MIniKrimi Adventskalender am 1. Dezember


Die Mischung macht’s

Julius

„Ich weiß wirklich nicht, was er hat,“ denkt Julius. Mit „er“ meint er seinen Partner, Max. Eigentlich ist er mehr als sein Partner. Er ist sein bester Freund. Einer, mit dem Julius durch dick und dünn geht. Für den er sogar sein Leben riskieren würde. Wahrscheinlich. Deshalb schmerzt die Kluft, die sich seit zwei Wochen zwischen ihnen aufgetan hat, so sehr. Um so mehr, als Julius nicht wirklich versteht, welches Problem Max mit ihm hat.

„Du hast dich Bella gegenüber nicht nur falsch verhalten, du hast sie in eine furchtbare Lage gebracht, eine, aus der sie nie wieder rauskommt. Das ist unverzeihlich!“ Noch nie hat Max ihn so angeschrien. Julius ist verstört. Zunächst hat er versucht, seinen Partner zu beschwichtigen. Mit den üblichen Tricks, von denen er eine ganze Menge auf Lager hat. Schuldbewusster Blick. Stummes Nicken. Dann, nach einer angemessenen Pause, ein freundlich kumpelhafter Stups. Eine hoffnungsvolle Aufforderung: „Ok. Du bist sauer. Aber sind wir jetzt wieder gut? Beste Freunde?“

„Nein, Julius, so leicht kommst du mir diesmal nicht davon. Lass mich einfach mal in Ruhe. Ich muss nachdenken. Darüber, wie es mit uns weitergeht.“ Dieses Nachdenken dauert nun schon fast zwei Wochen. Julius schleicht durch’s Haus wie ein Schatten seiner selbst, auf Schritt und Tritt bemüht, Max nicht noch mehr zu verärgern. Das Schlimme ist: er weiß eigentlich gar nicht, warum Max sich so aufregt.

Ja. Er hat sich in Bella verliebt. Und sie sich in ihn. Die beiden kennen sich seit ihrer Kindheit. Aber jetzt sind sie erwachsen. Und da ist es halt passiert. Es gehört doch dazu, zum Leben. Gut, dass Bella gleich schwanger werden würde, damit hat Julius nicht gerechnet.  Um ehrlich zu sein, hat er keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, in der Hitze des Augenblicks.

Und jetzt? Abtreiben kommt offenbar nicht in Frage. Und selbst wenn – Bellas Zukunft ist durch diese Schwangerschaft kompromittiert. Ihr ganzes weiteres Leben ist in Frage gestellt. Sagt Max. „Das ist mir zu hoch“, denkt Julius.

Und überhaupt: Im Grunde ist es ja nicht einmal sein Problem, sondern das von Bella und ihrer Familie.

„Julius? Komm, wir gehen raus. Ich halte das hier nicht mehr aus. Weißt du was? Wir gehen auf die Jagd. In zehn Minuten sind wir an der Lichtung. Genau die richtige Zeit, uns einen Hasenbraten zu schießen. Was meinst du?“ Was Julius meint? Er ist begeistert. Draußen hängt die Nacht noch zwischen den Bäumen, und die Gebäude des Hofs sind nicht mehr als dunkle Umrisse in der taugrauen Luft. Wie spät ist es? Drei, vier Uhr? Egal, Julius ist hellwach, er hat ohnehin einen leichten Schlaf. Auf die Jagd! Mit Max. Seinem Partner. Seinem Freund. Hat er sich endlich beruhigt? Wird jetzt wieder alles so wie früher?

Auf dem Weg über den Bach und den kleinen Hügel hinauf redet Max unablässig leise vor sich hin. Julius weiß nicht, ob das Gespräch überhaupt für seine Ohren bestimmt ist. „Der spinnt ja total! Fünfzig Tausend Euro! Um Bellas Zukunft abzusichern. Schmerzensgeld, sozusagen. Der Karl hat ja nicht mehr alle Tassen im Schrank! Und wie der geschaut hat, als ich im auf den Kopf zugesagt habe, wo er sich seine Forderung hinschmieren kann.“

Jetzt sind sie am Rand der Lichtung angelangt. Sie müssen sich beeilen, denn bald ist die Nachtzeit vorbei und das Schießen verboten. Da – ein Schatten löst sich von den Bäumen. Julius versucht, Max darauf aufmerksam zu machen. Aber der hat nur Augen für den Hasen, der mitten in der Lichtung sitzt. Er hebt die Flinte. Es fällt ein Schuss. Max sackt lautlos in sich zusammen. „Julius, lauf heim, schnell,“ flüstert er. Und genau das tut Julius, während rechts und links die Schrotkugeln an ihm vorbeizischen. Aber er ist zu schnell. Und entkommt.

Max

Max ist mit Weimeranern aufgewachsen. Schon sein Vater hat sie gezüchtet. Ausgezeichnete Jagdhunde. Treu und pflichtbewusst. Julius ist sein 10. Hund. Aber zu keinem hatte er ein solches Verhältnis wie zu Julius. Obwohl er erst ein Jahr alt ist, übertrifft er alle seine Vorgänger. Er ist klug, verständig, dabei zuverlässig und zärtlich. Julius würde für Max durchs Feuer gehen. Und umgekehrt. Die Menschen, die Hunden jegliche Intelligenz absprechen, haben einfach keine Ahnung. Oder keine Erfahrung.

Um so größer war die Enttäuschung, als Julius eines Abends einfach vom Hof lief und erst am nächsten Morgen wiederkam. Ausgerechnet im Jeep von Karl Wieser, dem einzigen Nachbarn in der kleinen Oberpfälzer Gemeinde, mit dem Max immer wieder aneinandergerät. „Ich hab deinen Hund bei meiner Bella im Stall gefunden“, hat Karl geschrien. „Wenn da was passiert ist – dann gnade dir Gott. Dir und deinem geilen Köter.“ Max hat noch versucht, darauf hinzuweisen, dass Hunde besser im Haus als im Stall aufgehoben sind, zumal Hündinnen während der Läufigkeit. Aber Karl hat eine völlig andere Auffassung von Tierhaltung. Für ihn sind seine Hunde nur eins: ein Mittel zum schnellen Geld. Deshalb hat er sich aufs Züchten von Labradoodles spezialisiert. Die hypen gerade ungemein, gepuscht durch unzählige „lustige“ Videos in den Sozialen Netzwerken. Seit Corona will jeder einen Hund, und am besten einen, der pflegeleicht ist. Das wird den Tieren nicht gerecht, weiß Max. Aber er weiß auch, dass er damit bei Karl gar nicht erst anzufangen braucht.

Und es kam, wie es kommen musste. Bella wurde trächtig. Ein Drama! Eine Hündin, die von einem „Dahergelaufenen“ gedeckt wurde, noch dazu von einer anderen Rasse, ist für die Zucht nämlich nicht mehr verwendbar. Karl fordert Zehntausende von Max. Die der nicht zu zahlen bereit ist. Immerhin sind Labradoodle genau genommen auch nur Mischlinge. Der Streit eskalierte. Max war wochenlang wütend auf Julius. Und auf sich. Denn im Grunde genommen ist das, was nun mal passiert ist, ausschließlich seine Schuld.

Irgendwann hat sich sein Ärger auf seinen Lieblingshund, seinen besten Freund, gelegt. Irgendwann ist heute. Er ist früh aufgewacht, lange vor Sonnenaufgang. Was gibt es Schöneres, als mit seinem Julius endlich wieder gemeinsam durch die Wiesen zu streifen und dabei vielleicht auch noch einen Sonntagsbraten zu erlegen?

Auf dem Weg durch das taunasse Gras lässt Max noch einmal das letzte Gespräch – ach was, den Streit – mit Karl Revue passieren. Mitten auf dem Marktplatz. „Ich hab mein ganzes Geld in diese Zuchthündin investiert. Ich hätte Zehntausende mit ihr verdienen können. Hätte! Alles futsch! Also, entweder, du erstattest mir das, was ich wegen dir und deinem dämlichen Köter verloren habe – oder….“ „Oder was?“ hat Max gefragt. „Oder ich leg euch beide um. Dich und deinen Drecksrüden.“ „Na dann viel Erfolg.“ Und mit diesen Worten hat Max seinen Nachbarn stehengelassen, ist zu seinem Landrover gegangen und nach Hause gefahren. Zu Julius.

Max macht sich Vorwürfe. Zwei Wochen lang hat er seinen Hund sträflich vernachlässigt. Ihn bestraft dafür, dass er seiner Natur gefolgt ist. Wenn er auf jemanden sauer sein müsste, dann auch sich selbst. Der Vorwurf, den er Karl gemacht hat, trifft auf ihn ja genauso zu. Und die ganze Zeit über hat Julius seine schlechte Laune still erduldet. Hat sogar immer wieder versucht, durch die düstere Stimmung hindurch zu Max vorzudringen. „Sorry, Alter. Ich hab‘ mich total blöd benommen. Ekelhaft. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen. Komm, wir gehen auf Hasenjagd. Nur du und ich.“

Gesagt, getan. Jetzt streifen die beiden leise und völlig synchron über die Wiese, den Hügel hinauf. Dorthin, wo die Hasen äsen.

Da sieht er auch schon ein Prachtexemplar in Schussweite seiner .22 Hornett. Er legt an – feuert – und spürt gleichzeitig, wie Schrotkugeln in ihn eindringen. Seine Ohren sausen, seine Sicht ist getrübt. Er stürzt. Im Fallen ruft er nach seinem Weimeraner: „Julius!“ Und flüsternd: „Lauf heim, schnell.“

Ein halbes Jahr später

Die Schrotkugeln von Karl haben keine lebensgefährlichen Verletzungen verursacht. Dennoch wäre Max verblutet, wenn Julius nicht schnell genug Hilfe geholt hätte. Inzwischen sind die Wunden verheilt. Zumindest körperlich. Max sitzt auf der Bank unterm Walnussbaum in der Mitte des Hofes. Die Märzluft ist mild und frühlingsleicht. Um ihn herum tollen vier ausgelassene Welpen, während die stolzen Eltern immer mal wieder mahnend knurren, wenn das Treiben gar zu bunt wird.

Die Kleinen sind nicht nur wunderschön. Sie vereinen auf geradezu perfekte Weise die Rassemerkmale von Weimeraner und Labradoodle. Die Kaufgebot überschlagen sich, und mehr als einmal fragt sich Max, was wohl gewesen wäre, wenn Karl die Chance einer neuen Züchtung erkannt hätte, statt in blinder Wut einen Mord zu begehen. Gut, zu versuchen. Aber auch dafür sitzt er nun hinter Gitter. Und zwar für mindestens 3 Jahre. „Vielleicht schenke ich ihm bei seiner Entlassung einen Welpen aus Julius‘ und Bellas 4. Wurf. Aber nur, wenn er seine Zuchtmethoden ändert. Was meinst du, Julius?“ Der Blick des Weimeraners ist eindeutig. „Ok, Alter. Du hast recht. War ne Schnapsidee.“

Nachtrag: Die Idee zu dieser Story kam L. schon Anfang dieses Jahres, kurz, nachdem der MiniKrimi Adventskalender seine Türen geschlossen hatte. Aber wir sind drangeblieben, und herausgekommen ist diese Koproduktion aus Inspiration und Schreibe. Dass ich seit 3 Wochen einen öußerst fotogenen Dackelwelpen habe, spielt natürlich überhaupt keine Rolle!

Adventskalender MiniKrimi vom 7. Dezember 2018


Noblesse oblige…..

Adventskalender Hund.jpg

Was halten Sie von Hunden in der Stadt? Die Meinungen gehen da ja weit auseinander, von „geht gar nicht“ über „Hunde sind Umweltsünder“ bis hin zu „Hunde sind gut gegen Einsamkeit und deshalb in Single-Metropolen überlebenswichtig.“

Corinna hatte eigentlich weder eine Beziehung noch eine Meinung zu Hunden. Bis sie in die Minervrastraße zog. Die geräumige Erdgeschosswohnung kaufte sie sich vom Geld ihres Mannes, der mit einer blonden Weißrussin auf Nimmerwiedersehen verschwunden war. Und kaum war sie eingezogen, holte sie sich vom restlichen Geld zwei preisgekrönte chinesische Schopfhunde als Grundstein für ihr Hundezucht: Minervas Heart Saver.

Nun  sind chinesische Schopfhunde zwar klein, äußerst liebevoll und von Natur aus erstmal nicht aggressiv.  Dennoch sind sie, zumal im Wurf, leb- und stimmhaft. Schon begann sich Widerstand gegen Corinnas Hundezucht zu formieren. „Hunde gehören auf dem Land gezüchtet, nicht in einer Wohnsiedlung. Nicht in einer exklusiven, und schon gar nicht bei uns.“ „Die armen Hunde, ständig eingesperrt.“ „Der Garten sieht aus wie eine Festung. Das schadet der Wohnqualität.“ Doch dann stellten sich die ersten Interessenten für die Welpen ein, und plötzlich war alles anders. „Hast Du die gesehen? Das war doch die Frau Glas!“ „Gestern habe ich einen aus einer Stretch-Limo aussteigen sehen, der sah genauso aus wie David Garret.“ Aber den Vogel schoss der Besuch eines TV-bekannten Designers mit Vornamen Guido ab. „Obwohl der doch eigentlich auf Windhunde steht..?“

Seitdem wurde Corinnas Hundezucht in der Minervastraße gelitten. Nicht zuletzt, weil die Züchterin es so einzurichten verstand, dass die Bewohner*innen des öfteren die Möglichkeit zu einem Selfie mit einem A-, B- oder C-Promi hatten,

Kurz – Die Welpen von Minervas Heart Saver boomten. Regenbogenpresse und Privatsender berichteten über die Wunderhunde, die ganz besonders schön und stark waren. Auf die Frage, wie ihr das gelinge, antwortete Corinna nur geheimnisvoll: „ich barfe.“

Eines Tages jedoch zog ein neuer Mieter in die Minervastraße. Und der schien ein großes Problem mit der Hundezucht zu haben. Er warf Corinna im Vorbeigehen böse Blicke zu, und schließlich gestand sie ihrer größten Bewunderin und besten Freundin Anita: „Der Kerl macht mir Angst. Mit diesen tätowierten Muskelpaketen und der Glatze sieht er absolut gewaltbereit aus. Ich glaube, ich muss meine Hunde trainieren, mich zu verteidigen.“ Dabei kicherte sie, verständlicherweise.

Und dann geschah es. Mitten in der Nacht wurden die Bewohner*innen der Siedlung an der Minervastraße von hektischem Hundegebell geweckt. Schrill und aufgeregt. Doch als reihum Licht aus den Fenstern auf den Rasen floss, war nichts mehr zu sehen. Und die Bewohner*innen legten sich zu Bett, manche mit dem festen Vorsatz, Corinna morgen zur Rede zu stellen.

Aber dazu kam es nicht. Denn schon um neun stand Anita am mit Kletterrosen umrankten Müllhäuschen und erzählte jedem, der es hören wollte, dass „die Glatze“ gestern Nacht Corinna bei ihrem Gassigang aus dem Hinterhalt angegriffen habe. Nur dank des heldenhaften Eingreifens ihres Zuchtrüden Apollo sei ihr die Flucht gelungen. „Natürlich lässt sie das nicht auf sich sitzen. Sie hat schon um sieben mit dem Schröder telefoniert, der kümmert sich persönlich drum.“ Ehrfurchtsvolles Schweigen. Die Tochter des Landesvaters hatte  kürzlich erst einen allergiefreundlichen Welpen von Corinna erhalten. Scheinbar hatte „die Glatze“ Wind von ihren Absichten bekommen, denn von Stund an war er wie vom Erdboden verschwunden, und auch eine groß angelegte Polizeirazzia brachte ihn nicht zum Vorschein.

Bei der nächsten Ausstellung machte Zuchtrüde Apollo den ersten Preis. Einen so starken, gut genährten Rüden, so die Juroren, hätten sie noch nie gesehen. Wie ihr das gelungen sei, fragten sie Corinna. Aber sie antwortete nur lächelnd: „ich barfe.“

N.B.
Wer weiß, wie lange die Minervastraße noch ein Treffpunkt der reichen und schönen Hundefreunde geblieben wäre. Leider kam eines Tages der Lebensgefährte der „Glatze“ zu Corinna. Mit Beweisen, dass sie sowohl ihren Mann als auch seinen Geliebten erschlagen und zu Hundefutter verarbeitet habe, als dieser versuchte, sie mit dem Wissen über ihre Tat zu erpressen. Sein Partner nahm einen erneuten Anlauf – mit einem abgerichteten Dobermann im Schlepptau, der Corinna und ihren Apollo zähnefletschend anknurrte. Am nächsten Tag ließen Corinna und ihre beiden chinesischen Schopfhunde die Minervastraße hinter sich. Seitdem dürfen dort nur noch Goldfische gehalten werden. Und Katzen.