MiniKrimi Adventskalender am 10. Dezember


Liebe im Winter

Über Nacht war es Winter geworden. Die Natur hatte sich der Sehnsucht der Menschen gebeugt und spiegelte endlich die Lieder wieder, die seit drei Wochen in vieler Munde und aller Ohren schwangen und sangen. Zuckerwatte auf den Ästen, die Hecken und Mauern trugen glitzernde Decken und alle Pfosten spitze weiße Hüte.

Inka, die das Adventswochenende bei ihren Eltern verbrach hatte, damit der Pflicht genüge getan und sie über Weihnachten von Familientreffen befreit war, hatte nur eines im Sinn: sie wollte so schnell wie möglich nach Hause. Zu Hause, das war eine verträumte Maisonette in einem modernisierten Jugendstilhaus am Rande des Glockenbach-Viertels. Unten waren Küche, Lounge und Inkas Raum. Oben auf der schmalen Galerie, die die gesamte Wohnung umrundete, breitete sich Ellas Reich aus, so bunt und üppig wie ihre blumige Persönlichkeit. Beim Einzug war Inka sofort klargewesen, dass sie die Wohnung nur so aufteilen konnten. Ella brauchte ein Wolkenkuckucksheim, um ihren Gedanken Form zu geben. Sie brauchte Licht, um sie auf die Leinwand zu bannen. Wobei bannen das falsche Wort war. Sie brachte die Leinwand mit kraftvoll strahlenden Farben zum Leuchten, zum Vibrieren, und keiner, der ein Bild von Ella sah, konnte dem Impuls widerstehen, zu schweben. Trotzdem verkaufte sie selten ein Bild. Sie war keine Verhandlungskünstlerin. „Ich bin doch nur unteres Mittelmaß“, sagte sie, wenn wieder ein Austellungstraum geplatzt war. Aber Inka wusste es besser. Es musste nur der richtige Mensch kommen, einer mit einer ganz besonderen Seele. In der Zwischenzeit stapelten sich die Bilder an den Wänden der Galerie entlang.

„Ella, bin wieder daaaa!“, rief Inka, während sie den Schlüssel abzog und ihren Rollkoffer in den kleinen Flur schob. „Ella?“ Komisch. Um diese Zeit war ihre Mitbewohnerin eigentlich gerade erst aufgewacht und versuchte, mit einer großen Portion Koffein die Traumweben aus dem Kopf zu verscheuchen. Ah, wahrscheinlich saß sie oben im Wintergarten und genoss zum Frühstück den Ausblick auf den plätschernden Glockenbach und seine verschneiten, efeudurchfurchten Ufer. Durch die gotischen Fenster streute die Wintersonne breite Strahlen von der Galerie hinunter in die Lounge.

Jedes Mal, wenn Inka die Wohnung betrat, fühlte sie sich so wohl, dass es schmerzte und sie befürchtete, es müsse gleich ein Unglück geschehen, weil so viel Freude zuviel Freude für einen einzigen Menschen war. Aber sie war ja nicht allein. Sie genossen dieses Glücksgefühl zu zweit. Auch ein Jahr nach ihrem Einzug konnte Inka die Verkettung von Zufällen nicht fassen, die sie und Ella in dieser WG zusammen gebracht hatte. Beide auf Wohnungssuche, beide verliebt in die Maisonette, beide realistisch genug, um zu wissen, dass sie den Preis dafür alleine nicht zahlen konnten. Bis der Makler beiläufg erklärte: „Sie müssen natürlich beide im Mietvertrag stehen, aber das ist ja selbstverständlich. “ Er hatte gedacht – ja, was?

Ein Jahr später waren Inka und Ella nicht nur Mitbewohnerinnen, sondern Freundinnen geworden. Gegensätze ziehen sich an, sagt der Volksmund, auf den weder Ella und noch Inka etwas gaben. Und trotzdem: die Malerin und die Bankerin harmonierten wie die zwei Seiten einer Medaille. Sie verstanden sich so gut, dass sogar ihre Freundeskreise zu einem einzigen verschmolzen.

„Ella, bist du im Bad?“ Inka meinte, Wasserrauschen zu hören. Eigentlich badete Ella meist am Abend. Aber wer weiß, vielleicht war sie gestern nach dem Termin zu müde gewesen. Ein wichtiger Termin mit einem jungen Galeristen, der Interesse an Ellas Bildern gezeigt hatte. Sie wollten Details einer Ausstellung im Frühjahr besprechen. In Wien! Inka hatte den ganzen Abend und die halbe Nacht hindurch immer wieder auf ihr Handy geschaut und auf eine Nachricht von Ella gewartet. Aber naja, wer weiß, vielleicht hatte sie keine Zeit zum Texten gehabt. Vielleicht war sie nicht alleine gewesen. Bei diesem Gedanken spürte Inka einen Stich dort, wo sie ihr Herz verortete. Sie waren gute Freundinnen. Beste, vielleicht sogar. Aber nicht mehr. Nein! Und dennoch: Inka wollte sich nicht vorstellen, was Ella mit dem Galeristen getan haben könnte. Basta.

„Ella!“ Inka lief die Treppe zur Galerie hinauf. Was war das? Die Stufen waren nass? Jetzt erst sah sie, dass der Teppich in der Lounge offenbar durchtränkt war. Sie eilte ins Bad. Das Wasser lief in die Wanne und über den Rand, die Fliesen entlang, in den Flur und die Treppe hinunter. Und in der Wanne lag Ella. Bleich und mit aufgeschnittenen Pulsadern. Längs.

Nach dem ersten Schock war Inka sofort klar, was passiert sein musste. Der Galerist! Irgend etwas musste bei dem Treffen gestern schiefgelaufen sein. Inka lief zum karmesinroten Sofa, das den Mittelpunkt der Galerie bildete. Beschattet von einem smaragdgrünen Baldachin und mit ungezählten Kissen in safran, orange, pink und blau. Aber statt mit einladenden Polstern war das Sofa jetzt mit Ellas Bildern übersät, mit verstümmelten, zerstörten Kunstwerken. Zerschnittene Leinwände hingen lose an zerbrochenen Rahmen. Einige davon waren sogar verkohlt. Verkohlt? Tatsächlich, in dem großen Glasaschenbecher, in dem Ella normalerweise Räucherkegel abbrante, lagen fünf Zigarettenstummel.

Und darunter, halb unter dem Sofa versteckt, ein goldener Manschettenknopf. Unfassbar! Es musste zum Streit gekommen sein, warum auch immer. Dann hatte der Mann Ella ermordet. Ob kaltblütig oder im Affekt, das sollte die Polizei herausfinden. Jedenfalls hatte er alles getan, um Ellas Tod wie Selbstmord aussehen zu lassen. Ella und Selbstmord! Inka wusste natürlich, dass allein die Vorstellung absurd war. Aber sie würde schon dafür sorgen, dass die Ermittlungen in die richtige Richtung liefen und zur Festnahme des Mörders führten.

Inka ging in ihr Zimmer. Bevor sie die Polizei rief, setzte sie sich auf ihr Bett und zwang sich, zur Ruhe zu kommen. Sie musste jetzt alle fünf oder besser noch sieben Sinne beisammen haben.

Die Kriminalbeamten waren sehr nett. Sie hörten Inka aufmerksam zu, nahmen die Beweismittel – Zigarettenstummel und Manschettenknopf – an sich und versicherten Inka, alles Nötige zu tun, um den Fall schnell abzuschließen. Ella war jetzt kein Mensch mehr, kein pulsierendes, vibrierendes lebendiges Wesen. Sie war ein Falll. Das war alles SEINE Schuld. Und das sollte er büßen!

Eine Woche lang hörte Inka nichts von der Polizei. Sie rief täglich an, doch die „Kollegen“ waren nie für sie zu sprechen.

Eines Abends, Inka saß mit hochgezogenen Knien auf Ellas Sofa und starrte in die immer noch magisch weiße Winterwelt, klingelte es an der Tür.

„Frau Behrens, dürfen wir reinkommen?“ „Ja, natürlich! Endlich! Sie haben „den Fall“ abgeschlossen? Hat er gestanden?“

Frau Behrens, leider müssen wir sie bitten, mit aufs Kommissariat zu kommen.“ „Wie bitte? Ich? Warum?“ „Das erklären wir Ihnen dann alles genau. Möchten Sie einen Anwalt oder eine Anwältin hinzuziehen?“

Wie eine Marionette ließ Inka sich von den Beamten aus der Wohnung begleiten, in den Fahrstuhl, auf die Straße und in ihr wartendes Auto. Im Kommissariat saßen sie an einem Metalltisch, um sie herum Technik und grelles Licht.

„Frau Behrens, haben Sie Ihre Freundin ermordet?“ „WAS?“ Schlagartig war Inkas Lethargie verflogen. „Was fällt Ihnen ein? Ich soll Ella ermordet haben? Was für ein Schwachsinn. ich habe sie geliebt! Wir haben uns geliebt!“ So. Jetzt hatte sie es gesagt. Zum ersten Mal. Aber zu spät.

„Frau Behrens, die Sache kann sich nicht so abgespielt haben, wie Sie sie uns geschildert haben. Zum Zeitpunkt, als Frau Bach starb, war Herr Walter, der Galerist, nicht mehr in ihrer Wohnung, sondern bei seinem Freund, wo er übrigens auch übernachtet hat. Er kann es also nicht gewesen sein. Aber Sie haben Beweismittel unterschlagen.

„Ich habe was?“ Der Kommissar öffnete die Akte auf dem Tisch und entnahm ihr eine Plastikhülle. Darin lag ein Stück Papier. Löschpapier.

„Ihre Freundin hat mit Tinte auf Papier geschrieben, eine Seltenheit, heutzutage. Und dann hat sie das Geschriebene auch noch mit Löschpapier getrocknet. Unseren Spezialisten ist es gelungen, den Inhalt des Briefes wiederherzustellen. Er war für sie. Ich denke mal, Sie haben ihn in Ihrem Zimmer gefunden. Und in Ihrer Trauer und Ihrer Wut haben Sie beschlossen. sich an Walter zu rächen und ihm den Selbstmord Ihrer Freundin als Mord in die Schule zu schieben.

Soll ich Ihnen den Brief vorlesen?“

„Nicht nötig,“ flüsterte Inka unter Tränen. „Aber er hat sie umgebracht. Indirekt. Er ist Schuld an ihrem Tod. Er hat mir Ella weggenommen. Mir und der ganzen Welt. Ich wollte, dass er leidet. Es geschieht ihm Recht.“

Ellas Abschiedsbrief:

Liebste Inka,
bitte, du darfst nicht erschrecken, wenn ich dich so nenne. Ich habe das nie gemacht. Aber du bist für mich viel mehr als „nur“ eine Freundin. Ich…. liebe dich. Und ich hoffe, ich spüre, du liebst mich auch. Wie traurig das Leben ist! Was hätten wir beide zusammen alles erleben können. Aber ich kann nicht mehr. Die Ausstellung im Frühjahr war meine letzte Hoffnung. Die Brücke zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Aber als Walter meine Bilder sah, sagte er, das sei gefällge Kunst.Schön und bunt. Aber in seiner Galerie stellt er nur große Talente aus. Meine Bilder seien gutes Handwerk, aber nicht genial. Und als ob er mich damit nicht schon genug gedemütigt hätte, bot er mir einen „Deal“ an. Weil er mich nett fand. Ich sollte mit ihm ins Bett gehen. Eigentlich bevorzugt er Männer, aber bei mir würde er gerne eine Ausnahme machen. Und dann könnten wir nochmal über die Ausstellung sprechen.

Liebe Inka,. du kannst dir das wahrscheinlich nicht vorstellen, aber da bin ich ausgerastet. Ich habe ihn an seinem Ärmel vom Sofa hochgerissen und praktisch die Treppe runtergestoßen.

Als die Haustür hinter ihm ins Schloss fiel, bin ich ins Bad gegangen. Die Wanne ist jetzt voll. Ich lege mich hinein. Bitte verzeih mir, aber ohne meine Kunst kann ich nicht leben. Und ohne dich auch nicht.

Leb wohl.

Adventskalender Minikrimi am 12. Dezember


Foto: Predra6_Photo

Ich LIEBE die sozialen Medien! Sie vernetzen Dich mit Menschen, die Du sonst NIE kennenlernen würdest. Wie Birgit Schiche. Sie reagierte auf meinen Mitmach-Aufruf bei Twitter…. und entpuppte sich als literarisches Naturtalent. Es kann natürlich sein, dass sie unter einem Pseudonym schon längst eine bekannte Krimiautorin ist – und sich grade köstlich über meine Zeilen hier amüsiert. Aber lest selbst. Der Minikrimi von Birgit Schiche, http://www.PlanB-Schiche.de.

Weihnachtsspecial mit Makronen

Es roch nach abgestandener Luft, alten Büchern, Tannenzweigen und weihnachtlichen Gewürzen, als sie den Raum betrat. Das Team der Bücherei hatte sich große Mühe gegeben, für das heutige Weihnachtsspecial eine stimmungsvolle Atmosphäre zu schaffen. Ein echter Tannenbaum stand liebevoll geschmückt und mit einer Lichterkette verziert am Durchgang zum nächsten Raum, und es wurden – nur ausnahmsweise! – Kinderpunsch und Kekse angeboten. Aus unterschiedlichsten Sitzmöbeln hatte man einen mehrreihigen Halbkreis fürs Publikum zusammengestellt mit Blick auf einen großen, roten Ohrensessel direkt neben dem Tannenbaum. Daneben stand ein kleines, antik anmutendes Tischchen. Hier sollte die Vorlese-Oma heute sitzen und Weihnachtskrimis zum Besten geben. Das Weihnachtsspecial bot jedes Jahr ungewöhnlichen Lesestoff und war immer ausverkauft. 

Adele war besonders beliebt als Vorlese-Oma. Keine andere verstand es wie sie, an den richtigen Stellen bedeutungsschwangere Pausen zu machen und einzelne Absätze mit der richtigen Portion Spannung oder Humor, Ironie oder Tragik in der Stimme vorzulesen. Ihre tiefe, melodische Stimme war warm und klar. 

Die 68-Jährige ließ sich in den Ohrensessel fallen, die Arthrose im Knie piesackte sie heute wieder sehr. Sie legte sich ihre besondere Brille zurecht und goss etwas Wasser in ein Glas, falls ihr später der Mund trocken werden würde. Die Lichterkette im Tannenbaum sollte ihr als Leselicht dienen, das war etwas spartanisch. Sie nahm sich vor, nach einer zusätzlichen Lampe zu fragen.

„Adele, schön, dass Sie schon da sind“, begrüßte sie Therese, die Leiterin der Bücherei. Man kannte sich seit Jahren. Doch bevor Adele um mehr Licht bitten konnte, eilte die unscheinbare Frau in den Vierzigern schon weiter. Inzwischen füllte sich der Raum bereits mit Menschen.

Adele ging zu einem Regal, in dem Krimis standen, stöberte einen Moment und zog schließlich ein dickes, gebundenes Buch heraus. Ein Glück, hier war die Sammlung englischer Krimiklassiker, aus der sie heute lesen wollte. Eigentlich hatte sie diese in Ihrem eBook-Reader gespeichert, aber den hatte sie zuhause vergessen. Sie wurde eben nicht jünger. Dann gab es also mal wieder ein richtiges, analoges Buch. 

Zurück an ihrem Leseplatz sah sie, dass jemand noch ein Tellerchen mit Mandelmakronen für sie bereit gestellt hatte. Man gab sich hier wirklich besondere Mühe. Adele setzte sich wieder in den Ohrensessel und nahm das Buch, um Lesezeichen an den zum Vorlesen ausgewählten Stellen zu platzieren. Es lag schwer in ihrer Hand und der Buchrücken fühlte sich merkwürdig verbeult an. So ein Büchereibuch war sicher schon durch viele Hände gegangen, sowas musste wohl Spuren hinterlassen. Wie lange hatte sie nun schon fast ausschließlich eBooks gelesen? Sie wusste es nicht. 

Die Büchereileiterin sprach ein paar Worte zur Begrüßung, das Publikum schaute gespannt auf Adele. Die wiederum musterte ihr Publikum genau. Adele hatte scharfe Augen und einen messerscharfen Verstand. Einige Studentinnen und Studenten saßen auf Kissen am Boden, überwiegend Frauen, aber auch einige männliche Krimi-Fans hatten jeden Sitzplatz besetzt. Die meisten kannte sie schon seit vielen Jahren, wenigstens vom Sehen. Der fremde Mann mit dem Dreitagebart dort drüben war ihr allerdings auf Anhieb unsympathisch. Und auch den beiden jungen Männern in der ersten Reihe – links ein dunkelhaariger, der andere blond – mochte sie nicht so recht über den Weg trauen.

Sie begann zu lesen, zunächst leise, langsam und bedächtig, dann schneller werdend, eine stilistische Pause – und plötzlich laut mit vibrierender Stimme beim ersten Spannungshöhepunkt. Das Publikum hing gebannt an ihren Lippen. Einer der jungen Männer fehlte, sie hatte nicht bemerkt, wo er hingegangen war.

Sie nahm einen Schluck Wasser, aß – um die Spannung noch etwas zu steigern – bedächtig eine süße Makrone und las weiter. Plötzlich flackerte die Lichterkette am Tannenbaum und ging aus. Es war stockdunkel, man hörte nur erschrockenes Einatmen und kleine Aufschreie aus dem Publikum. Eine Christbaumkugel zersplitterte am Boden. Der neue Hausmeister, der eben noch links in der ersten Reihe gesessen hatte, sorgte schnell wieder für Licht. Die Menschen atmeten hörbar auf, und die angestaute Spannung entlud sich in leisem Gelächter und fröhlichem Plappern. Nur Adele regte sich nicht. Sie saß mit offenen Augen in ihrem Sessel, die Brille auf der Nase verrutscht, tot. Vergiftet.

Der Mann mit dem Dreitagebart wies sich als Kommissar Bertram aus. Er hatte erst vor wenigen Tagen seine neue Stelle angetreten. Er reagierte sofort, rief den Notarzt und scheuchte das Publikum in den Nebenraum. Dann sah er sich am Tatort um. Adeles Brille erregte seine Aufmerksamkeit. Mithilfe eines sauberen Taschentuches, um keine Spuren zu verwischen oder zu hinterlassen, nahm er die Brille in die Hand und sah sofort, was sie so besonders machte.

Und noch etwas fiel ihm auf: Der Teller mit den Makronen war verschwunden, ebenso das Buch, aus dem Adele gelesen hatte. Ach nein, die Büchereileiterin hatte es aufgehoben. Ungeschickt versuchte sie, es unter ihrer Strickjacke zu verbergen, und wollte schnell den Raum verlassen. Bertram hinderte sie daran. Er nahm ihr das Buch ab – und fühlte sofort den kleinen USB-Stick, der im Buchrücken verborgen war. Unter Thereses wütenden Blicken zog er ihn heraus. Die Bibliothekarin kniff die Lippen zusammen und verweigerte jede Aussage. Aber sie schielte immer wieder zum Tannenbaum, hinter dem sich der blonde junge Mann versteckt hatte, in der Jackentasche noch die vergifteten Makronen. Bertram nahm Therese und ihren Komplizen mit aufs Revier.

Dort angekommen untersuchte er umgehend den USB-Stick und Adeles Brille, die eine eingebaute Kamera enthielt. Auf dem USB-Stick fanden sich umfangreiche Hinweise auf einen Schmugglerring, der seit Jahren im großen Stil Markenpiraterie betrieb. Die Spuren hatten die Kripo immer wieder in diese Stadt geführt, waren aber dann im Sande verlaufen. Therese hatte die Bücherei genutzt, um die geheimen Daten unauffällig ihren Komplizen in die Hände zu spielen und Schmuggel wie Verkauf zu koordinieren.

Ihre Tarnung war nahezu perfekt gewesen, keiner hätte dieser grauen Maus so etwas zugetraut. Es war Zufall gewesen, oder vielmehr Pech, dass Adele ausgerechnet dieses Buch mit dem verborgenen USB-Stick zum Lesen herausgezogen hatte. Therese musste schnell handeln. Aber Improvisieren war noch nie ihre Stärke gewesen. Adeles Brille offenbarte, dass es Therese gewesen war, die die vergifteten Makronen hingestellt hatte. Blausäure war das einzige gewesen, was sie auf die Schnelle in den Räumen des Hausmeisters gefunden hatte – sie musste nur ein paar Tropfen auf die Mandelmakronen träufeln, der Bittermandelduft würde so nicht auffallen.

Therese war zu selbstsicher und zu dreist gewesen, als sie geplant hatte, ihren heutigen Coup im Rahmen dieser ganz besonderen Lesung durchzuziehen. Aber natürlich wusste sie nicht, dass Adele schon lange einen Verdacht gegen sie gehegt, aber keinerlei Beweise gehabt hatte. Bis ihr ausgerechnet das Buch mit dem USB-Stick in die Hände gefallen war. Nun hatte die Kommissarin a.D. auch ihren allerletzten Fall gelöst, Adeles großes Weihnachtsspecial.

Der Adventskalender-MiniKrimi am 3. Dezember 2017


Bildergebnis für fitnessstudio mord

(Copyright: http://www.pictaram.life/user/5804788383)

„Sport ist Mord.“ Die Auflösung.

Liebe Adventskalender-MiniKrimi-Fans,

die Lösung war gar nicht so schwer. Thymi hat sie auf Anhieb erraten. Diejenigen, die den Krimi vom 2. Advent nicht gelesen haben, springen am besten erstmal einen Tag zurück – und rätseln noch schnell mit. Für alle anderen – und für den unverbesserlichen Herrn Obermeier – hier Kommissar Grubers Auflösung des Fitness-Studio Mordes.

„Lieber Obermeier, was so ausehen sollte wie eine Blutrache war in Wirklichkeit ein sehr dilettantisches Ablenkungsmanöver. Denn auch wenn wir den Mafiosi als Süditalienern eine nur rudimentäre Kenntnis ihrer Muttersprache unterstellen wollen (was an sich ja schon recht arrogant ist) – keiner von ihnen würde das in ihrer Mentalität so zentrale Thema „Vendetta“ falsch schreiben, nämlich mit „W“.

Wenn nun ein Blutrachemord ausscheidet – welches Motiv bleibt uns dann? Erinnern wir uns an Agatha Christies Basics: es geht immer im Liebe. Oder um Geld. Liebe scheidet in diesem Fall aus. Dazu ist die Leiche entweder nicht verstümmelt genug – oder zu unspektakulär bzw. gar nicht drapiert.

Bleibt das Geld. Dazu müssen wir uns fragen: welches finanzielle Mordmotiv konnte Carmela Santamaria aus Neapel bieten? Keines. Richtig. Also stellen wir die Frage anders: War die junge Neapolitanerin das, wofür sie sich ausgab? Antwort: Nein. Frage: Wer war sie dann? Hier hilft der kleine goldene Anhänger weiter, genauso wie der Jogginganzug selbst, an dem der Anhänger befestigt war. Denn wie kommt eine Putzfrau an einen Jogginganzug der AW-Fitness-Studios?  Obermeier? Hören Sie noch zu?“

Grubers Assistenz lässt nicht zum ersten Mal die zwar messerscharfe, aber gleichzeitig doch selbstgefällige Sosoaufklärung eines Falles über sich ergehen. Wir verzeihen im seine Unaufmerksamkeit. Jetzt schüttelt er sich, allerdings mehr innerlich, um seinen Chef nicht noch weiter zu düpieren, denn das würde den Monolog mindestens verdoppeln, zeitlich. „Ich bin ganz Ohr, Chef“, sagt er. Und Gruber fährt fort:

„Ich habe ein wenig recherchiert (Obermeier verflucht den Tag, als er mit seinen Kollegen dem Chef sein neues Smartphone geschenkt hat): Anita Wagner hat ihre Fitness-Studios als Frenchiseunternehmen aufgebaut – gezielt und extrem erfolgreich. Sie führt ein strenges Regime. Vor allem in punkto Abrechnung ist die junge Frau sehr penibel. Und radikal. Schon ein kleines Versehen bei einer Filial-Leitung führt zum Ausschluss. Da kamen wahrscheinlich doch Anitas mafiöse Gene zum Vorschein: ihre Mutter stammte aus Neapel und hieß mit Mädchennamen tatsächlich Santamaria. Als Anita bei der Münchner Filiale Unregelmäßigkeiten bei der Abrechnung auffielen, ging sie der Sache selbst auf den Grund. Die eizelnen Leitungen kommen normalerweise nie mit der Chefetage in Berührung, also bestand keine Gefahr, erkannt zu werden. Als Putzfrau schnüffelte sie allerdings überall herum. Und just an dem Abend ihrer Ermordung hatte sie alle Beweise beisammen.

Wie Kerstin Roth ihr auf die Schliche gekommen ist, ob alles nur ein Zufall war oder ob Wagner sie abgepasst, angerufen und zur Rede gestellt hat – vielleicht wird Frau Roth uns das im Laufe der Verhöre berichten. Ich gehe davon aus, dass sie schnell gestehen wird. Kann sein, dass sie auf Totschlag plädiert. Dafür würde sprechen, dass sie den Anhänger mit Anita Wagners Initialen übersehen hat. Andererseits – wer so blöd ist, Vendetta mit W zu schreiben…….!

Gute Nacht, Obermeier. Passen Sie nächstes Mal einfach besser auf, dann hör ich IHNEN zu. Versprochen!“

 

Der Adventskalender-MiniKrimi am 2. Dezember


ivanko

Sport ist Mord

Ich sag’s ja, Sport ist Mord“. Kommissar Grubers Laune hat sich seit seiner Ankunft am Tatort kontinuierlich verschlechtert. Und das liegt nur zum Teil daran, dass ihn das Fitness-Studio mit seinen Spiegeln und chromblitzenden Geräten mit der Tatsache konfrontiert, dass er viel zu selten trainiert. Nein – solche Fälle ärgern Gruber. Die Frau ist zu junge und zu schön, um tot unter dem Gewicht eines Fitnessgerätes zu liegen. Sie ist auch zu sportlich. Ihr Jogginganzug unter dem Putzkittel sieht denen der Trainer zum Verwechseln ähnlich, bis auf den kleinen Anhänger. Der ist golden. Mit zwei eingravierten Buchstaben, AW.

„Der Fall ist klar, Chef“. Ich ruf schon mal den Staatsanwalt an, der soll das BKA informieren. Mafiamord in München. Schrecklich. Naja, wenigstens haben wir dann nichts mehr damit am Hut.“ „Das werden Sie nicht tun, Obermeier.“ Der Kommissar legt seinem Assistenten eine schwere Hand auf die Schulter.

„Chef – wieso? Die Tote hat einen Zettel in der Hand, auf dem steht „Wendetta“. Das ist italienisch und heißt Rache.“

„Ich weiß, Obermeier…“

„Und der erklärt alles. Carmela Santamaria war erst vor zwei Wochen als Putzfrau eingestellt worden.Sie kommt aus Neapel. Kerstin Roth, das ist die Pächterin dieser AnitaWagnerFitness-Filiale hier, hat mir alles erzählt. Sie sagt, dass Carmela sich sehr seltsam verhalten hat. Als würde sie rumschnüffeln. Vielleicht hat sie das Fitness-Studio als Tarnung benutzt. Oder wollte Geld waschen. Keine Ahnung. Wahrscheinlich ist ihre Tarnung aufgeflogen, die Mafia hat sie hier aufgespürt und dann – basta.“

„Obermeier! Jetzt hören Sie schon auf. Der Fall ist doch sonnenklar. Stimmt, ihre Tarnung ist aufgeflogen. Stimmt, jemand wollte sie stoppen. Aber mit Mafia hat das nichts zu tun.“

„Das versteh ich nicht, Chef. Das müssen Sie mir erklären…!“

Bevor Kommissar Gruber seinem Assistenten die Lösung des Falles verrät, seid Ihr dran!

Na, wer hat „Carmela“ getötet? Und warum könnte das geschehen sein?

Ich freue mich auf Eure Ermittlungen!

AdventsKalender MiniKrimi vom 17. Dezember


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Saudumm.

Wie oft hatten sie es ihm gesagt? Morgens, mittags, abends – und zwischendurch, immer dann, wenn er wieder etwas falsch gemacht hatte, in dieser Welt, die nicht mehr seine war, von der er nicht wusste, wie er hineingeraten und noch weniger, wie er wieder herausfinden konnte. „Der linke Schuh kommt an den linken Fuß, nicht an den rechten.“ „Du musst die Hose runterziehen, BEVOR du dich aufs Klo setzt.“ „Erst abbeißen, dann kauen, dann schlucken. Schlucken, nicht SPUCKEN.“ „Ich habe wieder alles falsch gemacht, tut mir leid“, sagte er meistens schon, wenn er sah, wie sich die Zornesfalte auf der Pflegerstirn aufbaute. Obwohl er natürlich nicht wusste, wo der Fehler diesmal lag. „Mit meinem Kopf stimmt etwas nicht“, entschuldigte er sich. Und dann kam er, der Standardsatz. „Klar. Du bist eben dement.“ Und auch, wenn die Stationsärztin ihm jedesmal bei der Visite erklärte, dass es sich dabei um eine Krankheit handelte, sagten die Pflegerinnen und die Pfleger das doch so, als meinten sie: „du bist dumm. Saudumm.“

So fühlte er sich. Saudumm und absolut unnütz. Es gelang ihm nicht einmal mehr, den Salzstreuer auf dem Tisch zu finden, geschweige denn den Weg vom Speisesaal in sein Zimmer. Deshalb hatten sie ihm diese lächerliche Trillerpfeife um den Hals gehängt. So konnte er wenigstens auf sich aufmerksam machen, wenn er sich wieder verlaufen hatte.  Dabei hatte er früher alles gefunden – vor allem Mörder, Diebe und Tatmotive. Kein falsches Alibi war vor dem Kriminalkommissar sicher gewesen. Zum Glück erinnerte er sich nicht mehr an seine berufliche Vergangenheit.

Aber dann war plötzlich alles wieder da. Er stand im dunklen Flur und sah eine schwarz gekleidete Gestalt die Treppe hinauf schleichen. Unbemerkt – beinahe. Er hielt den Atem an und drückte sich in den Türrahmen. Braunländer. Auf dem Weg ins Zimmer von Dr. Wolf. Genau, wie er es vorhergesehen hatte. Der Mörder kehrt immer an den Ort des Verbrechens zurück. Vielleicht wollte Braunländer den Moment noch einmal auskosten, als er das Bündel Banknoten aus den Händen des toten Arztes nahm. Oder er wollte einfach sicher sein, dass er am Tatort nichts Kompromittierendes verloren hatte. Egal. Er war da, und für ihn war es nun an der Zeit, Verstärkung zu holen. Mit aller Kraft blies er in die Trillerpfeife.

Dann passierte alles gleichzeitig. Helles Licht flutete den Korridor. Die Stationsärztin öffnete die Zimmertür so abrupt, dass sie gegen den hoch erhobenen Arm des schwarzen Mannes stieß. Seine Waffe flog in hohem Bogen durch die Luft, der Pfleger Martin fing sie geschickt auf, während der Pfleger Florian sich auf den überrumpelten Eindringling warf.

„Und ich dachte, Sie sind dumm“, murmelte Schwester Sina bewundernd, während sie ihn am Arm nahm und in sein Zimmer begleitete.

„Egal, wen oder was Sie gesehen haben, Sie haben mir das Leben gerettet. Der Einbrecher war tatsächlich auf die Kasse aus, die der Geldtransport noch nicht geholt hatte“, sagte die Stationsärztin, als sie ihn ganz außer der Reihe besuchte. „Danke!“

 

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