Adventskalender MiniKrimi am 14. Dezember


Früher, als Studentin, und auch später noch, bevor ich Mutter wurde, bin ich sehr oft und sehr gerne ins Kino gegangen. Vor allem die Nouvelle Vague Filme hatten es mir angetan. Aber auch Hitchcock. Und die Rocky Horror Picture Show. Die habe ich 15 Mal gesehen. Heute ist mein cineastisches Wissen ziemlich eingerostet. Aber der Fehler, der meinem Protagonisten Giovanni unterlaufen ist, wäre mir nicht passiert.

EInem Cineasten wär‘ das nicht passiert!

Seit zwei Jahren wohnt Michaela, genannt Michi, jetzt schon in dem Hochhaus am Stadtrand von München. Die Siedlung ist, entsprechend dem Münchner Modell, das Sozialwohnungen mit Eigentumswohnungen mixt, ein Kaleidoskop mit vielen Generationen, Kulturen und Lebensentwürfen. Trotzdem hat sie in ihrem Haus keine neuen Freunde gefunden. Bis auf Giovanni. Er arbeitet in einem Restaurant, Michi in einem Saunaclub. Seit sie sich auf dem Nachhauseweg von der Arbeit eines Morgens um drei im Treppenhaus begegnet sind und gemeinsam vergeblich 10 Minuten auf den wieder mal defekten Fahrstuhl gewartet haben, treffen sie sich mindestens einmal pro Woche, um zusammen zu kochen, zu essen und einen kitschigen LIebesfilm zu schauen. Beide sind Single, und beide schmelzen jedes Mal dahin, wenn das Traumpaar nach 90-minütigen Irrungen und Wirrungen endlich für immer zueinander findet.

Seit drei Wochen ist Giovanni ganz verändert. Er versalzt das Pasta-Wasser, schaut wieder und wieder verträumt ins Nichts oder seufzt unvermittelt mit einem verklärten Lächeln im Gesicht. „Giovanni, gib’s zu, du bist verliebt“, hat Michi schon mehrfach gesagt. Aber Giovanni, der sonst all seine Geheimnisse mit der Freundin teilt, hat nur den Kopf geschüttelt. „Ich verrate nichts. Noch. Das bringt Unglück, sagt meine Großmutter.“ Seine sizilianische Großmutter ist Legende. Gegen ihre Lebensweisheiten kommt Michi nicht an. Also wartet sie ab.

„Was ist eigentlich mit der Nachbarin aus dem 9. Stock?“, fragt sie, um das Thema zu wechseln. „Ach, quella stronza (das übersetze ich jetzt nicht) hat mir schon wieder ihren Anwalt auf den Hals gehetzt. Und diesmal gleich mit einer Klageandrohung.“ „Warum denn diesmal?“ „Versuchter Mord. Angeblich habe ich sie mit einem Messer bedroht.“ „Schon wieder? Und warum? Letztes Mal hat sie doch ne Abfuhr von der Polizei kassiert wegen Notrufmissbrauch, weil du glaubhaft versichern konntest, dass du vor dem Müllhäuschen mit einem Kneipchen einen Amazon-Karton zerschneiden wolltest – und nicht ihre Kehle:“ „Ja, genau. Diesmal hat sie bei mir geklingelt, weil ich angeblich zu laut Musik anhatte. Gut, ich habe l’italiano vero von Toto Cotugno gehört und mitgesungen, ungefähr so: Lasciatemi cantaaareeeee..:“ „Ja, ist gut. Hör auf, ich kenne den Song und deine Interpretation. Zum Glück musst du im Restaurant nicht als singender Kellner auftreten. Aber was hat das mit dem Messerangriff zu tun?“ „Allora: ich war beim Zwiebelschneiden, und als sie geklingelt hat, bin ich gleich zur Tür gelaufen. Mit dem Messer in der Hand.“ „Lass mich raten, das Yaxell Gou mit 101 Lagen?“ „Genau.“ „Ok…“ „Sie hat mich gar nicht angeschaut, nur auf das Messer gestarrt, und hat angefangen, zu brüllen, als wäre sie ein Schwein und ich der Metzger. Ich wollte sie beruhigen, dabei habe ich wahrscheinlich gestikuliert.“ „Wie ein Italiener das halt macht.“ „Jedenfalls, als nächstes flattert mir dieses Schreiben ins Haus.“ „Und jetzt?“ „Jetzt warte ich auf die Entscheidung der Staatsanwaltschaft.“

Wow. Armer Giovanni. Die Frau ist wirklich gestört. Michi vermutet, dass sie insgeheim in ihn verliebt ist, und weil er keinerlei Interesse an ihr hat, rächt sie sich, indem sie ihm einen Haufen Scherereien macht. „Das ist total schlimm, aber bitte, zieh nicht weg. Sonst bin ich hier komplett allein.“ „Nein, tesoro, mach dir keine Sorgen. Noch ziehe ich nicht weg. Vielleicht, wenn ich eine feste Freundin habe. Aber das dauert noch eine Weile.“

Michis ist sofort hellhörig und will Details erfahren. Aber mehr ist aus Giovanni nicht rauszuholen. „La nonna, du weißt ja.“

Aber schon eine Woche später rückt Giovanni endlich mit der Sprache raus. Gut gelaunt und in einem schicken neuen Hemd öffnet er ihr die Tür und streckt ihr zur Begrüßung ein Glas Limoncello Spritz entgegen. „Hey, was ist passiert?“ „Vieles. Erstmal hat die Staatsanwaltschaft die Anzeige der stronza über mir eingestellt. Kein hinreichender Tatverdacht.“ „Hey, super. Gratuliere. Und sonst?“ „Ach, ich bin doch auf dieser Dating-Plattform. Singles in München.“ „Aahaaaaa.“ „Ja, und da habe ich vor einem Monat eine tolle Frau kennengelernt. Blond und schöne wie ein Engel. Wir haben es bewusst ganz langsam angehen lassen und uns erstmal viel voneinander erzählt. Ich wollte sie ja schon lange treffen. Aber sie war zurückhaltend. Kommt aus einer gläubigen Familie, irgendwie.“ „Oh, Mann, kein Sex vor der Ehe? Giovanni, ob das mal gut geht?“ „No. So schlimm ist es nicht. Außerdem hat sie mir ja genau heute geschrieben, ob wir uns nicht auf einen Drink treffen wollen. Das war total cool. Erst hab ich in der Post die gute Nachricht wegen der Anzeige, und dann schlägt sie ein Date vor. Das ist mein Glückstag!“ „Ich freu mich für dich. Wann sehr Ihr Euch?“ „Heute! Sie hat gesagt, sie holt mich später ab. Sie hat einen Porsche. Dann muss ich nicht mit der U-Bahn reinfahren.“

„Aber dann kochen wir lieber nicht, und du machst dich fein.“ „In nessun caso. Auf gar keinen Fall. Wir essen unsere Spaghetti Alfredo. Und wenn du zur Arbeit musst, hab ich noch etwas Zeit, um mir die Zähne zu putzen und eine rote Krawatte anzuziehen. Mein Erkennungszeichen. Sie kommt um elf,“ und er grinst.

„So spät?“ Egal. Michi freut sich sehr für Giovanni. Sie selbst hat nach dem Scheitern ihrer letzten Beziehung noch keine neue Frau fürs Leben gefunden. Um so glücklicher ist sie, dass es bei ihm endlich zu klappen scheint.

Nach einem wunderbaren Essen macht sich Michi fertig für die Arbeit. Sie ist eine perfekte Rezeptionistin, die von Kunden und Saunaclub-Mitarbeiterinnen gleichermaßen geschätzt wird. Das liegt vielleicht auch daran, dass sie jede Auseinandersetzung im Club dank ihres schwarzen Aikido-Gürtels im Keim erstickt.

Als sie aus dem Haus geht, ist es draußen stockdunkel. Die Außenlampe ist schon wieder zerschlagen worden! Bis zur nächsten Straßenlaterne sind es hundert Meter, aber Michi geht schnell und gezielt Richtung U-Bahn. Da löst sich ein Schatten aus dem Gebüsch und ist mit einem Satz neben ihr, in der einen Hand eine Spraydose, in der anderen ein Messer. Japanisch, registriert Michi automatisch, während sie bltzschnell der Waffe ausweicht. Doch der Pfeffer aus der Dose trifft ihr linkes Auge. „Du dreckige Nutte, machst mit Giovanni rum. Deshalb hat er mich verlassen. Jetzt kriegst du dein Fett. Und er gleich hinterher. Ich hab’s ja bei Gericht versucht. Aber Ihr steckt doch alle unter einer Decke. Bullen, Richter, Mafia. Ich mach euch beide kalt!“, zischt die Gestalt. Wut und Adrenalin verzerren die Stimme, aber nicht genug. Michi erkennt Giovannis Erzfeindin. Trotz des stechenden Nebels vor ihren Augen macht sie ein paar geübte und gezielte Bewegungen, und die Mieterin aus dem neunten Stock liegt wehrlos am Boden.

Schritte nähern sich. „Hallo, was ist da los? Was machen Sie? Lassen Sie sofort die Frau los“, ruft Giovanni und beleuchtet die Szene mit der Taschenlampe seines Handys. „Michi!“ Er starrt auf die am Boden liegende Frau im schwarzen Trench und mit roten High Heels. Ihr schwarzer Hut mit einer frischen roten Rose ist im Kampf auf den Weg gefallen. „Bella! Das ist Bella, mein Date. Sie hat sich extra für mich so angezogen. Schwarz rot. Und ich mit roter Krawatte.“ Givanni schluckt, schaut auf die am Boden liegende Frau und fragt schließlich: „Michi, was hast du getan?“

„Das ist nicht Bella. Das ist die „stronza“ aus der Wohnung über dir. Sie leidet ganz offensichtlich unter Wahnvorstellungen. Sie denkt, Ihr zwei wart ein Paar und ich habe euch auseinandergebracht. Deshalb wollte sie jetzt kurzerhand uns beide umbringen. Schau, sie hat sich extra ein Messer wie deines zugelegt. Aber sag mal, habt ihr denn keine Fotos ausgetauscht?“

„Doch, natürlich. Schau mal, das ist sie.“ Giovanni holt mit zitternder Hand den Computerausdruck eines Fotos aus der Jackentasche. „“Oh nein. Ich glaube, statt Herz-Schmerz-Schnulzen müssen wir uns in Zukunft französische Filme anschauen. Das ist ein Foto von Catherine Deneuve in jungen Jahren.“

FallTäglichkeiten


Ich stehe in der Pizzeria, die Münchens beste Holzofenpizza macht. Nein, nicht die, die Sie meinen. Und nein, auch nicht Ihre. Nicht die im Lehel, nicht die auf der Leo und nein, ich bin sicher, auch die andere nicht.

Die Pizzeria, die dem Urteil meiner italienischen Geschmacksknospen nach die beste Pizza der Stadt zubereitet, liegt im Münchner Westen. Sie gehört zu einem aktiven Sportverein, weshalb Gastraum und Garten immer sehr gut frequentiert sind. „Der Laden brummt“, mit einfachen Worten. Also stehe ich zweimal in der Schlange, einmal, um die sagenhafte Pizza zu bestellen, die mein Abendbrot zum Highlight des Tages werden lassen wird. Und dann, um sie abzuholen. „Quasi pronte“, sagt der Kellner, was wörtlich übersetzt bedeutet: „fast fertig“, tatsächlich aber meint: „Der Pizzabäcker wird die Pizze in den nächsten 10 Minuten belegen, nach weiteren 10 Minuten holt er sie aus dem Ofen, und dann brauchen wir noch maximal 5 Minuten, um sie einzupacken. Sie können ja schon mal zahlen“. Sie glauben mir nicht? Der Beweis: der Barista stellt mir lächelnd ein Glas Prosecco auf den Tresen, um mir das Warten zu versüßen.

Über den Glasrand schaue ich auf die Gäste. Eine bunte, nicht unbedingt absolut sportfanatische Mischung. Das bauchige Ehepaar mit den Lasagne kam ganz sicher nicht direkt von der Aschenbahn. Der rotbackige Junge im Trainingsanzug schon eher. Da geht die Terrassentür auf – und herein kommt das Protopaar des bourgeoisen Stadtteils. Zwei Jungyuppies wie aus dem Münchner Bilderbuch. Weidenrutenschlanke Stengelbeine, eingehüllt in Designerjeans, darüber Markenstrick und ein dünn gezeichnetes Lächeln. Der Gang zwischen den Tischen ist schmal, aber es ist offensichtlich, dass die beiden nicht  – nur – deshalb aneinander kleben, als ihn wie einen Laufsteg Richtung Tresen entlangschweben. Ein strahlendes Blickpaar in die Runde, gefolgt von einem Kuss mit geschürzten Lippen. Unwillkürlich suche ich nach der versteckten Kamera. Das kann nicht authentisch sein. Da kommt der Kellner aus der Küche, gekonnt balanciert er meine drei Pizzakartons auf den Fingerspitzen der rechten Hand. Er streckt sie mir entgegen, und ich greife danach,  hungrigfröhlich lächelnd.

„Halr“ ruft da eine erstaunlich feste Stimme. Passt gar nicht zu dem zarten Mädchen mit dem casual hochgesteckten Blondhaar. „Das sind unsere Pizzen! Oder, Schatz?“ Unsere! Pizzen! PizzEN! Offenbar gehören die beiden nicht zur Lago di Monaco-Fraktion. Ich bin so platt, ich sage nur: „Ich hab die vor ner halben Stunde bestellt.“ „Wir auch! Das sind ganz sicher unsere“, keift  das Mädchen gesittet und schnappt dem verwirrten Kellner die Kartons einfach aus der Hand. „Wir können ja reinschauen“, schlage ich vor, und könnte mich gleichzeitig in den Hintern treten. Mein Gutmenschentum sollte wenigstens vor einer heißen Pizza kapitulieren – zumal ich sie kalt einfach nicht essen kann. Der Freund zieht die dunklen Augenbrauen in die Höhe und die ganz offenbar permanent behandelten Lippen nach unten. Seine Freundin zögert kurz, um dann huldvoll zu nicken. Der Kellner lüftet den obersten Deckel. Pizza Parma. „Meine“, sage das junge Mädchen und ich gleichzeitig. Also die nächste. „Monte Bianco“. „Sowas hatten wir aber nicht bestellt, Schatz“, flötet es neben mir. Aber ich höre schon nicht mehr hin, packe die Pizze und marschiere zur Tür. Dort drehe ich mich noch ein letztes Mal um. „Wenn die jetzt kalt sind, wegen Euch, dann geht die nächste auf Eure Rechnung“, zische ich. Und gehe, ohne die Reaktion auf meinen zugegeben schwachen Abgang auch noch abzuwarten.

DAS ist München. Während ich daheim mit vielen ausschmückenden Adjektiven erzähle, warum sich die Pizza-Auslieferung verzögert hat, wird meine Monte Bianco noch kälter, der Käse gummiweich und der Rand zäh und labbrig.

Nächstes Mal esse ich die Pizza wieder vor Ort. Oder ich wechsle die Pizzeria. Wie war noch mal die Adresse von Ihrer Lieblingspizzeria?