Die Story vom toten Hund


Es gibt Geschichten, die sind so unglaublich, dass sie nur wahr sein können. Kein Autor würde sie sich jemals ausdenken, weil er schon beim Schreiben die Stimmen der Kritiker im Ohr hätte: „Also das ist wirklich zu weit hergeholt. Ein Körnchen Wahrheit muss schon noch drin sein!“ Ebenso wenig wie ein Maler eine himbeerrote Sonne in einem orangegelben, azurgesäumten Meer untergehen lassen würde, selbst wenn er dieses Schauspiel mit eigenen Augen gesehen hätte. „Da können wir doch gleich eine Postkarte kaufen“, würden potentielle Käufer sagen. „Die ist dann wenigstens echt.“

Ich werde diese Geschichte hier dennoch aufschreiben. Sie ist in ihrer tragischen Komik so absurd, dass sie mich in die Nähe der skurrilsten surrealistischen Autoren stellen wird – vorausgesetzt, alles läuft wie üblich und keiner nimmt mir den Wahrheitsgehalt ab.Es geschah an einem sonnigen Samstagnachmittag. Meine Bekannte, nennen wir sie, um jeglichen Wiedererkennungseffekt zu vermeiden, Inga, hatte sich, mehr dem Zwang zum Erwerb gewisser haushaltlicher Notwendigkeiten als der Lust am Masseneinkauf folgend, zum Besuch des Euro-Industrieparks entschlossen. Für Nichtmünchner sei erklärt, dass dieser Park im Münchner Norden ein dichtes Konglomerat von Megakaufpalästen für Food und Non-Food ist, wo man gemütlich den Wochenendeinkauf erledigen und dann, wenn man feststellt, dass dieser den Kühlschrank zum Bersten bringen wird, dazu gleich eine neue Gefrierkombination kaufen kann. Und den Breitwandfernseher, um die Köstlichkeiten davor zu vertilgen.

Gegen Mittag hatten Inga und ihr Freund, der sie begleitete, Hunger. Also gingen sie in eines der zur rationellen Verpflegung der Besuchermassen bereit stehenden Schnellrestaurants. Ingas Hund nahmen sie mit. Denn der Verzehr eigener Brotzeiten ist dort zwar verboten, nicht aber das Mitbringen eigener Haustiere. Der Hund – ich weiß nicht einmal, welcher Rasse, wenn überhaupt, er angehörte, jedenfalls war er groß und, wie sich in der Folge zeigen wird, auch schwer – legte sich unter den Tisch. Eine Fast-Food-Mahlzeit ist schnell verzehrt, und bald wollte Inga ihre Einkaufstour weiterführen. Sie zahlten. Sie standen auf. Sie zog an der Leine. Keine Reaktion. Der Hund rührte sich nicht. Sie ahnen es schon? Sie haben Recht. Der Hund war tot. Sang und klanglos mir nichts dir nichts einfach gestorben. Friedlich. An Altersschwäche, wurde mir erzählt. Inga war verzweifelt. Der praktisch veranlagte Freund ging zum Geschäftsführer. Dieser  regte sich gleich furchtbar auf: Wie kam Inga dazu, ihm einen toten Hund ins Restaurant zu legen? Nein, berichtigte der Freund, der Tod war ganz plötzlich unterm Tisch eingetreten. Der schnelle Tod im Schnellrestaurant. Der Titel entbehrt nicht einer gewissen Tragikkomik. Für die natürlich weder Inga noch der Geschäftsführer Sinn gehabt haben dürften. Mit vereinten Kräften hievten sie den Hund nach draußen. In der Nähe befindet sich ein großer Medien-Markt. Bis dorthin schleppten sie Ingas Liebling. Dann riefen sie den tierärztlichen Notdienst an, und siehe da, so etwas scheint doch öfter zu passieren, als gemeinhin angenommen. Denn man zeigte sich sehr hilfsbereit und versprach, gleich vorbeizukommen und den toten Hund zu holen.

Also blieb Inga vor dem Markt zurück und hielt gewissermaßen die Totenwache. Alleine, denn ihr Freund musste dringend weg. Warum und wohin, weiß ich leider nicht (Sie sehen, die Geschichte ist echt. Denn hätte ich sie erfunden, dann hätte ich mir für sein Verschwinden auf jeden Fall eine plausible Erklärung ausgedacht). Lange blieb Inga allerdings nicht alleine. Irgendwie wurde sie mit ihrem toten Hund ziemlich schnell zum Publikumsmagneten. Dieses wiederum war dem Geschäftsführer des Medien-Marktes nicht recht, der Menschenaufläufe offensichtlich nur innerhalb seines Geschäfts, nicht aber vor dessen Toren liebte. Aber er war freundlicher als sein Kollege vom Schnellrestaurant und gab Inga die leere Verpackung eines großen nigelnagelneuen, soeben hüllenlos verkauften Farbfernsehers. Die Menschenmenge verlief sich wieder. Und Inga wartete weiter. Da trat plötzlich eine Frau auf sie zu. Sie hielt Inga einen Hundert-Euro-Schein entgegen und fragte, ob sie ihr den wechseln könne. Leider nein, sagte Inga. Ob sie dann schnell in den Medien-Markt gehen und ihn dort für sie wechseln könne, sie selbst habe da Hausverbot. „Ja, klar.“ Inga ist von Natur aus hilfsbereit. „Passen Sie solange auf den Karton auf?“, bat sie die Frau. „Da ist mein toter Hund drin“, fügte sie erklärend hinzu. „Na klar“, versicherte die Frau. „Und vielen Dank!“

Inga ging also hinein und kam alsbald mit dem gewechselten Hunderter wieder raus. Sie ahnen es schon wieder? Und sie haben wieder Recht. Auf dem sonnenbeschienenen Trottoir fanden sich weder die Frau noch der Karton. Nur Inga stand gewissermaßen verloren herum. Verloren? Naja …. Allerdings haben die hundert Euro sie nicht über den Verlust ihres Haustieres hinweg getröstet. Über die Reaktionen der Frau will ich an dieser Stelle keine Spekulationen anstellen. Sonst glauben Sie am Ende wirklich, ich hätte die Geschichte erfunden.

  1. war es falschgeld? wie schade, dass man diese geschichte nicht verwenden kann. aber inga tut mir leid. dem hund hätte ich einen würdevollen tod gewünscht. und weniger wütende geschäftsleute. der tod lässt mich innehalten. auch wenn es ein hund ist.

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