Krippenmacher
Seit dem 15. Jahrhundert machen Krippen das Geheimnis von Weihnachten begreifbar – im wörtlichen Sinn. Längst stehen sie nicht mehr nur in Kirchen. Und obwohl sie in den meisten Fällen ein ländlich-ärmliches Stilleben darstellen, sind die wirklich schönen, die mit den ausdrucksstarken Gesichtern und den liebevollen Details, nur für viel Geld zu haben. Und manchmal reicht nicht einmal das. Das Christkind ist zwar in Palästina geboren, aber die beliebtesten Krippen stehen in alpenländischen Schobern, die Hirten warten durch knietiefen Schnee, Lämmer auf den Schultern. Man möchte unwillkürlich der knienden Maria ein Schafsfell überwerfen und das Kind in dicke Decken hüllen. Krippenbauer aus den bayerischen Bergen haben zuweilen ganz genaue Vorstellungen davon, wo „ihre“ Krippen stehen sollen – und wo nicht.
Eberhard K. Wiesner ist ein Selfmademan, wie er im Buche steht. Hat als Putzmann angefangen und sich konsequent hochgeschrubbt. Heute steht vor fast jedem Bürohaus in München ein „Wiesner-wienert-Auto“. Seine Frau – die 3. – findet den Slogan peinlich. Aber Eberhard weiß, dass der sitzt. Und darauf kommt es an. Bei seiner Frau allerdings kommt Eberhard derzeit nicht sehr gut an. Sie ist eine „Zugroaste“, aber sie will das so gut wie möglich verheimlichen. Will „daheim“ sein in Bayern. Und dazu gehört neben dem Prunkdirndl und dem Wiesntisch beim Käfer eine große weihnachtliche Krippe. Von einem renommierten Krippenbauer. Vom besten. Das das ist der Huber Schorsch in Unterammergau. Sie hat seine Krippen gesehen, bei der Frau Bürgermeister. Und bei diversen anderen Honoratioren. Im Stall stehen Ochs und Esel, aber auch Gänse, Hühner und Enten. Maria hat zarte braune Locken, ein blasses Dirndl und ein Gesicht zum Verlieben. Und die Details! Eisblumen an den Fenstern. Innen sieht man die Stube samt Kachelofen und Fleckenteppichen. Ganz klar: Eine Huberkrippe muss e sein. Aber der Huber Schorsch weigert sich seit nun schon sechs Monaten, den Wiesners eine Krippe zu bauen. Nicht nur das, er ist nicht einmal bereit, ihnen eine fertige Krippe zu verkaufen. Für kein Geld der Welt.
Jetzt ist schon Advent, und in der Villa in Grünwald steht immer noch keine Krippe. Frau Wiesner ist außer sich. Sie beschimpft den Huber am Telefon, sie beschimpft ihren Mann beim Essen und im Schlafzimmer. Der zuckt ergeben die Schultern und zieht schließlich mit der Bettdecke in eines der vielen Gästezimmer. Seine Frau geht ihm zunehmend auf die Nerven. Morgen wird er nochmal beim Huber Schorsch anrufen.
Als Eberhard aufsteht – heute muss er ausnahmsweise erst zur Spätschicht raus, um seine Leute zu kontrollieren – ist seine Frau schon weg.
Sie hat sich so über ihn geärgert, dass sie kaum geschlafen hat. Um acht Uhr ist sie in ihren SUV geklettert und Richtung Alpen gefahren. Jetzt verlässt sie die Autobahn. Die Straße sieht aus wie ein Tunnel, auf beiden Seiten türmen sich Wände aus Schnee. Die Berge drohen weiß und kalt vor einem schiefergrauen Himmel. Die Tannenbäume am Rand der Hauptstraßen sind lichtbekränzt und leuchten um neun Uhr früh immer noch. Sie ist ein Stadtkind von der Reeperbahn, Die Berge, die Holzhäuser mit den windschiefen Balkonen und den verblassten Bildern an den Wänden machen ihr Angst. Genauso wie die Frauen, die auch an einem ganz normalen Tag im Trachtenrock auf die Straße gehen, oder, schlimmer, die Männer mit den dichten Bärten und dem Wildererblick. Sie fährt durch schmale Gassen, die alten Häuser auf beiden Seiten so winrschief, dass sie sich beinahe berühen. Und kein Laut. In der Stadt ist immer ein Grundton zu hören. Ein Rauschen aus Autobahn, Zügen und Menschen. Aber hier: Stille. Mal bellt ein Hund, mal kräht ein Hahn. Sonst nichts.
Dort hinten ist das Huberhaus. „Krippenmacher“ prangt das bunte Holzschild groß und trügerisch. Von wegen. Ihr macht er keine. Aber das wird sich zeigen. Jetzt. Sie parkt auf dem Hof. Steigt aus dem SUV. Niemand da? Überall Holz. Sogar oben auf der Tenne stehen schwere Klötze. Eine neue Lieferung? Als sie näherkommt, löst sich ein Klotz und fällt hinab. Sie ist auf der Stelle tot. Genickbruch. So ein Unglück. Der Huber Schorsch kommt gleich angerannt, er war nur kurz beim Bäcker. Mei, das tut ihm so leid! Um den Schaden zumindest halbwegs wieder gut zu machen, schenkt er dem Wiesner Eberhard seine schönste Krippe.
Naja, was heißt schenken. Der Wiesner hat ihn gut dafür bezahl, dass er ihm dabei geholfen hat, Frau Wiesner III. zu entsorgen. Und so hütet die Krippe wieder ein Weihnachtsgeheimnis.