MiniKrimi Adventskalender am 21. Dezember


Heute gibt’s hier wieder einen Krimi aus meiner Feder. Mit Anklängen an meine väterlichen Wurzeln. Die liegen nämlich zum Teil in Süditalien… Viel Spaß beim Lesen und danke fürs Teilen und für eure Kommentare!

Engel mit schwarzen Locken

„Hallo, Kleine! Wie heißt du eigentlich?“

„Gemima.“

„Dsche… Aaaha. Und weiter?“

„Hagenrath“

„Und deine Mama?“

„Meine Mama und meine Mami heißen so wie ich. Hagenrath.“

„Und dein Papa?“

Stille. Dann: „Das weiß ich nicht.“

„Warum wollen Sie das wissen?“ Marlene Hagenrath steht an der Haustür, beladen mit Tüten und einem Kasten leerer Saftflaschen. Sie klingt barsch, und das liegt daran, dass sie diese Situation so oder ähnlich schon öfter erlebt hat, seit sie mit ihrer Frau Claudia und der gemeinsamen Tochter Gemima in die Minervastraße eingezogen ist. Zu oft, als dass sie dafür noch Toleranz aufbringen könnte.

„Man wird doch wohl noch fragen dürfen, oder? Schließlich hat jedes Kind eine Mutter und einen Vater. Das ist ein Naturgesetz.“ Frau Degenfeld ist pikiert. Erst gestern haben sie und ihre Freundinnen beim Mahjong-Nachmittag gerätselt, warum der Vater des süßen Mädchens mit den schwarzen Locken und den grünen Augen noch nie in der Siedlung aufgetaucht ist.

„Ich habe eine Mama und eine Mami. Mehr brauche ich nicht. Oder?“, fragt Gemima und schaut der älteren Dame mitten ins Gesicht. Unangenehm, dieser bohrende Blick. Der ist bestimmt antrainiert. Von einer der beiden Frauen, die sie Mama und Mami nennt.

„Zu meiner Zeit war das undenkbar. Zwei Mütter. Aber heute – vollkommen zerrüttet, die Moral bei den Jüngeren.“ Kopfschüttelnd geht Frau Degenfeld weiter Richtung Tiefgarage.

Es ist der 21. Dezember. In 3 Tagen beginnt die Weihnachtszeit. Überall in der Minervastraße leuchten Sterne und Jakobsleitern in den Fenstern, die Balkone sind mit Girlanden behängt, die meisten leuchten golden. Die einzige grellbunte auf der Terrasse gegenüber der Tarotlegerin Lenor wurde nach einem tragischen Tod entfernt.

Gemima sitzt am Küchentisch, lässt die Beine baumeln und sticht andächtig Plätzchen aus. Dabei schiebt sie voller Konzentration die gerollte Zungenspitze zwischen die Lippen.

„Woher hat sie das nur?“, fragt ihre Mutter Marlene sich zum x-sten Mal. Sie hat das Zungenroller-Gen nämlich nicht. „Muss der Spender sein“. Obwohl – der hatte es angeblich auch nicht. Unglaublich, was man bei angeblich anonymen Samenspenden heute für Informationen finden oder erfragen kann.

Da klingelt es an der Haustür. „Hallo?“, ruft Marlene in die Sprechanlage.

„Paket für Sie“, antwortet eine Männerstimme. „Ich lege es auf die Treppe.“

„Könnten Sie es mir nicht schnell raufbringen, bitte? Dritter Stock?“

„Sorry, zu viel Arbeit. Geht nicht. Schöne Weihnachten.“

Marlene seufzt, schlüpft in ihre Mules und springt die Treppe runter. Wo ist das Paket? Auf der untersten Treppenstufe liegt keines. Nur ein roter Umschlag mit einem bedruckten Weihnachtsmann und darauf ein in Cellophan verpackter Keks.

„Hahaha“, murmelt Marlene. Sie ist allerlei „Schabernack“ von den Nachbarn gewöhnt. Viele haben sich immer noch nicht damit abgefunden, dass ein weibliches Ehepaar mit Kind bei ihnen wohnt.

„Falscher Alarm. Aber leckerer Keks. Magst du ihn?“, ruft sie und schließt die Wohnungstür. „Gemima?“

Keine Antwort.

„Gemmi?“ Nichts. Sie schaut ins Kinderzimmer. Leer. Auch das Wohnzimmer. Der Küchenstuhl, auf dem das Mädchen gerade noch gesessen hat, ist umgekippt. Der Vorhang vor dem Küchenbalkon bauscht sich im Wind, und eine Handvoll Schneeflocken fliegt herein.

„Gemima, was machst du da draußen? Du wirst dich erkälten.“

Aber auch auf dem Balkon: keine Spur ihrer Tochter. Panik steigt in Marlene hoch. Als hätte sich die Kleine in Luft aufgelöst. Das geht entschieden zu weit. Das ist kein Scherz mehr. Wenn sie den findet, der dafür verantwortlich ist….

„Marlene, Gemmi, bin wieder daaa!“

„Claudia! Stell dir vor, Gemima ist verschwunden!“

Die beiden Mütter suchen die ganze Nacht hindurch nach dem Kind. In der Wohnung, im Haus, im Keller, auf dem Dachboden. Schließlich in der ganzen Siedlung. Und sie sind nicht allein. Zu Claudias und Marlenes Erstaunen helfen ihnen viele Nachbarinnen und Nachbarn. Sogar Frau Degenfeld und ihr Mann. Schließlich sollte das Mädchen bei der lebendigen Krippe, die die Bewohner der Minervastraße am ersten Weihnachtstag geplant haben, einen Engel spielen. „Sie wird ganz entzückend aussehen, mit diesen schwarzen Locken. Von wem sie die wohl hat?“

Am nächsten Morgen wird die Polizei eingeschaltet, doch auch sie findet Gemima nicht. Einzig ein Fußabdruck im Blumenbeet unter dem Küchenfenster – Größe 43 – und Sprossen einer offenbar zersägten Metalleiter im See weisen darauf hin, dass das Kind entführt worden ist.

Wer denkt in einer solchen Situation schon an einen ungeöffneten Brief? Als Claudia den roten Umschlag auf der Kommode im Flur sieht, nimmt sie ihn automatisch mit ins Wohnzimmer. Geistesabwesend reißt sie den Umschlag auf.

„Marlene! Woher kommt dieser Brief? Wer hat ihn dir gegeben? Seit wann hast du ihn? Warum hast du denn nichts gesagt?“

Marlene ist verwirrt. Todmüde, verängstigt und zermürbt von der erfolglosen Suche.

„Den? Ach, das ist doch bloß wieder so ein blöder Scherz von den Nachbarn. Ich wollte Ivan gestern noch danach fragen, aber…

„Nein! Das ist kein Scherz. Lies!“ Claudia hält Marlene den eng bedruckten Zettel unter die Nase.

Sie haben mich bestohlen. Jetzt hole ich mir mein Eigentum zurück. Versuchen Sie nicht, mich oder meine Tochter zu finden! Sonst wird das Kind einen tödlichen Unfall erleiden.

„Siehst du, das ist doch einer von diesen Scherzen. Nur viel gemeiner als sonst. Na warte, Ivan.“ Marlene greift zum Telefon, um ihren Nachbarn zur Rede zu stellen.

„Nein, Marlene. Ivan hat absolut nichts damit zu tun. Verstehst du denn nicht? Das ist ein Bekennerbrief von dem Menschen, der Gemima entführt hat.“

„Was? Du spinnst ja, Claudia! Ich habe den anonymen Spender aus der Datenbank von Neovita Labs. War teuer genug. Und absolut seriös. Das hat uns Dr. Wonnegrat ja schriftlich gegeben.“

„Dr. Wonnegrat. Nomen es Omen. Die Frau ist mir gleich suspekt gewesen. Einfach einen Tick zu seriös, wenn du weißt, was ich meine.“

„Nein, das weiß ich nicht. Und ich finde, du greifst nach Strohhalmen. Aber egal. Uns bleibt ja nichts anderes übrig. Die Polizei kommt nicht weiter. Wir fahren jetzt zu Neovita Labs.“

Ein kühles Ambiente in Pastelltönen. Gedämpfte Musik. Klassik, nichts Weihnachtliches. Dr. Wonnegrat empfängt Marlene und Claudia in ihrem Büro. Sie ist sichtlich nervös. Marlene, bleich, mit rotgeränderten Augen, kommt gleich zur Sache: „Unsere Tochter ist entführt worden. Von jemandem, der behauptet, ihr genetischer Vater zu sein. Wie ist das möglich? Sie haben mir versichert, die Spende sei anonym und man könne sie nicht auf den Samengeber zurückführen? Sie haben sie doch allein aus diesem Grund aus Zypern kommen lassen.“

„Haben Sie uns zumindest gesagt“, wirft Claudia ein. „Und uns für Ihre Bemühungen eine astronomische Summe abverlangt. Und das, obwohl das Gesetz, nach dem Samenspenden im zentralen Register dokumentiert werden müssen, in Deutschland erst 2018 in Kraft getreten ist.“

Dr. Wonnegrat lächelt gequält. “Ja, das stimmt.“

„Und? Sie kennen den Spender!“ Marlene ist außer sich vor Wut. „Geben Sie’s zu!“

„Ja. Ich kenne ihn. Also, ich kannte ihn. Er musste sich einer Vasektomie unterziehen und wollte sicherstellen, dass er dennoch eine Erbin oder einen Erben hat.“


Die Frauen sind fassungslos. Wonnegrat erklärt, der Mann, ein italienischer Mafiaboss, habe sie unter Druck gesetzt. In der Hand gehabt. Um Leben und Tod sei es damals gegangen. Um ihr Leben oder ihren Tod. Die beiden seien für ihn das ideale Paar gewesen: rechtlich „angreifbar“, ohne einen großen Unterstützerkreis, in einem Umfeld, das juristisch und gesellschaftlich immer noch als „weich“ wahrgenommen wird.

„Finden Sie sich damit ab. Gemima ist längst in Süditalien, und die Adoption war schon in wenigen Stunden unter Dach und Fach. Sie haben keinerlei Rechte mehr an Ihrem Kind. Aber ich verstehe natürlich Ihren Unmut. Ich könnte Ihnen mit einer kostenfreien Samenspende entgegenkommen? Sie sind noch so jung…“

Geistesgegenwärtig verhindert Claudia, dass Marlene der Ärztin den Briefbeschwerer auf dem Schreibtisch ins Gesicht schleudert.

„Entweder Sie bringen uns Gemima zurück, oder Ihr Laden hier fliegt auf. München ist nicht Süditalien. Wenn wir auspacken, sind Sie geliefert. Sie verlieren nicht einfach Ihr Labor und ihre Approbation. Sie landen im Gefängnis. Und zwar für sehr, sehr lange.“

Stille. Schließlich sagt Wonnegrat: „Gut. Ich kann nichts versprechen. Aber ich tue mein Möglichstes.“

„Sie haben 24 Stunden Zeit. Dann gehen wir zur Polizei. Und an die Presse.“

Es ist der 23. Dezember. Ein Tag vor Heiligabend. Marlene und Claudia kauern auf der Wohnzimmercouch. Vor ihnen steht der Weihnachtsbaum. Ungeschmückt. „Unser Ultimatum läuft ab. Ich habe wirklich geglaubt, sie meint es ernst und gibt uns Gemima zurück. Anzeige, Verfahren, schlechte Medienberichte – das ist mir doch alles egal. Ich will nur meine Tochter.“

Es klingelt an der Tür. „Ein Paket für Sie.“ Wie in einem Déjà-vu rennt Marlene die Treppen hinunter, Claudia direkt hinter ihr. Nichts. Auf der untersten Stufe liegt ein roter Umschlag. Claudia reißt ihn auf. Ein Foto, mehr nicht. Eine Frau liegt mit dem Oberkörper auf einem Schreibtisch in einem pastellenen Büro. Überall Blut. Darunter der Aufdruck: Schweigt, oder es geht euch genauso.

Entsetzt gehen die beiden zurück in ihre Wohnung. Es zieht. Der Vorhang des Küchenbalkons flattert im Wind. Auf der Wohnzimmercouch liegt ihre Tochter. Sie schläft.

Am nächsten Morgen wird Gemima sich an nichts erinnern. Und ihre Mütter werden sie nichts fragen.

Und Marlene löscht die Mail, die in ihrem Posteingang war, als sie mit dem Foto in der Hand wieder in die Wohnung kam.

Ich habe Wort gehalten. Ein Neffe unseres gemeinsamen Bekannten schuldete mir noch einen Gefallen. Den habe ich eingelöst. Ich habe mich damit in seine Hände begeben. Ich hoffe, Sie wissen das zu schätzen. Er wird ihre Tochter zurückbringen lassen. Der Verlust des gerade erst wiedergefundenen Kindes wird für den todkranken Onkel so schmerzhaft sein, dass er sich das Leben nimmt. Das ist die Version des Neffen für die Medien. Mehr müssen Sie nicht wissen. So haben alle etwas davon, der Neffe die freie Bahn zur Spitze des Imperiums und Sie ihr Kind. Leben Sie wohl.
Dr. A. Wonnegrat

Nun, der Neffe ist der großen Aufgabe ganz offensichtlich gewachsen. Er geht keine unnötigen Risiken ein. Und er kann ganz sicher sein, dass alle Beteiligten schweigen. Für immer.

MiniKrimi Adventskalender am 17. Dezember


Manche Geschichten kann sich nur das Leben ausdenken. Und manchmal gehen die sogar noch halbwegs glimpflich aus. Damit das aber so bleibt, denkt bitte daran und tut das eure dazu: #AfD und #AfDVerbotjetzt.

Alexander der Große

Alexander ist behütet aufgewachsen. Als er 14 war, zogen seine Eltern aus dem Gärtnerplatzviertel hinaus in die neu erbaute Siedlung an der Minervastraße. Immer noch nah genug an der Innenstadt, aber noch näher an Wiesen und Feldern. Genau genommen beginnt die Ödnis bereits an dem kleinen Tümpel im Park. See? Lächerlich. Einmal hat Alexander mit seinen Freunden am Steg eine Flasche Wodka gesoffen. Es dauerte keine halbe Stunde, da waren die Bullen da. Von wegen „dein Freund und Helfer.“ Schergen der Bourgoisie waren das.

Überhaupt gefällt es Alexander so gar nicht in der MInervastraße. Alles ist so auf etepetete gebürstet. Die Leute tun so, als seien sie was Besseres. Sogar die Ausländer. Und die Schwulen. Und die Lesben. Und die aufgetakelten Tussis mit ihren frisierten Hunden. Alexander bezweifelt, dass die einem anständigen Beruf nachgehen. Die Ausländer werden wahrscheinlich vom Staat unterstützt, und die Tussen… naja, denen sieht ma doch an, womit sie ihr Geld verdienen.

Seine Familie passt nicht in die Siedlung. Das hat der Junge schon von Anfang an gespürt. Wie die Nachbarn geschaut haben, wenn der Vater abends mit seinem Metzgerei-Transporter vor die Tiefgarage gefahren ist! Und die Mutter ist auch viel bodenständiger als die anderen Frauen hier. Sie färbt sich die Haare selbst, und auch Alexander und der Vater lassen sich von ihr regelmäßig einen ordentlichen Schnitt machen. Die Eigentumswohnung war teuer genug, da müssen sie nicht auch noch viel Geld für einen Friseur ausgeben.

„Wir wohnen jetzt in einer exklusiven Wohngegend, Alexander“, hat die Mutter beim Einzug gesagt. „Schau, dass du immer gut gekleidet bist. Und benimm dich anständig.“ Am Anfang hat Alexander das auch tatsächlich versucht. Leider lebten und leben in der Siedlung nur ein paar Kleinkinder, die alle dort geboren sind. Keine Teens und Twens. Also hing Alex meistens mit seinen Kumpels aus der Realschule rum, am liebsten in der Stadt. Nur zum Zocken kamen seine Freunde ein paarmal mit zu ihm nach Hause. Aber nachdem er die Seitenblicke und das kaum verhaltene Lachen gesehen hat, mit dem sie die Spitzendeckchen auf dem Sofa, die Kuckucksuhr an der Wand und die Kittelschürze seiner Mutter bedachten, nahm Alexander niemanden mehr mit heim. Was denken die eigentlich? Seine Eltern sind anständige Leute, sie sind in Deutschland geboren und aufgewachsen, im Bayerischen Wald. Sein Vater hat sich alles hart erarbeitet, den eigenen Betrieb, die Wohnlandschaft, die Ferien an der Ostsee. „Fliegt ihr im Urlaub nie nach Dubai oder in die Dom Rep?“, hat ihn sein Freund Max mal gefragt.

„Warum? Wir finden es in Deutschland auch sehr schön. Und da versteht man wenigstens, wenn wir ein Bier bestellen.“

„Klar, ne?“ hat Max geantwortet, und damit war die Freundschaft der beiden dann auch vorbei.

Seine Eltern und er sind anders. Passen nicht in das Bild der Siedlung. Die Mutter trägt schon mal Alditüten statt Prada, der Vater sitzt mit Zigarette und Bier auf dem Balkon und nicht mit Champagner. Und er, Alexander, geht nicht auf ein privates Gymnasium, sondern auf die Realschule.

Im Sommer bleibt Alexander sitzen, und seine Eltern schicken ihn auf die BOS. In der Vorklasse lernt er ganz andere Leute kennen. Viel cooler als seine tranigen Realschulfreunde. Statt für’s Klima zu demonstrieren fährt Alex – so nennt er sich jetzt, um nicht so abgehoben zu klingen – mit seiner neuen Clique auf lauten Mopeds über Land, besucht Volksfeste und richtige bayrische Wirtschaften, nicht die teuren Clubs in der Innenstadt. Nur das Gaming hat er beibehalten. Online. Mit einer Handvoll Leuten, die ok sind. Vor allem Lisa. Sie ist saugut, nicht nur für ein Mädchen, sondern überhaupt. Wenn er bei Battlefield 6 gegen sie verliert, stört ihn das nicht. Manchmal ertappt er sich dabei, dass er sie gerne kennenlernen würde.

Seine neuen Freunde sind alle deutsch. Biodeutsch. Klar gibt es auf der Schule auch Ausländer, aber mit denen haben sie nichts zu tun. Eigentlich ist es voll ungerecht, dass die hier so lange zur Schule gehen dürfen, statt zu arbeiten. Wahrscheinlich kriegen die auch staatliche Ausbildungsförderung, und die Eltern sitzen daheim, trinken Tee und kassieren Bürgergeld. Und das alles, während es dem elterlichen Betrieb immer schlechter geht. Plötzlich wollen die Leute Biofleisch, am besten von Kälbern, die mit Mozart und Muttermilch aufgezogen worden sind. Und bitte lieber kein Schweinefleisch. „Wir haben zu Hause selbst ein kleines Schweinchen, wissen Sie“, hat kürzlich eine Kundin gesagt. Dass der Vater die hohen Preise dafür nicht zahlen kann, ist so einer eh egal.

„Es stimmt was nicht mehr, bei uns in Deutschland“, sagt der Vater immer öfter. „Der Staat malt den Teufel an die Wand und will uns vorschreiben, wie wir heizen sollen, will uns das Autofahren und unser Schweineschnitzel verbieten. Und den Ausländern schiebt er die Kohle hinten rein. Und den Transsexuellen. Den Behinderten. Ja, wenn du bei uns deutsch, gesund, normal und arbeitswillig bist, hast du schlechte Karten.“

Alex’s neue Freunde sehen das genauso. Sie treffen sich jetzt immer sonntags in der „Deutschen Eiche“ und reden beim Bier darüber, wie schlecht es ihnen und ihren Familien geht. Draußen stehen ihre Motorräder, Bikes und Autos. Aber das ist für sie kein Widerspruch. In letzter Zeit kommen immer wieder Vertreter einer neuen, deutsch nationalen Partei. Die reden nicht in geschwollenen Luftblasen wie die anderen, die „g’standenen“ Politiker. Die verstehen, worum es den jungen Leuten geht. Sie haben klare Ideen und geben Parolen und Visionen aus. Alex folgt ihnen in den Sozialen Medien, und die haben echt was drauf, findet er. Endlich fühlt er sich nicht mehr minderwertig. Endlich kann er’s allen zeigen. Seinen alten Klassenkameraden mit den grünversifften Halluzinationen, den arroganten Bewohnern in der Minervastraße, die auf seine Familie runterschauen.

Seine neuen Freunde wissen auch schon, wie.

Es ist Sommer, ein lauer Abend. Alex zieht sich die Sturmhaube über den Kopf, dann rennt er los, zusammen mit drei anderen. Sie haben Moliies in der Hand und werfen sie durch das Schaufenster in einen Laden im Erdgeschoss eines Altbaus mitten in Schwabing.

Der Laden ist ein Nest von linksgrünversifften Transen und Behinderten, hat ihnen Karl, der Parteigenosse, erklärt. „Wenn wir erst mal an der Regierung sind, schmeißen wir die alle in den Knast. Da sollen die erstmal lernen, gescheit zu arbeiten, statt auf unsere Kosten zu leben und uns dafür auch noch Vorschriften zu machen.“

Die Mollies explodieren nach Plan. Drinnen Schreie, ein Kind weint. Ein Kind?, denkt Alex. „Los, rein, die kaufen wir uns“, ruft Franz, ihr Anführer. Das Lokal ist offenbar kein linksterroristisches Zentrum, sondern ein Platz, an dem sich junge Leute zum Gamen treffen. Leute wie er. Überall Computer und Spielekonsolen, ein paar in Flammen. Franz drischt mit einem Baseballschläger auf die Geräte ein. Und auf den jungen Mann, der ihn davon abhalten will.

„Nein! Hilfe!“ Hinten in der Ecke sitzt jemand in einem Rollstuhl. Lange blonde Haare, die Feuer gefangen haben.

„Geschieht dir recht, du Terrrorschlampe“, lacht Franz. „Los, mach du auch mal was“, fordert er Alex auf.

Aber Alexander steht wie angewurzelt auf der Schwelle.

„Hilfe!“, schreit das Mädchen. Da zieht Alexander seine große schwarze Jacke aus und beginnt, es abzulöschen. So, wie er es mal in der Schule gelernt hat. Polizeisirenen nähern sich, seine Freunde laufen davon. Alexander bleibt. Er hält die Hand des Mädchens auch noch, als der Rettungswagen kommt.

„Wollen Sie mitfahren?“, fragt der Sani.

Doch da wird Alexander schon von zwei Polizisten zu Boden gedrückt.

„Lisa. Ich heiße Lisa. Besuchst du mich im Krankenhaus?“, ruft das Mädchen. Und dann, zu den Polizisten: „Er hat mir das Leben gerettet, wissen Sie?“

Und für diejenigen unter euch, die sich ein Happy End wünschen:

Fast wäre er Alex geworden. Aber Lisa nennt ihn Alexander. Alexander den Großen, ihren Retter. Er ist mit einer Bewährungsstrafe davongekommen. Und geht jetzt sonntags zum Gamen statt in die „Deutsche Eiche.“

MiniKrimi Adventskalender am 13. Dezember


Heute gibt’s was für die Hundebubble! Da Bruna, Pepita und Giove, meine drei Hunde, auf Instagram kürzlich die 2000 Follower-Marke geknackt haben, hier was für all ihre zwei und vierbeinigen Freundinnen und Freunde. Aber ich hoffe, auch ihr anderen habt etwas Spaß und seht es meinem Zwergdackel nach, dass sie beim Erzählen immer mal auf eine andere Spur gerät.

Pepita Holmes oder die ersten Karafghanen

Mein Name ist Pepita. Ich bin zwar in Frankreich geboren, lebe aber schon seit meinem 2. Lebensmonat in der Minervastraße. Das ist an sich eine schöne Gegend. Viele Büsche direkt vor der Tür, ideal für das schnelle „Bieseln“, und nach einem kurzen Stück durch die Siedlung kommt man an einen kleinen See. Kein Badesee, an dem Hunde von Mai bis September verboten sind – als würden wir nicht genauso gerne schwimmen wie die Menschen, also die meisten von uns und die meisten von denen. Gut, im Sommer wird der Steg hartnäckig von ein paar „Gottesanbeterinnen“, wie, Chris, meine Besitzerin, sie nennt, belagert. Ich habe mich bei Emma Peel, der klugen Dobermannhündin in der Agentur zweites Glück, informiert. Gottesanbeterinnen sind Insekten. Auf dem Steg jedoch liegen Frauen zwischen 30 und 50. Eindeutig keine Fangschnecken, was sie der Ordnung nach wären. Oder doch? Chris hat eine scharfe Zunge, im übertragenen Sinn, und vielleicht besteht die Ähnlichkeit in ihren Augen darin, dass besagte Frauen ihre bräunenden Gliedmaßen so lange männlichen Seebesuchern entgegenrecken, bis einer sie vom Steg pickt und auf den mäandernden Wegen der Siedlung zum Traualtar führt.  

Aber ich schweife ab. Was nichts damit zu tun hat, dass ich mir immer einen schönen, fedrigen Schweif gewünscht habe. Wie den von Soraya, der wundervollen Afghanin – ich meine die Rasse, ihr wisst schon, die, denen manche Besitzer immer einen Schal um die Ohren wickeln, mit dem sie aussehen wie Witwe Bolte. Kennt ihr die? Die ist aus dem schlimmsten Thriller überhaupt, Max und Moritz. Meine Besitzerin liest mir manchmal daraus vor und zeigt mir schlimme Bilder, damit ich nicht auf dumme Streich-Gedanken komme.

Soraya also. Eine Schönheit. Sie ist recht neu in der Siedlung, und beinahe wäre aus dem Umzug nichts geworden, weil ihre Besitzer, Daniel und Horst, beim Besichtigungstermin Emma Peel und ihrem Bruder John Steed begegnet sind und Soraya John gleich in ihr weißes Herz geschlossen hat. Das geht aber leider gar nicht, denn ihre Besitzer haben Großes mit ihr vor. Kein Wunder, Soraya hat mir in einer gemeinsamen Pinkelpause erzählt, dass sie soviel gekostet hat wie ein Kleinwagen. Deshalb soll sie schon dieses Jahr Welpen bekommen. So richtig professionell. Ihre Besitzer wollen mit ihr die Afghanenzucht „vom Minvervatempel“ starten. Puh! Bin ich froh, dass ich nur ein Zwergdackel bin und mehr mit Tümpeln als mit Tempeln zu tun habe. „Du bist mir ja ‚ne Tümpelratte“, hat meine Besitzerin erst kürzlich gerufen, als ich aus einem Schlammloch am Minervasee aufgetaucht bin. Leider ohne die Maus, die ich verfolgt hatte. Pepita von den schlammigen Tümpeln – das wär’s doch, oder? Aber ich soll nicht zu Zuchtzwecken „verwendet“ werden. Und das ist gut so. Wenn ich läufig bin, habe ich nämlich immer so ganz arge Bauchkrämpfe. Kennen die Frauen unter euch wahrscheinlich. Nee, das muss ich nicht immer haben.

Soraya also. Die mit dem schönen Schweif. Wie bin ich nochmal auf sie gekommen? Wisst ihr, Dackel sind von Natur aus nicht so gradlinig. Wir spüren ja Fährten auf, immer mit der Nase ganz nah am Boden – deshalb haben wir ja auch so kurze Beine, damit wir immer ganz nah dran drin. Fährten verlaufen nicht gerade. Also laufen auch wir im Zickzack. Und irgendwie hat sich das auf unser Denken übertragen. Ich hoffe, ihr seht es mir nach.

Fährten. Ja, genau. Läufige Hündinnen hinterlassen sehr markante Fährten, also Spuren. Duftspuren. Und nun stellt euch vor, was in unserer Siedlung passiert ist!

Soraya war läufig. Beim nächsten Mal soll sie gedeckt werden. Also haben die Besitzer auf sie aufgepasst wie die Schießhunde – wo kommt diese Redewendung bloß her? Ich kenne keinen Hund, der schießen kann, sie haben also aufgepasst, dass ihre Hündin ja keinem Rüden begegnet. Oder von ihm „erkannt wird“, wie es in diesem alten Buch steht, das meine Chris manchmal liest. Da steht auch sowas drin wie „der Mensch denkt, und Gott lenkt“. Hahahaa, in diesem Fall haben die Menschen gedacht – und die Hunde gelenkt.

Soraya war es nämlich irgendwann leid, mit Windelhöschen zuhause rumzusitzen. Plötzlich schwebten von draußen allzu verlockende Gerüche in ihren Garten. Und siehe da, der hohe Zaun war für die stolze Afghanin kein Hindernis. Mit einem majestätischen Satz überwand sie ihn, und nur ihr rosa Höschen mit der weißen Spitze blieb daran hängen. Was aber kein Verhängnis war, denn so eine Hundewindel hat angeblich noch keinen heißen Rüden abgehalten. Sagt zumindest John Steed. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob seine Aussage glaubwürdig ist, denn als Kastrat kann er da eigentlich nicht wirklich mitreden, oder?

Ups, schon wieder ne falsche Fährte. Also wieder zurück. Die Duftspur führte Soraya direkt runter zum Minervasee. Und dort nahm das Verhängnis – aus Sicht der Besitzer – bzw. das Verhältnis – aus Sorayas Sicht, nun tatsächlich seinen Lauf. Angelockt durch Sorayas Pheromonspur, war Hasso, der „gespitzdackelte Windhund“, was soviel bedeutet wie Promenadenmischung, vom Schrottplatz auf der anderen Seite der Bahnlinie zum See geeilt. Rüden riechen eine paarungsbereite Hündin auf Kilometer, und der große schwarze Hasso, der aussah wie ein Höllenhund, hatte kein Problem mit Entfernungen, genauso wenig wie mit Erziehung.

Nun, es kam, wie es kommen musste und von der Natur vorgesehen ist. Soraya und Hasso hatten ihren Spaß. Allerdings nur so lange, bis die Besitzer der Stammesmutter „vom Minervatempel“ herbeigeeilt kamen. Leider, oder, aus Sicht der beiden Hunde, zum Glück kamen sie ein paar Sekunden zu spät. Und es sei Hasso verziehen, dass er nicht länger als nötig bei seiner Eroberung blieb, sondern vor den beiden wutschnaubenden Menschen die Flucht zurück zu seinem Schrottplatz antrat. Alles, was Soraya und ihren Besitzern blieb, war ein Handy-Schnappschuss von ihr und ihrem Hasso, als er gerade von ihr abstieg.

Just dieses Foto wurde zum zentralen Beweisstück in der Schadenersatzklage, die Horst und Daniel gegen den Schrottplatzkönig Hans H. anstrengten. Das weiß ich aus erster Hand, denn die verzweifelte Soraya berief schon kurz nach ihrem Liebesglück eine Krisensitzung in der Siedlung ein, an der Emma, John und ich teilnahmen. Das ging über ein paar Zäune und Stockwerke hinweg und war ziemlich laut, könnt ihr euch denken!

Jedenfalls berichtete Soraya mit tränenerstickter Stimme, dass sie „guter Hoffnung“ sei. Wir alle gleich: „Wow, Gratulation!“. Aber sie: „Nein! Horst und Daniel wollen mir die Babys wegmachen lassen.“ Ok, nicht so toll. Warum?, wollte ich wissen. Weil, erklärte Soraya, ein Hund, der von einem Mischling gedeckt worden ist, nicht mehr zur Zucht zugelassen wird, wenn er, also sie, Mischlingswelpen geworfen hat. „Horst will jetzt von Hassos Besitzer Zehntausende Euro. Weil so ein Schrottplatz ja viel abwirft. Dabei hat Hasso mir gesagt, dass er manchmal nicht mal was zu fressen bekommt, so wenig Geld hat der Hans.“

Hm, wunderte ich mich. Zeit zum Reden hatten die beiden also auch? Sie haben sich wohl öfter getroffen? Und vielleicht hat dieser Hans nicht zu wenig Geld, sondern zu wenig Interesse an Hasso?

Wie dem auch sei: Soraya brauchte Hilfe. Sie wollte in einer Nacht-und-Nebel-Aktion – wörtlich, um nicht gefunden zu werden – zu Hasso flüchten. Dann würden sie gemeinsam in die Welt hinausziehen und sich ein neues Zuhause suchen.

Ich liebe mein Zuhause. Mein Körbchen vor dem Kamin, meinen Platz unter „Mamas“ Bettdecke (sagt ihr ja nicht, dass ich sie Mama genannt habe. Das kann sie gar nicht leiden). Ich könnte mir nicht vorstellen, das alles zu verlassen. Vor allem, weil es draußen oft so schrecklich kalt ist. Aber Soraya war verzweifelt. Also versprachen wir, einen Schlachtplan zu entwerfen. Schlacht fand ich jetzt nicht so toll. Vor allem, weil ja ihre Welpen… aber egal. Bin schon wieder auf ‘ner falschen Fährte.

Wir waren ehrlich gesagt noch nicht sehr weit mit unseren Fluchtplänen, als ich Soraya ganz aufgelöst beim Gassigang auf der Hundewiese traf. Am Abend zuvor war es bei ihr zu einem Beinahe-Showdown gekommen. Hans stand plötzlich am Gartentor. Mit zwei riesigen Männern und einer Knarre. So nennen die in den Filmen, die meine Chris dauernd schaut, eine Waffe. „Wenn du deine Klage nicht sofort zurücknimmst, knallen wir erst deinen Dreckshund ab und dann dich“, hat er wohl zu Horst gesagt. Und hat Soraya als Warnung ganz brutal in die Seite getreten. Als Daniel dazwischen wollte, hat einer der beiden anderen ihn mit einem Faustschlag einfach umgehauen.

„Was mache ich jetzt?“, fragte Soraya. Sie war völlig fertig. Sie wollte ihre Besitzer nicht in Gefahr bringen, aber auch nicht ihre Welpen. Und ihre große Liebe, Hasso. „Wer weiß, vielleicht hat Hans ihn schon umgebracht“, jammerte sie.

Sie tat mir entsetzlich leid. Und dann hatte ich plötzlich eine Idee.

Das ist jetzt schon ein halbes Jahr her. Gerade komme ich mit meiner „Mama“ von einem ganz besonderen Besuch.

Aber der Reihe nach. Ich hatte mich an zwei Damen erinnert, die ganz in der Nähe eine Hundepension haben. Dort nehmen sie Hunde auf, die ihre Besitzer aus welchem Grund auch immer nicht mitnehmen können, wenn sie in Urlaub fahren, oder auf Geschäftsreise. Oder so. Meine „Mama“ nimmt mich immer überall mit. „Wozu hab‘ ich dich denn sonst?“, fragt sie. Aber ich weiß, dass das wirklich nicht immer und bei allen geht. Die Hundepension soll toll sein, das hat mir Emma Peel berichtet, die mal mit John eine Woche dort war, als Elvira, ihre Besitzerin, ins Krankenhaus musste. Dorthin durften die beiden Dobermänner nicht mit. Doof, oder? Egal – Emma schwärmte in höchsten Tönen von Claudia und Ulrike. Angeblich hatten sie dort jeden Tag jede Menge Leckerli bekommen, Streicheleinheiten und sogar lange Spaziergänge, obwohl die Pension mitten in einem großen Wald liegt.

Daran erinnerte ich mich und wusste sofort: das ist das ideale Versteck für Soraya und Hasso. Denn in diesem Wald hatten Claudia und Ulrike auch eine Hütte, komplett mit Hundebetten, Wasser und allem, was Vierbeiner halt so brauchen. Oder sich wünschen. Vielleicht sollte ich auch mal dort „Urlaub“ machen? Hm… halt, falsche Fährte, schnell wieder zurück.

Ich erspare euch die Details darüber, wie unser Liebespaar zur Hütte gelangte. Claudia und Ulrike entdeckten die beiden natürlich, aber da Soraya inzwischen sichtbar trächtig war, behielten sie sie erst einmal da. Die zwei sahen nach ihrer Odyssee über Straßen, einen Bach und durch dichtes Gestrüpp sehr verwahrlost aus, außerdem hatten sie beide kein Halsband an, und immer, wenn Claudia nach dem Chip am Hals suchen wollte, wurde Hasso richtig wütend. Überhaupt kümmerte er sich zärtlich um seine Soraya. Wirklich, Leute, die große Liebe gibt’s auch bei Hunden!

Und dann waren die Welpen da. Sie waren wunderschön, mit langem, seidigem schwarz-weißem Fell, niedlichen Ohren und riesigen pechschwarzen Augen. Die tollste Mischung aus beiden Eltern.

Bei der Geburt hatte die Tierärztin es geschafft, Sorayas Chip auszulesen. Und so kamen bald darauf Daniel und Horst in die Hundepension. Was soll ich euch sagen? Sie haben sich sofort in die Welpen verliebt und wollten sie gleich samt der Mama mit nach Hause nehmen. Aber da hatten sie die Rechnung ohne den Papa gemacht. Und auch Soraya weigerte sich, ohne Hasso auch nur einen Schritt zu gehen.

Tja. Und gerade eben kommen „Mama“ und ich von einem Besuch bei Soraya zurück. Sie lebt jetzt mit ihren Welpen und Hasso bei Daniel und Horst. Die beiden haben auf das Schmerzensgeld verzichtet und im Gegenzug Hasso bekommen. Jetzt züchten sie eine neue Rasse, die Karafghanen. Die Tierärztin hat nämlich erkannt, dass Hasso gar kein Mischling ist, sondern ein reinrassiger Karakatschan-Schäferhund. Da staunt ihr, was?

Allerdings habe ich bei unserem Besuch erfahren, dass Hans, der Schrotthändler, jetzt vielleicht seinerseits klagen will, auf die Herausgabe der neuen Rasse-Welpen. Oder so.

Doch das wäre eine neue Geschichte. Oh – ihr sagt, das heute sei gar kein richtiger Krimi? Hm, da ssehen Soraya und alle Hunde in der Minervastraße aber ganz anders. Außerdem: Weihnachten ist doch die Zeit der Wunder, oder?

Übrigens habe ich jetzt einen Zweitnamen. Ich heiße Pepita Holmes. Na, wie findet ihr das?

MiniKrimi Adventskalender am 9. Dezember

Ein Paar im Café

Ihr Lieben, heute gibt es wieder eine Cosy Crime Story aus der Siedlung an der Minervastraße. Obwohl er nicht für alle Beteiligten „cosy“ endet. Lest selbst. Danke für eure Kommentare. Und sagt mir doch, ob ihr erfahren wollt, wie oder ob es mit „Falk“ weitergeht.

Manche Dinge regeln sich ganz von selbst

„Ich verstehe nicht, warum Frauen ständig zur Kosmetik laufen müssen. Für das Geld, dass du über die Jahre für Maniküre, Pediküre und was weiß ich noch alles ausgegeben hast, hätten wir uns eine schöne Finca auf Mallorca kaufen können – und müssten uns nicht im Münchner Winter die Zehen abfrieren.“

Helene Müller-Vorfeld schaut ihren Mann an. Wortlos. Dann dreht sie sich um und verlässt das Schlafzimmer, im dem ihr Mann noch zwischen hoch aufgetürmten Kissen und weichen Decken liegt. Vor zwölf steht er nicht mehr auf. Dann trinkt er einen Espresso und setzt sich mit der Tageszeitung auf die beheizte Loggia, um das Kommen und Gehen in der Siedlung an der Minervastraße zu beobachten. Kürzlich hat er sich im Internet eine Drohne gekauft, angeblich, um die Zugvögel besser observieren zu können. „Wohl eher, damit er einen ungehinderten Blick in die Badezimmer der Nachbarinnen hat, vor allem der jüngeren“, mutmaßt seine Frau.

„Du bist ja noch gut zu Fuß. Ich dagegen kann mich sogar in der Wohnung nur noch mit Gehhilfen bewegen. Warte bloß ab, bis er dir so geht wir mir“, sagt er immer.

„Das wird nicht passieren. Ich gehe regelmäßig zur Podologin und mache täglich mein Stuhl-Yoga“, antwortet seine Frau ihm. „Auch heute. Das ist keine Kosmetik, sondern medizinische Fußpflege. Damit mir die Zehennägel nicht so einwachsen wir dir. Weshalb ich noch so gut laufen kann.“

„Papperlapapp“, kontert Herr Vorfeld. Widerspruch hat er noch nie geduldet, und seine Stimmung verschlechtert sich proportional zu seinem Gesundheitszustand.


„Es ist eigentlich gar kein Auskommen mehr mit ihm“, berichtet Helene beim Tee ihrer Bekannten Elvira Obermaier, der Inhaberin der Agentur zweites Glück. Sie sitzt jetzt immer öfter bei ihr auf dem gemütlichen Sofa und blättert versonnen in dem großen, prall gefüllten Ordner, den Elvira beiläufig auf den Couchtisch gelegt hat.

„Der sieht ja interessant aus. Ist der neu?“, fragt Frau Müller-Vorfeld und betrachtet lange das Ganzkörperfoto eines Mannes mit graumelierten Schläfen und imposantem Sixpack, das von einem Seidenhemd vorteilhaft umspannt wird. Blaue Augen mit gewinnenden Lachfalten, ein sinnlicher Mund und Hände, die so aussehen, als könnten sie zärtlich zupacken. Vor allem steht er fest und sicher auf zwei muskulösen Beinen.

„Das ist Falk. Ja, er ist erst seit einer Woche in meiner Kartei. Gefällt er Ihnen?“

„Ja. Schon,“ Frau Müller-Vorfeld zögert. „Der ist sicher sehr gefragt?“

„Hm. Schon. Aber ich könnte Ihnen ganz kurzfristig ein unverbindliches Date mit ihm vermitteln. Wann sind Sie denn wieder in der Stadt?“

„Ich war gerade erst zur Fußpflege. Aber nächste Woche muss ich zum Orthopäden am Odeonsplatz…“

„Wunderbar. Dann reserviere ich doch einfach einen Tisch im Tambosi. Sagen wir um 14 Uhr?“

„Perfekt.“

„Und…. Ihr Mann?“ Elvira ist ihren Kundinnen gegenüber stets ein Muster an Taktgefühl. Aber als Geschäftsfrau möchte sie natürlich wissen, wie ernst es Frau Müller-Vorfeld prinzipiell mit einem Kennenlernen ist. Schließlich führt sie eine Partneragentur und kein Datingportal für Kaffeekränzchen.

„Da machen Sie sich mal keine Sorgen. Manche Dinge regeln sich ganz von selbst.“

Elvira lächelt. Sie mag Helene Müller-Vorfeld. Sie mag eigentlich alle ihre Kundinnen. Die meisten haben in ihren letzten Ehejahren durch ihre Männer viel schlucken, ertragen und erdulden müssen, und es ist mehr als verständlich, wenn sie sich für ihren Lebensherbst etwas liebevolle Zuwendung ersehnen. Ja, die Agentur ist für Elvira mehr als nur ein Geschäftsmodell, wenn auch ein überaus erfolgreiches. Sie freut sich jedes Mal, wenn es ihr gelingt, mit ein wenig Geschick – und für ein gutes Honorar – ein leises Feuer in den Augen der Damen zu entfachen, die vordem nur noch erwartungslos in eine trübe und trostlose Zukunft geblickt haben.

Herr Vorfeld ist ein echter Tyrann mit einem Frauenbild aus den 1960er Jahren. Seine Gattin ist seine Sklavin und hat ihm jeden Wunsch zu erfüllen. Gottlob beschränken sich seine fleischlichen Bedürfnisse inzwischen auf die Mahlzeiten. Aber er hält seine Frau an der kurzen Leine, kontrolliert jede ihrer Ausgaben und mäkelt an allem herum, während er sich jeden Luxus gönnt. Vom exklusiven Parfum und den modernsten Hörgeräten über die teure Drohne bis hin zur neuesten Musikanlage. Aber wehe, Helene  geht zur Podologin.

Nein, genug ist genug. Die Äußerung über ihre angeblich exorbitant extravaganten Kosmetik-Ausgaben hat das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht. Na warte, denkt Frau Müller-Vorfeld. Dir zeig ich, was Extravaganz bedeutet.

Sie plündert ihre Geheimschatulle – Euro für Euro abgespart vom mageren Haushaltsgeld –

und geht einkaufen. Ein Paillettenkleid mit tiefem Dekolleté, ein paar lackrote Pumps und eine blonde Lockenperücke später kommt sie fröhlich summend nach Hause.

„Wo warst du denn so lange? Ich wollte gerade eine Vermisstenmeldung aufgeben – wenn du das Telefon nicht schon wieder außer Reichweite abgelegt hättest. Es ist fünf nach sechs. Du willst wohl, dass ich verhungere? Das könnte dir so passen.“

„Lieb-ling“, flötet Frau Müller-Vorfeld und dehnt beide Silben, so lang ihr Atem reicht. „Entschuldige! Ich dachte, du würdest es noch alleine vom Sofa in die Küche schaffen. Das tut mir so leid! Wie gut, dass morgen die Ärztin vom Medizinischen Dienst kommt. Die muss dir unbedingt diesen elektrischen Rollstuhl für die Wohnung bewilligen. Sonst müssen wir ihn selbst kaufen.“

„Was? Ich hab‘ Millionen in die Pflegeversicherung einbezahlt (sicher nicht, denkt seine Frau), da werden die mir doch wohl so einen mickrigen Rollstuhl finanzieren! Ich bleib morgen direkt im Bett. Wenn die Ärztin kommt, sieht sie gleich, dass ich mich nicht mehr alleine bewegen kann.“

„ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Nicht, dass sie dich dann für kränker hält, als du bist…“

„Papperlapapp. Du hast ja keine Ahnung. Du bist eben dumm.“

„Wie du meinst, Lieb-ling. Ich mach dir jetzt schnell dein Abendbrot. Möchtest du vielleicht ein Glas Wein dazu?“

Der Beaujolais ist ausnehmend süffig. Herr Vorfeld trinkt fast die ganze Flasche und fällt dann wie ein Stein ins Bett. Er schläft tief und fest. Er träumt, dass jemand ihm zärtlich über den Kopf streicht und ihn dann an den Füßen kitzelt. Es ist ein schöner Traum, und er lächelt, ohne aufzuwachen. Das wäre bei der Menge an Schlafmittel, den er im Wein zu sich genommen hat, auch äußerst unwahrscheinlich.

Als die Dame vom Medizinischen Dienst um neun Uhr vor der Tür steht, entschuldigt sich Frau Müller-Vorfeld wortreich. Ihr Mann liege immer noch im Bett. Er schlafe neuerdings extrem viel. Überhaupt sei er nicht mehr er selbst. Er halluziniere, vergesse immer öfter, wer er sei. Und neuerdings behauptet er immer wieder, seine eigene Mutter zu sein.

„Interessant. Wie äußert sich das?“

„Sehen Sie selbst“, sagt Frau Müller-Vorfeld und öffnet die Tür zum Schlafzimmer. Dort liegt ihr Mann auf dem Bett, sorgfältig geschminkt, in einem schillernden Paillettenkleid, mit einer blonden Perücke auf dem Kopf und grellen Pumps an den Füßen.

„Um Himmels Willen!“, sagt die Dame vom Medizinischen Dienst. „ich sehe schon, da besteht dringender Handlungsbedarf. Ich kümmere mich gleich darum.“

So kommt es, dass Helene Müller-Vorfeld eine Woche später frisch frisiert, manikürt und pedikürt – man kann ja nie wissen – im Café Tambosi mit einem gut aussehenden Herren eine Flasche Prosecco trinkt, während ihr Noch-Ehemann – sie hat die Scheidung schon eingereicht – in der beschützenden Abteilung einer Seniorenresidenz versucht, Pflegepersonal, Ärztinnen und Ärzte davon zu überzeugen, dass er das Opfer eines teuflischen Komplotts geworden ist.

MiniKrimi Adventskalender am 3. Dezember

Frau sitzt am Computer

Diesmal wieder ein MiniKrimi aus der Siedlung an der Minervastraße. Eat the rich oder – Armut ist immer relativ. Kriminelles Lesevergnügen wünschen wir. Und Achtung: Nachahmung wird strikt untersagt…

Robin Hoods Erbin

Die Siedlung an der Minervastraße hat alles, was das Herz von wohlbetuchten Münchner*innen begehrt: zentral und doch mitten im Grünen, elegant im neoklassizistischen Stil und dabei mit allen Modcons, die ein luxuriöses Leben bietet, von Fußbodenheizung und dezent versteckten Aufzügen bis hin zur geräumigen Tiefgarage, in der auch ungeübte SUV-Fahrer ohne Schrammen einparken können. Mäandernde Wege führen durch einen gepflegten Park zu einem kleinen Teich, und wenn man vom Steg in die umsäumenden Tannen blickt, liegt nichts ferner als die – richtige – Vermutung, dass das Ganze erst vor ein paar Jahren angelegt wurde. Wie die Siedlung, so haben auch Park und See eine verwunschene Patina, die zum Träumen einlädt – komplett mit einer im letzten Winter dort versenkten Leiche. Romantik pur, eben.

Dr. Lukas Wentzel, 66, ist kein Romantiker. Aber seine Frau Sofia und seine Töchter Lina und Rita hatten sich sofort in das Anwesen verliebt, und als die opulente 5-Zimmer-Dachterrassenwohnung frei wurde, gab er den Bitten seiner Familie nach und kaufte sich in die Siedlung ein. Zu einem schwindelerregenden Preis. Aber als Zahnarzt mit einer renommierten Praxis im Herzen der bayerischen Landeshauptstadt war er nicht nur ein gern gesehenes Aushängeschild der Siedlung. Dank seiner souveränen Art und der herzlichen Überzeugungskraft seiner „Mädels“, wie er Frau und Töchter nannte, gewann er auch bald eine Reihe zahlungsfreudiger Patient*innen hinzu. Und um der Wahrheit Genüge zu tun, muss gesagt werden, dass Wentzel ein Meister seines Faches ist. Was immer sich seine Patient*innen wünschen – er erfüllt selbst die kühnsten gebisstechnischen Träume: ein blendendweißes Bleaching für das 30-jährige Plus-Size-Model, eine Komplettsanierung ausgeschlagener Ruinen für den Ex-Boxer auf Freiersfüßen, aber auch eine Vollprothese, mit der Frau von Westphal endlich wieder mit ihren Freundinnen in aller Öffentlichkeit Sachertorte essen kann, ohne dass die Zähne in der Konfitüre kleben bleiben. Voraussetzung für seine Behandlung ist natürlich die absolute Bonität der Patient*innen. Denn Wentzel überlässt nichts dem Zufall, weder in der Behandlung noch bei der Abrechnung.

Um sein Leben und den in nächster Zukunft geplanten Ruhestand gepolstert zu finanzieren, hat er jahrelang vertrauensvoll in einen seriösen ärztlichen Pensionsfonds eingezahlt. Er hält nichts von windigen Investitionen und riskanten Aktienkäufen und geht lieber auf Nummer sicher.

So dachte er, so plante er. Bis die Wirklichkeit ihn in Form eines harmlos im Briefkasten ruhenden grauen Umschlags einholt. „Aufgrund unvorhersehbarer weltpolitisch bedingter Schwankungen hat der Fonds leider einen erheblichen Teil seiner Investitionen eingebüßt (……). Wir bedauern außerordentlich, ihnen mitteilen zu müssen, dass wir Ihre Rentenansprüche um bis zu 62% reduzieren müssen.“

„WAS?“ Wentzel schwankt, Nebel vor seinen Augen, Treibsand statt Parkett unter seinen Füßen.  „Lukas? LUKAS!“ Seine Frau kommt durch die Tür, streckt beide Hände nach ihm aus und hält ihn fest. Zusammen gleiten sie zu Boden. Dort kauert Wentzel eine kleine Ewigkeit, Kopf auf den Knien, unfähig, auch nur ein Wort der Erklärung von sich zu geben.

„Diese Idioten. Wie kann man nur so dumm sein?“ Dann: „Nein, das ist unmöglich. Da steckt ein Plan dahinter.“ Schließlich: „Diese Verbrecher. Haben sich auf unsere Kosten bereichert.“ Endlich: „Na warte. Das werdet ihr büßen. Aber sowas von!“

Seine Pläne. Seine Zukunft. Nicht nur seine. Auch die seiner Frau. Und seiner Töchter. Auslandsstudium. Startkapital für die eigene kleine Firma. Alles weg. Pulverisiert durch eine falsche, ach was, eine kriminelle Investitionspolitik von einer Handvoll selbstgerechter Fondsmanager. Es ist ausgeschlossen, erkennt Wentzel, dass Prof. Dr. Viktor Hesemann, Vorstandsvorsitzender des Ärztlichen Pensionsfonds und Mediziner, in völliger Ahnungslosigkeit sein, Wentzels, Leben und das von wer weiß wie vielen anderen Gutgläubigen ruiniert hat. Nein, das alles ist ein bis ins Kleinste geplanter Komplott, aus dem Hesemann mit mehrfach siebenstelligen Gewinnen und einer reinweißen Weste hervorgeht.

Er hat schließlich „nur beraten“, „nur ausgeführt“, „nur die Risiken falsch eingeschätzt“.

Und jetzt? „Wir müssen die Wohnung verkaufen. Sofort. Die Mädchen müssen sich ihr Studium selbst finanzieren. Das Wohnmobil setze ich gleich ins Internet.“ Wentzels Frau schaut ihren Mann an. Schweigend.

Dann sagt sie: „Gib mir mal alle Unterlagen, alles, was du vom Fonds hast. Und vom Vorstand.“

„Und dann?“

„Dann sehen wir weiter. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die damit so ohne weiteres durchkommen.“

„Doch. Tun sie. Weil wir alle zu blöd waren, zu vertrauensselig. Weil wir ihnen Carte Blanche gegeben haben. Auf eine externe Wirtschaftsprüfung verzichtet haben. Aus Kostengründen. HAHA!“

Sofia vergräbt sich mit den Unterlagen im gemeinsamen Arbeitszimmer. Die Stunden vergehen. Irgendwann hält Wentzel es nicht mehr aus. Er kocht einen Tee – grün, im Beutel, um sich schon mal in Armut zu üben – und klopft. „Komm rein“, ruft Sofia.

„Und?“, fragt er.

„Hesemann hat tatsächlich an alles gedacht. Den kriegen wir nicht dran.“

„Dann kontaktiere ich am besten gleich einen Makler. Aber keinen von hier. Ich will nicht, dass die Leute mitkriegen, dass wir demnächst pleite sind. Meine Patienten! Ich hab‘ allen erzählt, dass ich spätestens in zwei Jahren in Rente gehe. Jetzt muss ich arbeiten, solange Augen und Bandscheibe mitmachen.“ Müde und mutlos lehnt Wentzel sich an die Wand.

„Also deine Patienten werden sich freuen, vor allem die Patientinnen“, lacht Sofia. „Schau mich nicht so bissig an. Um so höher du stehst, desto tiefer fällst du. Aber zum Glück hast du ja noch mich.“

„Mit deinen paar IT-Kunden wirst du uns kaum ernähren können“, murmelt Wentzel.

„Vielleicht nicht. Stimmt. Aber wer weiß – vielleicht doch. Ich habe da nämlich eine Idee. Allerdings nur unter einer Bedingung. Du musst herausfinden, welche deiner Kolleg*innen durch den Fonds die meisten Verluste erlitten haben. Also wirklich die, denen es am dreckigsten geht.“

„Warum?“

„Nenn mich Robin Hoods Erbin, Schatz. Und frag nicht weiter. Ich will dein Gewissen nicht unnötig belasten.“

II

„Das ist doch zu schön, um wahr zu sein. Wo ist da der Haken?“ Prof. Dr. Hesemann blättert den Hochglanzprospekt nochmal durch. Von vorne bis hinten. Kein Haken erkennbar. Das aufstrebende Bio Tech-Start Up mit dem wohlklingenden Namen „EnzyValion Therapeutics“ ist klein, innovativ und noch so unbekannt, dass er als early investor satt Profit machen kann. „Toller Tipp von der jungen Kollegin“, denkt Hesemann. Und er weiß, dass er seine Marke perfekt aufgebaut hat: der sichere Investor, risikofreudig, aber nicht blauäugig. Er kann sich nicht an die Frau erinnern, aber wenn die Investition so gut läuft, wie sie klingt, wird er sie nach er der ersten Million zum Essen einladen. Als Einzahlerin in den Ärztefonds wird sie sich das alleine wohl kaum noch leisten können.

Hesemann nimmt sich einen ganzen Tag Zeit, um EnzyValion Therapeutics zu durchleuchten. Google kennt das Start Up. Die Webseite ist clean, mit sympathischen Management-Gesichtern, vorwiegend junge Männer, eine Frau; ein minimalistisches Pitchdeck, ein schmaler Crunchbase-Eintrag („Seed Stage – undisclosed funding“), ein Eintrag in einem Startup-Katalog, eine kleine Liste von Partnern und eine Handvoll Presseartikel. Etwas Präsenz auf LinkedIn, sogar ein paar saubere FB-Profile – alles genau so, wie man es von einem „Early-Stage“-Start Up mit hoher Exklusivität erwartet. Ein halb gefülltes Ökosystem, typisch für Mini-Firmen. Und mit dem Versprechen von großen Gewinnen für ihn.

Am nächsten Tag unterschreibt Hesemann digital und überweist das Geld. Eine schwindelerregende Summe. Für ihn kein Problem, Fonds sei Dank. Um ganz sicher zu gehen, loggt er sich am Anfang stündlich in sein Investor-Dashboard ein. Alles wasserdicht und im leuchtend grünen Bereich: Anteile, Wertentwicklung, Schaubilder, Auszahlungsfunktionen, Transaktionsverlauf.

Als eines Morgens die Steuerfahndung bei ihm klingelt – was Hesemann längst mit einkalkuliert hat – setzt er seinen Escape-Plan um. Oder besser, er will ihn umsetzen. Jetzt nur noch schnell das Geld aus dem Start Up ziehen, und dann ab nach Zypern. Warum in die Ferne schweifen? Mit den richtigen Papieren liegt das Gute doch recht nah.

Doch nach dem Login bleibt der Bildschirm erstmal blank. Also black. Dann blue. Schließlich erscheint eine Anonymus-Maske und sagt: „Wir danken für die großzügige Spende und bitten um Verständnis dafür, dass wir keine Spendenbescheinigung ausstellen können. Wir bedauern außerordentlich, ihnen mitteilen zu müssen, dass wir Ihre Investition zu 100% einbehalten mussten.“

Dr. Lukas Wentzel hat keinerlei Einwände, als seine Frau ihm mitteilt, dass das Kapital, das sie für ihn erwirtschaftet hat, exakt dem Betrag entspricht, den er durch den Ärztefonds verloren hat. Der Rest, das weiß er, bewahrt eine Handvoll Kolleg*innen vor dem sicheren Ruin. Und das ist gut so. In Zukunft wird er seine Geschäfte ganz in die Hände seiner Frau Sofia, Robin Hoods Erbin, legen. Auch das ist gut. 

MiniKrimi Adventskalender am 1. Dezember

Vorhänge vor einem Fenster.

So, let the tale begin. Herzlich willkommen zum MiniKrimi Adventskalender 2025.

Meine Co-Autorin Lydia H. und ich entführen euch in diesem Dezember wieder in die schicke Siedlung an der Minervastraße am Stadtrand von München. Dort leben ganz unterschiedliche Menschen. Alte und junge, schöne und unscheinbare, frohe und traurige. Und wie in jeder Siedlung passieren dort viele Geschichten. Die einen schön, die anderen schaurig. Aber immer ein wenig geheimnisvoll.

Der letzte Vorhang

Ein lautes Klirren erschütterte das elegante Erdgeschoss der Minervastraße 7. „Neiiiin!“, entfuhr es Lisa. „Nicht das Porzellan meiner Oma.“ Fassungslos starrte die junge Frau erst auf den Umzugskarton, der ihr gerade aus den Händen geglitten war, und dann auf den Mann, der wie aus dem Nichts vor ihr aufgetaucht war.

Dr. Best, ohne Zweifel.  Dieselbe arrogante Ausstrahlung wie früher.  Vor Lisas innerem Auge zogen sofort die Geschehnisse der letzten 5 Jahre vorüber. Geschehnisse, die letztendlich zu ihrem Auszug aus der Minervastraße geführt hatten.  Aus ihrer Oase. Aus ihrem sicheren Hafen. Hier hatte sie sich zum ersten Mal seit ihrer Scheidung wieder zu Hause gefühlt. Hier hatte sie neue Leute getroffen, zaghafte Freundschaften geknüpft. Wieder begonnen, dem Leben zu vertrauen.

Und jetzt stand ausgerechnet der Mensch vor ihr, dessen Behandlungsfehler dazu geführt hatte, dass sie alles verloren hatte. Schon wieder.  Dass sie noch einmal vor den Scherben ihrer Existenz stand – und nicht wusste, ob sie genug Kraft für einen weiteren Neuanfang haben würde.

„Entschuldigung“, sagte der Mann zu ihr. „Ich bin, glaube ich, ihr Nachmieter. Die 3 Zimmer Wohnung im dritten Stock?“ Lisa konnte es nicht fassen. Der Typ erkannte sie nicht einmal mehr.  Nach all dem, was er ihr angetan hatte! Und nun nahm er ihr auch noch ihre Wohnung weg. Ihren letzten Rückzugsort. „Ja“, antwortete sie kurz angebunden, dreht sich um und trug den Karton mit dem zerbrochenen Porzellan zu den Mülltonnen. Nichts als Scherben, dieses Leben.

In den nächsten Tagen war Lisa mit der Einrichtung der neuen Wohnung beschäftigt. Ein Zimmer am Stadtrand von München.  In einer der neu aus dem Boden gestampften Siedlungen, die den Mietnotstand mindern sollten. Die meisten der Wohnungen waren für Menschen mit einem sogenannten Wohngeldanspruch des Jobcenters oder des Sozialamtes reserviert. Menschen wie Lisa, die seit der Katastrophe vor 5 Jahren zu 100 Prozent erwerbsgemindert war. Dazu kamen Langzeitarbeitslose, Rentner und Geflüchtete. Leute, die das Stadtbild störten. An den Rand geschoben. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Lisas persönliche Katastrophe, lebensbedrohlich, physisch wie psychisch, hatte vor Gericht nicht mal zu einem Bußgeld für den verantwortlichen Arzt Dr. Best, bzw. Dr. Biest, wie Sie ihn getauft hatte, geführt. Das beauftragte Gutachten kam zu dem Schluss, dass es sich um eine Verkettung unglücklicher Umstände gehandelt hatte. Eine Krähe…, das kennt man ja. Dr. Biest, bei dem Lisa 15 Jahre in Behandlung war, hatte es schlicht versäumt, ihr jemals den Blutdruck zu messen – wofür er nicht belangt werden konnte. Wie hätte er als ihr Hausarzt, auch auf den Gedanken kommen können, dass eine schlanke, sportliche Frau in der Mitte ihres Lebens einen Bluthochdruck entwickeln könnte. Das bisschen Schwindel, naja, das kennt man doch bei Single Frauen. Schlechter Sex vielleicht, oder gar keiner. Hysterie, typisch weiblich. Hat ja schon Freud so erkannt. Ein fataler Fehler, wie sich herausstellte.  An einem schönen Junimorgen vor 5 Jahren brach Lisa mit unerträglichen Schmerzen zusammen und wurde mit Blaulicht ins nächste Krankenhaus gefahren. Dort stellte sich heraus, dass sie an einem Aortenaneurysma litt, welches an diesem Morgen gerissen war. Die Ursache war zweifelsfrei ein jahrelang nicht erkannter und folglich nicht behandelter Bluthochdruck.

Nachdem Lisa unter laufender Reanimation ins Krankenhaus eingeliefert worden war, folgten Notfalloperation, Herzkreislaufstillstand, wieder Reanimation, die allerdings erst nach 7 Minuten erfolgreich war, und ein Schlaganfall. Wie durch ein Wunder erwachte Lisa auf der Intensivstation. Sie hatte überlebt. Aber um welchen Preis! Körperlich ein Wrack, konnte sie ihren Job als Bereiterin in einem Gestüt ab sofort nicht mehr ausüben.  Es folgten traumabedingte Depressionen und letztendlich die Aussteuerung aus dem ersten Arbeitsmarkt.  Massive finanzielle Einbußen, Schulden… und das Ende ihrer Zeit in der geliebten Minervastraße. Ihre Bekannten hatten sich da längst nach und nach verabschiedet. Die Gespräche mit einer traumatisierten, verhärmten und mit ihrem Schicksal hadernden Frau waren mehr Qual als Freude.

Nun also ein neuer Lebensabschnitt. Der letzte Vorhang? Hier zwischen den Ausgestoßenen fühlte sich Lisa zumindest unter ihresgleichen. Und wenn sie kaum einen der Wortfetzen verstand, die ihr auf den Fluren entgegenflogen? Egal. Sie hatte längst die Fähigkeit verloren, zu kommunizieren.

Der Plan entstand beim Putzen des Fensters ihrer Einzimmerwohnung. Quadratisch, praktisch, nicht sehr gut. So anders als die liebevoll gestalteten Fenster in der eleganten Minervastr. 7, die die letzten 15 Jahre ihr Zuhause gewesen war. Doppelflügelig und groß. Und nicht leicht zu reinigen. Es war immer ein beinahe akrobatischer Akt gewesen, dieses Balancieren auf einer Leiter, um auch die oberen Rahmen zu erreichen. Ein Lächeln huschte über Lisas Gesicht.  Zumindest dieses Problem hatte sie jetzt nicht mehr. Dafür aber Dr. Biest. Die Idee war Lisa fast zwangsläufig gekommen. Sie war einfach naheliegend. Und den Schlüssel zur Wohnung hatte sie auch noch. Die Übergabe sollte erst am nächsten Tag stattfinden. Erst? Oder schon?

Um 19:00 h stand Lisa in ihrer ehemaligen Wohnung.  Wehmut überkam sie, als sie ein letztes Mal auf den blühenden Garten schaute, auf das sanfte Grün und hinüber bis zum tannenumstandenen Teich. Aber sie hatte keine Zeit, sich in Erinnerungen zu verlieren. Sie nahm den mitgebrachten Schraubenzieher und machte sich ans Werk.  10 Minuten später verließ Lisa die Minervastraße zum letzten Mal. Die Rückfahrt vom noblen Münchner Stadtteil zu ihrem Zuhause, für das ein Acker hatte weichen müssen, gestaltete sich als noch beschwerlicher als die Hinfahrt. Eine schnelle Anbindung an den ÖPNV war zwar angedacht, hatte aber bei der dort angesiedelten Klientel offenbar keine Priorität für die Verkehrsplanung. Und Lisas kleiner roter Sportwagen war leider schon lange Vergangenheit.  So wie ihr gesamtes Leben.

Ein paar Tage später las Lisa die kurze Notiz in ihrer Tageszeitung: „In der noblen Minervastraße kam es gestern zu einem tragischen Haushaltsunfall. Der neue Mieter einer Wohnung im dritten Stock verlor scheinbar das Gleichgewicht, als er schwere Gardinen anbringen wollte. Diese waren offensichtlich zu schwer für den Fensterrahmen, so dass sich dieser von der Wand löste. Den Sturz aus dem dritten Stock auf den Gehsteig hat der Mieter, ein bekannter Münchner Internist, nicht überlebt.“