MiniKrimi Adventskalender am 2. Dezember

Bild vom Kölner Dom

Heute lest ihr einen spannenden MiniKrimi von meiner Mörderischen Schwester Sigrun Dahmer. Vielleicht kennt ihr sie von unserer ersten Online Krimilesung am 27.11. Viel Spaß beim Lesen!

Hoch hinaus!

„157 Meter, 335 Stufen. Meine Damen und Herren: Willkommen bei Kölns härtestem Fitnesstraining. Aber Sie werden sehen, wer den mühsamen Aufstieg wagt, wird mit einem atemberaubenden Ausblick belohnt. Mein Name ist Hanna und heute vertrete ich meinen Kollegen Hannes.“

 „Sie wird wach“.  Walters Stimme. Ein Glück, dass ihr Mann bei ihr war. Hannas Kopf dröhnte. 

„Gut. Ich schaue mir die Patientin gleich an“. Sie nahm einen Hauch von Knoblauch wahr und   öffnete unter Schmerzen langsam die Augen. Eine weiße Fläche über, eine blaue Fläche neben ihr. Sie versuchte den Blick zu fokussieren, doch es wollte ihr nicht so recht gelingen. Frustriert ließ sie die Lider wieder zufallen. „Hanna“, hörte sie Jupp sagen und spürte, wie er ihre Hand nahm.

Plötzlich blitzte ein Erinnerungsbild von Jupp im Wohnzimmer in ihrem Kopf auf, kurz darauf spulte ihr Hirn den ganzen Film ab. Jupp unten im Wohnzimmer beim Skatspiel mit seinen Arbeitskollegen.  „Haben wir noch Chips?“ rief er ihr nach oben zu. Sie ärgerte sich. Er wusste so gut wie sie, in welchem Küchenschrank sich die Knabbereien befanden.  Etwas später rief er sie erneut: „Hanna, komm mal runter. Du hast Besuch!“ Keine Ahnung, wer das sein könnte. Neugierig öffnete sie die Tür. Vor ihr ein nervöser, angespannter Hannes. Seine Augen hinter einer dunklen Brille, Schmutzspuren auf dem Kragen seiner teuren hellen Jacke. Ohne Erklärung kam er sofort zur Sache: „Hanna, du musst morgen meine Schicht übernehmen!“

 „Komm doch erst einmal rein.“

 „Nein, ich hab keine Zeit. Morgen um 17.30 Uhr, Treffpunkt Domplatte.“

„Morgen ist der achte Dezember, oder?“

„Kannst du?“

Sie mochte den Südturm nicht, da oben auf der durchsichtigen Metalltreppe hatte sie schon häufiger unter Höhenangst gelitten. Um Zeit zu gewinnen, bat sie um mehr Informationen. „Was für Gäste sind das denn?“ 

„Privatführung.“ Hannes nahm die Brille ab und steckte sie auf sein raspelkurzes Haar. Moment mal, waren seine Augen geschwollen? „Hier, ich gebe dir auch Extrageld.“ Er zog hektisch seine Brieftasche aus der Hose, wollte ihr einen Schein in die Hand drücken, doch Hanna machte eine abwehrende Handbewegung. „Schon gut, schon gut. Ich mach`s, auch ohne dein Geld.“ „Danke“. Hannes drehte sich um und verschwand.

Und dann setzte wieder die Höhenangst an, alles begann sich zu drehen.  Hannas Ohren dröhnten so, als ob ein Schlagzeuger ihr Hirn als Trommel missbrauchte. Endlich überkam sie gnädiger Schlaf.  Zu dumm, dass Jupps Stimme sie kurz darauf, schon wieder zurückholte. “…so stolz …“ Er streichelte ihre Hand. Doch als sie die Augen unter großer Anstrengung öffnete, um ihn anzulächeln, saß nicht nur ihr Mann auf ihrem Bett, sondern auch der Blaue. „Frau Abel, hören Sie mich? Kann ich Sie vernehmen?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr der Lästige auch schon fort. „Sie sind also Hausfrau von Beruf, arbeiten bis zu sechs Mal im Monat als Fremdenführerin. Ist das korrekt?“ Was wollte der von ihr? Warum schrie er so?

„Kommen Sie morgen wieder, die Patientin braucht Schlaf. Viel Schlaf.“ Ein weißer Mann kam auf sie zu, legte seine kühle Hand auf ihre Stirn.

Sie zuckte zusammen, erinnerte sich an die Hand vom grauen Mann an ihrer Kehle. Es war dunkel, das Dämmerlicht in der steinernen Wendeltreppe gab nur ein Minimum von Konturen preis. Sie hatte Hannes Truppe geführt, Dombesteigung. Eine Tour, die sie überhaupt nicht mochte. Das Treppenhaus war viel zu klein und eng. Und dann noch dieser Gegenverkehr. Sie spürte, dass ihr Kreislauf nicht mehr richtig funktionierte, Graffitis an den Wänden, Schweißgeruch in der Nase. Plötzlich tauchte da dieser unheimliche Mann auf. Er gehörte nicht zu ihrer Truppe und fragte sie dennoch immer wieder „you Hannes?“ Irgendwann hatte sie genervt genickt Hanna, Hannes. Egal, sie wollte nichts anderes mehr, als diese lästige Führung zu Ende zu bringen. Und so war sie so schnell, wie es ihr unter den Umständen möglich war, vorangeschritten, als der Graue sie auf einmal in eine Einbuchtung abdrängte und versuchte, ihren Hals in den Würgegriff zu nehmen. Er war entsetzlich stark und sie bekam kaum noch Luft, konnte fast nicht mehr atmen …

Hannas Herz pochte. Sie musste fliehen, durfte nicht liegenbleiben. Doch als sie sich bemühte, aufzustehen, bemerkte sie, dass sie ihr linkes Bein nicht bewegen konnte. Der Schmerz war so überwältigend, dass sie laut aufstöhnen musste. Der Blaue beugte sich über sie und zeigte sich unbeeindruckt. „Frau Abel. Kennen Sie diesen Mann?“ Sie wollte einfach nur, dass er Ruhe gab und sie endlich wieder weiterschlafen ließ.  Aber, seine Augen sahen sie so eindringlich, fast fanatisch an, dass ihr, um ihn loswerden, nur die Möglichkeit blieb, auf seine Forderung einzugehen. Insofern riss sie sich zusammen, richtete ihren Oberkörper ein wenig auf und schwieg und konzentrierte sich auf das Foto vor ihr. Schicke Kleidung. Kurze Haare. „Hannes.“

„Hat er sich so genannt?“, fragte der Blaue sie aufgeregt. Ihr gelang ein Nicken. Er bemühte sich um einen ruhigeren Tonfall: „Ein Tarnname. Ihr Kollege heißt nicht so. Sein wirklicher Name … egal, das Wichtige ist: Dieser Mann ist gefährlich. Wir haben ihn zur Fahndung ausgeschrieben.“ Hanna drehte den Kopf zur Seite, versuchte die Informationen zu verarbeiten, was nicht leicht war, da ihre Ohren wie verrückt brummten, läuteten. Kino. Brad Pitt. Das konnte doch nicht wahr sein. Träumte sie?  Hannes zur Fahndung ausgeschrieben? Ihr Arbeitskollege, mit dem sie auf der letzten Weihnachtsfeier so herrlich über den Knipswahn der Touristen hergezogen war?  „Und …“ Die dringliche Stimme des Blauen schob sich erneut in ihre Gedankenwolken. „Und Frau Abel, und vielleicht kennen Sie auch diesen Mann?“  Sie wollte erst nicht hinsehen, doch ihr Kopf drehte sich automatisch zum zweiten Foto hin.Panik überkam sie. Sie schlug die Hand vor den Mund. Das war er. 

Er hatte zugedrückt bis dieser Tourist vorbeigekommen war und sie höflich gebeten hatte, ihn durchzulassen. Die ganze Attacke war ihr so unwirklich erschienen. Sie, Hausfrau aus Köln, erwachsene Kinder, wer sollte ihr etwas wollen? Ihre Gast-Truppe wartete schon oben auf der Plattform auf sie. Ganz in der Nähe. Alles nur ein Missgeschick. Doch sobald der Tourist weitergegangen war, sah sie den entschlossenen Blick ihres Angreifers. Kein Zufall. Ganz im Gegenteil. Sie befand sich in höchster Gefahr. Fliehen! Panisch hechtete sie nach oben zu ihrer Gruppe. Hilfe holen. Dann hörte sie ein kurzes, böses Lachen, sah ein ausgestrecktes Bein und stolperte, fiel die Stufen hinunter.

 „Hanna? Alles klar?“, schrie ihr jemand aus ihrer Reisegruppe von der Balustrade oben zu. Der Würger zog sie hoch, nahm sie in den Schwitzkasten. Er rief etwas nach oben, was sie nicht verstand. Ihre Lippen formten bereits das Wort „Hilfe“, als sie spürte, wie sich ein kühles Metallrohr gegen ihre Hüfte schob. „Move. A place where it is just you and me.“

Herzrasen, Panik. Endlich gelang es ihr zu schreien. Man wollte sie umbringen. Sie sollte sterben!

„Ganz ruhig, Frau Abel. Jetzt sind Sie in Sicherheit vor dem Auftragskiller.  Aber keine Sorge, er war nicht auf Sie, sondern auf Ihren Kollegen angesetzt…“

“Schluss jetzt”, hörte sie den Weißen sagen. Der Blaue gab Ruhe. „Ruhen Sie sich aus, Frau Abel.“ Endlich konnte sich ihr erschöpfter Körper den tiefen, traumlosen Schlaf holen, den er brauchte. 

Als sie das nächste Mal aufwachte, stand Jupp mit einem Strauß Rosen an ihrem Bett. „Guten Morgen, mein Schatz.“ „Guten Morgen“, flüsterte Hanna. Ihr ging es bereits viel besser, die Medikamente wirkten. Statt eines bombastischen Geläutes im Kopf nur noch ein leises Fiepen. „Du kannst wieder sprechen?“ Jupp küsste sie vorsichtig auf die Wange. „Schau mal!“. Er reichte ihr die Tageszeitung. Auf dem Titelblatt ein Foto vom decken Pitter, der berühmtesten Glocke im Kölner Dom.

Ihr Angreifer nötigte sie, die Tür zur Glockenstube aufzuschließen. Kluges Manöver, dachte Hanna noch. Für Hannas Gäste musste es so aussehen, als würde er sie nach dem Sturz einfach nur stützen wollen. Obwohl ihr Kopf dröhnte, zwang sie sich, die Uhrzeit von seiner Rolex abzulesen. Noch zwei Minuten.  Er schob sie vor sich her, überließ ihr aber die Führung. Unter Röcheln schleppte sie ihn an den Gussformen für die Domglocken, die alle ordentlich in einer Reihe standen, vorbei.

 „So Hannes, say good-bye“. Er musste schreien, um sich verständlich zu machen, da es in dem knarrenden Gebälk der anschwingenden Glocken wie immer sehr laut war. Immerhin hatte er sie losgelassen. Langsam drehte sie sich um, unterdrückte sowohl die Schmerzen als auch ihre Genugtuung. Er sollte nicht merken, dass er genau da stand, wo sie ihn hatte haben wollen. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie sich eine der schwersten Glocken der Welt ebenfalls zu bewegen begann.  Mit dem Rücken zum Pitter erhob er seinen Arm, um seine Pistole hochkonzentriert präzise auf ihre Stirn auszurichten. Hanna betete, dass ihr Plan aufgehen würde. Er befand sich an der einzigen Stelle, wo die Schutzabsperrung eine Lücke aufwies. Sie begann zu zittern, kämpfte aber mit aller Willenskraft gegen den Schwindel an. Halte durch, sagte sie sich. Gleich ist es soweit! Sie schloss die Augen, zählte die Sekunden und dann geschah es endlich: Der dicke Pitter schwang aus. 24 000 Kilo in 22 Meter Durchmesser krachten in den Rücken ihres Angreifers. 

„Frau Abel. Ich sehe schon, Sie sind auf dem Weg der Besserung. Ich lasse Sie jetzt eben kurz allein, um den Wachleuten zu zeigen, wo unser Kaffeeautomat steht. Herr Abel, kommen Sie doch auch bitte eben mit, damit ich Ihnen eine Vase geben kann.“ Hanna schloss erschöpft die Augen. Der Spuk war vorbei. Gleich würde Jupp wieder zurück sein. Sie entspannte sie sich und fühlte, wie ihr Körper allmählich immer schläfriger wurde. Es war warm und weich im Bett und das schwere Plümeau beschützte sie. Doch dann hörte Hanna, fast schon im Halbschlaf, wie die Tür leise aufgeschoben wurde. Seltsam, Jupp war doch sonst nicht so rücksichtsvoll. Sie hatte ihm wohl einen ziemlichen Schrecken eingejagt. In Gedanken daran, wie stolz er sie über den Zeitungsrand hinweg angesehen hatte, schlug sie ihre schweren Lider auf, um ihm liebevoll zuzulächeln. Doch im Türrahmen stand nicht Jupp, sondern der Kollege, der sich ihnen allen als Hannes vorgestellt hatte.

Mehr erfahrt ihr auf Sigruns Webseite

Adventskalender MiniKrimi am 20. Dezember


Bluthochzeit

Keiner von beiden hatte geglaubt, dass das Glück in diesem Leben nochmal an ihre Tür klopfen würde. Nicht, dass ihr Dasein bisher unerfüllt gewesen wäre. Im Gegenteil. Sie war eine erfolgreiche Modedesignerin mit eigenem Label und Geschäften in München, Köln und Kitzbühel. Er war ein ebenso erfolgreicher Autor von Heimatkrimis. Beide hatten einen ausgedehnten Bekanntenkreis, der nicht nur aus Bewunderern, sondern durchaus auch aus echten Freunden bestand. Und natürlich hatten beide auch die eine oder andere Beziehung durchlebt, von schwindelnden Höhen hinunter zu abgründigen Tiefen. Und beide hatten für sich beschlossen, dass in punkto Beziehungen die Ebene einen weit besseren Lebens- und Liebesweg bot.

Bei gelegentlichen Treffen im Hause ihrer gemeinsamen Freundin Ella hatten sie sich, nach dem ein oder anderen Glas Champagner, sogar darüber unterhalten, wieviel angenehmer der Alltag ohne emotionale Komplikationen und ergo bar fester Bindungen sei. Ella aber war ganz offensichtlich anderer Meinung gewesen. 


Ganz sanft hatte sie einen Komplott mit Eros, Amor und Aphrodite geschmiedet und die beiden mit viel Geduld und List in einem zarten Liebesnetz gefangen. Und so waren aus tausend freundschaftlichen Berührungen zärtliche Umarmungen geworden und aus belanglosen Begrüßungs-Bussi-Bussis leidenschaftliche Küsse. Das Besondere an diesem Wunder war, dass das Glück der beiden zwar himmelwärts, aber dabei doch immer auf geraden Wegen verlief, ohne steiles Bergauf-bergab, sondern vielmehr auf einer Hoch-Ebene. Das beflügelte ihr Wesen und machte beide auch im Beruf, der für ihn wie für sie gleichzeitig eine Berufung war, noch produktiver.

Soviel Erfolg, das fühlten beide, wollte auf eine solide Basis gestellt werden. Nicht der anderen wegen! Nein, sie selbst wünschten sich für Ihre Beziehung die höchste Vollendung. Es war nur selbstverständlich, dass Ella von ihnen zur offiziellen Hochzeitsplanerin bestellt wurde.

Das beste Hotel Münchens wurde ausgesucht, und dort natürlich die Panorama-Suite mit einem Blick über die Dächer der Innenstadt und weiter bis zu den Bergketten am Horizont. Ella höchstpersönlich schmückte Schlafzimmer und Hochzeitsbett. Wie, das blieb ihr streng gehütetes Geheimnis. 

Die Feier war, wie nicht anders erwartet, atemberaubend schön. Vom Ja-Wort im romantischsten Standesamt der Stadt über den Nachmittag auf einem Schiff am Starnberger See bis hin zum opulenten Abendbuffet im Bayerischen Hof. Zum Ausklang tanzten und tranken Brautpaar und Gäste ausgelassen im Night Club bis in die frühen Morgenstunden.

Dann torkelten die Frischvermählten in ihre Suite. Ohne das Licht anzumachen – das schadet ab einem gewissen Alter sowohl dem Teint als auch der Illusion – öffnete die Braut als erstes die hohen Fenster und lehnte sich, übervoll mit Glückseligkeit und Alkohol, in die dunkle Morgenbrise. Als sie sich umdrehte, lag ihr Göttergatte bereits auf dem Bett, in Frack, Seidenstrümpfen, Halstuch und Lackschuhen – und schnarchte. Leidenschaftlich, das schon. Aber tief und fest. An die Vollendung der Hochzeitsnacht war nicht zu denken. Sie war nicht besonders enttäuscht. In ihrem Alter konnte sie Bedürfnisse sowohl emotional als auch geistig steuern, und schließlich hatte sie die Katze nicht im Sack gekauft. Seine Qualitäten und Fertigkeiten waren ihr bis ins kleinste Detail bekannt. Und da auch sie zwar im Herzen blutjung, an Jahren jedoch ebenso fortgeschritten war wie ihr nun Angetrauter, fühlte sie wie er die magische Anziehung eines rosenduftenden Bettes mit dem Versprechen, das berauschende Fest durch einen erholsamen Schlaf zu krönen. 

Am nächsten Morgen dann wäre sie, frisch geduscht und neu geschminkt, dem opulenten Frühstück zwischen Kissen und Federn ebenso wenig abgeneigt wie einem zärtlichen Liebesdessert.

Sie sank neben ihn und fiel sofort in einen tiefen, traumlosen Schlaf – aus dem sie, mitten in der Nacht, wie ihr schien, auf grausame Weise geweckt wurde. Sie hatte das Gefühl, als habe jemand ihren Kopf mit einem Gong verwechselt und schlage ihr mit einem Knüppel gegen Schläfe und Ohren, immer und immer wieder. Sie fuhr hoch, starrte mit zugekniffenen Augen in das halbdunkle Zimmer und erkannte, dass das Geräusch von außen durch die weit geöffneten Fenster hereindrang. Es waren die Glocken der ehrwürdigen Münchner Kirchen, die die Gläubigen, von denen wahrscheinlich niemand die halbe Nacht durchgefeiert hatte, zum Morgengebet riefen. Der Dom, Sankt Peter, die Heilig Geist Kirche und Sankt Michael vereinten ihre Stimmen zu machtvollem Geläut. Ihren Mann schien das nicht zu stören, er lag weiter reglos unter der Decke. Sie aber sprang auf, stolperte brillenlos durch das Zimmer, schob die Vorhänge leicht beiseite und schloss die Fenster. 

Ahhh – Ruhe! Aufatmend machte sie sich auf den Weg zurück ins Bett. Und erstarrte! Was war das? Matratze, Laken, Decke – alles war blutrot. Und er? Machte keinen Mucks! Oh nein! „Das kommt davon, wenn sich alte Leute wie Teenager benehmen. Ich hätte wissen müssen, darauf achten müssen, verhindern müssen…“ Aber was? Ein Blutsturz, was sonst? Oder hatte er das Steakmesser in die Brusttasche gesteckt und sich im Schlaf damit erstochen? Unmöglich! Wut kam in ihr auf. „Er muss doch gewusst haben, wie krank er ist. Warum hat er mir nichts davon gesagt? Warum hat er mich überhaupt geheiratet? Vor allem – warum dann die Gütertrennung? Oder – wollte er eigentlich MICH mit dem Steakmesser erstechen? Aber nein. Davon hätte er ja auch nichts gehabt. Außer, er hat mich so gehasst……“ 

Aus der Tiefe der blutroten Decke kam ein Stöhnen. Dann ein Gähnen. Dann schälte sich eine Hand aus den Falten und tastete die leere Bettseite entlang. „Wo bist du?“ 

Vor Erleichterung wurde ihr schwindelig. Sie glitt an der Wand zu Boden, kroch hinüber zum Bett. Suchte auf dem Nachttisch nach ihrer Brille. „Was machst du denn da?“, fragte er. Statt zu antworten, starrte sie fasziniert auf die Laken und Decken. Erst jetzt nahm sie den intensiven Geruch nach Rosenblüten wahr, süß und stark und, ja, beinahe mazeriert. Die ersten Sonnenstrahlen, die sich ihren Weg über die Dächer und an den Vorhängen vorbei ins Zimmer gebahnt hatten, malten ein unglaubliches Bild, das sie dank ihrer Brille nun deutlich erkennen konnte:

Auf dem Bett war ein Meer tiefroter Rosenblüten verstreut worden, ohne Zweifel von Ella, der Hochzeitsplanerin. Leider hatte das Brautpaar aus hinlänglich beschriebenen Gründen diese ästhetische Hommage nicht gewürdigt. Mehr noch: es hatte die Pracht nicht, wie vorgesehen, nach ausgiebiger Bewunderung sorgfältig beiseitegelegt, sondern sich einfach mitten hineingeworfen. Die Körperwärme, gepaart mit zwar bekleideten, aber dennoch unruhig wälzenden Bewegungen zweier ausgewachsener Menschen, hatte quasi zu einer heißen Enfleurage geführt. Und die erhitzten, zerdrückten Blätter hatten ihre rote Farbe mit allem geteilt, was sie berührt hatte. 

„Jetzt ist es eh schon passiert“, murmelte sie, schmiegte sich eng an ihren Ehemann – und die beiden holten die Freuden der Hochzeitsnacht am helllichten Morgen ausgiebig nach. 

Das Hotel lehnte ihr Angebot, für den an der Wäsche entstandenen nicht zu behebenden Schaden aufzukommen, ab. Dass Laken und Decken in einer Vitrine ausgestellt und im Rahmen einer Motto-Führung über „Skurrile Episoden eines Grandhotels“ gezeigt werden, ist lediglich ein nicht bestätigtes Gerücht, dass das Ehepaar übrigens selbst in die Welt gesetzt hat.