Es brennt! Löscht mit!


Brandmauer, Flächenbrand, Beben, Dammbruch, Flut – schon die Sprache, mit der das aktuelle politische Geschehen in Deutschland behandelt wird, ist dramatisch und katastrophenschwanger. Mit Neuwahlen am Horizont und wenig Aussicht auf einen erfolgreichen winterlichen Mikrowahlkampf (zu wenig Zeit, zu wenig Aktive, zu wenig Menschen auf den Straßen und Plätzen) verlagert sich der Showdown im Kampf um die Wähler*innengunst ins Parlament. Ins Allerheiligste unserer Demokratie, also.

Dort gehört er m.E. nicht hin. Denn im Bundestag sollen Entscheidungen getroffen werden, die unmittelbare Auswirkungen auf das Leben der Menschen im Land haben, so sie die weiteren rechtstaatlichen Instanzen erfolgreich durchlaufen. Was dem Migrationsantrag von Friedrich Merz nie gelungen wäre. Verfassungsrechtliche Bedenken, Widerstand aus der Gesellschaft, fehlender Konsens im Bundesrat – und schließlich die Unpraktikabilität und Unausgereiftheit hätten dem Entwurf sehr bald den Garaus gemacht.

Warum also hat Fritze Merz diesen Antrag überhaupt eingereicht? Ich halte es für lohnend und wichtig, diess Frage zu beantworten (was in diversen Talkshows ja bereits gemacht wurde).

Wir rekapitulieren zunächst die zentralen Punkte des Antrags:

  1. Dauerhafte Grenzkontrollen und Zurückweisungen: Die Einführung permanenter Kontrollen an den deutschen Grenzen, mit der Möglichkeit, Personen ohne gültige Papiere oder ohne Aufenthaltsrecht direkt zurückzuweisen.
  2. Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte: Ein vorläufiger Stopp des Familiennachzugs für Personen, die nur einen eingeschränkten Schutzstatus besitzen.
  3. Verschärfte Abschieberegelungen: Die Einführung strengerer Maßnahmen zur Abschiebung ausreisepflichtiger Personen, einschließlich längerer Abschiebehaft für Straftäter.
  4. Ablehnung der erleichterten Einbürgerung: Eine klare Absage an die von der aktuellen Regierung geplanten erleichterten Einbürgerungsregelungen.
  5. Steuerliche Entlastungen: Vorschläge zur Steuerbefreiung von Überstundenzuschlägen und eine Reduzierung der Umsatzsteuer in der Gastronomie.
  6. Sozialpolitische Maßnahmen: Die Einführung einer sogenannten „Aktiv-Rente“ zur Unterstützung älterer Arbeitnehmer.

Dieses 15-Punkte-Programm soll im Falle eines Wahlsiegs der Union innerhalb der ersten 100 Tage umgesetzt werden.

Schon der erste Punkt ist wegen Deutschlands Unterschrift unter die Genfer Konvention nicht durchsetzbar. Warum? Stellt euch vor, ihr müsst eure Heimat bei Nacht und Nebel verlassen und habt keine gültigen Papiere (nicht jedes Land ist so bürokratisiert wie Deutschland, und selbst hier gibt es Menschen ohne gültigen Ausweis – mich z.B.). Bzw. Ihr habt aufgrund der politischen Situation nicht die Möglichkeit, Papiere zur Ausreise zu erlangen. Gerade, wenn tatsächlich Gefahr für Leib und Leben besteht, kommen Geflüchtete oft ohne Papiere hier an. Oder die Schlepper haben ihnen alles abgenommen. Die geringste Zahl von Menschen auf der Flucht hat einen sauberen Ordner mit allen Papieren dabei, die in Deutschland gefordert werden (Ausweis, Geburts- und ggf. Heiratsurlunde, Schulabschlusszeugnisse, Diplome etc.).

Tatsächlich habe ich während meiner Arbeit im Bereich Migration nur wenige Menschen erlebt, die mit Papieren gekommen sind. Darunter die Familie eines hochrangigen togoischen Generals. Der hätte die aber gar nicht gebraucht, denn er war bekannt. Die allermeisten stehen ohne Papiere vor dir – dafür mit blankem Entsetzen im Gesicht. Natürlich gibt es unter ihnen auch Kriminelle und psychisch Kranke. Erstere kommen allerdings meistens sehr schnell durchs Asylverfahren, weil sie durch die internationale Mafia mit allem Nötigen versorgt werden. Die deutschen Behörden nicken dann sehr oft einfach alles ab.

Und die psychisch Kranken? Erhalten leider allzu oft nicht die dringend notwendige Behandlung – was der Verweigerung eines Menschenrechts nahe kommt. Dadurch verschlimmert sich ihre Krankheit. Hinzu kommt, dass die deutschen Beörden, Ämter etc. in solchen Fällen nicht ausreichend kooperieren („ist ja nur ein Ausländer“) – mit in Einzelfällen katastrophalen und tödlichen Folgen.

WIchtig ist, festzuhalten: die Zahl solcher von Geflüchteten begangener Straftaten ist in der Relation sehr gering, auch, wenn die Medien und die Rechtsrextremen anderes sagen. Die meisten Femizide passieren durch deutsche Männer, z.B. Trotzdem sagt mir eine Krankenschwester beim Blutabnehmen, sie habe im Dunkeln Angst vor ausländischen Männern. So funktioniert „gute“ Propaganda. Interessanterweise habe ich noch nie gehört, dass jemand Angst vor ausländischen Frauen hat. Aber „alle Ausländer raus“?

Doch ich schweife ab. Auch die weiteren migrationsspezifischen Punkte des Merz-Antrags kollidieren mit gesundem Menschenverstand (wir brauchen Arbeitskräfte, sollen denen aber die Arbeitsaufnahme erschweren?) oder dem Rechtsstaat.

Warum also dieser Antrag?

Alle möglichen Antwortszenarien machen mir Angst.

  • Merz will die Wähler*innen am rechten Rand abfischen und zeigen, dass, wie schon von Frau Klöckner auf Instagram formuliert („Für das, was ihr wollt, müsst ihr nicht AfD wählen. Dafür gibt es eine demokratische Alternative: die CDU.“), die CDU auch für rechtsnationalistische Gesinnungen eine Heimat sein kann.
  • Merz will ausprobieren, ob die anderen Parteien, die den Brandmauer-Konsens unterschrieben haben, damit erpressbar sind – und er also alles durchsetzen kann, was er sich so vorstellt.
  • Merz will sich, das Parlament und die Öffentlichkeit schrittweise darauf vorbereiten, dass er seine Politik auch gerne mithilfe einer faschistischen Partei verwirklichen wird.
  • Merz ist so dermaßen von sich selbst eingenommen, dass er fest davon überzeugt ist, sein Wort sei Gesetz bzw. könne es jederzeit werden, unabhängig von jeglichen demokratischen Prozessen. Er kennt keine Verantwortung, außer für sich selbst.

Egal, welches Szenario der Wahrheit am nächsten kommt: alle sind erschreckend und beweisen, dass es diesem Kanzlerkandidaten nicht um das Wohl der Menschen in Deutschland geht, sondern einzig um sich. Nicht mal um seine Partei. Denn sonst hätte er sich einen Moment Zeit genommen, um auf diejenigen zu hören, die ihn (und als Kennerin der Prozesse, die einem solchen Antrag innerparteilich vorausgehen, bin ich davon überzeugt, dass es die gegeben hat) vor den möglichen Konsequenzen in der Öffentlichkeit gewarnt haben. Warum haben einige CDU-Abgeordnete bei der namentlichen Astimmung zum Zustrombegrenzungsgesetz dagegen gestimmt? Vielleicht aus demokratischem Pflichtbewusstsein. Aber ich denke, sie taten das vor allem, weil ihnen im Zweifel das Hemd näher ist als die Hose, sprich, weil der Protest in ihrem Wahlkreis sie für den 23. Februar ein persönliches Debakel befürchten ließ.

In diesem Zusammenhang frage ich mich, worauf die ungewöhnliche Stille des Bayerischen Ministerpräsidenten bezüglich der aktuellen Ereignisse im politischen Berlin beruhen mag…

Erstaunlich auch, dass Merz offenbar nicht mit den erfolgten deutschlandweiten Protesten gerechent zu haben scheint. Das deutet für mich schon fast auf „trumpeske“ Züge hin.

So betrachtet, ist also auch das knappe Scheitern des Gesetzentwurfs am Freitag (349 Abgeordnete stimmten gegen den Entwurf, 338 dafür, bei fünf Enthaltungen) kein Sieg der Demokratie. Aber es bedeutet eine Atempause, in der wir uns sammeln können für weitere Proteste. Für ein Aufschreien, Aufschreiben gegen das rechte Schreckgespenst an den parlamentarischen Wänden.

ich fürchte, es ist in der Tat 5 vor 1933. Und wir wissen, wie das Wegschauen ausgegangen ist, damals. Das „ich bin ja nicht betroffen“ – weil kein Jude und keine Jüdin, kein*e Behinderte*r, kein*e Sinti oder Roma, kein*e Linke*r. Am Ende war ein ganzes Volk be- und getroffen. Ein ganzes Land. Ganz Europa.

Ha, sagt ihr, schau doch mal in dein italien. Was macht die Meloni denn da? Ja, ich schaue dorthin. Mit Bangen. Aber – wir italiener sind halt doch anders. Zu individualistisch für eine stringente Massenbewegung. Was sich in der Vergangenheit als politische Instabilität erwiesen hat, ist jetzt vielleicht ein Glück. Übrigens: auch der zweite Transport von Geflüchteten nach Albanien musste zurückgepfiffen werden. Wäre das in Deutschland auch möglich?, frage ich.

Fazit: Merzens Generalprobe ist im Parlament im zweiten Anlauf gescheitert. Das ist kein Grund zum Aufatmen, aber ein Beweis dafür, dass „das Volk“ sehr wohl Macht hat.

Meine Bitte: Nutzt diese Macht. Zeigt durch eure Haltung, durch eure Präsenz, durch das, was ihr sagt, jeden Tag, beim Bäcker, in der Kirche, an der Ampel., im Büro, in der Kita, dass wir mehr sind. Mehr als die Neofaschisten, mehr als die Fake News Verbreiter. Mehr als die Hasser. Dass wir daran glauben, dass auch komplizierte Situationen am besten in einer Demokratie zu bewältigen sind. Und dass Wohlstand immer ein Geben und Nehmen ist, dass wir „ein gutes Leben“ nie für uns alleine werden verwirklichen können, sondern nur in der Gemeinschaft.

Und: lest euch das Wahlprogramm der AfD durch – in Häppchen, mit Tee oder Wein zur Beruhigung, und zitiert es in euren Gesprächen! Denn, frei nach dem Film „One life“: Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt.“ D.h. wer einen AfD-Sympathisanten gewinnt, gewinnt die ganze Wahl.