Adventskalender MiniKrimi am 4. Dezember


So, heute kommt endlich die versprochene Geschichte mit dem Schnee. Obwohl sie ganz anders geworden ist, als ich es mir vorgestellt hatte. Aber Ihr kennt das: die Figuren verselbständigen sich, die FInger schreiben von alleine, und das Resultat ist für einen selbst unerwartet. Viel Spaß beim Lesen.

Pech mit den Männern

Rina hat Pech mit den Männern. Und die in langen Therapiestunden herausgearbeitete Erkenntnis, dass die toxische Beziehung ihrer Eltern der frühkindliche Auslöser für ihre Probleme mit dem anderen Geschlecht ist, hift ihr leider auch nicht weiter.

Letzte Woche war wieder so eine typische Situation. Nach 20 völlig indiskutablen Angeboten, die ihr das Jobcenter zugeschickt hatte, fand sie diese Stelle richtig interessant: Mitarbeiterin in der Notrufzentrale der Münchner Polizei. Die Stellenbeschreibung hörte sich spannend an, die Arbeit war Teilzeit, und da sie keine familiären Bindungen hatte, wäre der Schichtbetrieb für sie auch kein Problem.

Rina bereitete sich sorgfältig auf das Treffen mit dem Sachgebietsleiter vor. Elegant, aber unaufdringlich. Blaues Kostüm – aber kein Uniformton, natürlich, dezente Bluse, eine Reihe Perlen um den Hals. Halbhohe Pumps. Eine Herausforderung, die sie sicher unterm Schreibtisch würde ausziehen können…..

Im Wartebereich saß ein weiterer Bewerber und schaute missmutig von seinem Handy auf, als Rina freundlich grüßte. Nach einer kurzen Musterung ihres Konkurrenten machte sie es sich auf dem freien Plastikstuhl bequem. Jeans, Karohemd und Sweatshirt. Turnschuhe. Viele Muskeln, ungepflegter Bart. Nein, den würde sie mit links ausstechen.

Aber als er nach einer erstaunlich langen Zeit das Büro des Sachgebietsleiters verließ, verabschiedete dieser den Mann mit einem letzten Lachen. Sie hörte den Halbsatz: „…dafür bringen Sie ja beste Voraussetzungen mit. Wir melden uns auf alle Fälle bei Ihnen.“

Mist. Rina hatte sich schon ausgemalt, wie sie jeden Tag genau diesen Weg zur Arbeit nehmen würde. Da blieb ihr nur eines übrig: sie musste den Gegner ausstechen. Also log sie, was das Zeug hielt. Langjährige Erfahrung in verschiedenen Notrufzentralen in England Frankreich und Italien. Ja, die Sprachen waren für sie kein Problem. Vor allem konnte sie auch die Basics auf Türkisch. Das machte Eindruck.

Als Rina eine Woche später mit dem unterschriebenen Vertrag in der Hand aus dem Gebäude ging, kam ihr ihr Konkurrent entgegen. „Schlampe“, zischte er im Vorbeigehen, und Speichelfäden flogen ihm dabei aus dem Mund. Rina reckte den Kopf in die andere Richtung und stolzierte mit aufrechtem Gang und Sinn an ihm vorbei. „Nur die harten komm‘ in‘ Garten“, flötete sie ihm nach. Warum musste er so aggressiv sein? Sicher hatte sie wieder sowas opfermäßiges ausgestrahlt. Typisch, halt. Pech!

Das war vor einer Woche Inzwischen hat sich viel getan. Zum Glück ist sie bisher noch nicht in die peinliche Situation geraten, ihre nicht vorhandenen Türkischkenntnisse unter Beweis zu stellen. Alle Anrufer*innen haben mehr oder weniger verständlich gesprochen, bis auf die eingefleischtesten Bayern, aber davon gibt es in München ja gottseidank nicht mehr so viele.

Heute Früh hatte Rina Mühe, rechtzeitig zur Arbeit zu kommen. Es muss die ganze Nacht durchgeschneit haben, denn als sie die Haustür öffnete, leckte der Neuschnee schon an ihrer unteren Treppenstufe. Rias Haus ist alt und eigentlich viel zu groß für sie. Sie hat es von ihrer Mutter geerbt, und diese von ihrem Vater. Rina hängt daran, ohne das Geld zu haben, die dringend notwendigen Reparaturen machen zu lassen. „Du musst dir einen Mann finden, der handwerklich geschickt ist“, hat ihre Mutter ihr immer wieder eingeschärft. Wahrscheinlich aus leidvoller Erfahrung mit Rinas Vater, der nicht einmal einen Nagel in die Wand schlagen konnte, geschweige denn eine Dachrinne reparieren oder die Fassade streichen. Also bröckelt Rinas Außenwelt genauso vor sich hin wie ihr Innenleben.

„Wenn das so weiterschneit, komme ich morgen nicht mehr raus“, denkt sie beim Blick aus dem Fenster ihres Büros und verbindet geistesabwesend eine hektische Anruferin, deren Zuchtteckeldame Mary Jane beim Gassigang verschwunden ist, mit dem Drogendezernat. „ich brauche jemanden, der den Schnee wegschippt.“

„Hallo, ist das die Notrufzentrale?“ „Ja, wie kann ich Ihnen helfen?“ Rina sind die routinemäßgen Antworten immer noch nicht geläufig. Sie denkt einfach zuviel nach, statt mechanisch zu plappern.

„Ach, ich….“ „Ja?“ „Ich hatte vor ein paar Tagen angerufen, weil die alte Dame gegenüber den Fernseher die ganze Nacht an hatte und nicht reagiert hat.“Ja. Und?“ „Also das war falscher Alarm, tut mir leid. Sie war einfach nur eingeschlafen, hatte die Hörgeräte schon rausgenommen und hat einfach nichts mitgekriegt.“ „Ok.“ Pause. „Und jetzt?“ In der Schulung haben sie ihr gesagt, wie sie mit solchen Anrufen umgehen soll. Dass es Leute gibt, die sonst niemanden zum Reden haben und deshalb eben die Nummer der Notrufzentrale wählen. Immer wieder. Weil man ihnen da zuhört. Freundlich, aber bestimmt abweisen und auflegen. Mit dem Hinweis, das es inzwischen bei jemand anderem um Leben und Tod gehen könnte.

„Also. Mir geht Ihre Stimme nicht mehr aus dem Kopf. Ich möchte sie gerne sehen.“ Darauf hat man sie in der Schulung nicht vorbereitet. Vielleicht kommt das erst im zweiten Block? „Du weißt, du hast immer Pech mit Männern. Leg auf. Jetzt gleich.“ Natürlich tut sie das nicht. Und als er nochmal nachhakt und fragt: „Was machen Sie zum Beispiel heute Abend?“, da kommt Rina eine Idee. Ein geradezu genialer Einfall. Und völlig ungefährlich noch dazu.

„Ich, also….. eigentlich mache ich sowas ja nicht. Hab das noch nie gemacht. Aber…. Sie klingen so nett. Ich bin um acht hier fertig. Wenn Sie wollen, treffen wir uns vor meinem Haus. Ich muss dann allerdings noch ziemlich viel Schnee wegschippen (ein Blick aus dem Fenster hat ihr gezeigt, dass es mindestens 20 cm sein müssten), aber danach können wir ja was trinken gehen.“

„Oh“, er klingt überrascht, und für den Bruchteil einer Sekunde fürchtet Rina, sie könnte ihn vergrault haben. Aber nein. „Sehr gerne. Vielen Dank. Und ich würde Ihnen liebend gern beim Schneeschippen helfen. Ich habe da vielleicht eine kleine Überraschung parat.“

Sie verabreden sich für halb neun. Rina hat keine Angst, einen Fremden zu treffen. Schließlich werden sie auf dem Gehweg stehen oder in der gut einsehbaren Einfahrt.

Der Weg von der U-Bahn nach Hause ist ein Abenteuer. Gefährlich und zauberhaft zugleich. Wie im Märchen, eben. Dazu passt die bevorstehende Begegnung. Alles fügt sich magisch. Der Sternenhimmel, die klirrend kalte Luft. DIe tanzenden Schneeflocken. Die Stille. Kein Mensch ist zu sehen. Bei diesem Wetter hocken alle in der warmen Stube hinter heruntergelassenen Rolläden. Ohnehin reichen die zur Seite geschobenen Schneehaufen schon fast bis an die Fensterbänke. „Denk dran, du hast immer Pech…“ flüstert es in ihrem Kopf. „Hallo, da sind Sie ja“, ruft es aus der Dunkelheit. Rina bemüht sich vergeblich, eine menschliche Gestalt zu erkennen. Sie sieht nur einen großen, unformigen Schatten, der sich von der milchweißen Winternacht abhebt. Dann wird ein Motor gestartet, und mit lautem Getöse setzt sich der Schatten in Bewegung, auf Rina zu.

Sie ist zur Salzsäule erstarrt, während er mit erstaunlicher Geschwindigkeit auf sie zurollt. „Sehen Sie, das ist meine Überraschung.“ Er gräbt die Schaufel des Schneeräumers ein paar Meter vor Rina in die weiße Masse und entleert diese behend am Straßenrand. „Wow“, stöhnt Rina erleichtert, nachdem sie sich von dem Schreck erholt hat. „Das ist wirklich eine Überraschung. Wie nett von Ihnen. Ist das Ihrer?“ „Nein, der gehört der Firma, bei der ich angenfangen habe, nachdem Sie mir den tollen Telefonjob in der Notfallzentrale weggeschnappt haben. Sie Schlampe.“ Das Gesicht kann Rina immer noch nicht sehen. Aber sie erkennt den Tonfall, in dem er sie beschimpft.

Und dann fährt er auch schon los. Aber diesmal, das weiß sie, wird er nicht anhalten. „Ich habe wirklich immer Pech mit Männern“, ist ihr letzter Gedanke.

Und nun, meine Lieben, eine Frage an euch: was macht der mörderische Rächer jetzt? Entsorgt er die Leiche? Lässt er es wie einen Arbeitsunfall aussehen und fährt einfach weg? Oder?

Ich bin gespannt auf Eure Ideen. Habt eine spannende gute Nacht.

Adventskalender-MiniKrimi am 14. Dezember


Tödliche Begegnung

Er ist schon spät dran. Zu Hause steht das Essen auf dem Tisch. Die Kinder haben sich schon die Hände gewaschen und streichen hungrig um die Töpfe. Und Claudia steht mit dem Rücken an die Frühstückstheke gelehnt, den Blick auf der Küchenuhr und die Hand am Telefon. Hoffentlich gibt es keinen Risotto, sonst ist der Abend jetzt schon komplett gelaufen. Vor seinen Augen spielt sich die Szene ab, die ihn erwartet. sobald er den Schlüsselt ins Schloss steckt. Der Hund bellt wie verrückt, die Kinder rufen: „Papa, endlich.“ Dann schiebt er die Haustür auf, 6 Augenpaare schauen ihm entgegen. Zwillinge und Terrier. Nur Claudia dreht im den Rücken zu. Füllt den natürlich inzwischen zu weichen Risotto in die Schüssel und murmelt „Eine halbe Stunde zu spät! Du hättest anrufen können. Ein Klick. Mehr nicht. Aber das bin ich dir ha nicht wert.“

Die Straße am Waldrand ist dunkel. 30er-Zone. Aber um diese Zeit ist hier kein Mensch unterwegs. Höchstens ein paar Jogger. Aber die laufen zum Glück nicht einfach über die Straße. Er tritt auf’s Gaspedal. Noch bis zum Ende, und dann links. Noch ist die Ampel grün. Er sieht den Jogger, der parallel zu ihm auf dem Gehweg läuft. Richtung Ampel. Als plötzlich unvermittelt eine 90-Grad-Drehung macht, sieht er sein Gesicht. Für den Bruchteil einer Sekunde. Dann hat er ihn mit seinem SUV erfasst.

Sie hatten keine Chance. Er hätte nicht mehr bremsen und der Jogger nicht mehr stehenbleiben können.

Er steigt aus. Vor ihm, halb unter seinem Wagen, liegt der junge Mann. Schaut ihn aus blinden Augen an. Die Kopfhörer sind verrutscht. Aus ihnen hört er eine Stimme: „Jetzt links über die Straße, René.“

Und jetzt, liebe Adventskalender-Krimifreunde, seid Ihr dran. Was genau ist passiert?
Ich freue mich auf Eure Auflösung!