Mit ihrem Krimi -Auszug entführt uns Luzi van Gisteren nach Italien und praktisch ins Herz der „dolce“ und der „mala“ vita. Viel Spaß beim Lesen!
Madame Panettone
Weihnachten mit der Famiglia ohne die italienische Patronin an der Festtafel? „Auf keinen Fall!“, findet Bella und reist ihrer temperamentvollen Schwiegermutter postwendend nach Montegrotto hinterher. In diesem gediegenen Thermalort möchte Super-Nonna offensichtlich dem Weihnachtstrubel in Saarlouis entgehen, dabei ist in der Pizzeria Roma doch gerade zu Weihnachten so viel zu tun!
Zwischen den geheimnisvollen Quellen der euganeischen Hügeln, venezianischen Gondolieren und eidottergelben Weihnachtskuchen aus der Gefängnisbäckerei Paduas sucht die Deutsche nach Nonna Carmelina, doch leider fehlt von dieser auch nach Tagen noch jede Spur…
Ein weiteres turbulentes „Natale Fatale“ mit der Super-Nonna.
Die Gefängnisbäckerei lag etwas außerhalb des Centro von Padua. Das Taxi vom Bahnhof brachte mich in wenigen Minuten direkt vor die Patisserie, die sich als großzügige, moderne Manufaktur entpuppte: Ein transparenter Genuss-Tempel. Ich war enttäuscht, da ich eine Horde grobschlächtiger, verschwitzter Bäcker am Rand des Hochsicherheitstrakts erwartet hatte. Insgeheim hatte ich mir ausgemalt, wie ich den handgemachten Weihnachtskuchen aus Mörderhand überreicht bekommen würde. Meine Gefühle schwankten nach wie vor zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Vielleicht brauchte ich einfach eine gehörige Portion Adrenalin, um mein Gefühlschaos wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Wie auch immer – in Padua würde ich den erhofften Adrenalinkick jedenfalls nicht bekommen: Die Angestellten hinter dem Verkaufstresen entpuppten sich als blass und unauffällig und auch sonst ging es in dem geschmackvoll eingerichteten Café eher gediegen zu: Viel Glas, viel Licht, wenig Pompom. Wenn man allerdings einen Blick auf die Tresen warf, liefen einem förmlich die Augen über: Der Tresen bog sich förmlich unter der zentnerschweren Patisserie: Hier warteten feinste Mandelhörnchen, Törtchen mit Himbeerdeko und solche mit Schokoguss, bis ins feinste Detail verzierte Macarons, himmlische Originale aus der Orangen-und Ananas-Confisserie, puderbezuckerte Pralinés und diverse Zimtvariationen auf hungrige Mäuler – so wie meines. Ich konnte mich kaum sattsehen. Und dann stieß ich endlich auf den eigentlichen Grund meiner Reise: Nämlich auf das Regal mit den berühmt berüchtigten Panettoni aus der eigentlichen Gefängnisbäckerei, von welchen der Papst angeblich alljährlich 200 Stück für den Vatikan bestellte.
Die Gefängniskuchen steckten allesamt in edlen Kartons und wiesen das Siegel auf „Hergestellt in der Gefängnisbäckerei von Padua“. Sie sahen ganz und gar nicht nach gebacken aus Knastbrüderhand aus. Ich kaufte trotzdem drei davon – einen für Nonna, einen für mich und einen auf Reserve. Ich überlegte, noch mehr zu nehmen, um beispielsweise auch Köchin Elena oder Pizzabäcker Patrice zu bescheren, doch ich hatte keinen Platz. Ich war gezwungen, mit leichtem Gepäck zu reisen. Es war besser so – die Bürde mit einer impulsiven italienischen Schwiegermutter, die mich bis aufs Äußerste reizte, war groß genug im Leben.
Ich hatte in Venedig zwar ausgiebig gefrühstückt, doch nun gönnte ich mir eine Auswahl an Patisserie und bestellte mir einen Cappuccino. Es schmeckte alles ganz ausgezeichnet. Auf dem Corso Milano, vor dem das Café lag, herrschte geschäftiges Treiben. Immer wieder kamen Besucher herein, die sich hinter beschlagenen Brillengläsern einen Espresso an der Bar bestellten und sich tonnenweise Gebäck und Kuchen einpacken ließen.
Ein untersetzter Mittsechziger mit Rauschebart gesellte sich zu mir. Obwohl es um uns herum noch genug freie Plätze gab, fragte er, ob er sich an meinen Tisch setzen könnte. Ich traute mich nicht, „Nein“ zu sagen, schwieg aber betont und starrte an die Wand gegenüber, während ich die Kuchen in mich hineinstopfte.
„Sie mögen wohl sehr gerne Süßes?“, fragte der Italiener und musterte mich interessiert.
Ich bejahte artig und versuchte es tunlich zu vermeiden, fortlaufend auf die dicken Löcher in seinem braunen Strickpulli zu starren, dessen Blütezeit, so wie sein Träger, längst verstrichen war. Eine Konversation bei Tisch war nicht abzuwenden. Der Strickpulli-Rauschebart stellte sich als Journalist eines Kulturmagazins vor. „Es ist in Italien ja einiges berichtet worden über die Pasticceria dal Carcere di Padova, wissen Sie“, fachsimpelte er und berichtete, dass jeder Häftling eine ganz bestimmte Rolle hätte, wenn es um die Herstellung von Panettoni, Grissini, Kekse und Kuchen ginge. „Wussten Sie, dass jedes Jahr 25 Häftlinge zu Konditoren ausgebildet werden?“
Ich schüttelte den Kopf und stieß ein unverständliches „Grmpffff“ heraus, da ich mir soeben das letzte Mandelplätzchen einverleibt hatte.
„Und Sie sind aus rein kulinarischen Gründen hergekommen?“, fragte der Vielredner und bot an, an der Theke noch etwas Nachschub in Form von weiteren Patisserie-Stückchen zu besorgen. Ich winkte dankend ab, da mir Zucker und Sahne bereits aufstießen.
„Wissen Sie – mich interessieren die Geschichten, die unter der Kuchenkuppel mit dem braun-goldenen Papierrand stecken“, fuhr der Journalist fort. „Certo – die Gefangenen werden für ihren luftigen Weinsauerteig jedes Jahr im Dezember geadelt, der Gefängniskuchen schafft es in die Bestenlisten. Aber was ist mit den Schicksalen dahinter, was mit den Familien der Insassen? Und was ist mit der Ehefrau die nun allein ist, weil ihr Mann seinen besten Freund erschlagen hat? Denken Sie dieser teure Pannettone spendet dieser einsamen Ehefrauen und Müttern Trost auf dem Gaumen? Sie wissen ja nicht mal, ob sie sie irgendwann nochmal außerhalb der Besuchszeiten wiedersehen? Sie wissen ja nicht einmal, wie sie die Geschenke für ihre Kinder bezahlen können, verstehen Sie?“
Ich nickte! Es gab schwere Schicksale – doch meines war auch nicht leicht. Ich blickte auf die Uhr und stellte mit Erschrecken fest, dass es längst Mittag durch war. Ich musste auf nach Montegrotto – Federicos Worte, die Nonna zu Weihnachten nach Hause zu bringen, hallten in meinem Ohr nach.
„Sie müssen schon gehen?“, fragte der Journalist enttäuscht, als ich meinen Mantel von der Garderobe neben dem dezent geschmückten Tannenbaum holte.
Ich bejahte und erklärte, dass gleich mein Zug nach Montegrotto fahren würde.
„Ach, Sie reisen nach Montegrotto?“, fragte der Vollbart, der mit seinem kugelrunden Gesicht auch als Weihnachtsmann hätte durchgehen können, wäre da nicht diese gewisse dunkle Aura in seiner Gegenwart gewesen. „Haben Sie Familie in Montegrotto?“
Die Neugier des Journalisten stieß mir fast mehr auf, als das Himbeertörtchen Doppelrahmstufe. Im Nachhinein weiß nicht, welcher Gaul mich geritten hat, meine Schwiegermutter und ihren Namen im Zusammenhang mit Montegrotto zu erwähnen – doch irgendwie war es mir rausgerutscht und sogleich biss ich mir auf die Zunge.
Der Reporter jedoch hatte Blut geleckt: „Carmelina Poletti? Ihre Schwiegermutter? Dieser Name…dieser Name…der sagt mir was. Stand Ihre Schwiegermutter vor ein paar Jahren nicht in Zusammenhang mit einem Mafia-Mord oder so?“ Der Vielredner redete sich um Kopf und Kragen.
Meine Schwiegermutter war keine Unbekannte – sie war nicht nur in einen Mafiamord südlich von Neapel, verstrickt, sondern ihr Name wurde in Kennerkreisen auch im Zusammenhang mit einer verschwundenen Schülerin in Verona und einer im toskanischen Weinfass ertrunkenen Schweizer Uhrenbaronessa erwähnt. Nonna besaß ein kriminelles Gen – aber das musste ich dem Reporter ja nicht auf die Nase binden.

Luzi van Gisteren (Bildquelle: privat)
Inklusive Original Nonna-Rezepten und weiteren italienischen Erzählungen aus der humorvollen Feder von Luzi van Gisteren.
Das Buch ist erhältlich bei
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