Der Unterschied zwischen einem lebenden und einem toten Wesen ist der größte Gegensatz, den wir Menschen uns vorstellen können, sobald wir ihn einmal, zum ersten Mal, erlebt haben. Ein toter Körper ist wie ein ausgezogenes Kleid. Liegt auf dem Bett wie eine abgeworfene Insektenhülle. Eckig und mit tödlicher Schärfe gezeichnet. Ohne die Weichheit, die lebendige Bewegung ihm eingibt. Bewegung, die klingt. Auf eine ganz eigene, sehr persönliche Weise. Ist dieser Klang verweht, schneidet die Stille tief in den Raum. Kälte fließt aus dem abgeworfenen Mantel, aus atmender Haut wird eisiges Wachs.
Achtung vor dem Leben begleitet uns von den ersten Gebeten an.Der Tod ist ein machtvolles Tabu. Nicht nur, ihn zu bringen, sondern oft auch nur, ihn zu denken, ist mit komplizierten Ritualen belegt. Deshalb ist der einfache, der herkömmlich daherkommende Tod für uns unwirklich geworden, nicht mehr alltäglich erfahrbar durch Hunger, Kriege, Pest und Natur.
Sorgsam wird er weggeräumt, in Sterbezimmer, über Hintertreppen und hinein in kühle Truhen. Was das in dem Sarg liegt, wird bedeckt von bunten Blumen. Schön. Nichts bereitet uns vor auf das Ende, so, wie es, seiner kulturellen Verbrämungen beraubt, nun einmal ist. Schmucklos.
Der Tod ist nicht mehr Teil unserer – westlichen – Erlebniswelt. Dafür lauert er übermächtig und dunkelgroß wie ein Schatten hinter unseren schlimmsten Träumen. Der Tod ist nicht so riesig wie der Alb, der an den papierdünnen Wänden unserer Ängste scharrt. Er ist – schmucklos.
Er ist plötzlich. Vom Leben zum Tod geht es nicht wie bei einer Ampel über gelb nach rot. Du atmest. Du hauchst aus. Du bist atemlos und nicht mehr. Sein oder nicht sein. Ein Dazwischen gibt es allerhöchstens in den Seilen der Notfallmedizin, aber auch dort ist es immer noch ein Sein, das den Körper belebt.
Wohin dieses Sein geht, fliegt, flieht – diese Frage stellst du dir nicht. Du schaust und du spürst. Die Leere. Das Fehlen. Das Nicht-Sein füllt deinen Raum. Die Nicht-Existenz nimmt dich ein. Sie presst den Atem aus dir heraus und die Gedanken bis sie als Tränen aus deinen Augen stürzen in Trauerseen ohne Ufer.