Adventskalender MiniKrimi am 16. Dezember


Heute freue ich mich sehr, einen kurzen und sehr unterhaltsamen Krimi meines Autorenkollegen Jörg Luzius zu präsentieren. Wenn Ihr genauso viel Spaß daran habt wie ich, dann schaut unbedingt auf der Weibseite seiner Gabriel Gilmore-Reihe vorbei. Dort findet Ihr mehr garantierte Lesefreude.

DER ÜBERFALL

Lady Milford war bisher noch nie überfallen worden und deshalb auf dieses Ereignis auch in keinster Weise vorbereitet gewesen. Zudem trug sie die falschen Schuhe. Nicht, dass sie gewusst hätte, welches Schuhwerk der Situation angemessen gewesen wäre, sie hatte für den Abend jedoch eine Einladung ins Theater erhalten, und zu einem derartigen Anlass wählte sie für gewöhnlich ihre roten Pumps. Da diese jedoch denkbar ungeeignet waren, um damit die Flucht zu ergreifen, entschloss sie sich, sich den Widrigkeiten dieses Abends zu stellen, als der bewaffnete Mann plötzlich vor ihr stand. Glücklicherweise jedoch war ihr Butler James an ihrer Seite, der als gebildeter Mann von Welt sicherlich wusste, wie man mit solch einer Situation umzugehen hatte. Noch jedoch übte dieser sich in vornehmer Zurückhaltung, schließlich hatte der Fremde mit dem Tuch vor dem Mund und der Waffe in der Hand ja das Wort ausdrücklich an Mylady gerichtet, als er gefordert hatte: „Geld oder Leben!“

Lady Milford reagierte letztlich, wie es einer Dame ihres Standes gebührte.

„Werter Herr“, sagte sie. „Wurden wir einander bereits vorgestellt?“

Der Vermummte verneinte dies.

„Dann sollten wir das sofort nachholen, ehe wir in geschäftliche Verhandlungen eintreten!“

Ihr Blick ließ keinen Zweifel daran, dass sie diese Formalität als unabdingbar erachtete.

Sie wandte sich an ihren Begleiter: „James, würde Sie die Freundlichkeit haben, mich mit diesem Herrn bekannt zu machen?“

„Selbstverständlich Mylady!“

Der Butler trat vor den Fremden hin und sagte:

„Dies ist Lady Milford. Von den Milfords zu Monkton – nicht etwa vom Zweig der Arlington-Milfords, wie oft fälschlicherweise angenommen wird.“

Der Fremde bedeutete ihnen, dass er diese Feinheit im weiteren Verlauf des Überfalls gebührend berücksichtigen werde.

„Und mit wem haben wir das Vergnügen?“

Der Mann schien daraufhin peinlich berührt. Er entschuldigte sich mehrmals, dass er ihnen seinen Namen leider nicht nennen könne, denn dieses sei in seinem Gewerbe nun einmal nicht üblich.

Lady Milford gab James durch ein Nicken zu verstehen, dass sie durchaus gewillt war, die gesellschaftliche Ausnahmesituation anzuerkennen und nicht auf einer namentlichen Vorstellung zu bestehen. Schließlich war sie nicht ganz so weltfremd, wie ihr oftmals unterstellt wurde.

James wandte sich wieder an den Maskierten. Da der Etikette nun genüge getan sei, könne man somit zum geschäftlichen Teil übergehen.

„Sie wünschen bitte?“

„Geld oder Leben!“, wiederholte der Angesprochene daraufhin seine Forderung. Er konfrontierte sein Gegenüber diesmal weit weniger schroff mit seinem Begehr, als er es noch beim ersten Mal getan hatte. Nun, da man gesellschaftlich einander nähergekommen war, hielt er seinen üblichen Geschäftstonfall wohl für nicht mehr ganz angebracht.

Lady Milford nahm dies mit Wohlwollen zur Kenntnis.

„Ich nehme an“, entgegnete James, „Sie meinen das Geld von Mylady.“

Der Vermummte bestätigte dies.

„Und somit auch deren Leben? Denn eine derartige Verpflichtung steht nicht in meinem Dienstvertrag.“

Lady Milford gab James zu verstehen, dass sie im Falle einer gewaltsamen Auseinandersetzung nicht auf den Opfertod ihres Angestellten bestehen würde. Dieser zeigte sich darüber zutiefst erfreut und wandte sich wieder an den Räuber: „Welche Summe schwebt Ihnen in etwa vor?“

Der Mann schien kurz zu überlegen und sagte dann fast zaghaft: „Für gewöhnlich bestehe ich ja auf allem, was die von mir Überfallenen bei sich tragen. In Anbetracht unserer besonderen gesellschaftlichen Beziehung jedoch, würde ich mich mit der Hälfte des Bargeldes von Mylady sowie den Ohrringen zufriedengeben.“

„Leider führt Lady Milford niemals Bargeld mit sich. Nehmen sie auch Kreditkarte oder Verrechnungsschecks?“

Dies sei leider aus Gründen möglicher Rückverfolgung nicht möglich, erklärte der Vermummte und drückte sein tiefstes Bedauern aus. Er würde dann allerdings neben den Ohrringen auch noch auf der Halskette bestehen müssen.

„Diese Kette ist ein Erbstück von Myladys verstorbener Großtante. Sie kann sie Ihnen unmöglich überlassen. Sie würde ihnen aber stattdessen ihr Diamantarmband anbieten.

Lady Milford hob den Arm leicht an, so dass der Schmuck an ihrem Handgelenk im Licht einer Straßenlaterne sichtbar wurde. Der Dieb trat einen Schritt näher, holte eine Juwelierlupe hervor und begutachtete das Stück. Schließlich zeigte er sich einverstanden. Die Beute wurde ihm daraufhin regelkonform ausgehändigt. Anschließend versicherte man einander, dass man mit der gegenseitigen Geschäftsbeziehung äußerst zufrieden sei.

Lady Milford beteuerte dem Unbekannten, dass es ihr eine Freude gewesen wäre, von ihm überfallen worden zu sein. Leider könne sie ihn nicht an ihre Freundinnen weiterempfehlen, da er ihr weder Namen noch Anschrift genannt habe.

Da könne man nichts machen, entgegnete dieser, aber so sei das nun einmal in seinem Gewerbe. Anonymität und Verschwiegenheit wären das A und O.

Mit einer Verbeugung verabschiedete er sich. Er wollte sich bereits abwenden und friedlich seiner Wege ziehen, da wandte er sich unvermutet noch einmal um. Es sei ihm äußerst peinlich, setzte er an, und normalerweise täte er so etwas auch nicht – aber da er an diesem Abend kein Bargeld erbeutet hätte, könne er nun das Taxi zu seinem Hehler nicht bezahlen, der ihn bereits mit der Beute erwarte. Ob James ihm nicht vielleicht mit 5 Pfund für den Bus aushelfen könne. Er nehme sonst niemals Geld von hart arbeitenden Angestellten, aber die Situation …

Der Butler nickte verständnisvoll. Als Proletarier müsse man einander schließlich solidarisch zur Seite stehen. Er zählte dem Mann die Münzen auf die Hand. Dieser bedankte sich wortreich und zog sich alsdann zurück in den Schatten, aus dem er gekommen war.

„Ein reizender Mensch!“, sagte Lady Milford. „Da werden die Damen vom Bridge-Club vor Neid erblassen, wenn ich ihnen von diesem Abenteuer berichte.“

Zufrieden machte sie sich wieder auf den Weg, und James ging ihr in gebührendem Abstand hinterher.

Adventskalender MiniKrimi am 7. Dezember


Habt Ihr den Nikolaustag gut verbracht? Ich hoffe, es war so viel los bei euch, dass Ihr die Fortsetzung von Cop Orange nicht vermisst habt. Übrigens: was hat es mit dem Titel auf sich, warum steht da „orange“?

Gestern war „Kind“ angesagt. Wir hatten viel Gemeinsamzeit, und dann habe ich ihn mit zum Flughafen begleitet. Das erste Mal so weit und so lange weg von allen und allem. Ich hoffe, er hat sehr viele sehr schöne Erlebnisse und Momente und kommt erfüllt zurück.

Aber jetzt geht*s weiter mit

Cop Orange

Leise vor sich hin schimpfend steigt Arne aus. „Machen Sie mal den Kofferraum auf!“ „Was? Wieso? Was soll denn…“ Die Beamtin zückt ihr Mobiltelefon und schickt sich an, eine Nummer zu wählen.


„Jaja, Moment.“ Mit klammen Fingern drückt Arne auf die Fernbedienung. Der Kofferraumdeckel hebt sich. „Was haben wir denn da? Was ist in dem Aktenkoffer?“

„Ich wüsste nicht, was Sie das angeht!“ Arne wird plötzlich kämpferisch. Vielleicht liegt es am Alkohol, vielleicht an der Kälte. Vielleicht ist er auch einfach müde und hat die Situation satt. „In einer Verkehrskontrolle entscheidet die Polizei, was sie etwas angeht und was nicht“, belehrt in die Beamtin. Sie ist nicht mal unfreundlich. Schade, dass er ihr Gesicht nicht erkennen kann. Bleibt sie absichtlich im Schatten?

„Aufmachen!“ befiehlt sie jetzt, „na los, wird’s bald!“ Arne beugt sich in den Wagen und nestelt am Verschluss des Koffers. Da trifft ihn ein harter Schlag auf den Kopf. Er verliert das Bewusstsein.

3 Stunden später.

Polizeinspektion Frankfurt Seckbach. Arne ist verzweifelt.

„Glauben Sie mir nicht, oder was? Sie werden ja wohl nicht denken, dass ich mir selbst mit einer Flasche Glühwein auf den Kopf gehauen habe. Ich sage doch, das war eine Kollegin von Ihnen. Sie hatte so eine Kelle für die Verkehrskontrollen. Und sie hatte eine Polizeimütze auf. Nein, ich sag Ihnen doch, sie war die ganze Zeit im Dunkeln, ich konnte das Gesicht nicht sehen. Nein, keine Ahnung, wie sie hieß. So, wie die drauf war, wollte ich sie bestimmt nicht nach ihrem Namen fragen.

Wie – heute gab es in Seckbach gar keine Verkehrskontrolle? Sie meinen wohl, ich hab‘ das geträumt? Und wer hat mir dann die Tageseinnahmen aus dem Koffer geklaut? Ja, schon klar, eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus…

Was soll ich machen? Eine Anzeige gegen Unbekannt? Ich weiß, was ich mache. Ich gehe an die Presse. Das mache ich! Was? Das wollen wir ja mal sehen, ob die mir nicht glauben. Ich bin sicher, die Zeitung mit den vier Großbuchstaben interessiert sich dafür!“

Flughafen Rhein-Main. Zwei Frauen Mitte Dreißig, die eine, Sina, hat kurze braune Haare, die andere, Susi, lange blonde. Sie haben die Sicherheitskontrolle passiert und steigen jetzt in ihren Flieger nach Bangkok.

Sina: „Ich kann’s noch gar nicht fassen, Susi. Es hat geklappt! Wir sind FREI!“

Susi: „Wahnsinn, geht mir genauso. Hast du ‘ne Ahnung, wieviel Schiss ich hatte, als ich den Typen angehalten habe? Ich dachte, der checkt das sofort, gibt Vollgas und fährt mich über den Haufen!“

Sina: „Dein Plan war perfekt. Alles bis ins kleinste Detail vorbereitet, und dann nur noch auf den richtigen Augenblick gewartet. Aber als du mich dann angerufen und gesagt hast, dass es losgeht, da war mir plötzlich komplett komisch. Plötzlich wusste ich nicht mehr, wo Patrick die Kelle hingelegt hatte.“

Susi; „Ich habe Gernots Mütze auch beinahe nicht gefunden. Er setzt sie ja praktisch nie auf, aber ich musste so lange suchen, ich dachte, ich schaffe es nicht mehr, bei dir die Kelle zu holen und rechtzeitig in Seckbach zu sein. Und dann musste ich noch ‘ne Stunde warten, bis der Typ endlich aufgekreuzt ist. Meinst du, unsere Männer checken, dass ihnen eine Kelle und eine Mütze fehlen und dass wir die geklaut und bei einem Überfall benutzt haben?“

Sina: „Keine Ahnung. Eher nicht. Dazu sind sie zu sehr von sich eingenommen. Egal. Wir haben‘s hinter uns. Ab jetzt ist entspannen angesagt. Und chillen. Und Party. Vielleicht.“

Susi: „Vielleicht. Aber diesmal passen wir genau auf, um nicht wieder an Typen wie unsere Ehemänner zu geraten. Wenn mich nochmal ein Mann anfasst – frühestens, wenn die letzten blauen Flecken, die Gernot mir verpasst hat, unter der Bräune verschwunden sind -dann nur, um mich zu streicheln. Sonst verpass ich ihm gleich eine, dass er weiß: diese Frau wird nicht misshandelt.“

Sina: „Jetzt hast du ja Übung darin, ’nem Mann einen überzuziehen. Damit hättest du viel früher anfangen müssen.“

Willkommen an Bord des Lufthansa Flugs 772 nach Bangkok. Ich bin Ihr Kapitän, mein Name ist Luisa Wolf, tönt es aus dem Lautsprecher.

Sina: „Eine Pilotin. Unser zweites Leben fängt supergut an.“

Frankfurt Höchst. Zwei Männer sitzen in einem Wohnzimmer, vor sich zwei Flaschen Henninger Bier. Sie schauen sich immer wieder an und schütteln die Köpfe. Ratlos.

Gernot: „Was machen wir jetzt? Meinst du, der Überfall auf den Typen hat was damit zu tun, dass wir am Nachmittag genau bei dem Juwelier waren wegen dem Ladendiebstahl?“

Patrick: „Kann ich mir gar nicht vorstellen. Woher sollte die Frau mit der falschen Verkehrskontrolle denn wissen, dass wir dem Filialleiter geraten hatten, die Tageseinnahmen mitzunehmen?“

Gernot: „Und dass die wie ‘ne Polizistin aussah? Ist das etwa auch Zufall?“

Patrick: „Was sonst?“

Gernot: „Mein Handy ist manipuliert worden. Vielleicht hat jemand alles mitgehört.“

Patrick: „Du schaust zuviel CSI.“

Gernot: „Und wo sind unsere Frauen? Hast du mal nachgeschaut, ob deine Ausrüstung komplett ist? Bei mir fehlt die Mütze.“

Patrick: „Du meinst, Sina und Susi? Die sind doch viel zu blöd für sowas. Außerdem haben wir die doch extra ins Wellness Wochenende in den Taunus geschickt, damit wir in Ruhe pokern können. Ich hoffe, du hast genug Geld dabei!“

Gernot: „Als mir das letzte Mal die Hand ausgerutscht ist, hat Susi gesagt: das machst du nie wieder. Oder ich mach dich fertig. Vielleicht stecken die zwei wirklich dahinter. Und was machen wir dann?“

Patrick: „Nichts! Oder willst du deinen Beamtenstatus und den Job verlieren? Wenn sie die Kelle und die Mütze jemals finden, können wir immer noch sagen, dass sie uns gestohlen wurden. Aber so dumm sind die Mädels sicher nicht. Wir haben sie einfach die ganze Zeit unterschätzt. Vor dem Typen brauchen wir keine Angst zu haben. Dem glaubt eh keiner. Und das geklaute Geld? Der hat bestimmt ‘ne top Versicherung. Nee, nee, wir halten schön still. Aber was machen wir mit Sina und Susi, wenn sie aus dem Urlaub zurückkommen?“

Gernot: „Zurückkommen? Du glaubst wohl noch an den Weihnachtsmann? Sieh*s mal positiv. Keine Scheidung, keine Verluste. Sollen die zwei mit dem Geld glücklich werden, solange es geht. Das sind eh die klassischen Opfer. Die haben in null Komma nix wieder den nächsten Herrn und Meister an der Backe.“

Wenn er sich da mal nicht täuscht.