MiniKrimi Adventskalender am 15. Dezember


Hochmut kommt vor dem Fall, heißt es. Meine Co-Autorin Lydia H. erklärt euch heute, warum…. Viel Spaß beim Lesen!

Let it snow

Katja

Katja, eine mehr schlecht als recht erfolgreiche bildende Künstlerin, hatte vor 6 Monaten eines der Ein-Zimmer-Appartements in der Minervastraße ergattert. Diese kleinen Wohnungen dienten meist gut betuchten Münchnern als Kapitalanlage. Manchmal bewohnte auch der eigene Nachwuchs nach dem Auszug aus der elterlichen Villa am Münchner Stadtrand eine der kleinen Wohnungen, als erster und wohlbehüteter Schritt in ein eigenständiges Leben. So waren die Sprösslinge auch während des Studiums noch unter elterlicher Beobachtung. Katja war dank ihrer Bekanntschaft mit Cosima zu einer der begehrten Wohnungen gekommen. Cosima, eine Kommilitonin an der Akademie der bildenden Künste in München, verbrachte gerade 2 Semester in Paris. Ein wahrer Glücksfall für Katja, die ohnehin nicht vorhatte, im Freistaat Wurzeln zu schlagen, sondern ihr Studium in Barcelona beenden wollte.

Daniela

Als Mitglieder der Düsseldorfer Haute Volée bewohnte das Ehepaar Hochmut nach dem Umzug in die bayerische Metropole natürlich eine der standesgemäßen Dachgeschosswohnungen in der Minerva-Siedlung.  Daniela Hochmut, eine elegante Erscheinung um die 40, und Ihr Mann Detlef, 53 und erfolgreicher Geschäftsmann aus dem Finanzsektor, hatten die Wohnung vor einem Jahr gekauft, wobei der Umzug nach München nicht ganz freiwillig gewesen. Mit seinem skrupellosen Geschäftsgebaren hatte sich Detlef in Düsseldorf und Umgebung nämlich nicht nur Freunde gemacht, vorsichtig ausgedrückt. Die Investitionen in seinen selbst kreierten Krypto Coin, zu denen er gefühlt Halb Düsseldorf verführt hatte, entpuppten sich nämlich als Totalverlust für die Anleger. Nur für die Anleger natürlich, denn das Ganze war von vornherein als Schneeballsystem gedacht gewesen.  Das Geld hatte Detlef schon längst in die Schweiz transferiert und in ihre neue Bleibe in der Minervastraße investiert. Nachdem das Hochmutsche Anwesen in Düsseldorf mit Farbe beschmiert und sogar die Reifen von Olafs Hummer zerstochen worden waren, stand fest, dass der Zeitpunkt für eine geographische Veränderung gekommen war.

Daniela allerdings war von dem notwendig gewordenen Umzug nicht begeistert gewesen.  Ihr fehlte die illustre Düsseldorfer Gesellschaft. Die ausgedehnten Shoppingtouren an der Königsallee, die Vernissagen, die Prosecco-geschwängerten Treffen mit ihren reichen Freundinnen. München dagegen konnte Daniela, die als repräsentative Ehefrau eines erfolgreichen Geschäftsmannes nicht erwerbstätig sein musste, nicht zufriedenstellen. Zu anders war die sogenannte Münchener Schickeria. Bunt, immer etwas schrill und meistens damit beschäftigt, sich selbst zu feiern, war sie das genaue Gegenteil der auf die strikte Einhaltung gesellschaftlicher Konventionen bedachten Düsseldorfer Haute Volée. In der Münchener Schickeria fanden allerlei „seltsame“ Gestalten eine Heimat. Schauspieler und solche, die sich dafür hielten, Transvestiten, Künstler aller Art und jede Menge Selbstdarsteller, alle vereint durch ein „Mir san mir“-Gefühl, an dem Daniela als „Zugroaste“ nicht teilhaben konnte.

Sogar ihre Nachbarschaft in der Minervastraße war vor solchen Gestalten nicht sicher. Direkt unter ihnen war jetzt ein derartiges Geschöpf eingezogen. Ärmlich gekleidet, meistens mit Farbe bekleckert, wohl eine brotlose Künstlerin. Besonders unangenehm war allerdings die Art, wie die Kleine Detlef im Hausflur anstarrte. Bei ihrer ersten Begegnung im marmornen Treppenhaus der Minervastraße war sie förmlich zur Salzsäule geworden und hatte ihn nur unverwandt angesehen. Natürlich war ihr Mann ein gut erhaltener und sehr gepflegter Vertreter seines Geschlechts, und Daniela war die bewundernden Blicke der Damenwelt durchaus gewohnt. Sie erfüllten sie sogar mit einem gewissen Stolz. Aber für dieses junge Ding war Detlef doch sichtlich zu alt. Und noch dazu in der falschen Liga.

Katja

Als Katja Herrn Hochmut zum ersten Mal in der Minervastraße sah, erkannte sie ihn sofort. Immerhin war er der Grund gewesen, warum sie nach dem Tod ihrer Eltern ihre Heimatstadt Düsseldorf verlassen hatte. Genauer gesagt, war er auch der Grund für den gemeinsamen Selbstmord ihrer Eltern gewesen. Nachdem die beiden, leidenschaftliche Wirtsleute und Inhaber einer gutgehenden Kneipe in der Düsseldorfer Altstadt, ihre gesamte Altersvorsorge in den hochgelobten  Krypto Coin des Betrügers investiert hatten, schien ein Jahr lang alles gut zu laufen. Die garantierte Rendite von 25 Prozent war sensationell und wurde in den ersten 5 Monaten auch pünktlich ausgezahlt. Katja Eltern waren von ihrem Investment so begeistert gewesen, dass sie mehrere enge Freunde von dem Krypto Coin überzeugt hatten. Doch dann folgte das böse Erwachen. Zunächst kamen die Renditeauszahlungen nur noch sporadisch, dann gar nicht mehr. Was Katjas Eltern besonders zu schaffen gemacht hatte, waren die Vorwürfe ihrer Freunde, welche sie zu der Investition in den Coin überredet hatten. Irgendwann hielten sie dem Druck von allen Seiten nicht mehr stand und beendeten ihr Leben mit einer Überdosis Schlafmittel. Den Prozess gegen Herrn Hochmut erlebten die beiden nicht mehr.  Katja dagegen schon. Er endete für Detlef Hochmut mit einem Freispruch mangels Beweisen für eine Betrugsabsicht. In dubio pro reo. In der Hoffnung, der Vergangenheit zu entfliehen, verließ Katja Düsseldorf kurz darauf in Richtung München.

Und nun das. Anstatt diese ganze ungerechte Tragödie hinter sich gelassen zu haben, würde sie nun fast täglich mit dem Verursacher konfrontiert sein. Ein unhaltbar Zustand. Gerade jetzt zur Weihnachtszeit vermisste Katja ihre Eltern besonders schmerzlich. In diesem Jahr sollte es nach Auskunft des Wetterberichtes sogar eine weiße Weihnacht geben.  Wie im Märchen. In Düsseldorf kamen weiße Weihnachten statistisch gesehen nur alle 20,4 Jahre vor. Überhaupt schneite es in Nordrhein-Westfalen so gut wie nie, und Katja, die die kalte Jahreszeit schon immer geliebt hatte, war nicht zuletzt wegen des Winterwetters nach München gezogen. Wie sehr hatte sie sich auf schneebedeckte Bäume und Eiszapfen an den Dächern gefreut. Stattdessen würde sie nun auf ihrem Futon hocken und Rachepläne schmieden.

Moritz

Auch Moritz, der Sohn von Albrecht und Martina Müller, studierte in diesen Tagen oft die Münchner Wetterkarte. In der Mittagspause stand er mal wieder vor dem elterlichen KFZ-Betrieb am Düsseldorfer Stadtrand, blickte versonnen in den Himmel und summte das Weihnachtslied „Let it snow“. Den Betrieb hatte Moritz, der eigentlich Maschinenbau studiert hatte, in diesem Jahr von heute auf morgen übernehmen müssen. Auch seine Eltern hatten ihre Altersvorsorge in den Krypto Coin von Detlef Hochmut investiert und einen Totalverlust erlitten. Nach dem skandalösen Ende des Prozesses vor dem Düsseldorfer Landgericht hatte Moritz Vater einen tödlichen Herzinfarkt erlitten. So stand Moritz nun tagein tagaus in der väterlichen Werkstatt. Wie das Leben so spielt.

Kurz nach dem Prozess hatte die Rheinische Post über den Fall geschrieben und erwähnt, dass der von allen Vorwürfen freigesprochene Angeklagte Hochmut seinen Wohnsitz nach München verlegen wollte, um den Schikanen der zu Unrecht erbosten Anleger zu entfliehen.  Wie der Zufall es wollte, war am selben Tag ebendieser Herr Hochmut in Moritz Werkstatt gekommen, um noch vor seinem Umzug nach München winterfeste Reifen aufzuziehen. Man wusste ja, in München wehte wettermäßig ein anderer Wind, schwadronierte er selbstgefällig, und da wolle er lieber schon gut ausgestattet ankommen. Es war eine ganz spontane Idee von Moritz gewesen, anstellte der Winterreifen Sommerräder auf den teuren Geländewagen zu montieren.

Der erste Schnee fiel heuer in München und den Bergen früh und reichlich. Sehr zum Gefallen des Ehepaares Hochmut. Hatten sie sich doch eine sündhaft teure Skiausrüstung zugelegt und brannten darauf, sie bei einem eleganten Einkehrschwung in Elmau zu präsentieren. Sogar Daniela war von der Idee begeistert gewesen. Leider wurde schon die erste Kehre den Hochmuts zum Verhängnis. Der schwere Geländewagen schlitterte über den Straßenrand, riss die Leitplanke mit, überschlug sich mehrmals und stürzte in die Tiefe. Die Flachlandtiroler wieder, hieß es bei der herbeigerufenen Bergwacht in Garmisch-Partenkirchen nur lapidar.   

Hochmut komm vor dem Fall.