Frankfurt am Main, November 1981. In der Rohrbachstraße kesseln Polizisten Demonstranten ein, die friedlich gegen den Ausbau der 3. Startbahn des Frankfurter Flughafens protestieren. Zuvor hatten ein paar Punks Schaufensterscheiben eingeschlagen und waren danach geflüchtet. Ebenfalls verflüchtigt hatten sich Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit, die die Demonstration angeführt hatten. Übrig blieben junge und alte Frauen und Männer, Jugendliche, die allesamt keinerlei Erfahrung im Umgang mit Polizeigewalt hatten. Einige versuchten, von den Beamten die Namen zu erfragen, andere blieben einfach stehen und hielten die Arme hoch. Ich nicht. Von einem 2 Meter hohen Garagendach in einem Hinterhof, dessen Gitter wir in unserer Panik niedergedrückt hatten, sah ich zu, wie Polizisten unten meiner Freundin mit Schlagstöcken das Trommelfell zertrümmerten, am Boden liegende Wehrlose mit Tritten bearbeiteten. Mehrere Demonstranten wurden an diesem Abend schwer verletzt.
Der Frankfurter Kessel ging in die Annalen ein. Kaum ein Polizist konnte belangt werden, weil ihre Namen nicht bekannt waren. Allerdings wurde der Frankfurter Magistratsdirektor Alexander Schubart wegen Nötigung der Landesregierung (§ 105 StGB) und des Aufrufs zur Gewalt zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt und aus dem Staatsdienst entlassen.
In diesen Zeiten wurde der „schwarze Block“ geboren. Aus einer Vielzahl von Motivationen heraus. Eine davon: der Selbstschutz. Auch ich, damals Theologiestudentin, auch Kommilitonen und Professoren, die mitdemonstrierten, auch wir schützten uns gegen Tränengas, gegen Wasserwerfer, schließlich gegen Schlagstöcke. Wir hatten keine Mollies und keine Steine. Wir wollten „nur“ keine Startbahn West und das Recht, unseren Protest zu äußern.
Natürlich gab es an vielen anderen Orten ebenso viele unterschiedliche Beweggründe, Radikalisierung als Phänomen der nicht akzeptierten Unterlegenheit im demokratischen System. Natürlich gab es die auf Krawall gebürsteten Punks. Die Gelegenheitsrowdies, die Demotouristen. Aber „den“ schwarzen Block gab es nicht.
Typisierungen zur Vereinfachung von Sachverhaltsdarstellungen kennen wir aus den Medien. Da werden aus Asylbewerbern, anerkannten wie abgelehnten, geduldeten und oder im Berufungsverfahren befindlichen, Asylanten. Aus einer komplexen Geldwaschmaschinerie werden einfach die „Panama-Papiere“. „Vereinfachung, Ent-Förmlichung und neue kognitive Herausforderungen gehen Hand in Hand“ (Journalistikon). Wenn also die Medien vom „schwarzen Block“ sprechen und schreiben, ist das für sie ein Handwerksmittel. um mit zwei Worten zu sagen: Mehrere oder viele Leute mit Gewaltpotential und ähnlicher Kleidung, die die Erkennung und Identifizierung erschwert. Das ist irreführend, aber ok. Für die Medien.
Wenn Politiker und Polizei solche Verkürzungen übernehmen, entsteht dahinter eine Theorie. Wie bei den Nafris. Und Theorien bergen die Gefahr der „Entpraxifizierung“. Dabei ist praktisches Handeln das einzige, was der Gewalt Einhalt gebieten kann.
Der schwarze Block ist eine Formation, die auf Demonstrationen genutzt wird. Von Menschen unterschiedlicher Motivation. Die einen wollen ihre Kritik an der Gesellschaft, an westlicher Gesellschafts- und Wirtschafts- und Lebensform ausleben und dabei den demokratisch vorgegebenen Rahmen ausschöpfen. Ich erinnere daran, dass im „schwarzen Block“ auch Unvermummte laufen, wie zuletzt auf den Bildern vom #G20 gesehen. Andere wollen ihn überschreiten. Wieder andere wollen destabilisieren. Und einige schließlich wollen zerstören. Hinter all diesen Beweggründen liegen persönliche Geschichten. Entweder, wir kriegen diese Menschen und holen sie in den Mittelpunkt der Gesellschaft zurück, oder…… ?
Wie haben es hier, so sehe ich es, mit zwei, drei, vier differenzierten Phänomenen zu tun. Einmal der Widerstand gegen als ungerecht, konsumistisch, umwelt- und menschenverachtend angesehene Staaten. Dieser Widerstand besteht zum Großteil aus jüngeren Menschen mit einen gewissen Bildungsgrad – es ist das gleiche Potential, das im Laufe der Jahrhunderte gezündelt und Revolutionen angestoßen hat. In Frankreich, in Russland, in Deutschland, im Iran, in der Ukraine, in den arabischen Ländern. Wenn es gelingt, werden sie zur neuen Staatselite, und das Karussell dreht sich von vorne. Wenn nicht, werden sie entweder kriminell oder kriminalisiert.
Dann gibt es die Schläger, die Gewalttouristen. Auch sie eine historische Erscheinung, nur, dass in einer globalen Welt die Wege kürzer sind. Von der Antike bis heute sind sie brandschatzend durch die Lande gezogen, mit dem Ziel persönlichen Lustgewinns an der Zerstörung. Sie haben KEINE definierte politische Visionen und keine Alternativen, sind weder „links“ noch „rechts“, sondern einfach und aus Prinzip „dagegen“.
Neu – und der Medienvielfalt geschuldet – sind die vielen passiven digitalen Gaffer und Kommentatoren. Angeheizt durch News, ob Fake oder echt, die den Medien maximale Zugriffe sichern sollen, blaffen sie sich durchs Netz, und ihre Meinungen, bar jeder tieferen Reflexion, multiplizieren sich mit jedem geteilten Klick. Sie sind es, die die Stimmung in der „Masse“ prägen und bewegen. Und sie sind die eigentliche Unwägbarkeit, sie sind es, die mir echte Angst machen. Deutsche Massen sind etwas braungefährliches, das wissen wir aus leidvoller Erfahrung.
Und ich erwarte vom „deutschen Volk“ einfach mehr Besonnenheit beim pauschalen Verurteilen von Gruppen, egal welcher Couleur. Ich erwarte vielleicht zuviel. Aber ich rücke nicht davon ab.
Und dann gibt es da noch die Planer. Die Strategen. Welche Rolle sie spielen, liegt im Planungsdunkel und ist deshalb um so mehr Stoff für (Verschwörungs-)Theorien. Von der RAF bis zum NSU, vom Baader-Meinhof-Prozess bis zur Rohrbachstraße und dem Schanzenviertel. Die Fragen werden aufgeworfen, aber nicht beantwortet. Vielleicht nur Generationen später. Welche Risiken werden kalkuliert, welche Kollateralschäden in Kauf genommen, für welches Ziel?
Fakt ist: letztendlich ist es immer die eine, große, tiefe Auseinandersetzung zwischen Macht und Ohnmacht.
Nur wer beide verbindet, aushält, ausgleicht, kann einen Schritt weitergehen. Nach vorne!
Hier könnt Ihr Euch über die Rohrbachstraße informieren.