Adventskalender MiniKrimi vom 17. Dezember 2018


Ruhebereich

7.30 Uhr Claas Teuffel wird von seiner Tochter Merle mit einem nassen Waschlappen geweckt und merkt, dass er verschlafen hat.

8.05 Uhr Nachdem er seine Tochter auf dem Rücksitz festgeschnallt und den Schlitten für den Rodelausflug im Kofferraum verstaut hat, stellt er fest, dass der Wagen nicht anspringt. Sein Sohn hat vergessen, das Abblendlicht auszuschalten. (Und Claas Teuffel hat 2 Monate lang, den Wagen zur Werkstatt zu bringen, um die Abschaltautomatik zu reparieren).

8.30 Uhr Claas Teuffel ist von der Schule zurück und versucht, den Termin heute um 15.30 Uhr in Dresden auf morgen zu verschieben. Im Sekretariat seines Geschäftspartners verspricht man ihm, umgehend zurückzurufen, sobald man die Terminverschiebung geklärt hat.

9.30 Uhr Claas Teuffel ruft erneut in Dresden an und erfährt, dass der Termin nicht verschoben werden kann. Im Sekretariat entschuldigt man sich nicht mal dafür, dass man vergessen hat, ihm „umgehend“ Bescheid zu sagen.

90.40 Uhr Er setzt sich mit einem doppelten Espresso an den Computer, um sich eine Zugverbindung rauszusuchen.

10 Uhr Er hat immer noch keinen Zug gebucht, ist fünf Mal direkt vor dem Bezahlen rausgeflogen und erhält jetzt die Information, dass alle in Frage kommenden Züge ausgebucht sind, Bis auf einen. Dort gibt es noch einen einzigen Platz im Ruhebereich 2. Klasse.

10.45 Uhr Claas Teuffel sitzt im Abteil. Er hat seine Frau, die ausgerechnet heute den ganzen Tag in einer Gerichtsverhandlung ist, nicht erreichen können und hofft, dass seine Tochter Merle am Nachmittag von der Mutter ihrer Freundin mit nach Hause genommen wird, wenn sie merken, dass keiner zum Abholen kommt. Jetzt versucht er, ihr eine Whatsapp-Nachricht zu schreiben, aber er hat im ICE kein Netz.

11 Uhr Sein Telefon klingelt. Merles Schule. Er geht so schnell wie möglich ran und flüstert „Moment“. Sein Gegenüber wirft ihm einen bösen Blick zu und deutet mit spitzem Zeigefinger auf die Aufschrift „Ruhebereich“. Im Gang bespricht er mit der Lehrerin, wo Merle den Schlitten versteckt haben könnte, weil sie keine Lust auf den Rodelausflug hat.

11.30 Uhr Sein Telefon klingelt wieder.  Merles Schule. Er springt aus dem Sitz, murmelt „Entschuldigung“, aber sein Gegenüber und der Sitznachbar zischen wie aus einem Mund „Ruhäää!“ Im Gang erfährt er von der Lehrerin, dass der Schlitten wieder aufgetaucht ist.

12 Uhr Claas Teuffel hat sein Handy auf lautlos gestellt und geht in seinem MacBook die Tagesordnung für das Meeting durch. Weil er vergessen hat, den Lautsprecher abzustellen, ertönen zu Beginn der Präsentation laut die Eingangsakkorde von Richard Strauß’s Zarathustra.

Sein Gegenüber, der Sitznachbar und die Reisenden auf den Plätzen jenseits des Ganges brüllen alle lautlos „Ruhääääääää.“ „Gennse nisch läsn?“, flüsssstert eine blasse Dame in höchster Entrüstung über den Rand ihres Magazins „Reisen und Heilen“ hinweg.

13 Uhr Class Teuffel ist eingenickt. Er träumt, dass ihn sein Gesprächspartner mit einer seidenen Krawatte erwürgt, weil er zu spät zum Meeting gekommen ist. Das Gefühl ist unerträglich. Er reißt die Augen auf: sein Gegenüber hat ihn am Hemd gepackt und schüttelt ihn. Auf dem Holztisch leuchtet sein Handy und hat durch die Vibration den Tisch in melodiöse Schwingungen versetzt. 

Er geht in den Gang und sieht, dass seine Frau versucht hat, ihn zu erreichen. Als er sie zurückruft, ist wieder nur die Mailbox dran. Die Gerichtspause ist vorüber.

13.30 Uhr Er hat unbändigen Hunger, da er weder gefrühstückt noch zu Mittag gegessen hat. Als e in seine Manteltasche greift, um seinen Geldbeutel zu holen, ertastet er Merles Pausenbox, die sie dort versteckt hat, weil sie nicht mag, was ihre Mutter ihr einpackt. Er öffnet die Box: Möhren und Selleriesticks. Egal. Claas Teuffel hat unbändigen Hunger. Er steckt sich ein Selleriestange in den Mund und beisst ab, und dazu noch ein großes Stück Möhre. In der Stille des Ruhebereichs klingt sein Kauen wie eine Explosion.

13.35 Uhr Claas Teuffel versucht verzweifelt aber vergeblich, sich gegen die vier, sechs, zehn Paar Hände zu wehren, die ihn packen und gnadenlos durchs Abteil zerren. „Hilfeee“ ruft er, erhält aber als Antwort nur gezischte Beleidigungen: „Ruhestörer“, Stille-Attentäter“, „Seelenfriedensmörder“ usw.

13.40 Uhr Der ICE 6790 Michael Kohlhaas von München nach Leipzig fährt durch Jena, als eine Wagentür aufgerissen und etwas auf den Bahnsteig gestoßen wird. Ein kleiner metallener Gegenstand segelt hinterher.

13.41 Uhr Ein herbeigeeilter Reisender, der auf den Regionalzug von Jena nach Erfurt wartet, entdeckt den blutenden Mann auf dem Bahnsteig. Neben diesem klingelt ein Handy. Er hebt es auf und geht dran, während er gleichzeitig seinen Finger an den Hals des Mannes hält. „Hallo, hallo? Claas, kannst Du mich hören? Ich kann jetzt sprechen“, ruft eine Frauenstimme. „“Hallo? Nein, der kann sie nicht hören. Auch nicht sprechen. Der ist tot“, sagt der Reisende ins Telefon. 

Wo Du bist?


Die Tür fällt hinter mir ins Schloss. „Ciao Mamma“ denke ich und schlucke die Worte. Statt Deiner tapsenden Schritte schleicht Stille aus dem Zimmer die Treppe hinunter und umfängt mich in einer ungewollten Umarmung.

Wo magst Du sein? Irgendwo gefangen zwischen Welten, die Deinem Verstand längst verschlossen waren, diesseits wie jenseits? Oder frei schwebend, endlich wieder alles überblickend? Wo wärest Du gerne? Auf der Bank, den Blick in den himmelhoch ragenden Tannen? Im Hundepark, klatschend und nach Deinen Lieblingen rufend? Nein, am liebsten wärst Du zuhause. Bei Dir. Fünf Jahre lang hast Du Dich danach gesehnt, in in unserem Gästebett, auf dem schmalen Stadtbalkon, Eibennadeln kehrend im Gartenwinkel. „Es ist Zeit, dass ich nach Hause fahre“, hast Du gesagt, in den ersten vier Jahren. Und dann „Ich möchte nach Hause. Ich habe doch ein Haus, oder?“ Und schließlich: „Hatte ich nicht ein eigenes Haus?“ Und ich, als liebevolle Gefängniswärterin, schüttelte den Kopf: „Nein, Mamma, das ist lange her.“ Oder ich, als ungeduldige Aufseherin: „Das Haus ist schon lange verkauft. Du hast nur ein Zuhause, und das ist hier!“ Dein Kopfschütteln, Dein fragender Blick, Dein in-Dich-versinken.

Du fehlst mir. Aber den Schmerz dieser Leere würde ich gerne verdoppeln, in dem Bewusstsein, dass Du wieder so sein kannst, wie Du warst, vor der Auflösung Deiner Gedanken. Das wünsche ich Dir, nein, ich wünsche es mir. Ich möchte Dich gerne so sehen, frei, unbeschwert, hüllen- und grenzenlos. Ich möchte Dich gerne so fühlen, als warmen Hauch in meinem Haar, als zarte Berührung von irgendwoher.

SMS-Adventskrimi. 15.Dezember:Eingeschneit!


Es schneit. Seit Stunden rieseln Kristalle leise, sanft und unaufhaltsam aus dem Wolkengrau. Horizont und Himmel sind zu einer blassen Wand verschmolzen, die hohen Gartentannen tragen dicke Pelze aus kaltem Weiß. Sie schaut aus dem Fenster. Die Welt hat ihre Farben verloren. Gelbes Licht tropft aus der Straßenlampe hinterm Zaun, stanzt eine rote Bommelmütze aus dem Einheitsschnee,  der ihren Blick erfüllt. Erst halb fünf. Und kein Mensch ist unterwegs. Eingeschneit. Sie ist allein.

Das Haus ist mäuschenstill. Es hält den Winteratem an, als wäre jeder Ton schon ein Verlust an Wärme. Kein Kinderlachen. Tom bleibt in der Stadt. Die Zwillinge bei Oma. Sie trällert, um die Leere zu zerschneiden. Vertraute Winkel werfen unheimliche Schatten.  Eingeschneit. Sie bleibt allein.

Die Stille flüstert. Knarrt. Etwas fällt um. Im Keller. Sie schaut hinaus. Gelbes Licht tropft aus der Straßenlampe hinterm Zaun, sickert in leeren Schnee auf frische Spuren Richtung Haus. Sie greift zum Telefon. Kein Ton. Eingeschneit. Nicht mehr allein……..

 

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