MiniKrimi Adventskalender am 21. Dezember


Heute gibt’s hier wieder einen Krimi aus meiner Feder. Mit Anklängen an meine väterlichen Wurzeln. Die liegen nämlich zum Teil in Süditalien… Viel Spaß beim Lesen und danke fürs Teilen und für eure Kommentare!

Engel mit schwarzen Locken

„Hallo, Kleine! Wie heißt du eigentlich?“

„Gemima.“

„Dsche… Aaaha. Und weiter?“

„Hagenrath“

„Und deine Mama?“

„Meine Mama und meine Mami heißen so wie ich. Hagenrath.“

„Und dein Papa?“

Stille. Dann: „Das weiß ich nicht.“

„Warum wollen Sie das wissen?“ Marlene Hagenrath steht an der Haustür, beladen mit Tüten und einem Kasten leerer Saftflaschen. Sie klingt barsch, und das liegt daran, dass sie diese Situation so oder ähnlich schon öfter erlebt hat, seit sie mit ihrer Frau Claudia und der gemeinsamen Tochter Gemima in die Minervastraße eingezogen ist. Zu oft, als dass sie dafür noch Toleranz aufbringen könnte.

„Man wird doch wohl noch fragen dürfen, oder? Schließlich hat jedes Kind eine Mutter und einen Vater. Das ist ein Naturgesetz.“ Frau Degenfeld ist pikiert. Erst gestern haben sie und ihre Freundinnen beim Mahjong-Nachmittag gerätselt, warum der Vater des süßen Mädchens mit den schwarzen Locken und den grünen Augen noch nie in der Siedlung aufgetaucht ist.

„Ich habe eine Mama und eine Mami. Mehr brauche ich nicht. Oder?“, fragt Gemima und schaut der älteren Dame mitten ins Gesicht. Unangenehm, dieser bohrende Blick. Der ist bestimmt antrainiert. Von einer der beiden Frauen, die sie Mama und Mami nennt.

„Zu meiner Zeit war das undenkbar. Zwei Mütter. Aber heute – vollkommen zerrüttet, die Moral bei den Jüngeren.“ Kopfschüttelnd geht Frau Degenfeld weiter Richtung Tiefgarage.

Es ist der 21. Dezember. In 3 Tagen beginnt die Weihnachtszeit. Überall in der Minervastraße leuchten Sterne und Jakobsleitern in den Fenstern, die Balkone sind mit Girlanden behängt, die meisten leuchten golden. Die einzige grellbunte auf der Terrasse gegenüber der Tarotlegerin Lenor wurde nach einem tragischen Tod entfernt.

Gemima sitzt am Küchentisch, lässt die Beine baumeln und sticht andächtig Plätzchen aus. Dabei schiebt sie voller Konzentration die gerollte Zungenspitze zwischen die Lippen.

„Woher hat sie das nur?“, fragt ihre Mutter Marlene sich zum x-sten Mal. Sie hat das Zungenroller-Gen nämlich nicht. „Muss der Spender sein“. Obwohl – der hatte es angeblich auch nicht. Unglaublich, was man bei angeblich anonymen Samenspenden heute für Informationen finden oder erfragen kann.

Da klingelt es an der Haustür. „Hallo?“, ruft Marlene in die Sprechanlage.

„Paket für Sie“, antwortet eine Männerstimme. „Ich lege es auf die Treppe.“

„Könnten Sie es mir nicht schnell raufbringen, bitte? Dritter Stock?“

„Sorry, zu viel Arbeit. Geht nicht. Schöne Weihnachten.“

Marlene seufzt, schlüpft in ihre Mules und springt die Treppe runter. Wo ist das Paket? Auf der untersten Treppenstufe liegt keines. Nur ein roter Umschlag mit einem bedruckten Weihnachtsmann und darauf ein in Cellophan verpackter Keks.

„Hahaha“, murmelt Marlene. Sie ist allerlei „Schabernack“ von den Nachbarn gewöhnt. Viele haben sich immer noch nicht damit abgefunden, dass ein weibliches Ehepaar mit Kind bei ihnen wohnt.

„Falscher Alarm. Aber leckerer Keks. Magst du ihn?“, ruft sie und schließt die Wohnungstür. „Gemima?“

Keine Antwort.

„Gemmi?“ Nichts. Sie schaut ins Kinderzimmer. Leer. Auch das Wohnzimmer. Der Küchenstuhl, auf dem das Mädchen gerade noch gesessen hat, ist umgekippt. Der Vorhang vor dem Küchenbalkon bauscht sich im Wind, und eine Handvoll Schneeflocken fliegt herein.

„Gemima, was machst du da draußen? Du wirst dich erkälten.“

Aber auch auf dem Balkon: keine Spur ihrer Tochter. Panik steigt in Marlene hoch. Als hätte sich die Kleine in Luft aufgelöst. Das geht entschieden zu weit. Das ist kein Scherz mehr. Wenn sie den findet, der dafür verantwortlich ist….

„Marlene, Gemmi, bin wieder daaa!“

„Claudia! Stell dir vor, Gemima ist verschwunden!“

Die beiden Mütter suchen die ganze Nacht hindurch nach dem Kind. In der Wohnung, im Haus, im Keller, auf dem Dachboden. Schließlich in der ganzen Siedlung. Und sie sind nicht allein. Zu Claudias und Marlenes Erstaunen helfen ihnen viele Nachbarinnen und Nachbarn. Sogar Frau Degenfeld und ihr Mann. Schließlich sollte das Mädchen bei der lebendigen Krippe, die die Bewohner der Minervastraße am ersten Weihnachtstag geplant haben, einen Engel spielen. „Sie wird ganz entzückend aussehen, mit diesen schwarzen Locken. Von wem sie die wohl hat?“

Am nächsten Morgen wird die Polizei eingeschaltet, doch auch sie findet Gemima nicht. Einzig ein Fußabdruck im Blumenbeet unter dem Küchenfenster – Größe 43 – und Sprossen einer offenbar zersägten Metalleiter im See weisen darauf hin, dass das Kind entführt worden ist.

Wer denkt in einer solchen Situation schon an einen ungeöffneten Brief? Als Claudia den roten Umschlag auf der Kommode im Flur sieht, nimmt sie ihn automatisch mit ins Wohnzimmer. Geistesabwesend reißt sie den Umschlag auf.

„Marlene! Woher kommt dieser Brief? Wer hat ihn dir gegeben? Seit wann hast du ihn? Warum hast du denn nichts gesagt?“

Marlene ist verwirrt. Todmüde, verängstigt und zermürbt von der erfolglosen Suche.

„Den? Ach, das ist doch bloß wieder so ein blöder Scherz von den Nachbarn. Ich wollte Ivan gestern noch danach fragen, aber…

„Nein! Das ist kein Scherz. Lies!“ Claudia hält Marlene den eng bedruckten Zettel unter die Nase.

Sie haben mich bestohlen. Jetzt hole ich mir mein Eigentum zurück. Versuchen Sie nicht, mich oder meine Tochter zu finden! Sonst wird das Kind einen tödlichen Unfall erleiden.

„Siehst du, das ist doch einer von diesen Scherzen. Nur viel gemeiner als sonst. Na warte, Ivan.“ Marlene greift zum Telefon, um ihren Nachbarn zur Rede zu stellen.

„Nein, Marlene. Ivan hat absolut nichts damit zu tun. Verstehst du denn nicht? Das ist ein Bekennerbrief von dem Menschen, der Gemima entführt hat.“

„Was? Du spinnst ja, Claudia! Ich habe den anonymen Spender aus der Datenbank von Neovita Labs. War teuer genug. Und absolut seriös. Das hat uns Dr. Wonnegrat ja schriftlich gegeben.“

„Dr. Wonnegrat. Nomen es Omen. Die Frau ist mir gleich suspekt gewesen. Einfach einen Tick zu seriös, wenn du weißt, was ich meine.“

„Nein, das weiß ich nicht. Und ich finde, du greifst nach Strohhalmen. Aber egal. Uns bleibt ja nichts anderes übrig. Die Polizei kommt nicht weiter. Wir fahren jetzt zu Neovita Labs.“

Ein kühles Ambiente in Pastelltönen. Gedämpfte Musik. Klassik, nichts Weihnachtliches. Dr. Wonnegrat empfängt Marlene und Claudia in ihrem Büro. Sie ist sichtlich nervös. Marlene, bleich, mit rotgeränderten Augen, kommt gleich zur Sache: „Unsere Tochter ist entführt worden. Von jemandem, der behauptet, ihr genetischer Vater zu sein. Wie ist das möglich? Sie haben mir versichert, die Spende sei anonym und man könne sie nicht auf den Samengeber zurückführen? Sie haben sie doch allein aus diesem Grund aus Zypern kommen lassen.“

„Haben Sie uns zumindest gesagt“, wirft Claudia ein. „Und uns für Ihre Bemühungen eine astronomische Summe abverlangt. Und das, obwohl das Gesetz, nach dem Samenspenden im zentralen Register dokumentiert werden müssen, in Deutschland erst 2018 in Kraft getreten ist.“

Dr. Wonnegrat lächelt gequält. “Ja, das stimmt.“

„Und? Sie kennen den Spender!“ Marlene ist außer sich vor Wut. „Geben Sie’s zu!“

„Ja. Ich kenne ihn. Also, ich kannte ihn. Er musste sich einer Vasektomie unterziehen und wollte sicherstellen, dass er dennoch eine Erbin oder einen Erben hat.“


Die Frauen sind fassungslos. Wonnegrat erklärt, der Mann, ein italienischer Mafiaboss, habe sie unter Druck gesetzt. In der Hand gehabt. Um Leben und Tod sei es damals gegangen. Um ihr Leben oder ihren Tod. Die beiden seien für ihn das ideale Paar gewesen: rechtlich „angreifbar“, ohne einen großen Unterstützerkreis, in einem Umfeld, das juristisch und gesellschaftlich immer noch als „weich“ wahrgenommen wird.

„Finden Sie sich damit ab. Gemima ist längst in Süditalien, und die Adoption war schon in wenigen Stunden unter Dach und Fach. Sie haben keinerlei Rechte mehr an Ihrem Kind. Aber ich verstehe natürlich Ihren Unmut. Ich könnte Ihnen mit einer kostenfreien Samenspende entgegenkommen? Sie sind noch so jung…“

Geistesgegenwärtig verhindert Claudia, dass Marlene der Ärztin den Briefbeschwerer auf dem Schreibtisch ins Gesicht schleudert.

„Entweder Sie bringen uns Gemima zurück, oder Ihr Laden hier fliegt auf. München ist nicht Süditalien. Wenn wir auspacken, sind Sie geliefert. Sie verlieren nicht einfach Ihr Labor und ihre Approbation. Sie landen im Gefängnis. Und zwar für sehr, sehr lange.“

Stille. Schließlich sagt Wonnegrat: „Gut. Ich kann nichts versprechen. Aber ich tue mein Möglichstes.“

„Sie haben 24 Stunden Zeit. Dann gehen wir zur Polizei. Und an die Presse.“

Es ist der 23. Dezember. Ein Tag vor Heiligabend. Marlene und Claudia kauern auf der Wohnzimmercouch. Vor ihnen steht der Weihnachtsbaum. Ungeschmückt. „Unser Ultimatum läuft ab. Ich habe wirklich geglaubt, sie meint es ernst und gibt uns Gemima zurück. Anzeige, Verfahren, schlechte Medienberichte – das ist mir doch alles egal. Ich will nur meine Tochter.“

Es klingelt an der Tür. „Ein Paket für Sie.“ Wie in einem Déjà-vu rennt Marlene die Treppen hinunter, Claudia direkt hinter ihr. Nichts. Auf der untersten Stufe liegt ein roter Umschlag. Claudia reißt ihn auf. Ein Foto, mehr nicht. Eine Frau liegt mit dem Oberkörper auf einem Schreibtisch in einem pastellenen Büro. Überall Blut. Darunter der Aufdruck: Schweigt, oder es geht euch genauso.

Entsetzt gehen die beiden zurück in ihre Wohnung. Es zieht. Der Vorhang des Küchenbalkons flattert im Wind. Auf der Wohnzimmercouch liegt ihre Tochter. Sie schläft.

Am nächsten Morgen wird Gemima sich an nichts erinnern. Und ihre Mütter werden sie nichts fragen.

Und Marlene löscht die Mail, die in ihrem Posteingang war, als sie mit dem Foto in der Hand wieder in die Wohnung kam.

Ich habe Wort gehalten. Ein Neffe unseres gemeinsamen Bekannten schuldete mir noch einen Gefallen. Den habe ich eingelöst. Ich habe mich damit in seine Hände begeben. Ich hoffe, Sie wissen das zu schätzen. Er wird ihre Tochter zurückbringen lassen. Der Verlust des gerade erst wiedergefundenen Kindes wird für den todkranken Onkel so schmerzhaft sein, dass er sich das Leben nimmt. Das ist die Version des Neffen für die Medien. Mehr müssen Sie nicht wissen. So haben alle etwas davon, der Neffe die freie Bahn zur Spitze des Imperiums und Sie ihr Kind. Leben Sie wohl.
Dr. A. Wonnegrat

Nun, der Neffe ist der großen Aufgabe ganz offensichtlich gewachsen. Er geht keine unnötigen Risiken ein. Und er kann ganz sicher sein, dass alle Beteiligten schweigen. Für immer.

Barfuß auf Asche


Sie beißt in den Himmel. Er schmeckt nach Schwefel. Seine Asche verklebt ihren Mund wie türkischer Honig, nur bitter. Die Straße fließt und reißt ihre nackten Füße mit. Stiche von Scherben, Knirschen von Knochen, diese Finger, so weiß – bloß schnell weiter. Die Luft heult und brüllt. Fegefeuer Berlin. „Komm Mädchen fass an. Was stehst du da rum?“ Eine Hand, ein Eimer Wasser schwappt über. Sie geht wie auf Schienen, trägt den Eimer zum Haufen rauchender Balken. „Schnell Mädchen.  Gib her! Und hol einen neuen. Da hinten. Nun lauf schon!“ Sie geht wie auf Schienen. Der Himmel aus Asche, der Boden ein Meer aus gestrandeten Häusern. Die Menschen ertrunken im Feuer. Immer wieder muss sie hinsehen, sie ansehen. Die toten Augen greifen nach ihrem Blick. Saugen ihn auf. Dann wird alles schwarz.

„Mama? Mama? Was sitzt du denn hier im Dunkeln?“ Leise, mit abgewandtem Mund: „Also ich hab das Gefühl das wird immer schlimmer. Mit ihr.“ Überlaut: „Mama? Hast du nicht gehört, dass wir angerufen haben?“ Beleidigt: „Wir versuchen seit gestern, dich zu erreichen, MAMA.“ 

„Ach ja? Ich hab nichts gehört. Vielleicht hat das Telefon geklingelt, als ich im Bad war. Außerdem: woher soll ich wissen, wer anruft?“ 

„Also hast du es doch gehört?“ 

„Vielleicht?“ 

Warum bist du nicht rangegangen, Mama!  Keine Frage! „Wir machen uns doch SORGEN!“ 

„Ich bin kein kleines Kind. Ich bin eine alte Frau. Ich kann auf mich selbst aufpassen. Im Bombenhagel hab ich Wasser geschleppt. Barfuß. Ich bin über Leichen geklettert. Ich brauche keine Aufpasser!“

Endlich sind sie weg. Ich kann sie nicht ertragen. Mama tu hier, Mama doch nicht so! Mama was MACHST du da schon wieder? Alles in vorwurfsvollen Großbuchstaben, in diesem pausen- und atemlosen Staccato der zur Mutter wider Willen gewordenen Tochter. Verkehrte Welt! 

Was denken die eigentlich, wie ich die letzten fünfundachtzig Jahre gelebt habe? Mich hat nie jemand in Watte gepackt. Allein in einer zerbombten Stadt, die ganze Welt ein Trümmerhaufen und ich mitten drin. Und ich hab überlebt. Ohne dass mir jemand ständig hinterhergelaufen ist.  Ohne dass sich jemand um mich gekümmert hat. Und jetzt soll ich plötzlich am Gängelband gehen, nur, weil ich älter bin? Die Menschen werden heute eben immer älter. Sagen sie jeden Tag im Fernsehen. Na und? Wenn man sie nicht töten will, muss man sie so nehmen, wie sie werden. 

Ist es schon acht? Wo hab ich nur meine Brille? Da muss doch die Fernsehzeitung….. Wie geht das Ding an? Ah. Na also. Was ist denn das schon wieder? Wo ist das Erste Programm? Natürlich. Das hat India verstellt, um mir dann in die Schuhe zu schieben, dass ich nicht mal mehr den Fernseher bedienen kann! 

Diese blöden Kopfschmerzen. Du musst mehr trinken, Mamaaaaa, würde India jetzt sagen. Dabei habe ich noch nie viel getrunken. Und bin trotzdem so alt geworden. Hab ich Hunger? Eigentlich schon. Oh – keine Spaghetti im Kühlschrank. Ach, dann ess‘ ich eine Banane. Mit einem Glas Wein. Mama, du sollst nicht so viel Wein trinken, würde India jetzt sagen. Gott sei Dank lebe ich alleine hier in meiner Wohnung!

Gott sei Dank lebe ich ALLEIN! Alleinallein. Alleallein. Wenn India mich jetzt hören würde, würde sie den Mund verziehen zu ihrem falschfreundlichen Alligatorlächeln. Alligator, so werd‘ ich sie nennen, ab heute. Wenn ich mich morgen noch daran erinnere. 

Wenn sie jetzt hier wäre, würde sie zwischen den Zähnen schräg nach hinten zu diesem Unmann zischeln, den sie sich herangezogen hat wie einen Schoßhund.  „Siehst du. Ulrich. Ich sage es dir doch. Sie ist verrückt!“ 

Es rauscht. Die Nacht ist ein Rauschen, sie bauscht sich um sie herum, hüllt sie ein. In einer Blase aus Schall schwebt sie die kreischenden Straßen entlang. Federt die Stöße ab, die Tritte, die reißenden Hände. Blitze gleiten an ihr hinunter, schwarzer Regen an ihr vorbei. „Di quì Signorina“ ruft eine Stimme, „hier entlang, schnell, es geht gleich los“. Sie klettert auf die Lore, gezogen von starkbraunen Armen. „Su prendi, los, nimm und verkleide dich!“ Eine gesichtslose Stimme reicht ihr das grellbunte Kopftuch. Sie knotet es fest in ihr Haar, dieses neue zufällige Leben. Drei Tage vier Nächte, und die Zwangsarbeiter sind wieder daheim, irgendwo in Italien. Sie, die verkleidete Fremde, mitten unter ihnen. Alle verabschieden sich lachend und zum Leben erschöpft. Da steht sie allein auf der Piazza in einer unbekannten Heimat. Geflohen gelandet gestrandet. „Ehi Signorina!“, ruft die Zukunft verheißungsvoll, und sie geht ihr schnell hinterher, durch die alten Arkaden.

„India, du schon wieder? Möchtest du einen caffé? Ich hab grade frischen gemacht. Heiße Milch? Setz dich doch.“

Ah, dieser Blick. Du kommst nicht als Gast, sondern als Aufpasser! Wie war das gestern? Alligator! Kannst gleich wieder gehen! 

„Mama! Deine Nachbarin hat angerufen. Erst kamen Rauchschwaden aus deiner Wohnung, dann lief das Wasser den Balkon hinunter. Mama? Mamaaaaaaa? Um Gottes Willen! Was MACHST du da? Ach, ich bitte dich! Natürlich hab ich auch schon mal die Milch anbrennen lassen. Aber dieser Topf ist durchgeschmort. Und wie viele Eimer voll Wasser hast du ausgegossen, über dem Herd? Wie bitte? Du wolltest bei der Gelegenheit gleich den Fußboden waschen? Ach…“ 

Der nasse Lappen klatscht auf den Boden. Tränen verwackeln den Ton. „Oh, Mama!!! 

Nein. DU hörst mir jetzt zu. Das ist NICHT normal, Mama. Das passiert NICHT jeden Tag und NICHT jedem. Mama! Bitte. Sei doch vernünftig. So geht das nicht weiter. Ich will dir doch nur helfen. Nein. Du bist nicht verrückt. Nein, ich will dich nicht einweisen lassen. So einfach geht das auch gar nicht.“ Leise, zu sich: „Leider.“

Mama bleib da. Mama wo rennst du hin? Mama es ist kalt draußen! Ich WILL sie nicht mehr hören. Diese Bevormundung! Ich bin im Aschenregen durch das qualmende Berlin gelaufen. Barfuß. Und dann in einem offenen Viehwagon über die Alpen gefahren, mit Wildlederpumps an den Füßen und einem Strickjäckchen über dem Seidenkleid. Kälte? Die Kälte, die mich hier verbrennt, kommt aus Indias Augen. So leblos. So lieblos. Mein Kind? Wahrscheinlich wurde sie im Krankenhaus vertauscht, gleich nach der Geburt. Wir haben uns eigentlich nie verstanden. 

Diese kommunistischen Ideen von Umverteilung und Gütergemeinschaft! Wegnehmen will sie mir alles, was ich habe. Meine Wohnung, mein Geld. Und mein Leben! Aber das kriegt sie nicht. MICH kriegt sie nicht. Ich bin zu schnell für sie, auch noch mit fünfundachtzig. Sie findet mich nicht. 

Aber jetzt ist mir kalt. Ob ich schon zurück kann? Wo genau muss ich hin? Hier war ich noch nie! 

Freundlich bestimmend zu einer Graublonden mit Einkaufskorb: „Entschuldigung? Können Sie mir den Heimweg zeigen? Sie kennen mich doch? Ach, tut mir leid. Ich habe Sie verwechselt. Neineinein, alles ok. Nein, ich sage Ihnen doch…. ich… suche nur meinen… (lass dir was einfallen!)… meinen Hund!“ 

Beruhigend zu dem kopfroten Jogger: „Ja, meinen Hund. Wie er aussieht? Na, wie ein Hund, eben. Dort drüben? Danke! Ja, er ist mir weggelaufen. Nein, er darf keine Jogger anbellen. Da IST er ja! Na komm, du Schöner! Komm her zu mir.“ 

Beschwörend geflüstert zu dem großen stillen Hund: „Komm, wir müssen jetzt beide so tun, als seien wir alte Bekannte. Das SIND wir doch auch! Jetzt erkenne ich dich! Wir sitzen im selben Boot. Du bist Argo, mein schwarzer Freund. “

Buonasera, signorina, buonasera….. Jukeboxkitsch, transozeanischer. Flattert in den Südensonnenuntergang, wispert in ihr Sommerohr. Bella vita in maßgeschneiderten Kleidern, und die Männerwelt rollt ihr die Teppiche aus zwischen Bari und Napoli. Das Blondhaar, die Goldhaut – „ma che angelo, was für ein Engel!“ Sie flirtet und bleibt ganz bei sich. Hebt sich auf. Hebt den Blick: „Buonasera!“ Diamantenes Meer, vergossener Himmel, Mittagslichtstaub streift das kühle Parkett. Als Verlobungsgeschenk keine Kette, kein Ring – ein schwarzes Fellbündel legt er ihr ins lustweiche Bett. Sie lieben sie schlafen sie schlagen. Dann, irgendwann, ist es Winter geworden, aus dem Schrank gähnt nur das Holz, dunkelleer. Daneben zwei Koffer, abfahrtbereit. Weiße Laken auf Sesseln und Betten, vor den Fenstern die Läden auf Monate verschlossen. Und sie spult ihre Reise zurück, erst den Apennin dann die Alpen und schließlich die graue Stadt. Trümmerentleert, existenzenbefüllt. Sie ertastet die Straßen am Ende des Traums. Einsam vielleicht, aber nicht mehr allein. An der linken Hand India, in der rechten die Leine. 

„Mama, jetzt sei doch vernünftig! Du hättest tot sein können. Wenn sie Ulrich nicht in der Kanzlei erreicht hätten, wenn er dich nicht abgeholt hätte, dann wärst du inzwischen wahrscheinlich erfroren! Wo wolltest du überhaupt hin?“ 

Leise, seitwärts: „Ulrich, jetzt sag doch auch mal was! Mama, bitte. Das ist Wahnsinn! Du kannst doch nicht im Ernst glauben, dieser Hund hier sei Argo! Argo ist seit Jahrzehnten tot! Genau wie mein Vater! Tot. Nicht abgereist. Nicht verschollen. Tot. Überfahren. Alle beide. In Italien. Das weißt du doch, Mama. Mama! Komm, trink eine Tasse Tee. Du hast ganz kalte Hände. Ach, Mama. Ich will dich nicht schlagen, ich will dich nur streicheln. 

Ganz leise: Mama, ich liebe Dich!

Ganz laut: Au! Mama, bitte! Jetzt sei doch VERNÜNFTIG. Du kannst den Hund nicht behalten. Wir müssen ihn abgeben. Im Tierheim. 

Ulrich! Jetzt hör doch mal auf, du machst ihr nur Angst! 

NEIN Mama. Ulrich hat das nicht so gemeint. Wir geben dich nicht im Irrenhaus ab. Das gibt es nicht mehr. Und selbst wenn. Mama, ich liebe dich doch. Ich will dir nur helfen. Und Ulrich auch. Ulrich? Ulrich!“ 

Hinter dem Türknall her: „Ulrich, du Idiot! Warte! Mensch, fährt der einfach weg. Na egal. Besser isses. So, Mama, jetzt noch mal ganz in Ruhe. Der Hund muss weg. Und du solltest dir vielleicht mal eine Auszeit nehmen. Es gibt doch so schöne Kurorte. In Ungarn, zum Beispiel. Ganz günstig! Mama? Mama!“ 

Leise. Verzweifelt. Fragend. „Wo BIST du?“

Komm, Argo. Das hat alles keinen Zweck. India ist eigentlich ein liebes Mädchen, weißt du? Aber sie vermisst ihren Vater. Er hätte nicht wegfahren dürfen, Hals über Kopf. Sie war noch so klein. Sie ist ihm so ähnlich. Wir haben uns nie wirklich verstanden. Wie schade! Aber du, Argo, du bist etwas ganz Besonderes. Wir zwei verstehen uns prächtig. Jetzt machen wir es uns richtig schön. 

Zum Taxifahrer: „Wir wollen in ein feines Hotel mit einem guten Restaurant. Eines mit Seeblick, in dem auch Hunde erlaubt sind. Sie kennen sich ja aus. Wir vertrauen Ihnen.“ Stimmt’s, Argo?

Oben ist unten und unten ist weit. Endlos weit. Sie zieht ihre Kreise aus blauem Samt. Schwimmt ohne Netz, schmeckt das Sonnengeflirr, riecht die Wärme, hört die Wolken reisen. Argo schwimmt neben ihr, weichschnäuzig, schwarz. Unbesorgt unumsorgt atmet sie leicht in die Zukunft. Und hinten ganz hinten am Himbeerhorizont steht ER und zieht sacht an der Linie. Da stülpt sich der Himmel nach innen.

Der Adventskalender-Minikrimi vom 7. Dezember


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Liebe Leser*innen,

heute präsentiere ich Ihnen froh einen MiniKrimi meiner Autorenkollegin Rosemarie Schmitt. Wir sind wahrlich Schwestern im schwarzhumorig-literarischen Geiste. Danke, liebe Rosemarie, für diese rabenschwarz tiefgründige Story.

Auch das hätte sie mir niemals zugetraut

Als sich die Trauergesellschaft in Bewegung setzte, um den letzten Weg mit der Verstorbenen von der Leichenhalle zum Grab zu gehen, zogen sich die beiden Frauen in den Schutz zweier Lebensbäume zurück.

„Kannten Sie sich?“

„Sie mich nicht.“

„Das dachte ich mir. Wissen Sie, in letzter Zeit habe ich viele Beerdigungen miterlebt, und irgendwie … na ja, ich erkenne nicht, was Sie mit denen dort verbände.“

„Das sehen Sie ganz richtig. Doch, bitte entschuldigen Sie meine Neugierde, da Sie offensichtlich nicht zu der Beerdigungsgesellschaft gehören: Was tun SIE hier?  Ich kann mir weiß Gott Schöneres vorstellen, als auf einem Friedhof zu stehen.“

„Ich bin quasi zu Recherchezwecken hier. Ich bin Schriftstellerin und arbeite an einem Roman. Was ich suche, sind Worte, die mir fehlen, Leben, die gehen und bleiben. Früher oder später weinen sie alle, manche aus Trauer, andere aus Solidarität, wiederum andere aus Erleichterung.“

Mit einem herzlichen Lächeln reichte ihr Gegenüber ihr die Hand.

„Mein Name ist Charlotte Seinsfeld, es freut mich, Sie kennenzulernen.“

„Ganz meinerseits. Ich bin Thea Kordel.“

Als habe es ein Startzeichen gegeben, schlugen beide Frauen ihre Mantelkragen hoch, zogen sich die schwarzen Filzhüte ein Stück weiter ins Gesicht und wandten sich der Angelegenheit zu, wegen der sie gekommen waren, der Bestattung einer alten Dame.

Wenn Theas Mutter zu Beerdigungen ging, legte sie stets großen Wert auf ein perfektes Äußeres. Man wurde ja dort von so vielen Leuten gesehen. Sie legte Lidschatten auf, und je nachdem, ob mit Tränen zu rechnen war, zog sie eine feine Linie mit einem Kajalstift und tuschte ihre Wimpern. Eine Maskerade, die durch Tränen zu einer perfekten Schmierenkomödie werden konnte.

 „Wissen Sie, Thea, wie alt die Verstorbene wurde?“

„76.“

 „Schreiben Sie auch, Thea?“

„Ja, ich schreibe überwiegend Kurzgeschichten. Ich liebe es, mich kurz zu fassen. Außerdem verfasse ich Essays und Kolumnen. Ich bin freie Mitarbeiterin für die hiesige Tageszeitung. Hin und wieder übernehme ich für befreundete Autorinnen die Lektoratsarbeit, so fern sie selbst publizieren und keinen Vertrag bei einem Verlag haben. Seit etwa einem Jahr arbeite ich an meinem ersten Roman

„Ihre Mutter muss sehr stolz auf Sie sein!“

„Sie hat niemals etwas von dem gelesen, was ich geschrieben habe. Es interessierte sie nicht.  Niemals wurde sie müde, mir zu sagen und zu zeigen, wie dumm ich doch sei. Noch bevor ich ein geschult wurde, waren meine Eltern sich einig, dass ich zwar zu einfältig sei, um ein Frühstücksei zu köpfen, aber man sich nicht sorgen müsse, weil ich erstens raffiniert sei und zweitens wenigstens eine ganz Hübsche. Das würde reichen, schließlich sei ich ja sowieso ein Mädchen.

Was ich mir wünschte und nie bekam, waren Bücher. Nein, so ganz stimmt das nicht, denn eines bekam ich zu meiner Kommunion und ein zweites, als ich mit 13 von einem Auto angefahren wurde und deshalb ein paar Tage in der Klinik bleiben musste.

Dass auch meine Verwandten mir niemals Bücher schenkten, lag daran, dass meine Mutter allen sagte, sie sollen keine Bücher für mich kaufen, ich wisse eh nichts damit anzufangen. Das erfuhr ich allerdings erst, als ich bereits erwachsen war.

Der Pfarrer leierte derweil: „Lasset uns beten. Herr, erforsche mich und erkenne mein Herz, prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine. Sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege. Wohin aber soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin sollte ich gar fliehen vor deinem Angesicht? …“

„Sind Sie geflohen, Thea? Geflohen vor den Erniedrigungen Ihrer Mutter? Oder holen Sie sich noch immer regelmäßig Ihre seelischen Ohrfeigen ab?“, fragte Charlotte in den Regen.

„Vor fünf Tagen wurde Mutter 76. Ich brachte ihr 200 Gramm von ihren liebsten Pralinen. Nur diese eine Sorte durfte es sein, diese mit der ganz besonders edlen Füllung .Sie steckte eine nach der anderen in ihren Schlund. Der mit Schokolade vermischte Speichel tropfte ihr vom Kinn, und sie stopfte und schmatzte. Am Ende sagte sie, ihr sei so übel und ich sei schuld, ich mit meinen fürchterlichen Pralinen. Angeboten hat sie mir keine davon, ich wisse ja, wo man sie kaufen könnte. Ich mag sie eh nicht, diese Pralinen, und meine Mutter.“

„Kommen Sie, liebe Thea“, sagte Charlotte, während sie sich wie selbstverständlich einhakte, „was halten Sie von einer heißen Tasse Tee und einem kleinen Imbiss?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, führte sie Thea mit sanftem Druck Richtung Ausgang.

„Vielleicht sollten wir Ihrer guten Frau Mutter demnächst gemeinsam einen Besuch abstatten, was meinen Sie?“

„Das haben wir bereits getan, Charlotte. Wir kommen soeben von ihrer Beerdigung.“

MiniKrimi vom 16. Dezember


Der heutige Krimi ist eine Gabe von Ina May. Ihre Krimis findet ihr hier: http://www.inamay.de Ina May ist Mitglied der Autorinnenvereinigung und schreibt Krimis, Romane, Kinder- und Jugendliteratur – und Spiele.

 

… und dann bist du tot

Nina war erst vor einigen Wochen wieder in ihre Heimat gezogen, hatte Berlin, die Großstadt mit Vergangenheit hinter sich gelassen, und war an den Ort ihrer eigenen Vergangenheit zurückgekehrt.

Es gibt Straßen, die einem unangenehm sind. Man möchte sie nicht befahren und man hat den besten aller Gründe – den Tod.

Schon die Erinnerung daran tut weh, alles in einem sträubt sich und doch muss man genau diese Verbindung nehmen, weil es irgendwann genug ist, sich selbst zu peinigen. Weil es irgendwann genug sein muss.

Seit damals war sie nicht mehr an der Stelle vorbeigekommen. Nina hätte gerne einfach nur Gas gegeben, die Augen geschlossen, bis sie den Ort des Grauens passiert hatte, aber das zählte jetzt nicht mehr. „Reiß dich zusammen!“

Die Dämmerung verdrängte mühelos einen sonnigen Herbsttag. Die Gegenwart wäre bereits morgen wieder vergessen. Wäre es doch nur auch so einfach, düstere Erinnerungen abzuhaken.

Um ein Haar hätte sie das kleine Licht übersehen und blinzelte verwundert. „Nein!“, flüsterte sie. Angst kroch über ihren Rücken und hinterließ dort eisige Kälte. Sie wurde langsamer, nahm den Fuß vom Gas.

Es konnte ein Mädchen sein, das dort aus dem Wald kam. Ein Mädchen mit seinem blauen Fahrrad… „Hör’ auf, hör’ auf!!!“

Doch es war nur der Schein einer Kerze, die unter einem Holzkreuz stand.

Wer war hier verunglückt, wer war gestorben? Das Kreuz sah so neu aus.

Nina kämpfte mit sich; weiterfahren und nicht mehr dran denken oder aussteigen, nachsehen und heute Nacht ruhig schlafen. Was völliger Blödsinn war, sie war froh, wenn sie keine Alpträume quälten.

Später würde Nina sich wünschen, sie hätte nicht angehalten, doch jetzt warf sie einen Blick in den Rückspiegel und fuhr an die Seite.  Sie würde die Autotür  offen lassen und sie könnte die kleine Taschenlampe mitnehmen, die immer im Handschuhfach lag.

Bevor sie sich auf ein wildes Gerangel mit ihren Gedanken über das Für und Wider einließ, stieg sie aus und setzte ihre Füße entschlossen auf den nachgiebigen Waldboden. Unter ihren Schuhen raschelten Blätter.

Nina knipste die Taschenlampe an. Ihr Blick fing zuerst die schöne Holzarbeit ein, bevor er weiterwanderte. In Gedanken bei Dir, stand da auf dem Querbalken. Es sah aus, als hätte jemand die Buchstaben eingebrannt.

Dann erst schaute sie auf den Namen … und das Todesdatum.

Nina Altenbeck

Geb. 26.3.1980

Gest. 24.09.2014

Nina fiel auf die Knie. Der 24.09. Morgen.

Die Autotür stand noch immer offen, die beruhigende Innenbeleuchtung aber wirkte nicht länger beruhigend. Nina sprang in den Wagen, als müsste sie jeden Augenblick damit rechnen, dass eine Hand sie zurückhielt.

Die Lampe sandte ihren Schein über den Boden und verlor sich irgendwo in der Schwärze des Waldes. Nina hatte nicht einmal bemerkt, dass sie ihr aus der Hand gefallen war.

Sie warf nur einen knappen Blick in den Rückspiegel. Die Türen verriegelten sich automatisch, als sie das Gaspedal durchtrat.

Heiße Tränen sammelten sich in ihren Augen und nahmen ihr die Sicht.

Ihr kam ein Wagen entgegen, Nina sah die Scheinwerfer, sie wusste, sie sollte nicht heulen, sonst wäre sie nicht erst am 24.09. tot, sondern jetzt gleich. – Vielleicht war es nur fair, dachte sie. Das Holzkreuz wartete darauf, das Mädchen mit dem blauen Fahrrad wartete darauf …

Aus dem hellen Mittelstreifen wurden plötzlich zwei und Nina wischte sich über die Augen. Jetzt verschwand der Streifen ganz. Sie war auf die Gegenseite geraten.

Die Lichter eines entgegenkommenden Wagens blendeten sie und im letzten Moment riss Nina das Steuer herum – ein Stück zu weit. Es krachte und sie dachte, dass sie doch erst in vierundzwanzig Stunden sterben sollte.

Der Tod war ein Lügner.

 

„Hallo?“ Die Frage drang dumpf und von weither zu Nina. Ihre Hand versuchte den Vorhang beiseite zu wischen, aber da waren lauter Spinnweben in ihrem Gesicht. Sie schrie panisch auf.

„Ganz ruhig, nur dem Auto ist etwas passiert.“

„Ich lebe“, sagte Nina. Na klar, sie wäre ja erst im Laufe des morgigen Tages an der Reihe. Fast hätte sie gelacht.

„Ein Glück“, kam die Bestätigung und Nina schaute in ein freundlich dreinblickendes Männergesicht. „Ich möchte derjenige sein, der dich beim Sterben begleitet.“

Nina glaubte im ersten Moment, sich verhört zu haben.

„Ich habe lange nach dir gesucht. Und dann warst du plötzlich da“, sagte derjenige mit düsterer Erleichterung.

Es war also soweit. Das Bild verfolgte sie seit damals. Das Mädchen mit dem blauen Fahrrad. „Es war ein Unfall“, versuchte sie sich zu verteidigen. „Ich habe sie nicht gesehen. Sie kam vor mir aus dem Waldstück, tauchte plötzlich auf. Es tut mir leid… Bitte…“ Aber Nina wusste, er würde ihr nicht glauben.

„Sie hieß Marie. Du hast meine Tochter dort am Waldrand sterben lassen. Allein.“

Der Tod würde Nina morgen erwarten, sie würde ihn überraschen, denn in ihrem persönlichen Kalender strich sie bereits die Tage ab – der Krebs hätte noch ein bisschen länger gewartet.

Sturz ins Bodenlose


Sturz ins Bodenlose

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Sturz ins Bodenlose

Es sollte ein Neuanfang werden. In einer neuen Stadt, mit einem neuen Job und einer neuen Liebe. In München wollte Iva Brenner alles hinter sich lassen, den despotischen Vater, den Krebstod der Mutter, die gescheiterte Ehe. Aber dann holt sie die Vergangenheit ein. Und in der trügerischen Idylle des Landsberger Sommers durchlebt Iva ihren ganz persönlichen Psycho-Thriller.

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Und noch etwas: Keine Angst vorm dicken Schmöker: es ist ein KURZ-Krimi 🙂 !