Kein Adventskalender MiniKrimi am 12. Dezember


Heute schreibe ich keinen Krimi. Heute schaue ich auf die Welt. Die kleine, um mich und um uns herum, und die große. Was da passiert, tagtäglich, ist mehr Krimi als alles, was ich schreiben kann.

Deshalb habe ich eine Frage an euch und bitte euch um eine offene, ehrliche Antwort.

Die Klimakonferenz in Dubai bringt keine Verbindlichkeiten. Daran wird auch die Verlängerung nichts ändern. Die Politiker*innen tun so, als sei die prognostizierte Erderwärmung um drei Grad nichts, was sie und ihr Handeln konkret betreffen würde. Inselbewohner berichten vom Untergang ihrer Heimat. Junge Menschen haben Angst um ihre Zukunft und wissen sich nicht anders zu helfen, als sich auf Hauptverkehrsadern festzukleben. Dürre und Überschwemmungen überall – aber „nur“ in den armen Ländern sterben die Menschen zu Tausenden – oder flüchten dorthin, wo keiner sie haben will.

Der Konflikt im Nahen Osten bringt Unschuldigen Tod, Leid und Not. Es profitieren diejenigen, die selbst keinem Terroranschlag zum Opfer fallen, die keine Bomben ertragen, die weder hungern noch dürsten. Diejenigen, denen es nicht um Frieden in der Region geht, sondern um die Verfolgung ihrer eigenen Ziele. Um den Erhalt oder den Ausbau ihrer Macht. Und sie sitzen nicht nur in Israel, in Gaza, im Libanon. Sie sitzen im Iran, in Saudi-Arabien, Russland und den USA.

Krisenmodus ist das Unwort des Jahres. Krisen gab es doch schon immer? Ja, doch sie passierten in für uns komfortabler Entfernung. Das hat sich geändert. Der Krieg in der Ukraine führt bei uns zu spürbaren Konsequenzen. Die Geflüchteten, deren Leben und Sterben in ihren Ländern eine einzige Krise ist, überrennen uns. Unwetter mit Hitze, Gewitterstürmen und Überschwemmungen im Sommer, mit Schneechaos im Spätherbst. Dazu eine „unfähige“ Regierung, unfähig, weil die Medien sie dazu machen und sich damit, der Auflage wegen, als Sprachrohr für zersetzende Kräfte hergeben.

Das ist, neben der bedrohten Umwelt, in meinen Augen die größte Krise. Das Wiedererstarken nationalistischer, ich sage faschistischer Kräfte. Überall, aber auch bei uns. Eine Freundin von mir berichtete gerade von entsetzlichen antijüdischen Schmierereien an den Wänden ihrer kleinen Stadt. In den sozialen Medien lese ich tagtäglich schmutzige Hetze gegen Juden, gegen Moslems, Menschen mit nicht weißer Hautfarbe, LGTBQ, gegen „Linksversiffte“ und Menschen, die sich impfen lassen, egal wogegen. Bedenklich stimmt mich auch, dass, während die Kirchen offenbar immer mehr an Bedeutung zu verlieren scheinen, gleichzeitig auf TikTok, Instagram & Co. die Christfluencer ihr Unwesen treiben. Ja, die Zeiten sind unstet, und ja, Menschen suchen nach Halt. Doch während Kirchen diesen geben könnten, und zwar unter dem Vorzeichen von Toleranz und Liebe, wenden sich Alte und Junge den Schreiern zu, den Demagogen, denen es nicht um ein Miteinander geht, nicht um Versöhnung und Dialog, sondern darum, Menschen aufzuwiegeln und gegeneinander auszuspielen.

Warum? Ich glaube wirklich, dass es allen, die ganz bewusst Hass schüren, Missgunst, Vorurteile und Instabilität, einzig um ganz persönliche Macht geht. Politische Macht, aber auch schlicht die Macht über soundso viele „K“ Follower. Das ist unverantwortlich. Aber sie planen ja auch nicht, Verantwortung zu übernehmen.

Das ist die „große“ Welt. Und die kleine? Umfragen zeigen deutlich die Diskrepanz zwischen ökologischem Bewusstsein und einem entsprechenden Verhalten. Während ein hoher Prozentsatz der Menschen in Deutschland der Meinung ist, dass wir weniger und wenn, dann Bio-Fleisch essen, weniger mit dem eigenen PKW fahren und auf Flugreisen so weit wie möglich verzichten sollten, hat sich seit der Corona-Krise (schon wieder eine), das Verhalten der Konsumenten drastisch in Richtung ungesundes Discounter-Angebot verändert, es werden auf Teufel komm raus Billigflugreisen gebucht – und der KFZ-Bestand steigt und steigt. Frei nach dem Motto: Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd andre an.

Ich nehme mich selbst da nicht aus. Täglich erliege ich einer Versuchung, von der ich weiß, dass sie vermeidbar und dazu umweltschädigend ist. Ich kaufe zu viele und zu günstige Klamotten und blende das Wissen um die Arbeitsbedingungen in den Herstellerländern aus. Ich fahre, zumal seit Corona, zu viele Strecken mit dem Auto. Fahrrad geht gar nicht. Nicht mit zwei Hunden und nicht, wenn man, wie ich, es einfach nicht kann. Aber es gäbe Alternativen. Ich könnte für größere Einkäufe einen Trolley nehmen. Ja. Müsste ich. Mache ich – noch – nicht. Es ist mir auch nicht gelungen, meinen beiden Hunden Packsättel aufzuladen. Immerhin, ich habe mir einen größeren Rucksack angeschafft. Und ich fliege aus Prinzip nicht, sondern nehme die Bahn (aber auch, weil ich Flugangst habe). Übrigens finde ich das permanente Bahn-Bashing nur bedingt sinnvoll. Es gibt nämlich auch Verspätungen, für die die DB nichts kann. Z.B., wenn, wie während meiner Rückfahrt von der Frankfurter Buchmesse geschehen, Menschen Betonklötze auf die Gleise werfen. Aber das nur nebenbei.

Ja, die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander. Auch bei uns. Gleichzeitig wächst, so erlebe ich es zumindest, die „Konsumwut“. Das schlechte Bildungssystem (hallo Pisa!) führt dazu, dass Kinder aus s.g. benachteiligten Familien schon in der Grundschule den Anschluss verlieren. Spätestens als Teenager und junge Erwachsene sind sie willkommenes Futter für Populisten. Weil sie nicht gelernt haben, komplexe Zusammenhänge zu verstehen. Weil sie sich nach einfachen Lösungen für schwierige Probleme sehnen und nicht hören wollen, was ihnen nicht behagt.

Ich glaube, der Schlüssel für die Beantwortung etlicher gesellschaftlicher Herausforderungen ist tatsächlich BILDUNG. Von sehr klein an. Das beginnt beim bewussten Essen, hört bei einem kritischen Blick auf die Konsumindustrie nicht auf und endet beim Spaß am Lernen, am Wissen. Nein, das ist KEINE Utopie. Das kostet nur Geld. Und erfordert eine Entwicklung hin zum Nullwachstum. Die Wirtschaft wird das NIE akzeptieren. Hier sind die Menschen gefragt, und als Weichensteller die Politik. Gehen würde es. Anfangen müsste man halt.

Und jetzt meine Frage: soll ich angesichts dieser Situation wirklich Krimis schreiben? Sollen, können wir Weihnachten feiern, während überall Menschen leiden, sterben? Wir, die winzige Minderheit auf der Spitze des Vulkans – dürfen wir tanzen?

Danke für Eure Antworten. Und ich hoffe, Ihr entfolgt mir jetzt nicht „in Scharen“.


Ich wünsche Euch einen guten Abend und eine ruhige Nacht.

Europa Unita. Hommage an meine visionäre Demenzphilosophin.

Eine Hand lässt eine Friedenstaube fliegen

„La cosa più importante è che l’Europa rimanga unita. Per la pace, per il benessere, non solo nei paesi europei, ma bensí in tutto il mondo.”

Zu Deutsch: Der wichtigste Garant für Frieden und Wohlstand ist ein geeintes Europa. Nicht nur für die einzelnen europäischen Länder, sondern für die ganze Welt.

Standardsätze meiner Mutter, im Lauf der Jahre unzählige Male wiederholt, bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten. Den Wahlen zum Europaparlament. Den Berichten über EU-Gipfel, deutsch-französische Gespräche, die Einführung des Euro, natürlich, und die EU-Erweiterung. Dabei beugte sie sich in ihrem Sessel vor, sah dich direkt an, ihre Stimme war frisch, voller Überzeugung und Überzeugungskraft. Sogar als sie schon so dement war, dass sie zuweilen ihren Namen vergaß, rezitierte sie mehrfach am Tag dieses Credo. „L’Europa deve rimanere unita.“

Ich konnte es schließlich nicht mehr hören. 

Ja, diese Frau hatte einen Weltkrieg durchlebt, der Europa unter Trümmern begraben hatte. Seine Menschen, seine Ideale. Der Phoenix, der sich aus der Asche eines Kontinents herausgeschält hatte, mochte sie begeistern.

Und ja, zurecht. Einheit in Vielfalt, geballtes Wirtschaftswunder – von Amerikas Gnaden zwar und auf Kosten einer halben Heimat hinter dem eisernen Vorhang. Aber immerhin. Wie im Zeitraffer spulten sich vor den Augen ihrer Generation historische Veränderungen ab. Politisch, gesellschaftlich, sozial. (Eigentlich waren es keine Veränderungen, sondern Wiederholungen, aber die erlebte Geschichte ist für jede Generation natürlich einmalig). Flüchtlinge aus den Ostgebieten, Gastarbeiter, Binnenmigranten. Reisen, Konsum, sozialer Aufstieg, mehr Konsum. „Geh’n Se mit der Konjunktur, geh’n Se mit auf diese Tour“, schallte die Nachkriegshymne aus Autoradios und Frankfurter Küchen über die rasant dahinschmelzenden Schuttberge. 

Und das alles war nur möglich, weil Europa zusammenwuchs. Davon war meine Mutter überzeugt. Denn sie hatte es erlebt. 

„La cosa più importante è che l’Europa rimanga unita. Per la pace, per il benessere, non solo nei paesi europei, ma bensí in tutto il mondo.”

Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs kam nicht der Frieden – „wir haben keinen Friedensvertrag“, auch so ein Standardsatz meiner Mutter -, sondern der Kalter Krieg. Statt zu verhandeln, wurde erst einmal aufgerüstet. Frei nach dem Motto: ein potentiell möglicher Angriff ist die beste Verteidigung, O-Ton meine Mutter, bewaffneten sich West und Ost mit Waffen, die einen unendlichen Overkill ermöglichten.

Derweil wurde der Waffenstillstand an den Grenzen durch Kriege im Innern gesichert., Prager Frühling, RAF, Brigate Rosse. Und dann die Friedensbewegung. Atomkraft – nein danke, Gorleben, Wackersdorf und Startbahn West. 

Während der Osten Proteste niederpanzerte, wuchs im Westen eine neue Kriegsform, der Terrorismus. Von 1970 bis 2016 haben in Europa etwa 4.280 Anschläge stattgefunden. Mit etwa 9.200 Todesopfern In den dreißig Jahren vor der Jahrtausendwende. Nordirland, Spanien, Italien –   lange vor den islamistischen Terrorkommandos hatten ethno-nationalistische Gruppen diese Kriegsform für sich adoptiert. 

Wie konnte meine Mutter da von „Frieden“ sprechen? Weil Europa zum ersten Mal so sehr geeint war. Wirtschaftlich und politisch. Trotz ihrer Demenz erkannte meine Mutter im neuen Jahrtausend die Risse. Und warnte. 

Hat Putin den Zeitpunkt für seine Aggression gegenüber der Ukraine gewählt, als die Einheit Europas zu bröckeln begann? Ist die EU zu schnell gewachsen? Oder ist sie gewachsen, ohne dass die Länder genug einende, verbindende Strukturen, Konzepte, Visionen hatten? War die Hoffnung auf wirtschaftlichen Fortschritt und Sicherheit im Schatten der Nato nicht genug? War noch zu viel Warschauer Pakt in der DNA der neuen Staaten? Fakt ist, innerhalb Europas wuchsen die Unstimmigkeiten. Arbeits- und Armutsmigration, „Flüchtlingsansturm“, neu aufkeimender Rassismus, Grenzschließungen, Erstarken des Ethno-Nationalismus. Letzteres keineswegs nur in der Ost-EU, sondern ebenso in Frankreich, Italien, Deutschland etc. Brexit und Covid-19 schließlich versetzten Europa einen Stoß, der die Einheit in gefährliche Schieflage brachte. 

Das ist der ideale Moment, um damit zu beginnen, mit den Demokratiebestrebungen im Umfeld Russlands dauerhaft aufzuräumen. Denn Putin will vielleicht einen breiteren Zugang zum Schwarzen Meer, aber er will vor allem nicht von aufkeimenden Demokratien umgeben sein. Deshalb wird er seinen Feldzug nicht stoppen wollen. Er hat mit wachsendem Widerstand in seinem Land zu kämpfen. Er hat den Kontakt zur Jugend weitgehend verloren. Und zu vielen Bevölkerungsschichten ebenfalls. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist immens. Die Armen glauben der Regierung nicht. Sie lassen sich nicht impfen (Impfquote bei ca. 25%), weil sie vermuten, der Impfstoff sei vergiftet. Sie misstrauen sogar russischem Wodka, aus demselben Grund. Ein Heer von Arbeitsmigranten aus den ehemaligen Sowjetrepubliken haust unter unmenschlichen Bedingungen im Land, ausgebeutet und verachtet, Parias der Gesellschaft. Die Zahl der Straßenkinder wächst. Sie fliehen vor Missbrauch, Schlägen, unzumutbaren Wohnverhältnissen – oft 3 Generationen in einem Zimmer, alkoholisierte Eltern – auf die Straßen, nehmen Drogen, prostituieren sich, verkaufen ihre Organe. Nein, das ist keine Übertreibung. Leider. 

Wir fragen uns: was hat Putin davon, der Mächtigste in einem Land der Machtlosen, der Hoffnungslosen zu sein? Ich habe keine Antwort darauf. Außer, dass er ein Mensch mit einer großen psychischen Verletzung ist, der sich „vom Westen“ missachtet fühlt und um sich schlägt, einfach, weil er es kann. Nur, dass seine Schläge tödlich sind. Für die Menschen in der Ukraine, für seine Soldaten, und, sollte er seine Waffen ändern, für weite Teile der Welt. 

Wir fragen uns: wie kann man diesen Wahnsinnigen stoppen? 

Ich habe keine Antwort darauf. Aber ich höre meine Mutter: „La cosa più importante è che l’Europa rimanga unita. Per la pace, per il benessere, non solo nei paesi europei, ma bensí in tutto il mondo.” Vielleicht ist das der Ansatz einer Antwort. Wenn nicht nur Europa, sondern weite Teile der Welt zusammenstehen, schrumpfen Kleptokraten wie Putin auf ein Maß, das bekämpft oder einfach unschädlich gemacht werden kann.

Dass China sich im UN-Sicherheitsrat bei der Resolution enthalten hat, ist meines Erachtens ein Zeichen dafür, dass die so genannte Volksrepublik nicht um jeden Preis hinter Putin steht. Einmal, weil sie in ihrer Nähe keinen – weiteren – Diktator braucht. Zum anderen aber, weil sie auf einen finanzstarken Westen angewiesen ist, denn Chinas Waffe ist der Handel. 

Ja – es stimmt. Im Grunde genommen hat die Aufregung, in die die Menschen in Europa sich seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine versetzt haben, durchaus eine zynische, sogar makabere Note. Denn die Welt brennt in vielen Teilen. Und fast täglich werden UN-Konventionen verletzt. Sterben Menschen. Fliehen, werden verfolgt. Oft haben „wir“ an den Ursachen einen Anteil. Der Balkankrieg wurde lange vom Westen nicht wahrgenommen. Was im Nahen Osten passiert, wird kommentiert, was sich in Afrika tut, erreicht oft nur die Randnotizen der Nachrichten. 

Nun hat der Krieg unsere Haustür erreicht. Gut, das wir aufwachen. Besser wäre es, wenn daraus Konsequenzen gezogen würden, und zwar das gesamte politische und wirtschaftliche Handeln. Krieg ist immer schrecklich, egal, wo er stattfindet. 

Das war es, was mich an der Äußerung meiner Mutter so störte. Dieses Betonen der EU. Aber – sie hatte Recht. Denn ein gerechtes, geeintes Europa sollte ein Zeichen sein und Zeichen setzen für eine gerechte Welt. 

Ein anderer Lieblingssatz meiner Mutter war: Change it, leave it or love it. Also, Mum: I had a dream. I have a dream. Let’s dream it all. Let it get real.