Eigentlich ist heute ein wunderschöner Tag. Die Sonne scheint und verleitet mich dazu, strumpflos in die gefütterten Slipper zu schlüpfen und im Wollpulli zur Hundewiese zu schlendern. Wer hat gesagt, dass Tiere keine Intelligenz hätten? Sie ist nur anders als unsere. Keinem Modediktat unterworfen, zum Beispiel. Weshalb mein süßer, alter, kurzhaariger Magyar Agar-Viszla Mischling vor der Gartentür die Nase in die Höhe reckt, sich schüttelt, schnell die Nachbarbäume markiert und dann vorsichtig die Pfoten in den Raureif setzt, um so schnell wie möglich wieder die heimische heimelige Wärme zu suchen.
Eigentlich könnte heute ein wunderschöner Tag sein. Wenn meine Mutter nicht die Sonne aus ihrem Herzen ausgesperrt oder die Jalousien vor ihrem Auge heruntergelassen hätte. Der Toast schmeckt nicht, das Brot wird immer kleiner und teurer, der Kaffee bitter, meine Haare sind – wie auch das Verhalten der Deutschen Bahn, einfach skandalös. Und überhaupt kümmern wir uns mehr um Zufallsbekanntschaften, denen wir wie Hündchen hinterherlaufen, als um sie. Ich weiß nicht, von wem sie spricht. Ganz bewusst weiß sie das sicher auch nicht….
Und überhaupt: sie will sie will sie MUSS nach Hause! Ich weiß. Ich gönne ihr jede Stunde in ihrem Haus, die sie genießen kann darf soll, solange das noch geht. Und ich lechze nach etwas Ruhe. Ruhe vor dem „Sturm“, der sicher kommen wird, wenn nicht in diesem Jahr, so spätestens irgendwann danach, mit fortschreitender Krankheit. Aber Anselm Grün tut sich wirklich viel zu leicht und macht sich eines Kommerzdenkens schuldig, wenn er heute in den Gedanken zum Tag die pflegenden Töchter dazu aufruft, „sich einfach frei zu entscheiden, wo Sie die Grenzen zu ihrer Mutter stecken möchten. Um dann aus dieser völligen Freiheit heraus gerne ja oder auch nein zu sagen zu den Ansprüchen der Frau Mama.“ Haha. Selten so gelacht. Das sind die Vorteile des zölibatären Mönchseins. Keine Familie, keine Pflegeaufgaben. Aber weise schreiben. Warum fährt er nicht meine Mutter nach Hause, schaut zu, wie sie nichts findet und alles sucht, hört sich die Klagen der Nachbarn an und die völlig entgegengesetzten Erzählungen, die sie beim abendlichen Telefonat schildert. Vorausgesetzt, sie hebt ab. Und wenn nicht – macht er sich dann tausend Sorgen und Gedanken?
Ach Herr Grün, es ist nicht alles rosig und leicht. Und die Freiheit schon gar nicht. Jedesmal, wenn ich in dieses altvertraute Gesicht schaue, aus dem die Krankheit das Lachen und die Liebe herausgefaltet hat, könnte ich wahlweise schreien oder weinen. Aber nicht einmal in den Arm nehmen darf ich sie in solchen Momenten. Ganz steif macht sie sich. „Geh weg, fass mich bloß nicht an!“
Also umarme ich dich mit meinen Gedanken, Mum. Und hoffe, mir fällt etwas ein, was wir heute gemeinsam tun können, um die Vorfrühlingssonne durch die Hintertür des Alzheimers doch noch in dein Herz zu lassen…… Hey, Mädels, fällt euch was dazu ein? Glaubt mir, ich kann jeden Tipp gebrauchen!!!