, ganz zu schweigen davon, dass seine vollmundige Ankündigung wahrscheinlich rechtlich gar nicht durchzuziehen ist. Asylbewerber pauschal an der deutschen Grenze abzuweisen verstößt gegen diverse Rechte und Abkommen, stößt die Nachbarn vor den Kopf und sorgt sofort für den ersten Streit in der Koalition. So wird das nix mit der vollen Amtszeit der Regierung. Nun gut, wie ein Freund von mir schrieb: „Merz hat schwach angefangen, wird aber stark nachlassen.“

Und genau in diesen Tagen kommt mir die Einladung zu einem Wettbewerb in die Mailbox geflattert. „Make Europa Great Again – oder was?“ so der Titel der Ausschreibung.

Ist doch klar, dass ich dabei bin. Ein wenig Schmunzeln, etwas Utopie und positives Wünschen sind angesagt, meine ich.

So entstand dieser Text, den ich am Samstag, 10.5.2025 ab 19.30 Uhr im Rahmen des Litbox2 Wettbewerbs im KIM Kino Haidhausen, Einsteinstraße 42, 81675 München vorstellen werde. Ich freue mich natürlich RIESIG, wenn ihr kommt und für mich votet.

Aber genauso glücklich bin ich über eure Last-Minute-Anregungen, die ich, falls sie passen, sehr gerne noch mit einarbeite. Denn ich trage das Essay live vor – und stelle mich dem Urteil des Publikums.

NB: Letztes Jahr holte ich mit meinem Griechenland-Krimi als Außenseiterin den 3. Preis. Diesmal konformiere ich mich – und bin gespannt, wie dieses Genre ankommt.

Ich freue mich auf und bitte euch um euer Feedback.

Hier it comes:

Make Europa Great Again

Ein Aufruf zur Rückeroberung von Espresso, Etikette und echter Empörung. Mit einem Augenzwinkern im Knopfloch.

Europa – der Kontinent, auf dem selbst der Käse mehr Reife zeigt als so mancher Politiker.
Wo man im gleichen Atemzug „Liberté, Égalité, Fraternité“ skandiert und sich dann um den letzten Parkplatz bei Lidl prügelt. Wo man Pasta und Schnitzel als Religion behandelt, aber Menschenrechte – leider zunehmend – wie Kantinenessen serviert: lauwarm.

Aber hey – wir waren mal groß. Imperial, denn immerhin erhoben europäische Nationen zeitweise Anspruch auf den Besitz der halben neuen Welt – und unter den Konsequenzen leiden heute nicht nur deren unglücklichen Bewohner*innen, sondern auch wir.

Doch wir waren auch groß an Ideen:

  • Die Demokratie – obgleich auch in Athen nie als Herrschaft des Volkes ausgelegt.

  • Die Aufklärung – sorgfältig portioniert und aufs rein philosophisch Utopische beschränkt.

  • Der Rechtsstaat – vor dem sich in einigen Staaten allerdings im Laufe der Jahr(zehnt)e die Vorsilbe „Un“ positioniert hat.

  • Die Freiheit – jährlich in weiß, rot, blau und grün in den Himmel geblasen, ausgerechnet von Flugzeugen, die generell eher das Gegenteil symbolisieren.

  • Und nicht zu vergessen: Der Feminismus. Geboren auf Lesbos, gelitten unter Catull, gekreuzigt unter Hitler, wiederauferstanden mit der Pille in den 1960ern.  

    Heute stehen seiner endgültigen Vernichtung durch Heidi Klum, Alice Weidel und die Tradwifes Frauen wie Baerbock mit ihrer feministischen Außenpolitik, Luisa Neubauer und ihr Kampf gegen die Ohnmacht und, ja, immer noch und jetzt erst recht Greta Thunberg, auf dem Meer, in der Westsahara und wo immer sie sich für Klimagerechtigkeit und Frauen einsetzt, entgegen.

    Ob der Sieg an den Außengrenzen Europas oder dem Binnenland zwischen Kindern und Küche enden wird, ist noch ungewiss. Wobei der Faktor Kirche nicht zu vernachlässigen sei. Vielleicht bringt ein Kardinal Marx als der nächste Franziskus oder Benedikt auf dem Heiligen Stuhl sogar die Frauenordination ins Spiel und rettet so den Klerus vor dem Alterstod?

Alles von der Wiege bis zur Bahre europäisch.

Und schließlich gibt es da noch so typisch Europäische Werte wie die Liebe zu Wein und Bier, zu Filterkaffee, Latte und Feuilleton, zu Pluralismus, Toleranz und Multikulti… die allesamt in schöner Regelmäßigkeit als gescheitert erklärt oder totgesagt werden, nur um dann, dem Negroni gleich, an irgendeiner Häuserecke wieder aufzuleben. Wie Venedig, die Stadt, die jedes Jahr aus den Wogen der Ozeandampfer im Canale Grande wieder auftaucht, um von den Nachkommen Byrons, Prousts und Guggenheims heimgesucht zu werden, während ein unbekannter Casanova das Eintrittsgeid entgegennimmt als Obulus gegen das Verenden.

Europa heute, das sind Verordnungen anstelle von Visionen. Statt blühender Utopien treibt die Bürokratie all überall üppige Blüten. Wenn’s drauf ankommt, streiten wir, ob eine Gurke krumm sein darf und wieviel Wasser pro Minute aus einem Duschkopf fließen soll – 8 Liter, wussten Sie’s?

Wobei es gleichzeitig nicht gelingt, sich auf ein sinnvolles Tempolimit auf Autobahnen zu einigen. Oder darauf, wie man Migration und Menschenrechte sinnvoll vereinbart. Oder den Flüchtlingsstrom dadurch stemmt, dass man keine Waffen mehr in Kriegsgebiete liefert und aufhört, den Schwellenländern das Wasser abzugraben, wirtschaftlich und wortwörtlich.

Make Europa Great Again? Na klar! Aber bitte anders. Menschlicher. Globaler.

Nicht mit roten Kappen – sondern mit klarem Kopf.
Nicht mit Runenzeichen – sondern Mit-Menschlichkeit.
Nicht mit Mauern – sondern mit Ideen, die verbinden.
Und mit dem festen Vorsatz: Nie wieder Krieg!

Höchstens einen kleinen Europa-internen Streit, z.B. darüber, ob man „Spaghetti Carbonara“ mit Sahne machen darf (Spoiler: nein) oder wer die Pommes erfunden hat (Spoiler: Belgien, aber das darf Frankreich nicht erfahren).

Nein! Europa ist kein Auslaufmodell. Kein Benziner ohne Zapfsäule. Eher eine zu schnell zu groß gewordene WG, ein baufälliges Haus, in dem Stockwerk für Stockwerk besetzt aber nur im Ansatz renoviert wurde. Ein Haus voller Streit, Versöhnung, Diversity, Drama und Dolce Vita. Und das ist gut so.

Europa heute ist ein Traum zwischen Tiefschlaf und Erwachen. Eine Skulptur, von der, wie Michelangelo sagte, nur der überflüssige Marmor abgeschlagen werden muss.

Europa war jahrhundertelang die Bühne der Ideen, die die Welt veränderten, der Revolutionen, deren Kinder sich nie ganz auffraßen, sondern glanzäugige Enkel bekamen. Der Kontinent der großen Kunst und der schiefen Kirchtürme. Hier wurde gedacht, gemalt, diskutiert, geliebt und natürlich gestritten – manchmal ein bisschen zu laut, manchmal mit ein bisschen zu viel Pulver. Und meist mit ganz viel Dampf.

Doch dann kamen die Jahrzehnte des Zauderns: zu kompliziert, zu démodé, zu viel Bürokratie, zu viele alte Menschen und zu wenig Begeisterung. Die Welt blickte nach Westen – auf Silicon Valley, Harvard und Hollywood. Nach Osten – auf Hongkong, Taiwan, Shanghai und Bangalore.

Europa? Saß mit ihrem Cappuccino auf dem Bordstein und philosophierte über alles – außer über die Zukunft, während ihre Kinder Weine aus Yantai und Biere aus St. Louis und Mexiko süffelten.

Jetzt kommt unsere Stunde!

Wenn sich jenseits des Atlantiks politische Abgründe auftun und Wissenschaftler*innen, Künstler*innen und Freidenker*innen ihre Koffer packen, öffnet sich hier bei uns ein Fenster. Ach was, eine Tür. Ein Portal!

Denn Europa kann jetzt wieder zum Magneten werden – für kluge Köpfe, wilde Träume, mutige Kunst. Für Nobelpreisträger*innen und Novellen. Für Start-ups und Streichquartette. Für Debatten, die mehr können als nur Schlagworte.

Wenn wir die Bühne freigeben. Wenn wir Platz schaffen für neue Gedanken, neue Farben, neue Stimmen. Dann wird aus „Good Old Europe“ plötzlich das Next Big Thing.

Und stellen wir uns das mal vor:

  • Ateliers voller Sprachengewirr, aber ohne Babel.
  • Forschungsinstitute, die in hundert Dialekten und mit bunten Händen die Zukunft bauen.
  • Literaturhäuser, in denen sich Bronx-Slammer*innen und Brüsseler Romanciers treffen.

Make Europa Great Again?
Aber sicher. It’s so easy. Mit offenen Türen, offenen Köpfen – und einem gigantischen kreativen Feuerwerk. Nur die strammen Rechten müssen leider draußen bleiben.

Europa hat die schönsten Kulissen der Welt – jetzt müssen nur wieder großartige Geschichten darauf gespielt werden. But: Yes we can.

Auf Instagram (semisappho) und Facebook (mariebastide75) indet ihr mein EInladungsvideo.

Auf ein Neues


Ihr Lieben, nur eine Sekunde trennt das neue Jahr vom alten. Und diese Einteilung ist willkürlich und in anderen Kulturen und Religionen anders. Juden feiern heute keinen Jahreswechsel, sondern Rosch-ha-Schana. Im Vietnam, im Iran, in Indien wird kein Silvester gefeiert, bspw.

Binsenweisheiten, ich weiß. Aber zuweilen tut es gut, sich an die Beliebigkeit dieses Datums zu erinnern. Und etwaigen Ballast von Unerledigtem, von zu vielen zu hehren Vorsätzen, von zu hoch gesteckten Zielen und Wünschen abzuwerfen.

Hey, morgen ist ein Tag wie heute. Und wir können uns jederzeit auf den Weg machen. Nicht nur zu Silvester.

Für mich zählt vor allem, dass ich G*tt an meiner Seite weiß. Wohin ich auch gehe, ich habe seine Unterstützung und ihre Liebe dabei. Das macht mich stark für gute Vorhaben. Für mich und für andere.

ich wünsche euch einen wunderschönen Abend und einen guten Start in das Kalenderjahr 2025.

Ein Jahr des Friedens und der Kraft, der Liebe und der guten Initiativen. We can make it if we try!

Adventskalender – Gedanken am 20. Dezember


Es gibt Tage, da lenkt dich das Leben in Bahnen, die anders verlaufen, als du es geplant hattest. Heute am frühen Abend war ich in einem Programm-Kino. Der Film: Liebe Grüße aus Nahost. Mit einem Gespräch mit den Macher*innen.

Ich hatte zunächst nicht auf das Erscheinungsjahr geachtet. Was ich dann sah, war Aktualität pur und hätte im vergangenen Sommer erlebt und gedreht worden sein können.

Eine Gruppe von Gymnasiast*innen, ein Rapper und zwei Begeitpersonen besuchten Hebron, Bethania und das Westjordanland. Dabei begegneten sie Israelis und Palästinensern, die eines gemeinsam hatten: sie engagieren sich für ein friedliches Miteinander, sind gegen bewaffnete Angriffe – und sehen die Politik der israelischen Regierung gegenüber den Palästinenser*innen als Ursache dafür, dass weder Palästina noch Israel zur Ruhe kommen.

Der Film wurde 2012 gedreht. Und es ist an sich schon erschreckend, dass sich nicht nur nichts verbessert hat, sondern dass es im Gegenteil so vie schlimmer geworden ist, für die Menschen dort.

Zur Sprache kamen Lotty, eine Tochter und Enkelin von Holocaust-Überlebenden, ein Holocaust-Überlebender selbst, ein israelischer Soldat, die Eltern einer jungen Frau, die bei einem Selbstmordattentat getötet worden war, eine israelische Menschenrechtsaktivistin, die die Situation an den Checkpoints zwischen Palästina und Israel überwacht. Alles Israelis. Alles Menschen, die in den Medien – sowohl denen vor Ort als auch den internationalen – nie zur Wort kommen. HInzu kamen vier Palästinenser. Ali, ein ehemaliger Aktivist mit 10 Jahren Gefängnisstrafe, ein Bewohner eines von illegalen israelischen SIedlungen umringten Dorfes, ein Bauer in einem ebenfalls von illegalen Siedlungen umzingelten Zeltdörfchen, dass bereits sechs Mal von Siedlern und Militär zerstört und geduldig von den Bauern wieder aufgebaut wurde sowie ein palästinensischer Hip Hopper, der mit seinen Raps gegen den Terror ankämpft.

Mich haben in dem 90-minütigen Film folgende Momente und Aussagen besonders berührt und beeindruckt:

Die Inschrift auf einem Stein am Eingang des Dorfes: We refuse to be enemies. Wir weigern uns, Feinde zu sein.

Lottys Behauptung, dass der Krieg gegen die Palästinenser*innen einen Bürgerkrieg verhindert, weil die soziale Kluft zwischen den Menschen in Israel immer größer wird und es immer mehr Armenghettos in den Städten gibt.

Die Frage des ehemaligen Soldaten, wie es Menschen in den Sinn kommen kann, anderen ihr Land wegzunehmen.

Die Aussage von Lotty, dass das heutige israel kein religiöser Staat ist, sondern ein Land, dessen Bewohner*innen in einer Demokratie leben wollen, und dass ein demokratischer Staat keine Besatzungsmacht sein darf.

Die Behauptung des ehemaligen Soldaten, dass die „normalen“ Menschen in Israel nicht wissen, mit welch illegaler Brutalität das Militär gegen die Palästinenser vorgeht (Sorry, ich weiß, der Vergleich wird als unethish gewertet. Aber ich höre immer wieder den Satz, dass z.B. die meisten Deutschen nicht wussten, was SS und SA mit den Juden machten. DIe Unterscheidung zwischen der Verantwortung von Staat und Volk ist übrigens ein gern und vielfältig genutztes Argument).

Der Unterschied in der Landschaft beim Überqueren der Grenze vom Westjordanland nach Israel. Eben noch alles braun und verbrannt, ohne Gras, Bäume und Sträucher. Und direkt nach der Grenze blühende, grünende Vegetation. Denn Israel gräbt Palästina systematisch das Wasser ab.

Die Frage der Schüler, warum im Holocaust-Museum der Widerstand, auch der bewaffnete, gerechtfertigt und als Heldentum gefeiert wird, während Palestinenser, die sich dagegen wehren, dass ihnen ihr Land und ihre Freiheit genommen wird, als Terroristen bezeichnet werden.

Nein, ich unterstreiche die Frage so nicht. Sie vereinfacht historische Sachverhalte und relativiert entsetzliche Schuld. Schoah und Nakba sind nicht das Gleiche! Aber eine Wahrheit bleibt: Es ist der israelische Staat, nicht seine Bevölkerung, der die Palästinenser*innen seit Jahrzehnten unterdrückt, ihrer Rechte und oft auch ihrer Lebensgrundlagen wie Wasser und Arbeit beraubt, ihnen, wie nicht nur die UN, sondern sogar ein israelisches Gericht mehrfach geurteilt hat, illegal Land wegnimmt und die Siedler mit Militärgewalt beschützt.

Eine Handvoll, so scheint es, Friedensaktivisten sind der Meinung, dass der Konflikt nicht mit Waffen zu lösen ist, sondern nur durch direkte Verständigung der Menschen. Damit die Bürger*innen Israels von ihrem Staat fordern, die Palästinenser*innen mit den gleichen Rechten und Pflichten auszustatten wie sie. Weil dann, und nur dann, der Grundlage für den Terror der Boden entzogen wird: einem Leben in Armut, Demütigung und zielloser Gewalt, die oft Unschuldige trifft. Auf beiden Seiten! Terror unst unverzeihlich und nicht zu rechtfertigen. Und staatlich saktionierte Gewalt ebenso wenig.

Denn, und das ist meine Meinung: Der blutige Kampf im Nahen Osten ist weder Werk noch Wunsch der Menschen, die dort leben, allerdings bedient er die Interessen nicht nur der Israelischen Regierung und der Hamas, sondern der arabischen Welt und des Iran. Und, zumnidest früher, auch einiger westlicher Länder. WIr dürfen nicht vergessen, dass seit Beginn des 20. Jahrhunderts und dann verstärkt während und unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg Juden aus aller Welt ihre Heimat verließen und nach Palästina strömten, weil kein anderes Land sie haben wollte. Und bis heute oft nicht haben will. Antisemitismus lebt. Überall. Nur müssen wir damit aufhören, die Juden als Mitglieder einer Religionsgemeinschaft gleichzusetzen mit dem israelischen Staat, und schon gar nicht mit seiner aktuellen Regierung.

Solange die Politik die Opferkarte spielt, wird die israelische Regierung nämlich nicht zur Rechenschaft gezogen werden für die völker- und menschenrechtlichen Vergehen gegen die Palästinenser*innen. Das sage nicht ich. Das sagen die Isralis in dem Film. Einer von ihnen, ein Holocaust-Überlebender, hat deshalb der Regierung einen Brief geschrieben und dagegen protestiert, dass sein Leid für heutige politische Zwecke missbraucht wird. Der Mann war damals 84. „Egal, was wir erleben. Wir müssen und wir können verzeihen“, sagt er. Das sagen übrigens auch andere Überlebende. Das ist Größe, Das lst gelebte Religion.

Ja, es ist wichtig, dass solche Filme gezeigt und gesehen werden. Weil sie beweisen, dass Versöhnung geht und Wirklichkeit ist, überall da, wo Menschen nicht übereinander, sondern miteinander reden. „Wir hatten vor unserer Begegnung nicht gedacht, dass die anderen auch liebe freundliche Menschen sind“, sagten die Israelis und die Palästinenser im Film von einander.

Und warum geht uns das etwas an? Aus unserer christlichen Verantwortung heraus. Damit wir gegen den Reflex angehen, Politik und Religion zu verquicken. Damit wir offenen Auges und wachen Herzens Antisemitismus bekämpfen – und nicht in all den Menschen Islamisten sehen, die Israels Politik kritisieren.

Wenn Ihr an einer ausführlichen und fundierten Information über die geschichtlichen Hintergründe des Nahost-Konflikts interessiert seid, hier der Link zu einer wirklich sehr guten, absolut objektiven Sendung in der Mediathek von ZDF History: https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x-history/israel-gelobtes-land-bedrohter-staat-100.html

Und wer sich für den Film Liebe Grüße aus Nahost interessiert, hier ein paar Infos: https://www.terramedia-online.de/kino/liebe-gruesse-aus-nahost/

Europa Unita. Hommage an meine visionäre Demenzphilosophin.

Eine Hand lässt eine Friedenstaube fliegen

„La cosa più importante è che l’Europa rimanga unita. Per la pace, per il benessere, non solo nei paesi europei, ma bensí in tutto il mondo.”

Zu Deutsch: Der wichtigste Garant für Frieden und Wohlstand ist ein geeintes Europa. Nicht nur für die einzelnen europäischen Länder, sondern für die ganze Welt.

Standardsätze meiner Mutter, im Lauf der Jahre unzählige Male wiederholt, bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten. Den Wahlen zum Europaparlament. Den Berichten über EU-Gipfel, deutsch-französische Gespräche, die Einführung des Euro, natürlich, und die EU-Erweiterung. Dabei beugte sie sich in ihrem Sessel vor, sah dich direkt an, ihre Stimme war frisch, voller Überzeugung und Überzeugungskraft. Sogar als sie schon so dement war, dass sie zuweilen ihren Namen vergaß, rezitierte sie mehrfach am Tag dieses Credo. „L’Europa deve rimanere unita.“

Ich konnte es schließlich nicht mehr hören. 

Ja, diese Frau hatte einen Weltkrieg durchlebt, der Europa unter Trümmern begraben hatte. Seine Menschen, seine Ideale. Der Phoenix, der sich aus der Asche eines Kontinents herausgeschält hatte, mochte sie begeistern.

Und ja, zurecht. Einheit in Vielfalt, geballtes Wirtschaftswunder – von Amerikas Gnaden zwar und auf Kosten einer halben Heimat hinter dem eisernen Vorhang. Aber immerhin. Wie im Zeitraffer spulten sich vor den Augen ihrer Generation historische Veränderungen ab. Politisch, gesellschaftlich, sozial. (Eigentlich waren es keine Veränderungen, sondern Wiederholungen, aber die erlebte Geschichte ist für jede Generation natürlich einmalig). Flüchtlinge aus den Ostgebieten, Gastarbeiter, Binnenmigranten. Reisen, Konsum, sozialer Aufstieg, mehr Konsum. „Geh’n Se mit der Konjunktur, geh’n Se mit auf diese Tour“, schallte die Nachkriegshymne aus Autoradios und Frankfurter Küchen über die rasant dahinschmelzenden Schuttberge. 

Und das alles war nur möglich, weil Europa zusammenwuchs. Davon war meine Mutter überzeugt. Denn sie hatte es erlebt. 

„La cosa più importante è che l’Europa rimanga unita. Per la pace, per il benessere, non solo nei paesi europei, ma bensí in tutto il mondo.”

Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs kam nicht der Frieden – „wir haben keinen Friedensvertrag“, auch so ein Standardsatz meiner Mutter -, sondern der Kalter Krieg. Statt zu verhandeln, wurde erst einmal aufgerüstet. Frei nach dem Motto: ein potentiell möglicher Angriff ist die beste Verteidigung, O-Ton meine Mutter, bewaffneten sich West und Ost mit Waffen, die einen unendlichen Overkill ermöglichten.

Derweil wurde der Waffenstillstand an den Grenzen durch Kriege im Innern gesichert., Prager Frühling, RAF, Brigate Rosse. Und dann die Friedensbewegung. Atomkraft – nein danke, Gorleben, Wackersdorf und Startbahn West. 

Während der Osten Proteste niederpanzerte, wuchs im Westen eine neue Kriegsform, der Terrorismus. Von 1970 bis 2016 haben in Europa etwa 4.280 Anschläge stattgefunden. Mit etwa 9.200 Todesopfern In den dreißig Jahren vor der Jahrtausendwende. Nordirland, Spanien, Italien –   lange vor den islamistischen Terrorkommandos hatten ethno-nationalistische Gruppen diese Kriegsform für sich adoptiert. 

Wie konnte meine Mutter da von „Frieden“ sprechen? Weil Europa zum ersten Mal so sehr geeint war. Wirtschaftlich und politisch. Trotz ihrer Demenz erkannte meine Mutter im neuen Jahrtausend die Risse. Und warnte. 

Hat Putin den Zeitpunkt für seine Aggression gegenüber der Ukraine gewählt, als die Einheit Europas zu bröckeln begann? Ist die EU zu schnell gewachsen? Oder ist sie gewachsen, ohne dass die Länder genug einende, verbindende Strukturen, Konzepte, Visionen hatten? War die Hoffnung auf wirtschaftlichen Fortschritt und Sicherheit im Schatten der Nato nicht genug? War noch zu viel Warschauer Pakt in der DNA der neuen Staaten? Fakt ist, innerhalb Europas wuchsen die Unstimmigkeiten. Arbeits- und Armutsmigration, „Flüchtlingsansturm“, neu aufkeimender Rassismus, Grenzschließungen, Erstarken des Ethno-Nationalismus. Letzteres keineswegs nur in der Ost-EU, sondern ebenso in Frankreich, Italien, Deutschland etc. Brexit und Covid-19 schließlich versetzten Europa einen Stoß, der die Einheit in gefährliche Schieflage brachte. 

Das ist der ideale Moment, um damit zu beginnen, mit den Demokratiebestrebungen im Umfeld Russlands dauerhaft aufzuräumen. Denn Putin will vielleicht einen breiteren Zugang zum Schwarzen Meer, aber er will vor allem nicht von aufkeimenden Demokratien umgeben sein. Deshalb wird er seinen Feldzug nicht stoppen wollen. Er hat mit wachsendem Widerstand in seinem Land zu kämpfen. Er hat den Kontakt zur Jugend weitgehend verloren. Und zu vielen Bevölkerungsschichten ebenfalls. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist immens. Die Armen glauben der Regierung nicht. Sie lassen sich nicht impfen (Impfquote bei ca. 25%), weil sie vermuten, der Impfstoff sei vergiftet. Sie misstrauen sogar russischem Wodka, aus demselben Grund. Ein Heer von Arbeitsmigranten aus den ehemaligen Sowjetrepubliken haust unter unmenschlichen Bedingungen im Land, ausgebeutet und verachtet, Parias der Gesellschaft. Die Zahl der Straßenkinder wächst. Sie fliehen vor Missbrauch, Schlägen, unzumutbaren Wohnverhältnissen – oft 3 Generationen in einem Zimmer, alkoholisierte Eltern – auf die Straßen, nehmen Drogen, prostituieren sich, verkaufen ihre Organe. Nein, das ist keine Übertreibung. Leider. 

Wir fragen uns: was hat Putin davon, der Mächtigste in einem Land der Machtlosen, der Hoffnungslosen zu sein? Ich habe keine Antwort darauf. Außer, dass er ein Mensch mit einer großen psychischen Verletzung ist, der sich „vom Westen“ missachtet fühlt und um sich schlägt, einfach, weil er es kann. Nur, dass seine Schläge tödlich sind. Für die Menschen in der Ukraine, für seine Soldaten, und, sollte er seine Waffen ändern, für weite Teile der Welt. 

Wir fragen uns: wie kann man diesen Wahnsinnigen stoppen? 

Ich habe keine Antwort darauf. Aber ich höre meine Mutter: „La cosa più importante è che l’Europa rimanga unita. Per la pace, per il benessere, non solo nei paesi europei, ma bensí in tutto il mondo.” Vielleicht ist das der Ansatz einer Antwort. Wenn nicht nur Europa, sondern weite Teile der Welt zusammenstehen, schrumpfen Kleptokraten wie Putin auf ein Maß, das bekämpft oder einfach unschädlich gemacht werden kann.

Dass China sich im UN-Sicherheitsrat bei der Resolution enthalten hat, ist meines Erachtens ein Zeichen dafür, dass die so genannte Volksrepublik nicht um jeden Preis hinter Putin steht. Einmal, weil sie in ihrer Nähe keinen – weiteren – Diktator braucht. Zum anderen aber, weil sie auf einen finanzstarken Westen angewiesen ist, denn Chinas Waffe ist der Handel. 

Ja – es stimmt. Im Grunde genommen hat die Aufregung, in die die Menschen in Europa sich seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine versetzt haben, durchaus eine zynische, sogar makabere Note. Denn die Welt brennt in vielen Teilen. Und fast täglich werden UN-Konventionen verletzt. Sterben Menschen. Fliehen, werden verfolgt. Oft haben „wir“ an den Ursachen einen Anteil. Der Balkankrieg wurde lange vom Westen nicht wahrgenommen. Was im Nahen Osten passiert, wird kommentiert, was sich in Afrika tut, erreicht oft nur die Randnotizen der Nachrichten. 

Nun hat der Krieg unsere Haustür erreicht. Gut, das wir aufwachen. Besser wäre es, wenn daraus Konsequenzen gezogen würden, und zwar das gesamte politische und wirtschaftliche Handeln. Krieg ist immer schrecklich, egal, wo er stattfindet. 

Das war es, was mich an der Äußerung meiner Mutter so störte. Dieses Betonen der EU. Aber – sie hatte Recht. Denn ein gerechtes, geeintes Europa sollte ein Zeichen sein und Zeichen setzen für eine gerechte Welt. 

Ein anderer Lieblingssatz meiner Mutter war: Change it, leave it or love it. Also, Mum: I had a dream. I have a dream. Let’s dream it all. Let it get real.

Silvester


Gute Vorsätze? Geschenkt. Ich verlege mich an diesem Jahreswechsel mal auf’s Hoffen. Und Bitten……

 

stern-von-bethlehem-3Gedanken zum Ökumenischen Silvestersegen.

Siehe, wie fein und lieblich ist’s, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen! Denn dort verheißt der HERR den Segen und Leben bis in Ewigkeit. (Psalm 133,1.3)

Einträchtig beieinander wohnen – davon haben wir im heute zu Ende gehenden Jahr nicht allzu viel bemerkt, oder? In Syrien, im Nahen Osten, in vielen Ländern Afrikas herrschen Krieg und Verfolgung, nicht Eintracht. Und in Europa, in Deutschland? Allzu oft wird Zwietracht postuliert, und immer sind die anderen Schuld. Die zu vielen Ausländer. Die EU.

Ein neuer Geist? Viele alte Geister sind von uns gegangen, 2016, in der Politik – Helmut Schmidt, Hans-Dietrich Genscher, Hildegard Hamm-Brücher. In der Kunst – Schimanski, Manfred Krug, Umberto Eco, Dario Fo. In der Musik: Prince, David Bowie, Leonhard Cohen. Und dann die vielen nur uns selbst Bekannten.

Ein neuer Geist? Der Geist, der uns entgegenweht, politisch, macht vielen Angst, ist er doch von der Sorte, die wir, nachdem wir sie gerufen haben, nicht mehr los werden. Und welcher Geist im neuen Jahr aus Amerika auf uns zu „wehen“ wird….?

Wir können eh nichts machen. Wir können die Welt nicht verbessern. Wann ist „Weltverbesserer“ eigentlich zum Schimpfwort verkommen?

Ist es so? Wir alle, jeder von uns und überall, können die Welt um uns herum zwar eindeutig jedes Jahr, jeden Tag, jede Minute noch ein bisschen schlechter machen – negativ verändern, da von sind wir doch überzeugt, das erleben wir doch. Warum aber dann nicht auch besser?

Vielleicht können wir das wirklich nicht. Allein. Aber mit dem neuem Herz und dem neuen Geist, den Gott uns verspricht, können wir das schon. Jeden Tag. Morgens beim Aufstehen, auf dem Weg zur Arbeit, im Gespräch mit Kollegen, Freunden und Verwandten. Mit den Menschen, die uns begegnen. Wie ein warmer Atemhauch ein Fleckchen Schnee zum Schmelzen bringt, so kann unser warmes Herz, so kann unser neuer Geist die Welt verändern. Besser machen. Friedlicher. Wer, wenn nicht wir? Mit Gottes Hilfe!

Der Apostel Paulus schreibt im 2. Korintherbrief: Habt einerlei Sinn, haltet Frieden! So wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein. Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!

Adventskalender MiniKrimi vom 24. Dezember


Natale 15

Buon Natale, pace al mondo! Merry Christmas, peace to the world! Joyeux Noel, paix et amours au monde!

Meine diesjährige Weihnachtsgeschichte: ein kleiner, ganz normaler Familienkrimi mit fröhlichem Ausgang als Tipp für die Gestaltung des Heiligen Abends:

Die Weihnachtserbin

Was bisher geschah:

Heiligabend: Frida hat ihren Mann Jan und die Kinder auf den Weihnachtsmarkt geschickt, um in Ruhe die letzten Vorbereitungen für das Weihnachtsfest zu treffen. Alles wie jedes Jahr, sie erwarten Oma Anita, Opa Bernd und Jans arroganten Bruder David. Sie gilt als perfekte Gastgeberin. Aber heute fragt sie sich, ob sie in den letzten Jahren, seit sie in das Haus am Stadtrand von Berlin gezogen sind, nicht zu oft nachgegeben und zu wenig an sich gedacht hat. Ihr Blick fällt auf die rote Küchenuhr, die ihre besten Tage hinter sich hat. Vielleicht geht es mir genauso, denkt Frida. Und sie spürt, wie so etwas wie Unmut in ihr aufsteigt und Unzufriedenheit. Da klingelt es an der Tür. Wer kann das sein?

„Ja, bitte?“, fragt sie in das Schneegestöber. Vor ihr steht ein Mann mit roter Mütze. Nein, nicht der Weihnachtsmann, das erkennt Frida an der grimmigen Miene, mit der er ihr einen aufgeweichten Umschlag entgegenstreckt. „Frida Rosenzweig?“, schnauzt er sie an. „Ja. Haben Sie was gegen meinen Namen?“ „Ist mir egal, solange er auf dem Briefkasten steht.“ „Aber das tut er doch nicht!“ „Eben. Deshalb musste ich so lange suchen. Eilauftrag vom Kunden. Und das an Heiligabend. Hier, unterschreiben!“ Natürlich passt ihr ganzer Name, Kahler-Rosenzweig, nicht auf das Signaturpad. Ebenso wenig wie auf den Briefkasten. „K. Rosenzweig“ krakelt Frida auf das Pad, dann stürmt der Mann zurück auf die Straße. „Frohe Weihachten“, ruft sie ihm hinterher, um ihrem perfekten Image noch irgendwie gerecht zu werden.

Dann setzt sie sich mit dem Brief in die Küche. Dr. Ernst R. Schreck, Notar, steht auf dem Umschlag. Er enthält die Einladung zur „Testamentseröffnung im Erbfall Pepita Rosenzweig“ am 24.12.2015, 13 Uhr, in der Straße zum Löwen 12 in Wannsee. Frida schaut auf die Küchenuhr. Fünf vor zwölf. Wie passend, denkt sie. Was mache ich jetzt? Du kannst da unmöglich hin, sagt die perfekte Gastgeberin in ihr. Die Vorbereitungen! Na und, antwortet eine Stimme, die Frida nicht mehr gehört hat, seit sie hier eingezogen ist. Denk an dich! Pepita muss Oma Anitas totgeschwiegene Zwillingsschwester sein. Bestimmt hat sie dir was vererbt, sonst hätte dich dieser Schreck nicht eingeladen.

Frida schaut sich in der Küche um, sieht die abblätternde Farbe an den Fensterrahmen, die angeschlagenen Kacheln. „Willst du so weitermachen? Das Haus muss dringend renoviert werden. Aber dafür fehlt euch das Geld. Jan ist lieb und nett, aber er verdient nicht genug. Nimm die Sache selbst in die Hand. Zieh den Mantel an und geh.“

Und das tut Frida. Der Weg nach Wannsee über leergefegte Straßen ist kürzer als gedacht. Das Anwesen Nummer 12 entpuppt sich als majestätische Gründerzeit-Villa mit Auffahrt und Freitreppe. Frida parkt den alten Familienvolvo direkt neben einem grün funkelnden Jaguar XJ. Sie wird erwartet, in der Tür steht ein untersetzter Mann mit Kugelbauch und schütterem Haar. Auch kein Weihnachtsmann, konstatiert Frida mechanisch. „Frau Rosenzweig, schön, dass Sie da sind. Schreck“, sagt er mit öliger Stimme.

Die nächste Stunde vergeht wie im Traum. Das getäfelte Arbeitszimmer, die hohen Stühle. Das Video, in dem eine Frau wie ein Rabe im schwarzen Kleid mit funkelnden Knopfaugen sagt, dass sie Haus, Auto und Bankkonten ihrer Großnichte Frida vererben will. „Die einzige Bedingung, die du erfüllen musst“, krächzt ihre brüchige Stimme aus den Lautsprechern, „ist, zu beweisen, dass du nicht so verlogen bist wie der Rest meiner Familie.“ „Und wie?“ fragt Frida. „Ganz einfach“, erklärt der Notar, „Sie müssen vollkommen ehrlich sein. Und zwar alle.“ „Das sind wir doch immer“, strahlt Frida. Wenn’s weiter nichts ist. In Gedanken zieht sie schon in die prachtvolle Villa ein. Das Treppengeländer ist eine prima Skater-Rail für Finn, und im Garten könnte Annas Pony stehen. „Gehen wir?“ Dr. Schreck sieht sie auffordernd an. „Wir? Wohin?“ „Zu Ihnen nach Hause. Ihre Großtante hat mich mit der Überprüfung Ihrer Ehrlichkeit betraut“.

Die Rückfahrt verläuft schweigsam. Bestimmt würde Dr. Schreck den Heiligen Abend lieber woanders verbringen. „Mein Gänsebraten ist vorzüglich“, flötet Frida und öffnet die Tür. Rauchschwaden vernebeln die Sicht, ein beißender Geruch nach verbranntem Fleisch straft ihre Behauptung Lügen. Mit einem Schrei stürzt Frida in die Küche. Sie hantiert immer noch hektisch mit Töpfen und Pfannen, als Jan und die Kinder nach Hause kommen. „Was ist denn hier passiert?“ Anna rümpft die Nase. „Das stinkt.“ „Kinder, riecht doch lecker.“ Jan will die Stimmung retten. Da sieht er den rundlichen Mann, der Frida ein spöttisches Lächeln zuwirft. „Das gilt noch nicht“, sagt sie hastig. „Erst muss ich alles erklären.“

Jan runzelt kritisch die Stirn. Aber die Kinder sind begeistert. „Zum Glück ist die dumme Gans angebrannt“, ruft Finn. „Jetzt gibt’s Spaghetti mit Tomatenketchup, ok?“ „Das fängt ja gut an“, wispert Frida ihrem Mann zu. „Das wir noch viel besser“, antwortet er.

Statt eines „Du wirst immer jünger, wie machst du das bloß?“ hilft Jan Oma Anita mit der Bemerkung aus dem Mantel: „Du hast ganz schön zugenommen!“ Und Finn brüllt: „Pelz ist Mord! Freiheit für alle Tiere jetzt sofort!“ Opa Bernd erlangt nach Fridas Erklärung zu diesem „etwas anderen“ Heiligabend als erster die Fassung wieder. „Wir können endlich aufhören mit dem Theater, Anita.“ Dann fragt er: „Frida, darf mein Mann dazukommen?“ Denn Bernd und Anita gehen schon lange getrennte Wege. Sie unterhält einen Swingerclub auf Malle, und er hat seine heimliche Liebe Adam geheiratet. „Glaubt bloß nicht, dass ihr den Sommerurlaub bei mir verbringen könnt“, warnt Anita vorsorglich. “Ihr seid viel zu spießig für meine Gäste.“ Frida wundert sich, warum Anita und Pepita sich nicht vertragen haben. Wo sie sich so ähnlich sind. Zwillinge eben.

Als David kommt, macht es ihr sogar richtig Spaß, ehrlich zu sein. „Du bist viel zu spät. Wie immer. Gut, so haben wir wenigstens ohne deine Anzüglichkeiten essen können“, wirft sie ihm an den Kopf. Und setzt noch eins drauf: „Wir haben kein Geschenk für dich. Du bringst ja auch nie was mit.“ „Stimmt nicht“, antwortet David, zieht ein zerknülltes Päckchen aus der Manteltasche und beweist seine Anpassungsfähigkeit an die besonderen Umstände mit der Bemerkung: „Beim Ausmisten habe ich deine alten Topflappen gefunden, die musst du bei mir vergessen haben, als du zu Jan gezogen bist. Hier – stehen dir ganz wunderbar“.

Da stößt Finn einen Wutschrei aus. Anna und er haben ihre Geschenke ausgepackt. Der Junge hält einen Chemiebaukasten in die Höhe. „Papa. Was soll das? Wo ist mein neues Skateboard?“ „Kannst du mir mal sagen, warum dieses Kind sich für nichts von alledem interessiert, was mir als Kind Spaß gemach hat?“, fragt Jan leise seine Frau. „Das liegt vielleicht daran, dass er gar nicht dein Sohn ist, sondern der deines Bruders“, flüstert Frida zurück. Was für ein Albtraum, denkt sie. Und: hätte ich bloß diesen Brief nie bekommen!

Der Rest des Abends versinkt im Chaos. Bernd hat sich von Adam abholen lassen. David haben die beiden gleich mitgenommen, mitsamt dem Veilchen, das ihm Jan verpasst hat. Anita sitzt mit Dr. Schreck auf der Terrasse und raucht einen Joint. „Das habe ich mir auf Malle angewöhnt. Hilft super gegen Arthrose“. Jan hat die Kinder ins Bett gebracht. Jetzt steht er im Schlafzimmer und packt seinen Koffer. „Mensch Jan, bitte. Es tut mir so leid. Das war einfach alles zu viel für mich“, sagt Frida und macht eine ausladende Armbewegung. „Alles“ meint dieses Leben. „Wollen wir es nicht noch mal versuchen? In Tante Pepitas Haus? Ohne Sorgen?“ „Und wie bringen wir Dr. Schreck dazu, in uns eine ehrliche Familie zu sehen?“, fragt ihr Mann. „Hm, wir geben ihm einfach so viel zu trinken, dass er sich morgen an nichts mehr erinnert!“

Am 25. sitzen alle beim Frühstück. Frida und Jan, Finn, Anna und Oma Anita, als Dr. Schreck die Treppe hinunter kommt. Sein Aussehen macht seinem Namen alle Ehre. „Guten Morgen“, ruft Frida gut gelaunt. „Schauen Sie, die perfekte ehrliche Familie!“ „Von wegen“, sagt Schreck. „Sie sind verlogen! Sie haben mich gestern betrunken gemacht, damit ich mich an nichts erinnere. Aber hier, ich habe alles aufgenommen“, und er zeigt auf sein Handy. Da klingelt es an der Tür. „Das ist mein Taxi. Auf Nimmerwiedersehen, Familie Kahler-Rosenzweig,“ „Halt, Sie können uns doch nicht so einfach sitzen lassen, nach allem, was wir wegen Ihnen durchgemacht haben“, ruft Frida verzweifelt und versucht, ihn festzuhalten. Es klingelt ein zweites Mal. „Lassen Sie mich los“, faucht Dr. Schreck.

Als es zum dritten Mal klingelt, fährt Frida zusammen. Ist sie doch glatt am Küchentisch eingenickt! Es riecht nach verbranntem Braten, und durch dicke Rauschschwaden fällt ihr Blick auf die rote Uhr. So spät! Sie rennt zur Tür. „Schatz, wir haben die Zeit vergessen, nicht böse sein!“ Jan legt ihr mit beschwichtigender Mine den Arm und die Schultern. „Macht nichts!“ Frida strahlt ihre Familie an. „Ich bin auch noch nicht fertig. Hatte wichtigeres zu tun. Was haltet ihr davon, wenn wir Heiligabend heute mal anders feiern? Nicht perfekt, aber dafür so, dass alle Spaß haben?“ „Au ja“, ruft Anna. „Können wir statt dem Gänsebraten Spaghetti essen?“ Und Finn ergänzt hoffnungsvoll: „Mit Tomatenketchup?“

Osama hey sama bama sama hey


Sechs Uhr, kaum fünf Stunden geschlafen. Normalerweise würde mich der Radiowecker mit seiner Schlafstimme im Nachrichtentakt noch ein halbes Stündchen im Schlummer wiegen. Doch nicht heute. Osama is dead. Bin Laden vom Us-Geheimdienst erlegt. Obama bringt die Nachricht vom toten Osama. Ein Buchstabe zwei Welten. Oder doch nur die eine?

Was Bush nicht gelang – Obama hat es vollbracht. Nun blasen die Weltenjäger das Halali. Und die Hatz ist vorüber. So oder so. Entweder Bin Laden ist wirklich tot. Das impliziert die von Verschwörungstheorien unbeleckte Standardansicht, dass sich der Millionärssohn vom Paulus zum Saulus gewandelt hatte und nach seinem kräftigen Biss in die Hand, die ihn doch nährte, nun das wohl bzw. eher übel verdiente Ende erlitten habe.

Oder er ist nun endlich definitiv totgesagt. Und kann ab sofort die nur lippenflächlich verdammten Genüsse des Okzidents genießen, vielleicht in Nachbarschaft zu seinen amerikanischen Freunden. So ungefähr werden es wohl die Weltverschwörungsanbeter sehen. Und glauben.

So oder so. Osama ist mit dem heutigen Tag von der News-Oberfläche getilgt. Zehn Jahre lang hat er uns in Atem gehalten. War im lahmsten Medientief immer für einen inspirierend gruseligen Ticker gut. „Bist du jetzt brav, Kind? Sonst holt dich Osama!“ Ins Ausbildungscamp, im Zweifel. Und nun? Wo bleiben die atemberaubenden Nachrichten? Ach, macht nichts, wir haben ja William und Kate und Gaddafi. Und Obama. Für ihn werden sich die Wiederwahlprognosen schlagartig, ehm – eigentlich eher schussartig, gebessert haben. Seinen Patriotismus hat er nun unter Beweis gestellt. Und noch dazu ohne den Verlust eines der wertwollen „very intelligent and corageous boys“. Yes, he is one of us. Und das im globalen Sinne. Er hat die Welt gerettet. Im Alleingang, sozusagen. Vor den TV-Kameras, zumindest. Aber auch eigentlich. Denn die Handlanger vor der Villa in der pakistanischen Einsamkeit waren nur sein verlängerter Arm. Ja, er hat uns gerettet. Super, man.

Und wir dürfen jubeln. Glauben. Spekulieren. Ob die Welt damit ein bisschen friedlicher wird, ab heute? Ach, Leute…………………. Haben sich die Zeiten wirklich geändert, oder wisst ihr nur nicht mehr, wie das war, mit den siebenköpfigen Drachen?

Ob lebendig oder tot. Ich wünsche Osama Bin Laden Frieden. Und Ruhe. Und ich  hoffe, dass ich mich mit diesem christlichen Wunsch nicht ins Visier unverbesserlicher Terrorfahnder schreibe.  Ob tot oder lebendig. Der Schatten angstbesetzter Zweifel wird sich hartnäckig halten, über dem Westen. Im Gegenteil, er wird vielleicht noch nachdunkeln, angesichts des aktuellen Geschehens im nahen und ferneren Osten. Der Graben wird sich vertiefen, nicht schließen. Die politischen Erdbeben spalten nachhaltig. Und ich fürchte, mit Drachentötern werden wir auf lange Sicht nicht weit kommen. Schlangenbeschwörer wären viel nützlicher. Auf beiden Seiten. Das wäre vielleicht wirklich ein Weg Richtung Paradies…..