MiniKrimi vom 21. Dezember


Todeshappen

Alf trug sein Moleskin immer griffbereit entweder in der Jackentasche oder, falls er auf Reisen war, im Rollkoffer bei sich. Denn die besten Einfälle kommen unbemerkt und schleichen sie auf leisen Sohlen schnell wieder davon, wie professionelle Einbrecher, davon war er überzeugt. Eigentlich hatte er nur seinem Ärger über den Service und das kalte Essen Luft machen wollen. Vielleicht auch seinem Frust über das verpatzte Wiedersehen mit Carla. Oder vor allem. Tatsache ist, dass aus den zwischen versalzenen Horsd’oeuvres und dem von einer schlecht gelaunten und noch schlechter ausgebildeten Aushilfs-Bedienung lauwarm auf den Tisch geknalltem Hauptgang auf eine Moleskin-Seite gekritzelten Notizen aus Beststeller wurde. Der erste große Wurf, sogar. Ein Gourmet-Krimi, der Alf von den untersten Regalen billiger Bahnhofs-Büchermarktketten in die Primezone renommierter Buchläden katapultierte.

Alf signierte, Alf las, Alf dinierte – auf Kosten von Verlegern und Restaurateuren, die sich im Schatten seines Romans etwas Ruhm erhofften. „Alf P. hat bei uns gespeist, es hat ihm vortrefflich gemundet, sein Moleskin lag die ganze Zeit geschlossen neben seinem Teller. Nachdem auch die dritte Auflage von „Mord aus kulinarischen Motiven“ vergriffen war, arbeitete Alf an einer Fortsetzung mit dem Arbeitstitel „Rache ist Blutwurst“. Dafür schlug er sich durch die Imbissbuden der Nation. Warum, das wusste er selbst nicht so genau. Vielleicht war er die vielen Sternemenüs leid, die er, wenn auch kostenfrei, hatten kosten müssen. Vielleicht hoffte er aber auch, bei seinen Streifzügen durch die Stehgastronomie Carla wieder zu treffen, die als Kommissarin sicher an irgend einem dieser Stände  irgendwo in Deutschland ihre mittägliche Currywurst verzehrte – denn diese Essgewohnheit hatte Alf aus den unzähligen Krimiserien im deutschen Fernsehen verinnerlicht.

Und so stand er nun an einem regnerischen Wintertag am Mainkai unter einem triefenden Sonnenschirm mit „Bindung-Bier“-Werbung, starrte auf die Frankfurter „Mainhatten-Skyline“ und sinnierte darüber, wie er seinen Buchtitel mit der Standard-Speisekarte einer Imbissbude in Einklang bringen konnte. Denn leider hatte er bislang keine gefunden, die außer Curry- und Rot-, Thüringer und grober, ja sogar Veggiebratwurst auch Blutwurst im Angebot hatten.

Zu blöd, dachte Alf. Zückte sein Moleskin und schickte sich an, die Imbissbude am Mainkai in bösen Stichworten zu verewigen. Matschige Pommer, ein Haar im Curry. Dass es sein eigenes war, kümmert ihn wenig. „Alles gut, der Herr?“, säuselte die ölige Stimme des Budenbesitzers zu ihm herüber. „Wolle Se ’n Schnäppsche zum Runnerspüle?“

Alf dreht sich halb zu dem dreisten Mann um. Offenbar wusste der nicht, wen er da vor sich hatte. Oder doch? „Komme Se, Herr P“, sagte der Mann doch jetzt und kam mit einem Schnapsglas in der Hand aus seinem Wagen zu Alf an den Stehtisch. „Den werde Se brauche, dann tut des net gar so weh, in Ihre letzte Minute“. Gerade als Alf anfangen wollte, sich zu fragen, was der Mann mit diesem kryptischen Satz wohl meinen könnte, traf die erste Schmerzwelle seinen Magen wie eine Attacke mit japanischen Küchenmessern.

Alf zuckte zusammen, krümmte sich und sackte schließlich am Tisch hinab in den schlammigen Boden. Regen fiel kühl auf seinen plötzlich glühend heißen Nacken. „Nur damit Se wisse, warum Se jetzt den Löffel abgebbe“, fuhr der Imbissbuden-Besitzer in freundlichem Plauderton fort. „Nach Ihrem Buch hat bei mir keiner mehr esse wolle. Nach em halbe Jahr war isch pleite. Die Imbissbude is alles, was isch noch hab, als Existenz. Und jetzt wolle Sie mir die anoch wegnemme? Ebbe reischts.“

Das letzte, was Alf aus seinem Autorenleben mitnahm, war der Geschmack nach ranzigem, mit Blausäure vermischtem Fett im Gaumen.

Gedanken nach Japan


Die Katastrophen in Japan sind schrecklich. Die Tragödien für die Betroffenen sind unvorstellbar, und es ist gut, dass die globale Internetgemeinde so hilft, wie sie es kann. Mit Sach, -Geld- und auch mit Wortspenden. Völlig unnötig aber sind gerade angesichts des Ausmaßes des Geschehens die reflexartigen Forderungen nach sofortigem atomarem Ausstieg zum Beispiel in Deutschland. Mind u: ich bin keine blinde Befürworterin der Kernkraft. Sollte sie als Energie genutzt werden… müssen, müssten zunächst die Fragen der Entsorgung und der absoluten Sicherheit geklärt werden. Sollte dies sich als unmöglich erweisen, muss auf diese Art der Energiegewinnung verzichtet werden. Aber: bitte weltweit! Denn weder Atmo- noch Stratosphäre sind regional begrenzbar…

Unnötig und zum Teil sogar respektlos finde ich auch die boulevardmäßige Behandlung, ach was, Beackerung des Themas durch die Medien. Und hier sind es erstaunlicherweise auch die “gestandenen” Medien, die ihre Leser, Hörer und Zuschauer in mindestens stündlichen Abständen mit Informationen berieseln. Wobei das Wort Informationen in den meisten Fällen zu hinterfragen ist. Nehmen wir das Beispiel einer bekannten Tageszeitung aus dem Süddeutschen Raum. Sie titelt in ihrer Onlineausgabe: “Neue Horrormeldungen aus Japan. Ein Sender jingelt “wir senden, was Sie bewegt”. Und macht mich glauben, dass mich bewegt, wann die deutschen Kernkraftwerke abgeschaltet werden, wobei ich als elementar betroffener Bürger die Wahl habe zwischen “in dieser Sekunde”, “heute später” oder “spätestens morgen”; als emotional betroffener Bürger will ich offensichtlich informiert werden über die Anzahl und die Namen der Hunde, die die verschiedenen Zweigniederlassungen der Katastrophenschutzvereine direkt ins Kerngebiet des Erdbebens schicken (mich würde viel mehr interessieren, wie diese auf den zerstörten Flughäfen landen und woher die Japanischkenntnisse der Begleitpersonen stammen). Als politisch betroffener Bürger schließlich will ich augenblicklich mitwirken an einem radikalen und endgültigen Wechsel der politischen Landschaft unter besonderer Berücksichtigung der  energiewirtschaftlichen Belange.

Im Rahmen der Fastenzeit hilft eine Sendung mir dabei, zu verstehen “ dass Teilen glücklich macht”. Ach ja, ich fühle mich schon viel glücklicher, seit ich die neuesten Unglücksmeldungen mit den vielen anderen Betroffenen im deutschsprachigen Raum teilen darf. Muss. Ehm – ich würde gerne Mitleid teilen. Wo darf ich das? Soeben tickert die Meldung übers Netz, dass Japan Europa gebeten hat, keine Hilfsdienste mehr zu schicken – müssen unsere Hunde jetzt zurückfliegen? Was für Unmenschen sind diese Japaner eigentlich? Gleichzeitig  zieht Amerika seine Hilfstruppen freiwillig zurück und begründet mit erhöhter radioaktiver Gefahr. Uff- da ist der Rückzug vor dem Rauswurf grade noch gelungen! Die deutsche Bundesregierung ist offenbar bereit, über eine Aussetzung der Verlängerung der Laufzeiten bei Kernkraftwerken nachzudenken. Aussetzung der Verlängerung – dieses verbale Konstrukt muss ich sprachlich auskosten, auf der Zungenspitze. Toll. Am besten gleich alle AKWs schließen und den gesamten benötigten Strom aus Tschechien beziehen. Aus Frankreich. Aus Russland! Allerdings…. Müsste dann gleichzeitig über eine Möglichkeit nachgedacht werden, das gesamte Bundesgebiet im Falle eines atomaren Supergaus im europäischen Nachbarland bis auf – sagen wir rund neunzig Kilometer Höhe hermetisch abzuschirmen. Hm…….

Eine Freundin, die seit vielen Jahren in China und Japan lebt, beklagte sich in einer Rundmail darüber, dass Wirklichkeit und deutsche Berichterstattung manchmal nur mit viel Phantasie zusammen passen und dass die Katastrophe für innenpolitische Zwecke ausgeschlachtet wird. Und wünschte sich schlichte Anteilnahme.

Ich werde auf facebook eine neue Aktion starten. Am besten zwei. Mitleid teilen die eine. Gedanken vorm medial verordneten Ausschalten bewahren und mit-denken die andere. Wer weiß, wie viele diese Aktionen mit mir teilen werden? Vielleicht sollte ich sie multimedial verbreiten…..