MiniKrimi Adventskalender am 16. Dezember


Nach einem tollen „Not only Christmas“ Jazzkonzert mit dem zaberhaften Damen-Quartett Jeann d’Azz bleibt, um den heutigen MiniKrimi zu veröffentlichen, nur noch Zeit für den Griff in die Vergangenheit. Aber ich hoffe, dabei kommen auch meine hessischen Leser*innen auf ihre Kosten. Womit wir schon beim Thema wären:

Todeshappen

Alf trug sein Moleskin immer griffbereit entweder in der Jackentasche oder, falls er auf Reisen war, im Rollkoffer bei sich. Denn die besten Einfälle kommen unbemerkt und schleichen sie auf leisen Sohlen schnell wieder davon, wie professionelle Einbrecher, davon war er überzeugt. Eigentlich hatte er nur seinem Ärger über den Service und das kalte Essen Luft machen wollen. Vielleicht – oder vor allem – auch seinem Frust über das verpatzte Wiedersehen mit Carla unmittelbar vor diesem schicksalhaften Restaurantbesuch. Wie auch immer: aus den Notizen, die er zwischen versalzenen Horsd’oeuvres und dem, von einer schlecht gelaunten und noch schlechter ausgebildeten Bedienung auf den Tisch geknallten, lauwarmen Hauptgang auf eine Moleskin-Seite gekritzelt hatte, wurde ein Beststeller. Sein ganz großer Wurf. Ein Gourmet-Krimi, der Alf von den untersten Regalen billiger Bahnhofs-Büchermarktketten in die Primezone renommierter Buchläden katapultierte.

Alf signierte, Alf las, Alf dinierte – auf Kosten von Verlegern und Restaurateuren, die sich im Schatten seines Romans etwas Ruhm erhofften. „Alf P. hat bei uns gespeist, es hat ihm vortrefflich gemundet, sein Moleskin lag die ganze Zeit geschlossen neben seinem Teller.“ Nachdem auch die dritte Auflage von „Mord aus kulinarischen Motiven“ vergriffen war, arbeitete Alf an einer Fortsetzung mit dem Arbeitstitel „Rache ist Blutwurst“. Dafür schlug er sich durch die Imbissbuden der Nation. Warum, das wusste er selbst nicht so genau. Vielleicht war er die vielen Sternemenüs leid, die er, wenn auch kostenfrei, hatte verdauen müssen. Vielleicht hoffte er aber auch, bei seinen Streifzügen durch die Stehgastronomie Carla wieder zu treffen, die als Kommissarin sicher an irgendeinem dieser Stände irgendwo in Deutschland ihre mittägliche Currywurst verzehrte – denn diese Essgewohnheit hatte Alf aus den unzähligen Krimiserien im deutschen Fernsehen verinnerlicht.

Und so stand er nun an einem regnerischen Wintertag am Mainkai unter einem triefenden Sonnenschirm mit „Binding-Bier“-Werbung, starrte auf die Frankfurter „Mainhatten-Skyline“ und sinnierte darüber, wie er seinen Buchtitel mit der Standard-Speisekarte einer Imbissbude in Einklang bringen konnte. Denn leider hatte er bislang keine gefunden, die außer Curry- und Rot-, Thüringer und grober, ja sogar Veggie Bratwurst auch Blutwurst im Angebot hatte.

Zu blöd, dachte Alf. Zückte sein Moleskin und schickte sich an, die Imbissbude am Mainkai in bösen Stichworten zu verewigen. Matschige Pommes, ein Haar im Curryketchup. Dass es sein eigenes war, kümmert ihn wenig. „Alles gut, der Herr?“, säuselte die ölige Stimme des Budenbesitzers zu ihm herüber. „Wolle Se ’n Schnäppsche zum Runnerspüle?“

Alf dreht sich halb zu dem dreisten Mann um. Offenbar wusste der nicht, wen er da vor sich hatte. Oder doch? „Komme Se, Herr P.“, sagte der Mann doch jetzt und kam mit einem Schnapsglas in der Hand aus seinem Wagen zu Alf an den Stehtisch. „Den werde Se brauche, dann tut des net gar so weh, in Ihre letzte Minute“. Gerade als Alf anfangen wollte, sich zu fragen, was der Mann mit diesem kryptischen Satz wohl meinen könnte, traf die erste Schmerzwelle seinen Magen wie eine Attacke mit japanischen Küchenmessern.

Alf zuckte zusammen, krümmte sich und sackte schließlich am Tisch hinab in den schlammigen Boden. Regen fiel kühl auf seinen plötzlich glühend heißen Nacken. „Nur damit Se wisse, warum Se jetzt den Löffel abgebbe“, fuhr der Imbissbuden-Besitzer in freundlichem Plauderton fort. „Nach Ihrem Bestseller-Buch hat bei mir keiner mehr esse wolle. Nach em halbe Jahr war isch pleite. Die Imbissbude is alles, was isch noch hab, als Existenz. Und jetzt wolle Sie mir die aanoch wegnemme? Ebbe reischts.“

Das letzte, was Alf aus seinem Autorenleben mitnahm, war der Geschmack nach ranzigem, mit Blausäure vermischtem Fett im Gaumen.

FallTäglichkeiten


Ich stehe in der Pizzeria, die Münchens beste Holzofenpizza macht. Nein, nicht die, die Sie meinen. Und nein, auch nicht Ihre. Nicht die im Lehel, nicht die auf der Leo und nein, ich bin sicher, auch die andere nicht.

Die Pizzeria, die dem Urteil meiner italienischen Geschmacksknospen nach die beste Pizza der Stadt zubereitet, liegt im Münchner Westen. Sie gehört zu einem aktiven Sportverein, weshalb Gastraum und Garten immer sehr gut frequentiert sind. „Der Laden brummt“, mit einfachen Worten. Also stehe ich zweimal in der Schlange, einmal, um die sagenhafte Pizza zu bestellen, die mein Abendbrot zum Highlight des Tages werden lassen wird. Und dann, um sie abzuholen. „Quasi pronte“, sagt der Kellner, was wörtlich übersetzt bedeutet: „fast fertig“, tatsächlich aber meint: „Der Pizzabäcker wird die Pizze in den nächsten 10 Minuten belegen, nach weiteren 10 Minuten holt er sie aus dem Ofen, und dann brauchen wir noch maximal 5 Minuten, um sie einzupacken. Sie können ja schon mal zahlen“. Sie glauben mir nicht? Der Beweis: der Barista stellt mir lächelnd ein Glas Prosecco auf den Tresen, um mir das Warten zu versüßen.

Über den Glasrand schaue ich auf die Gäste. Eine bunte, nicht unbedingt absolut sportfanatische Mischung. Das bauchige Ehepaar mit den Lasagne kam ganz sicher nicht direkt von der Aschenbahn. Der rotbackige Junge im Trainingsanzug schon eher. Da geht die Terrassentür auf – und herein kommt das Protopaar des bourgeoisen Stadtteils. Zwei Jungyuppies wie aus dem Münchner Bilderbuch. Weidenrutenschlanke Stengelbeine, eingehüllt in Designerjeans, darüber Markenstrick und ein dünn gezeichnetes Lächeln. Der Gang zwischen den Tischen ist schmal, aber es ist offensichtlich, dass die beiden nicht  – nur – deshalb aneinander kleben, als ihn wie einen Laufsteg Richtung Tresen entlangschweben. Ein strahlendes Blickpaar in die Runde, gefolgt von einem Kuss mit geschürzten Lippen. Unwillkürlich suche ich nach der versteckten Kamera. Das kann nicht authentisch sein. Da kommt der Kellner aus der Küche, gekonnt balanciert er meine drei Pizzakartons auf den Fingerspitzen der rechten Hand. Er streckt sie mir entgegen, und ich greife danach,  hungrigfröhlich lächelnd.

„Halr“ ruft da eine erstaunlich feste Stimme. Passt gar nicht zu dem zarten Mädchen mit dem casual hochgesteckten Blondhaar. „Das sind unsere Pizzen! Oder, Schatz?“ Unsere! Pizzen! PizzEN! Offenbar gehören die beiden nicht zur Lago di Monaco-Fraktion. Ich bin so platt, ich sage nur: „Ich hab die vor ner halben Stunde bestellt.“ „Wir auch! Das sind ganz sicher unsere“, keift  das Mädchen gesittet und schnappt dem verwirrten Kellner die Kartons einfach aus der Hand. „Wir können ja reinschauen“, schlage ich vor, und könnte mich gleichzeitig in den Hintern treten. Mein Gutmenschentum sollte wenigstens vor einer heißen Pizza kapitulieren – zumal ich sie kalt einfach nicht essen kann. Der Freund zieht die dunklen Augenbrauen in die Höhe und die ganz offenbar permanent behandelten Lippen nach unten. Seine Freundin zögert kurz, um dann huldvoll zu nicken. Der Kellner lüftet den obersten Deckel. Pizza Parma. „Meine“, sage das junge Mädchen und ich gleichzeitig. Also die nächste. „Monte Bianco“. „Sowas hatten wir aber nicht bestellt, Schatz“, flötet es neben mir. Aber ich höre schon nicht mehr hin, packe die Pizze und marschiere zur Tür. Dort drehe ich mich noch ein letztes Mal um. „Wenn die jetzt kalt sind, wegen Euch, dann geht die nächste auf Eure Rechnung“, zische ich. Und gehe, ohne die Reaktion auf meinen zugegeben schwachen Abgang auch noch abzuwarten.

DAS ist München. Während ich daheim mit vielen ausschmückenden Adjektiven erzähle, warum sich die Pizza-Auslieferung verzögert hat, wird meine Monte Bianco noch kälter, der Käse gummiweich und der Rand zäh und labbrig.

Nächstes Mal esse ich die Pizza wieder vor Ort. Oder ich wechsle die Pizzeria. Wie war noch mal die Adresse von Ihrer Lieblingspizzeria?

 

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