Ihr Lieben, heute gibt es wieder eine Cosy Crime Story aus der Siedlung an der Minervastraße. Obwohl er nicht für alle Beteiligten „cosy“ endet. Lest selbst. Danke für eure Kommentare. Und sagt mir doch, ob ihr erfahren wollt, wie oder ob es mit „Falk“ weitergeht.
Manche Dinge regeln sich ganz von selbst
„Ich verstehe nicht, warum Frauen ständig zur Kosmetik laufen müssen. Für das Geld, dass du über die Jahre für Maniküre, Pediküre und was weiß ich noch alles ausgegeben hast, hätten wir uns eine schöne Finca auf Mallorca kaufen können – und müssten uns nicht im Münchner Winter die Zehen abfrieren.“
Helene Müller-Vorfeld schaut ihren Mann an. Wortlos. Dann dreht sie sich um und verlässt das Schlafzimmer, im dem ihr Mann noch zwischen hoch aufgetürmten Kissen und weichen Decken liegt. Vor zwölf steht er nicht mehr auf. Dann trinkt er einen Espresso und setzt sich mit der Tageszeitung auf die beheizte Loggia, um das Kommen und Gehen in der Siedlung an der Minervastraße zu beobachten. Kürzlich hat er sich im Internet eine Drohne gekauft, angeblich, um die Zugvögel besser observieren zu können. „Wohl eher, damit er einen ungehinderten Blick in die Badezimmer der Nachbarinnen hat, vor allem der jüngeren“, mutmaßt seine Frau.
„Du bist ja noch gut zu Fuß. Ich dagegen kann mich sogar in der Wohnung nur noch mit Gehhilfen bewegen. Warte bloß ab, bis er dir so geht wir mir“, sagt er immer.
„Das wird nicht passieren. Ich gehe regelmäßig zur Podologin und mache täglich mein Stuhl-Yoga“, antwortet seine Frau ihm. „Auch heute. Das ist keine Kosmetik, sondern medizinische Fußpflege. Damit mir die Zehennägel nicht so einwachsen wir dir. Weshalb ich noch so gut laufen kann.“
„Papperlapapp“, kontert Herr Vorfeld. Widerspruch hat er noch nie geduldet, und seine Stimmung verschlechtert sich proportional zu seinem Gesundheitszustand.
„Es ist eigentlich gar kein Auskommen mehr mit ihm“, berichtet Helene beim Tee ihrer Bekannten Elvira Obermaier, der Inhaberin der Agentur zweites Glück. Sie sitzt jetzt immer öfter bei ihr auf dem gemütlichen Sofa und blättert versonnen in dem großen, prall gefüllten Ordner, den Elvira beiläufig auf den Couchtisch gelegt hat.
„Der sieht ja interessant aus. Ist der neu?“, fragt Frau Müller-Vorfeld und betrachtet lange das Ganzkörperfoto eines Mannes mit graumelierten Schläfen und imposantem Sixpack, das von einem Seidenhemd vorteilhaft umspannt wird. Blaue Augen mit gewinnenden Lachfalten, ein sinnlicher Mund und Hände, die so aussehen, als könnten sie zärtlich zupacken. Vor allem steht er fest und sicher auf zwei muskulösen Beinen.
„Das ist Falk. Ja, er ist erst seit einer Woche in meiner Kartei. Gefällt er Ihnen?“
„Ja. Schon,“ Frau Müller-Vorfeld zögert. „Der ist sicher sehr gefragt?“
„Hm. Schon. Aber ich könnte Ihnen ganz kurzfristig ein unverbindliches Date mit ihm vermitteln. Wann sind Sie denn wieder in der Stadt?“
„Ich war gerade erst zur Fußpflege. Aber nächste Woche muss ich zum Orthopäden am Odeonsplatz…“
„Wunderbar. Dann reserviere ich doch einfach einen Tisch im Tambosi. Sagen wir um 14 Uhr?“
„Perfekt.“
„Und…. Ihr Mann?“ Elvira ist ihren Kundinnen gegenüber stets ein Muster an Taktgefühl. Aber als Geschäftsfrau möchte sie natürlich wissen, wie ernst es Frau Müller-Vorfeld prinzipiell mit einem Kennenlernen ist. Schließlich führt sie eine Partneragentur und kein Datingportal für Kaffeekränzchen.
„Da machen Sie sich mal keine Sorgen. Manche Dinge regeln sich ganz von selbst.“
Elvira lächelt. Sie mag Helene Müller-Vorfeld. Sie mag eigentlich alle ihre Kundinnen. Die meisten haben in ihren letzten Ehejahren durch ihre Männer viel schlucken, ertragen und erdulden müssen, und es ist mehr als verständlich, wenn sie sich für ihren Lebensherbst etwas liebevolle Zuwendung ersehnen. Ja, die Agentur ist für Elvira mehr als nur ein Geschäftsmodell, wenn auch ein überaus erfolgreiches. Sie freut sich jedes Mal, wenn es ihr gelingt, mit ein wenig Geschick – und für ein gutes Honorar – ein leises Feuer in den Augen der Damen zu entfachen, die vordem nur noch erwartungslos in eine trübe und trostlose Zukunft geblickt haben.
Herr Vorfeld ist ein echter Tyrann mit einem Frauenbild aus den 1960er Jahren. Seine Gattin ist seine Sklavin und hat ihm jeden Wunsch zu erfüllen. Gottlob beschränken sich seine fleischlichen Bedürfnisse inzwischen auf die Mahlzeiten. Aber er hält seine Frau an der kurzen Leine, kontrolliert jede ihrer Ausgaben und mäkelt an allem herum, während er sich jeden Luxus gönnt. Vom exklusiven Parfum und den modernsten Hörgeräten über die teure Drohne bis hin zur neuesten Musikanlage. Aber wehe, Helene geht zur Podologin.
Nein, genug ist genug. Die Äußerung über ihre angeblich exorbitant extravaganten Kosmetik-Ausgaben hat das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht. Na warte, denkt Frau Müller-Vorfeld. Dir zeig ich, was Extravaganz bedeutet.
Sie plündert ihre Geheimschatulle – Euro für Euro abgespart vom mageren Haushaltsgeld –
und geht einkaufen. Ein Paillettenkleid mit tiefem Dekolleté, ein paar lackrote Pumps und eine blonde Lockenperücke später kommt sie fröhlich summend nach Hause.
„Wo warst du denn so lange? Ich wollte gerade eine Vermisstenmeldung aufgeben – wenn du das Telefon nicht schon wieder außer Reichweite abgelegt hättest. Es ist fünf nach sechs. Du willst wohl, dass ich verhungere? Das könnte dir so passen.“
„Lieb-ling“, flötet Frau Müller-Vorfeld und dehnt beide Silben, so lang ihr Atem reicht. „Entschuldige! Ich dachte, du würdest es noch alleine vom Sofa in die Küche schaffen. Das tut mir so leid! Wie gut, dass morgen die Ärztin vom Medizinischen Dienst kommt. Die muss dir unbedingt diesen elektrischen Rollstuhl für die Wohnung bewilligen. Sonst müssen wir ihn selbst kaufen.“
„Was? Ich hab‘ Millionen in die Pflegeversicherung einbezahlt (sicher nicht, denkt seine Frau), da werden die mir doch wohl so einen mickrigen Rollstuhl finanzieren! Ich bleib morgen direkt im Bett. Wenn die Ärztin kommt, sieht sie gleich, dass ich mich nicht mehr alleine bewegen kann.“
„ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Nicht, dass sie dich dann für kränker hält, als du bist…“
„Papperlapapp. Du hast ja keine Ahnung. Du bist eben dumm.“
„Wie du meinst, Lieb-ling. Ich mach dir jetzt schnell dein Abendbrot. Möchtest du vielleicht ein Glas Wein dazu?“
Der Beaujolais ist ausnehmend süffig. Herr Vorfeld trinkt fast die ganze Flasche und fällt dann wie ein Stein ins Bett. Er schläft tief und fest. Er träumt, dass jemand ihm zärtlich über den Kopf streicht und ihn dann an den Füßen kitzelt. Es ist ein schöner Traum, und er lächelt, ohne aufzuwachen. Das wäre bei der Menge an Schlafmittel, den er im Wein zu sich genommen hat, auch äußerst unwahrscheinlich.
Als die Dame vom Medizinischen Dienst um neun Uhr vor der Tür steht, entschuldigt sich Frau Müller-Vorfeld wortreich. Ihr Mann liege immer noch im Bett. Er schlafe neuerdings extrem viel. Überhaupt sei er nicht mehr er selbst. Er halluziniere, vergesse immer öfter, wer er sei. Und neuerdings behauptet er immer wieder, seine eigene Mutter zu sein.
„Interessant. Wie äußert sich das?“
„Sehen Sie selbst“, sagt Frau Müller-Vorfeld und öffnet die Tür zum Schlafzimmer. Dort liegt ihr Mann auf dem Bett, sorgfältig geschminkt, in einem schillernden Paillettenkleid, mit einer blonden Perücke auf dem Kopf und grellen Pumps an den Füßen.
„Um Himmels Willen!“, sagt die Dame vom Medizinischen Dienst. „ich sehe schon, da besteht dringender Handlungsbedarf. Ich kümmere mich gleich darum.“
So kommt es, dass Helene Müller-Vorfeld eine Woche später frisch frisiert, manikürt und pedikürt – man kann ja nie wissen – im Café Tambosi mit einem gut aussehenden Herren eine Flasche Prosecco trinkt, während ihr Noch-Ehemann – sie hat die Scheidung schon eingereicht – in der beschützenden Abteilung einer Seniorenresidenz versucht, Pflegepersonal, Ärztinnen und Ärzte davon zu überzeugen, dass er das Opfer eines teuflischen Komplotts geworden ist.





