MiniKrimi Adventskalender am 4. Dezember


Mach es uns doch nicht so schwer, Baby!

Der Nebel hängt seit Tagen so tief, dass sich die Dunkelheit schon am frühen Nachmittag auf die Häuser senkt. Eigentlich hat sie gar keine Lust, nochmal raus zu gehen. Der Arbeitstag war anstrengend. Sie hat das Gefühl, dass Kunden und Kollegen immer ungeduldiger werden, Jahr für Jahr. Oder verliert nur sie selbst immer schneller die Geduld? Sie schält sich aus Schal, Mütze, Mantel und zieht die Schuhe aus. Jetzt ein Bad und dann vor den Fernseher legen. „Sport ist besser als jede Pille“, erzählt der Moderator gerade. Da packt sie das schlechte Gewissen. Sie wird nur eine kleine Runde laufen, denkt sie. Und springt Minuten später in ihrer Joggingkluft die Treppen runter.

Das Wäldchen liegt direkt gegenüber, auf der anderen Seite der kleinen Kopfsteinpflasterstraße. Ein paar Laternen gießen gelbes Licht auf die Konturen grauer Bäume, dazwischen lauern schwarze Löcher. Die Luft ist dick wie Zuckerwatte und dämpft die wenigen Geräusche. Um diese Zeit und bei diesem Wetter ist die Wohngegend wie ausgestorben. Sie schaltet ihren Pulszähler ein und läuft los. Taucht in den Wald ein, und die dunkle Stille schließt sich hinter ihr. Der Nebel zieht Fäden zwischen den Stämmen und Ästen, braunes Laub erstickt jeden Schritt. Einsamer als hier kannst du nicht sein, sagt sie sich, und der Gedanke kauert unangenehm auf ihrer Schulter.

Links hinter sich hört sie einen Laut, ein Rufen? Ein Bellen? Sie dreht sich im Laufen um, kann nichts erkennen, nur eine verdichtete Dunkelheit zwischen den Buchen. Sie läuft weiter. Da. Wieder. Jetzt schlägt sie einen Haken, biegt vom Hauptweg ab auf einen kleinen Pfad. Ein toter Stamm, von Efeuarmen umfangen, bietet ihr Schutz, sie bleibt stehen. Versucht, das wabernde Zwielicht zu durchdringen. Kühle Tropfen auf ihren Wimpern. Schweiß? Jetzt hört sie ganz deutlich das Knacken von Ästen. Ein unterdrückter Fluch. Sie atmet aus, pfeifend. Und fühlt, wie auch der andere stehen bleibt. Witterung aufnimmt. Von ihr. Sie stößt sich vom Baumstamm ab und rennt los. Füße suchen flüchtigen Halt, gleiten über Steine, bleiben an Wurzeln hängen. Und wie dumpfes Trommeln das Echo fremder Schritte auf ihrer Spur.

„Hey. Nicht weglaufen. Das bringt doch nichts. Bleib stehen. Verdammt nochmal. Ich erwisch dich trotzdem. Mach es uns beiden doch nicht so schwer, Baby.“

Davor haben ihre Freundinnen sie immer gewarnt. Ihre Mutter. Lauf bloß nicht im Dunkeln allein durch den Wald! Aber sie hat ja keine Angst. Was soll ihr schon passieren? Ja, was? Gleich wird sie es erleben. Die Schritte kommen näher, er ist schneller als sie. Scheint den Wald zu kennen wie seine Westentasche. Denn als sie über einen morschen Ast stolpert, der vor ihr aus dem Boden wächst, steht er vor ihr und greift hart nach ihrem Arm. Das war’s, denkt sie noch, als sie ins Unvermeidliche stürzt.

Etwas Schweres, Nasses wirft sich über sie. Ein modriges Fell, ein stinkender Sack? Der Geruch nach Fäulnis und Verwesung nimmt ihr die Luft. Und dann seine Stimme. Wütend. Erregt.

„Baby, sitz! Lass die Frau in Ruhe! Pfui, wo hast du dich denn wieder gewälzt? Das war das letzte Mal, das ich ich dich hab laufen lassen. Sitz, hab ich gesagt.“ Und dann, zu ihr gewandt,mit einer Mischung aus Erleichterung und Scham: „Seit einer Stunde such ich das Miststück schon hier im Wald. An Abenden wie diesem ist sie völlig von der Rolle. Sieht so aus, als hätten sie sie zufällig gefunden. Danke! Oh, sie hat sie ganz schmutzig gemacht! Tut mir leid! Ich zahle natürlich die Reinigung.“

Sie rappelt sich wortlos auf und rennt davon. Hinter ihr kämpft der  Besitzer noch eine Weile mit seiner störrischen Setterhündin.

Adventskalender MiniKrimi vom 7. Dezember 2018


Noblesse oblige…..

Adventskalender Hund.jpg

Was halten Sie von Hunden in der Stadt? Die Meinungen gehen da ja weit auseinander, von „geht gar nicht“ über „Hunde sind Umweltsünder“ bis hin zu „Hunde sind gut gegen Einsamkeit und deshalb in Single-Metropolen überlebenswichtig.“

Corinna hatte eigentlich weder eine Beziehung noch eine Meinung zu Hunden. Bis sie in die Minervrastraße zog. Die geräumige Erdgeschosswohnung kaufte sie sich vom Geld ihres Mannes, der mit einer blonden Weißrussin auf Nimmerwiedersehen verschwunden war. Und kaum war sie eingezogen, holte sie sich vom restlichen Geld zwei preisgekrönte chinesische Schopfhunde als Grundstein für ihr Hundezucht: Minervas Heart Saver.

Nun  sind chinesische Schopfhunde zwar klein, äußerst liebevoll und von Natur aus erstmal nicht aggressiv.  Dennoch sind sie, zumal im Wurf, leb- und stimmhaft. Schon begann sich Widerstand gegen Corinnas Hundezucht zu formieren. „Hunde gehören auf dem Land gezüchtet, nicht in einer Wohnsiedlung. Nicht in einer exklusiven, und schon gar nicht bei uns.“ „Die armen Hunde, ständig eingesperrt.“ „Der Garten sieht aus wie eine Festung. Das schadet der Wohnqualität.“ Doch dann stellten sich die ersten Interessenten für die Welpen ein, und plötzlich war alles anders. „Hast Du die gesehen? Das war doch die Frau Glas!“ „Gestern habe ich einen aus einer Stretch-Limo aussteigen sehen, der sah genauso aus wie David Garret.“ Aber den Vogel schoss der Besuch eines TV-bekannten Designers mit Vornamen Guido ab. „Obwohl der doch eigentlich auf Windhunde steht..?“

Seitdem wurde Corinnas Hundezucht in der Minervastraße gelitten. Nicht zuletzt, weil die Züchterin es so einzurichten verstand, dass die Bewohner*innen des öfteren die Möglichkeit zu einem Selfie mit einem A-, B- oder C-Promi hatten,

Kurz – Die Welpen von Minervas Heart Saver boomten. Regenbogenpresse und Privatsender berichteten über die Wunderhunde, die ganz besonders schön und stark waren. Auf die Frage, wie ihr das gelinge, antwortete Corinna nur geheimnisvoll: „ich barfe.“

Eines Tages jedoch zog ein neuer Mieter in die Minervastraße. Und der schien ein großes Problem mit der Hundezucht zu haben. Er warf Corinna im Vorbeigehen böse Blicke zu, und schließlich gestand sie ihrer größten Bewunderin und besten Freundin Anita: „Der Kerl macht mir Angst. Mit diesen tätowierten Muskelpaketen und der Glatze sieht er absolut gewaltbereit aus. Ich glaube, ich muss meine Hunde trainieren, mich zu verteidigen.“ Dabei kicherte sie, verständlicherweise.

Und dann geschah es. Mitten in der Nacht wurden die Bewohner*innen der Siedlung an der Minervastraße von hektischem Hundegebell geweckt. Schrill und aufgeregt. Doch als reihum Licht aus den Fenstern auf den Rasen floss, war nichts mehr zu sehen. Und die Bewohner*innen legten sich zu Bett, manche mit dem festen Vorsatz, Corinna morgen zur Rede zu stellen.

Aber dazu kam es nicht. Denn schon um neun stand Anita am mit Kletterrosen umrankten Müllhäuschen und erzählte jedem, der es hören wollte, dass „die Glatze“ gestern Nacht Corinna bei ihrem Gassigang aus dem Hinterhalt angegriffen habe. Nur dank des heldenhaften Eingreifens ihres Zuchtrüden Apollo sei ihr die Flucht gelungen. „Natürlich lässt sie das nicht auf sich sitzen. Sie hat schon um sieben mit dem Schröder telefoniert, der kümmert sich persönlich drum.“ Ehrfurchtsvolles Schweigen. Die Tochter des Landesvaters hatte  kürzlich erst einen allergiefreundlichen Welpen von Corinna erhalten. Scheinbar hatte „die Glatze“ Wind von ihren Absichten bekommen, denn von Stund an war er wie vom Erdboden verschwunden, und auch eine groß angelegte Polizeirazzia brachte ihn nicht zum Vorschein.

Bei der nächsten Ausstellung machte Zuchtrüde Apollo den ersten Preis. Einen so starken, gut genährten Rüden, so die Juroren, hätten sie noch nie gesehen. Wie ihr das gelungen sei, fragten sie Corinna. Aber sie antwortete nur lächelnd: „ich barfe.“

N.B.
Wer weiß, wie lange die Minervastraße noch ein Treffpunkt der reichen und schönen Hundefreunde geblieben wäre. Leider kam eines Tages der Lebensgefährte der „Glatze“ zu Corinna. Mit Beweisen, dass sie sowohl ihren Mann als auch seinen Geliebten erschlagen und zu Hundefutter verarbeitet habe, als dieser versuchte, sie mit dem Wissen über ihre Tat zu erpressen. Sein Partner nahm einen erneuten Anlauf – mit einem abgerichteten Dobermann im Schlepptau, der Corinna und ihren Apollo zähnefletschend anknurrte. Am nächsten Tag ließen Corinna und ihre beiden chinesischen Schopfhunde die Minervastraße hinter sich. Seitdem dürfen dort nur noch Goldfische gehalten werden. Und Katzen.

SMS-Adventskalender. 20. Dezember: Die „Türkenvilla“


Das seit dem Sommer freundlich modeblau gestrichene Mietshaus steht an einer kleinen Ausfallstraße. Vereinzelt hängen Blumenkästen auf den einsamen Balkonen, oben weht ein Sonnenschirm unverdrossen im Dezemberwind, und das schon seit drei Jahren. Satellitenschüsseln räkeln sich von Fensterbrettern in die Welt. Der Name „Türkenvilla“ stammt angeblich noch aus der Zeit abblätternder Fassaden. Wintersonnenwende und die Nacht bedroht den dunklen Tag. Sturm kommt auf. Tannen verbiegen sich, und aus dem Himmel grollt es laut und lauter. Am Parkrand stehen plötzlich schwarze Limousinen Kette. Davor hurtige Graugestalten, so bemüht, mit dem Straßenalltag zu verschmelzen, dass sie keine Tarnung brauchen.

Ihre Telefone schrillen, summen. Der Helikopter steht direkt über dem Haus. Zerschneidet grell den Abend. Ich gehe trotzdem raus. Der Hund muss mal. Seine Uniformphobie macht sich in heiserem Gebelle Luft. Bald kommen alle Nachbarn vor die Tür. „Was geht hier ab?“ „Ach nichts. Wir sind schon weg. Ein Helikopter? Wo?“

Wie ein Spuk bin ich die Geister wieder los. Und nicht nur ich. Hinter dem Sonnenschirm erscheint ein Arm und wirft ein Päckchen auf den Gehweg.