Adventskalender MiniKrimi am 19. Dezember


Meine Allerlieblingsgeschichte. Ich könnte sie jedes Jahr wieder schreiben. Und danach lesen. Und Ihr?

Warum Krampus eine Windel trug

Artemis und Isidora waren Geschwister. Sie lebten in einem Altbau mitten im Münchner Stadtteil Schwabing, ganz in der Nähe des Englischen Gartens. Bis vor einem halben Jahr wohnten sie noch in Hamburg. Doch dann war ihre Mutter, die bei einer großen Werbeagentur arbeitete, nach München versetzt worden. Meistens wollen Kinder ihr gewohntes Umfeld nur ungern verlassen – ungezählte „Herzkino“-Filme handeln davon, wie sie sich zunächst sträuben, dann durch irgend einen meist dramatischen Umstand neue Freunde finden, Teenager verlieben sich auch oft – und am Ende weinen sie dem Meeresrauschen im hohen Norden und den Szenecafés von Blankenese keine Träne mehr nach und sind stattdessen ganz versessen auf Floßfahrten und Zelten entlang der Isar.

Artemis und Isidora hingegen waren gerne nach München gezogen, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen. Artemis war mit seinen 15 Jahren ein in einschlägigen Kreisen anerkannter Hacker, und einige seiner virtuellen Kollegen lebten in und um München. Die WizKidz von heute gehen viel gelassener mit ihrer Anonymität um, bzw. haben sie längst verstanden, dass nur der keine digitalen Spuren hinterlässt, der so wenige wie möglich macht. Briefe, Telefon und persönliche Treffen sind ihrer Meinung nach bedeutend sicherer als Konferenzen im Netz, ob hell oder „dark“. Für Artemis bedeutete die Veränderung also größere Nähe und kürzere Wege.

Isidora hingegen war von einer Zickengang an ihrer Mädchenschule gemobbt worden, und zwar ziemlich übel. Einmal hatten sie einen Tankini in ihrem Mathe-Hausaufgabenheft versteckt. Ihr Lehrer, ein junger Typ mit blonden Locken, auf den sie tatsächlich total stand, hatte das Teil mit seinem Kuli aus dem Heft gefischt, sie angegrinst und erklärt: „Meine Freundin trägt nur Badeanzüge.“ Danach war Isidora so lang nicht zur Schule gegangen, so lange, bis das Fieberthermometer beim Aufheizen auf dem Induktionsherd zersprungen war. Kurz vor den Sommerferien hatten die Zicken ihr die Reifen ihres Fahrrads zerstochen. Nein, Isidora war glücklich, Hamburg den Rücken zuzukehren.

Es gab aber noch einen anderen Grund, weshalb die Geschwister dem Umzug beinahe entgegengefiebert hatten: sie wünschten sich schon seit langem einen Hund. In Hamburg hatten die Eltern immer ein Argument gefunden, um diesen Wunsch abzulehnen: Der Vermieter erlaubte keine Haustiere, weit und breit war kein Park in der Nähe, das Tier wäre den halben Tag alleine gewesen. Hier in München aber waren die Bedingungen perfekt. Der Altbau mit seinen knarzenden Holztreppen, dem Geruch nach Grünkohl aus der Hausmeisterwohnung und vor allem mit dem Englischen Garten direkt vor Tür war wie geschaffen für eine Fellnase. Tatsächlich lebten dort auch schon eine Dogge und eine Katze. Hinzu kam, dass ihr Vater als freier Journalist für den Deutschen Tierschutzbund arbeitete – und das meist von zu Hause aus. Und wenn er mal reisen musste: sein Arbeitgeber konnte schlecht was gegen einen Hund im Gepäck haben! Aus unerfindlichen Gründen schienen die Eltern jedoch immer noch nicht mitzuziehen. „Lasst uns erstmal ankommen.“ „Vielleicht zu Weihnachten.“ „Seid Ihr sicher, dass Ihr nicht allergisch seid? Wir lassen Euch lieber erstmal testen.“

Da beschlossen die Geschwister, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Und so saßen Artemis und Isidora, Art und Isi, wie sie von ihren Freundinnen und Freunden genannt wurden, am Esstisch, vor sich eine Zeitung, die sie in ihrem Briefkasten gefunden hatten. „Hallo München“, ein Werbeblatt voller Anzeigen. Vom Bügelbrett über Häuser, Autos, Briefmarken bis zu erotischen Diensten wurde dort alles angeboten. Auch Hunde. „Schau mal, Arti, der sieht doch voll süß aus!“ Isi zeigte auf das Foto eines kleinen schwarzen Hundes mit einem weißen Fleck über dem rechten Auge. „Australian Shepherd Welpen, reinrassig. 3 Monate, 250 Euro.“ Genau soviel hatten die beiden bereits zusammengespart!

Art fand es schon seltsam, dass in der Anzeige kein Name stand, sondern nur eine Handynummer. Als er dort anrief, meldete sich eine Frau in gebrochenem Deutsch. Ja, genau dieser Welpe sei noch zu haben. Natürlich sei mit ihm alles in Ordnung. Er sei ein ganz besonders schöner Hund. Sie verlangte Arts Telefonnummer und sagte, sie würde anrufen, um den Übergabetermin festzumachen. „Ich weiß nicht, mir kommt das komisch vor,“ zweifelt der Junge nach dem Telefonat. „Wir sollten vielleicht doch liebe erst mit Papi…“ „Nein! Wir ziehen das jetzt durch!“ Isidora konnte für eine Dreizehnjährige sehr bestimmend sein. Und im Grunde wollte Artemis den Hund ja genauso gerne wie sie.

Die Tage vergingen, die Frau rief nicht an. Ihr Handy war ausgeschaltet. Endlich, am fünften Dezember – ein Anruf. „Hallo? Sind Sie noch interessiert? Dann kommen Sie morgen um 17 Uhr zum Busbahnhof Fröttmaning. Bringen Sie das Geld mit. Dann kriegen Sie den Hund!“

Vor Aufregung konnten Art und Isi in der darauffolgenden Nacht kaum schlafen. Beide halten im Grunde kein gutes Gefühl bei der Sache. Art hatte versucht, herauszufinden, wem die Nummer gehörte. Aber es war natürlich ein Prepaid-Handy gewesen. „Wir ziehen das jetzt durch,“ wiederholte Isi ihr Mantra, während sie am 6. Dezember zum Busbahnhof Fröttmaning fuhren. „Was kann uns schon passieren? Das ist ein riesen Busbahnhof mit vielen Leuten. Wenn sie uns überfallen, schreien wir einfach und laufen weg.“

Punkt 17 Uhr standen sie am Busbahnsteig. Überall fuhren Autos an und ab – der Busbahnhof ist ein zentraler Treffpunkt für Mitfahrgelegenheiten. Ein schwarzer Mercedes mit getönten Scheiben fuhr langsam die Reihe der Wartenden ab. Das Beifarerfenster wurde heruntergelassen, und eine Frau schaute zu Art und Isi herüber. „Haben Sie unseren Hund dabei?“ fragte Art schnell. Die Frau runzelte die Stirn, sagte etwas zum Fahrer des Wagens und dann: „Hund, jaja Hund. Kommen. Da vorne.“ Der Wagen fuhr weiter, bis ans Ende des Bahnsteiges, dort, wo keine Menschen mehr warteten. Art und Isi rannten hinterher. Atemlos standen sie dann neben dem Wagen. Der Fahrer stieg aus uns öffnete den Kofferraum. In einem mit falschem Leopardenfell ausgekleideten Karton purzelten fünf kleine Hunde durcheinander und fiepsten ängstlich. „Da, das ist er!“, rief Isi und wollte in den Karton greifen. „Halt! Zurück!“ befahl der Fahrer. „Gib Geld!“ Art holte die 250 Euro zwischen den Seiten seines Gesangbuches hervor („Wir haben noch Chor, Mami, sind in 2 Stunden zurück“, hatte er beim aus-dem-Haus-Gehen gelogen) und hielt sie in die Höhe. „Zuerst den Hund!“ Der Mann schnappte sich einen der Welpen und wollte ihn Isi in die Hand drücken. „Nein, das ist nicht unserer. Wir wollen den mit dem weißen Fleck.“ „Geht nicht. Der schon verkauft. Du nehmen diesen!“ Der Mann wurde ungeduldig. Aber er hatte nicht mit Isis Sturheit gerechnet. „Nein, wir wollen den anderen. Das war so abgemacht,“ rief sie, immer lauter. „Hallo, braucht Ihr Hilfe?“ rief jemand vom Bahnsteig, und jetzt schauten schon mehrere Leute in ihre Richtung. „Dann nix“, murmelte der Fahrer und wollte den Kofferraum zuklappen. Aber Arti griff blitzschnell hinein, nahm das kleine Fellündel in den Arm und rannte los, Isi hinterher. Sie hörten den Fahrer fluchen, denn inzwischen waren ein paar Personen in ihre Richtung gelaufen, um zu helfen, vielleicht auch aus Neugier, egal. Der Mercedes startete mit heulendem Motor und raste davon, aber Art hatte sich längst Autokennzeichen und Gesicht des Fahrers eingeprägt.

In der U-Bahn nach Schwabing besahen sich Art und Isi ihren Hund. Schwarz, zerzaust, mit verklebtem Fell und triefenden Augen. „Wir nennen dich Krampus,“ sagte Art. „Du schaust wirklich aus wie der Gehilfe vom Nikolaus, so finster und zerlumpt.“ Daheim schlichen sie gleich auf ihre Zimmer. Die Eltern waren zu einem Nikolausdinner eingeladen, und als sie nachts nach ihren schlafenden Kindern schauten, bemerkten sie den kleinen Krampus nicht, der unter Isis Bettdecke lag. Damit er nicht ins Bett machte, hatten die beiden ihm eine Windel angezogen, die sie sich von Jasmin aus dem dritten Stock geliehen hatten. Beziehungsweise von ihrer kleinen Schwester.

Als Isi am nächsten Morgen aufwachte, dache sie, Krampus sei tot. Stocksteif und still lag der kleine Hund im Bett. Auch Art sah sofort: das Tier war ernsthaft krank. Es wimmerte leise, und sein Bauch war ganz hart und geschwollen. „Wir müssen ihn zum Tierarzt bringen, und zwar, bevor Mami und Papi aufwachen.“ „Ich glaube, der muss ganz dringend und kann nicht. Wir machen ihm erst mal einen Einlauf.“ Das hatte Mami bei Isi gemacht, als sie mal zuviel Schokolade gegessen hatte. Da sie ohnehin Tierärztin werden wollte, dachte sie, sie könne genauso gut gleich mit einer Behandlung beginnen. Und tatsächlich: der Einlauf zeigte seine Wirkung. Bald war die Windel voll. Und mitten in dem weichen Haufen war eine kleine Tüte. Und darin glitzerte es verdächtig.

„Na, was wird denn das? Übt Ihr für die Weihnachtsgans? Das stinkt ja bestialisch.“ Ihr Vater stand in der Tür, angeekelt und fasziniert von dem, was da auf dem Parkettboden lag. Ein kleiner, völlig verwahrloster Welpe, ein Haufen Hundekot – und ein Säckchen mit Diamanten. Das stellte sich natürlich erst später heraus, nachdem Krampus in der Hundeklinik behandelt und die Windel samt Inhalt – ohne Tüte – entsorgt worden war.

Der Tierschutz-Journalist konnte zunächst nicht fassen, dass ausgerechnet seine Kinder mit illegalen Welpenhändlern ins Geschäft gekommen waren. Während er ihnen wieder und wieder erklärte, dass solche Leute die Tiere unter schlimmsten Bedingungen züchten, die meisten Welpen beim Verkauf todkrank sind und das Ganze nicht nur eine furchtbare Tierquälerei, sondern auch noch Geldverschwendung ist, saß Art schweigend an seinem Laptop.

Schließlich bat er den erstaunten Vater, ihn zur Polizei zu begleiten. Er habe sachdienliche Hinweise, die zur Ergreifung der Täter in einer Serie von Juwelendiebstählen im bayerisch-tschechischen Grenzgebiet führen würden, und der Vater könne gleich in Sachen Tierschutz aktiv werden. Dann fragte er die Mutter nach ihrer Kontonummer, auf die die Belohnung später überwiesen werden sollte. „Damit haben wir dann Kost und Logis für Krampus für die nächsten Jahre gesichert. Hundeschule und -sitter inbegriffen“, grinste Art.. Die Eltern sahen sich an. Wer konnte solch genialen Kindern schon widerstehen?

Nachtrag: Seither sieht man abends einen Mann und eine Frau Arm in Arm – oder auch Hand in Hand – aus dem Altbau in Schwabing kommen und die Straße in Richtung Englischer Garten entlang bummeln, neben sich an der Leine einen immer größer werdenden, munteren Australian Shepherd. An jedem Baum bleibt er stehen, markiert, dreht sich zu dem Pärchen um, bellt einmal freudig und tänzelt weiter.

Adventskalender MiniKrimi am 11. Dezember


Bares für Wahres

Als der Bewerbungsbrief – handgeschrieben, blaue Tinte auf wildgeripptem Büttenpapier – bei der Produktionsfirma der besonders beim reiferen Publikum beliebten Trödelshow eintraf, dachte die Chefredakteurin zunächst an einen Scherz. Wer seine Schätze – oder was er dafür hielt – einem Millionenpublikum und einer Handvoll Händler*innen vorführen wollte, schickte eine E-Mail mit maximal 5 hochgeladenen Fotos. Darin bestand schon die erste Hürde, denn wenn die Bildqualität nicht ausreichte, um einen ersten zuverlässigen Eindruck von der angepriesenen Rarität zu vermitteln, erhielten die Bewerber irgendwann eine lapidare Absage. 

Diesem Brief jedoch lagen sehr gute Fotografien bei, anhand derer sogar ein ungeübter Betrachter den ganz außergewöhnlichen Wert des angebotenen Schmuckstückes erkennen konnte. Es handelte sich um einen Platinring mit einem einzelnen Diamanten, leicht getönt und in erstklassiger Reinheit, ohne mit bloßem Auge erkennbare Einschlüsse.

Die Briefeschreiberin gab vor, den Ring in den 1960er Jahren von ihrem Vater als Verlobungsgeschenk erhalten zu haben. Inzwischen sei sie fast 90 Jahre alt, seit langem verwitwet, kinderlos – und wolle den Ring noch zu Lebzeiten verkaufen, um die Freude, die sie mit dem Erlös bereiten würde, erleben und genießen zu können.

Der Ring wäre eine für die Trödelshow einmalige Gelegenheit, deshalb beschloss die Redaktion, zu antworten und einen Besuchstermin auszumachen. „Wenn sich die Dame nicht meldet, ok, dann wissen wir, dass es ein Fake war. Aber wenn doch – dann wird das das Highlight des nächsten Sendejahres“, erklärte die Chefin. Denn so lange würde es dauern, bis die Dame in live in der Show zu sehen wäre und die Händler*innen ihren Schmuck ersteigern würden. „Hoffentlich stirbt sie nicht vor der Sendung“, witzelte der Assistent. Und alle lachten. 

Der Brief war echt, und die Verfasserin begrüßte das Team drei Monate später in ihrem eleganten aber überschaubaren Haus am Rande einer Kleinstadt. Die Chefredakteurin hatte den Händler mit der größten Expertise bezüglich Diamanten mitgebracht. Sie saßen, Kaffee nippend und Möhrentorte kauend, auf dem gestreiften Chintzsofa wie auf heißen Kohlen. Die Dame des Hauses ließ sich Zeit. Vielleicht, dachte der Händler, lebt sie alleine und möchte den Besuch so lange und intensiv wie möglich auskosten. „Gnädige Frau“, sagte er schließlich und tränkte seine Stimme mit einem kleinen Extraschuss Öl, „bei Ihnen ist es wie in einer Oase, so ruhig und entspannt. Aber wir haben einen weiten Rückweg vor uns…“.

„Aber ja, entschuldigen Sie. Einen Moment, bitte.“ Sie erhob sich, eine große, schlanke und immer noch aufrechte Frau in blassblauem Tweed mit sorgfältig frisiertem weißem Pagenkopf. „Ich habe meiner Haushälterin heute frei gegeben, damit wir ungestört sind.“ Sie ging in den Nebenraum und kam kurze Zeit später mit einem schlichten schwarzen Kästchen zurück. Sie öffnete den Deckel, und, eingebettet in dunklem Samt, lag der kostbarste und schönste Ring, den der Händler jemals gesehen hatte. Sprachlos beugte er sich darüber, nahm auf ein freundliches Nicken der Dame hin das Schmuckstück in die Hand, betrachtete es lange und seufzte dann leise: „Ahhh!“

Er war sich der Qualität des Ringes sicher. Dennoch machte er mit der Besitzerin einen weiteren Termin aus, zu dem er einen Amsterdamer Kollegen hinzuziehen wollte. Aber als sie das Kästchen wieder verschloss, ins Nebenzimmer brachte und die Gäste zur Tür begleitete, war der Händler bereits fest entschlossen: diesen Ring musste er haben.

Wie es bei der Trödelshow nun einmal ist, gingen danach mehrere Monate ins Land. Es folgten noch ein paar weitere Besuche bei der Dame, die sich immer sehr zu freuen schien. Der Händler und das Team erfuhren, dass ihr Vater während des zweiten Weltkriegs als Offizier in Afrika gewesen sein. Dort habe er einem Stammesfürsten das Leben gerettet und dafür als Dank den Rohdiamanten bekommen. Als seine Tochter sich mit einem Studienfreund verlobt habe, habe er den Ring als Geschenk in Auftrag gegeben. Sie hatte ihn von da an oft und gerne getragen. Aber nun sei ihr Mann schon lange tot, ihre einzige Tochter sei vor zwanzig Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, und sie fange nun, mit weit über 80 Jahren, an, „ihr Haus zu bestellen“, wie sie sich ausdrückte. 

Natürlich hatte sie den Ring schätzen lassen, mehr als einmal. Er sei wohl an die 90 Tausend Euro wert. „Aber ich will das Risiko nicht eingehen und ihn selbst verkaufen. Lieber gebe ich ihn etwas günstiger ab – und muss mich um nichts persönlich kümmern.“

Wie alle Bewerber*innen wurde sie vor laufender Kamera gefragt, was sie mit dem Geld machen wolle. „Ich werde den Erlöst aufteilen. Zwei Drittel gehen an ein Schulprojekt für Mädchen in Afrika, der Heimat des Diamanten. Ein Drittel erhält meine Haushälterin.“ „Weiß sie von ihrem Glück?“ „Natürlich. Sie wird mich ja in die Sendung begleiten.“

Wieder gingen zwei Monate ins Land. Chefredakteurin und Händler telefonierten täglich mit der Dame – und waren jedes Mal erleichtert, wenn sie ihnen versicherte, es gehe ihr gut und sie habe keineswegs die Absicht, vor der Sendung das Zeitliche zu segnen.

Und dann war es soweit. Um ganz sicher zu gehen, holte das Produktionsteam gemeinsam mit dem Händler Dame und Schmuck ab. Pünktlich um zehn standen sie vor der Tür. Doch auf ihr Klingeln regte sich drinnen nichts. Absolut nichts. „Das gefällt mir nicht“, brummte der Händler und ging um das kleine Haus herum. Durch die Terassentür sah er die Dame am Boden liegen, verkrümmt und reglos. Mit einem Stein schlug er die Scheibe ein. Aber es war nichts mehr zu machen. Sie war tot. „Der Ring“, dachte der Händler und sah sich suchend um. Ihre linke Hand lag unter ihrem Kinn, fast so, als würde sie schlafen. Ein Sonnenstrahl kletterte über die Lorbeerhecke und ergoss sich auf das Wohnzimmerparkett. In seinem Schein funkelte der Diamant ganz kurz am Finger der Toten.

„Was machen wir jetzt?“, fragte der Fahrer. „Na, wir rufen die Polizei – oder?“, antwortete sein Kollege. „Dann platzt die Show,“ sagte der Händler. Und wer weiß, ob ich den Ring jemals kriege, setze er in Gedanken hinzu. Und hatte eine Idee.

In diesem Moment kam die Haushälterin vom Bäcker zurück. Nachdem er die völlig verstörte Frau beruhigt hatte, erläuterte er ihr seinen Plan. „Sie ist tot. Auf ein paar Stunden kommt es jetzt nicht mehr an. Fahren Sie mit uns ins Studio, und wir ziehen den Deal wie geplant durch. Wer weiß, ob Sie ansonsten jemals Ihren Anteil kriegen,“ wiederholte er seinen leicht abgeänderten Gedanken. 

Die Haushälterin stimmte zu. Alles klappte perfekt. Die Dame habe einen Schwächeanfall erlitten, sie sitze in der Garderohe, sagte die Stimme aus dem Off. Und dank des Einspielers, in dem sie die Verwendung des Erlöses erklärte, war das auch vollkommen glaubhaft.

Die anonyme Stimme pries den Stein. „Der hier vorliegende Ring hält in seinem Zentrum einen ungewöhnlichen Diamanten von imposanten 8,64 Karat im Kissenschliff. Seine Farbe ist leicht getönt und wirkt warm weiß. Seine Reinheit ist erstklassig und entspricht der Reinheitsstufe „vsi“. Er hat auch mit der Lupe nur schwer erkennbare Einschlüsse. Durch seine gute Symmetrie hat er ein ausgezeichnetes Feuer.“

Dann kam die Haushälterin in den Verkaufsraum, legte den Ring auf die Theke und ging eine paar Meter zurück. Nacheinander nahmen die Händler*innen das kostbare Stück in die Hand. Der Händler mit der Kaufabsicht – natürlich waren Deal und Kaufpreis vorab abgesprochen worden – wartete, bis er an die Reihe kam. Doch plötzlich runzelte die Juwelierin die Stirn. „Richard“, sagte sie und hielt dem Händler den Ring entgegen. „Richard, schau doch bitte nochmal genau hin. “ Tatsächlich: bei näherer Betrachtung mit der Lupe erkannte er sofort, dass es sich bei diesem Stein nicht um einen Diamanten handelte, sondern höchstens um ein Stück Glas. „Ich muss nur kurz mit meinem Kunden telefonieren“, sagte er. Als das Gespräch beendet war, nannte er der verdutzen Haushälterin einen Preis, den diese nicht akzeptieren konnte. „Gut, dann gehe ich wieder“, sagte sie und wollte den Verkaufsraum schnell verlassen.

Doch an der Tür warteten schon zwei Polizeibeamt*innen und nahmen die Frau fest. „Mord aus Habgier“ lautete der dringende Tatverdacht.

AdvernsKalender MiniKrimi vom 8. Dezember


flugpaten

Der Flughund

„Was, Du willst Dir einen Hund zulegen? Wer hat Dir denn diesen Floh ins Ohr gesetzt?“ Arne kennt Silvana seit über 20 Jahren, aber Tierliebe war bislang nie eine ihrer hervorstechenden Eigenschaften gewesen. „Naja, nicht irgendeinen Hund.“ „Eben, das ist ja noch schlimmer. Wenn Du plötzlich auf den Hund gekommen wärest und Dir beim Züchter einen Windhund, einen Dobermann oder meinetwegen auch einen Prager Rattler bestellt hättest, könnte ich das ja noch im entferntesten nachvollziehen. Aber einen mallorquinischen Straßenköter…?! Du musst verrückt sein!“ Diesen Verdacht hegt Arne schon länger, genauer gesagt seit Silvanas erstem und einzigem Besuch auf der Baleareninseln im vergangenen Jahr. Nach ihrer Rückkehr war sie nicht mehr dieselbe. Davor hat Arne sich diskrete Hoffnungen auf ein mögliches Leben zu zweit gemacht, in Form einer Lebens-, nicht einer Wohngemeinschaft. Und er hatte auch gemeint, bei Silvana Anzeichen zu entdecken, dass sie diesem Gedanken nicht abgeneigt war. Nach Mallorca war alles anders. Sie hat nicht viel von diesem Aufenthalt erzählt. Aber zwischen den Zeilen hat Arne herausgehört, dass sie ganz offensichtlich eine Frau kennengelernt hat. Claudia. Eine abgebrannte Deutsche, die auf Mallorca gestrandet ist und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält. Arne hat sich sogar dabei ertappt, wie er in Silvanas Handy nach Nachrichten von dieser Frau gesucht hat. Das letzte, was er von ihr erfahren hat, war, dass sie wohl einen reichen Fang gemacht und sich ihrer Geldsorgen durch eine Heirat entledigt hat. Gottseidank, damit ist das Kapitel Claudia hoffentlich erledigt, hat er gedacht.

Und jetzt der Hund. Natürlich ist er mit Silvana zum Flughafen gefahren. Hat in der Gruppe der Wartenden gestanden, zwischen Schildern mit „Senor Cortez, Philatelistische Gesellschaft“, „Dr. Dr. Maibaum, Weltmünzkongress“ und „Holiday Inn, Frau von Selbitz“. Hat familiäre Freudentränen miterlebt und schreiende Kleinkinder. Bis endlich die „Flugpatin“ mit der Transportbox durch die Absperrung kommt und sich suchend umschaut. Silvana dreht sich kurz nach links und rechts, dann geht sie auf die Frau zu. Sie sieht genauso aus, wie Arne sich jemanden vorstellt, der Hunde aus der Wärme Mallorcas in den Münchner Winter begleitet. Dann geht alles sehr schnell. „Danke“, sagt Silvana, reißt der Frau beinahe die Box aus der Hand und stürmt, ohne den kleinen zitternden Hund, der seit Stunden dort eingesperrt ist, auch nur eines Blickes zu würdigen, hinaus auf den Parkplatz. Arne hinterher. Erst, als sie im Auto sitzen, macht Silvana das Türchen auf und nimmt den Hund vorsichtig in den Arm. Schaut ihn prüfend an, begutachtet das gefütterte, mit Strasssteinen besetzte Halsband, setzt das Tier wieder in die Box und fährt los. Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit hält sie sich genau an die Geschwindigkeitsbegrenzungen. Naja, wenigstens nimmt sie Rücksicht auf den Hund.

Vor ihrem Haus will sie Arne verabschieden, aber er lässt sich nicht so schnell abwimmeln. Widerwillig nimmt Silvana ihn mit in die Wohnung. Sie sind kaum angekommen, als Silvanas Telefon klingelt. „Ich rufe gleich zurück. Ja, alles gut.“, sagt sie und legt auf. Wie untypisch für sie. „Arne, enschuldige, ich bin müde. Wir sehen uns morgen. Mach’s gut.“ Und schon steht er draußen. Zu neugierig, um einfach zu gehen. Er geht vorsichtig ums Haus und schaut hinter einer Tanne hervor in Silvanas Wohnzimmer. Sie hasst Vorhänge. Das ist sein Glück. Er sieht, wie sie den Hund aus der Box holt, ihm vorsichtig das Halsband abnimmt und es mit einem Messer der Länge nach aufschneidet. Das ist der Moment, an dem Arne beschließt, dass Silvana für ihn Vergangenheit ist.

Im Internet liest er eine Woche später von einem Raubmord auf Mallorca. Die trauernde Witwe Claudia P. erzählt, dass sie ihren Mann erwürgt vor dem offenen Safe gefunden hat. Von den Diamanten, die der Schmuckhändler dort aufbewahre, fehlt seither jede Spur. Ebenso wie von Alonso, dem Straßenköter, den er jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit mit einem Stück Kalbsleberwurst gefüttert hat.

 

 

MiniKrimi vom 22. Dezember


Heute wieder eine Geschichte nach den Clues von Monika. Du machst es mir nicht leicht, meine Liebe….

Schöne Bescherung

Der Weihnachtsmann hatte seinen Sack gut zugeschnürt. Dachte er. Aber für Timo und Ali war es nicht schwer, ihm zu folgen. Denn auf dem frisch gefallenen Schnee, auf dem feuchten, salzglänzenden Asphalt und dem hellen Marmor der Hausflure und Treppen hinterließ er eine feine, funkelnde Spur aus engelshaarfeinem Lametta. Es rieselte aus dem unauffälligen Loch, dass Timo mit seinem Messer in den Sack geschnitten hatte, während Ali einen Zusammenstoß mit dem Mann im dick ausgestopften Kostüm simulierte. Unglaublich, wie fahrlässig die Leute zu Weihnachten wurden. Als raubte ihnen der kindliche Glaube an das Gute, das alle Jahre wieder über sie hereinbrach, jeglichen Sinn für Vernunft. Anders war es nicht zu erklären, dass sie dem Weihnachtsmann ihre teuren Geschenke für Frauen und Kinder, Eltern und Freundinnen anvertrauten, nur, damit alle so tun könnten, als glaubten sie noch immer an Märchen. Stattdessen würden sie in dieser stillen Nacht, in der die reiche Vorstadtwelt wie eine mit Zuckerguss verzierte Tortenlandschaft aussah, ihr blaues Wunder erleben. Von wegen Bescherung. Beziehungsweise würde die ganz anders ausfallen als erwartet.

Timo und seine „Gangstas“ hatten alles genau geplant. Mike war der Spion und hatte ausgekundschaftet, welche Geschenke der Weihnachtsmann wo abliefern würde. Timo und Ali schlichen hinter dem armen Mann her, der sichtlich an der Gabenlast zu schleppen hatte. „Nicht mehr lange, und wir erleichtern dir die Arbeit“, flüsterte Timo, und Ali keckerte sei Lachsack-Lachen. Er hörte gar nicht mehr auf damit. Timo stieß ihn unsanft in die Rippen, denn gerade ertönte Mikes Pfiff. Darauf hatten die beiden Diebe gewartet.

Während der Weihnachtsmann sich mit aller Kraft mühte, mit dem umständlichen Kostüm die Feuerleiter hinauf und dann den Kamin hinabzuklettern, huschte Timo behände hinter ihn und legte ihm die Hand mit einem in Chloroform getränkten Lappen auf Mund und Nase. Mit einem leisen Seufzer, wie ein Luftballon, aus dem das Gas entweicht, ging der gute Mann zu Boden. Das letzte, was er sah, waren zwei Aliens mit schwarzwollenen Gesichtern, aus denen nur die Augen hervorglühten.

„Schnell, her mit dem Sack, und dann nichts wie ab“, befahl Timo. Ali schulterte ächzend den Jutesack. Wahnsinn, wie schwer der war. Kein Wunder, bei all den Uhren, Diamanten, Laptops und Kameras, die da drin steckten und jetzt nur darauf warteten, von Timo und seiner Bande vertickt zu werden.

Die beiden Halbstarken zogen und zerrten den Sack schließlich gemeinsam die Feuerleiter hinunter. Erschöpft ließen sie sich nebeneinander auf den Boden gleiten. Da brauste auch schon der geklaute Buick um die Ecke, mit Mike am Steuer. Auf dem frischen Schnee kam der Wagen in der Kurve ins Schleudern und hätte beinahe den Sack über den Haufen gefahren. „Schnell rein mit euch“, rief Mike. Sie warfen sich auf die Rücksitze, den Weihnachtsmannsack fest zwischen sich. Und dann gings los, in einem halsbrecherischen Tempo quer durch die Stadt bis hinaus zu den Dünen am Strand. Um die Zeit und bei dem Wetter war selbst die Polizei nicht draußen. Keiner verfolgte die jungen Männer. Und eine Stunde später saßen sie im Sand und begutachteten ihre Beute. „Das Zeug ist mindestens eine Million Dollar wert“, sagte Timo. Und Ali pfiff anerkennend durch seine Zahnlücke. „Wir haben echt n super Ding gedreht!“ Schließlich lag nur noch ein kleines, flaches Kästchen im Sack, nicht größer als eine Streichholzschachtel. „Was isn das?“, fragte Mike. „Keine Ahnung“, sagte Timo und dreht das Ding vorsichtig zwischen den Fingern. „Bugatti„, war darauf eingraviert. Und an der einen schmalen Seite, kaum sichtbar, blinkte es rot.

Und dann blinkte es um sie herum, viele Lichter, weiß, rot und blau. Der ganze Strand wimmelte von Polizisten. „Halt, Pfoten hoch, Jungs“, hörten sie, ohne zu verstehen, was plötzlich los war. Auch, als sie beim Verhör saßen, konnten sie sich nicht erklären, wie die Polizei sie gefunden hatte. Ein Sergeant hatte schließlich Mitleid mit den drei Möchtegern-Ganoven. „Das kleine Kästchen ist eine Mini-Alarmanlage. Sie gehört zu dem Bugatti, den Marvin C. seiner Freundin zu Weihnachten schenken wollte. Marvin war selber ein Gangsta, bevor er als Rapper Millionen verdient hat. Deshalb hat er die Alarmanlage scharf gemacht. Sie hat die ganze Zeit Signale gesendet – die kamen aber nicht zu Marvin C.s Haus, sondern entfernten sich immer mehr. Da hat er uns verständigt. Und wir haben Euch gefunden. Schöne Bescherung, Jungs.

„Ich glaub, ich mach im Knast nen Rappel-Kurs“, murmelt Timo zu Ali, als er in U-Haft geführt wird.

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