„Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt zugrunde geht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen“.. soll Martin Luther gesagt haben. Vor meinem Fenster schwelgt der Walnussbaum in zögerndzartem Grün. Wie noch nicht ganz entfaltete Flügel zittern die fedrigen Blätter in ihrem ersten Wind. Schattige Sonne leckt an den glänzenden Ästen, die sich stolz aus dem Winterschlaf strecken.
Wenn die Natur ihre Frühlingsaugen aufschlägt, mag keiner an das Ende denken. Nicht das des Sommers -auch wenn die Tage im Juni schon wieder rückwärts laufen; nicht das des Wohlstands – lass doch die Griechen hinter Griechen kriechen und die Banken samt der Börsen gleich hinterher; nicht das der Welt – auch das Mississipidelta ist von den Titelseiten in die Innenteile der Nachrichtenmagazine geglitten, wie geschmiert; und schon gar nicht an das eigene Ende. Nein. Daran mag wirklich gar keiner denken. Gut oder schlecht? Unbesonnen oder weise?Das ist die Frage, die nicht nur Gretchen von Faust scheidet, sondern „Man-soll-die-Feste-feiern-wie-sie-fallen-Vertreter“ gegen Mahner und Bußrufer regelmäßig in den Sparring steigen lässt. In beiden Lagern steht eine Phalanx von Philosophen und Lebenskünstlern Spalier und produziert ebenso unverdrossen wie unermüdlich Munition für Spruchduelle und Denkmodelle.
Und wie halte ich das? Ich bin mir nicht sicher. Schwanke hin und her zwischen epikureischem Genussfanatismus und evangelikaler Reduktionsemphatie. Schon wieder ein Jahr älter. Grauer. Dürrer. Dicker. Wieder eine Scheibe weg vom Rest des Kuchens. Kein Grund zum Feiern?! Locken Duft und Gesang am Ende gar Kundrie herbei? Ich will ja noch gar nicht aufbrechen zur Gralssuche, schön eigentlich. Am Ende war das dann, rückblickend, die allerletzte Gelegenheit, zusammen zu sein. Ich bin keine Freundin von self-fulfilling profecies.
Nein. Bin ich nicht! Aber wenn mein Schwiegervater Walter nicht Gott und alle Verwandten mobilisiert hätte, zum legendären 80er Wiegenfest seiner Frau, hätte ich ihn wohl nicht noch einmal lebend gesehen. Schön war’s.
Schön wird’s! Die Sonne scheint? Der Walnussbaum wiegt seine Blätterkinder im Maiabendwind? Vielleicht werden die eine und der andere beim nächsten Mal nicht mehr dabei sein. Um so wärmer sollen dann die Gespräche sein. Um so heißer das Feuer und die Rhythmen. Um so leuchtender die Augen aller. Vivamus, mea Lesbia, atque amemus. Genau, Martin Luther, pflanzen wir einen Apfelbaum. Bei jeder Gelegenheit.