Ihr Lieben – gestern spielte ganz offensichtlich der Server verrückt. Und der MiniKrimi wurde nicht veröffentlicht!. Hier ist er nun.
Heute danke ich Lydia Heck dafür, dass sie mir diesen tragisch bösen MIniKrimi für das vorletzte Türchen gegeben hat. Mitten aus dem Kochen Backen Schmücken grüßt Marie.
So ein Schmarrn
Der 23. Dezember war ein nasser Tag. Wie so oft in den letzten Jahren würde es keine weißen Weihnachten geben. Ob das dem Klimawandel geschuldet war oder nicht, darüber gab es jedes Jahr aufs neue Diskussionen. Irene griff sich ihren Einkaufstrolly und machte sich auf den Weg zur Münchener Tafel. Ihren kleinen Wagen hatte sie als erstes verkauft, nachdem sie arbeitslos geworden war. Das war vor zwei Jahren. Im ersten Jahr bezog sie Arbeitslosengeld 1. Mit dem sie kam noch einigermaßen über die Runden. Auch die Raten für ihre kleine Eigentumswohnung in der Minervastraße konnte sie zahlen.
Das änderte sich schlagartig, nachdem Irene zum „erwerbsfähigen Hilfebedürftigen“ wurde. So war die offizielle Bezeichnung für Menschen die im Bezug von Arbeitslosengeld 2 waren. Dieser menschenverachtende Begriff steht für das gesamte System der Sozialhilfe. Den Beziehern von Hartz IV wird damit unterstellt, dass sie nur zu faul zum arbeiten seien. Dass es für Menschen in Irenes Alter, die über 50jährigen, keine Jobs mehr gibt, bleibt unerwähnt.
Die Zwangsräumung von Irenes kleiner Wohnung war für Februar anberaumt worden. Damit wäre dann auch ihre Alterssicherung Vergangenheit.
Irene schüttelte sich, um die dunklen Gedanken zu vertreiben. Sie hatte die Tafel fast erreicht. Heute gab es etwas ganze besonderes für die Armen der Stadt. Ein großes Unternehmen hatte hunderte tiefgefrorener Gänse gespendet. Nicht ganz uneigennützig weil gut für’s soziale Image, aber Irene konnte sich sich keine Sozialkritik leisten. Das letzte Fleischgericht, ein Stück alter Schweinebraten vom Nachbarn, lag zu lange zurück. Als sie den Vorraum der Tafel betrat – es war brechend voll – hörte Irene eine Stimme, die ihr irgendwie bekannt vorkam. Tatsächlich gehörte sie dem Arbeitsminister, Nils Schmarrn. Er hatte es sich nicht nehmen lassen, persönlich das spendable Unternehmen zu würdigen, verbunden mit dem Versprechen, im nächsten Jahr noch mehr ein Euro Jobs zu schaffen und damit die Armut in dieser reichen Stadt endgültig zu besiegen.
Nils Schmarrn war eine beeindruckende Erscheinung. In seinem Maßanzug, gerade mal 31 Jahre jung, hatte er schon eine steile politische Karriere hinter sich. Gerade machte er sich auf, den Parteivorsitz der CKU (christlich kapitalistische Union) zu übernehmen. Darum hatte Schmarrn sich bereit erklärt, einen Tag vor Weihnachten diesen medienwirksamen Termin bei der Tafel wahrzunehmen.
Er bildete einen seltsamen Kontrast zu den vom Leben gebeutelten Gestalten um ihn herum. Aber auch Hilfebedürftige waren Wähler. Außerdem hatte Schmarrn diese Zielgruppe eine Woche zuvor vor den Kopf gestoßen, als er in einer Rede behauptet hatte, man könne sehr gut von Hartz 4 leben.
Wahrscheinlich wusste Nils Schmarrn nicht, dass von den 410 Euro zum Lebensunterhalt auch Strom, Telefon, Versicherungen u.s.w. bezahlt werden mussten. Natürlich nur, wenn man sich einen solchen Luxus leisten wollte. Irene blieben dadurch grade mal 100 Euro im Monat zum Leben. Ohne die Tafel wäre ihr Kühlschrank sehr oft gähnend leer.
Jetzt versuchte sie, die penetrante Stimme des Politikers auszublenden und ruhig darauf zu warten, bis sie an der Reihe war. Ein kurzer Blick in die Gesichter der Mitwartenden genügte Irene, um den wachsenden Zorn der Menge zu bemerken. Sie ergriff die Initiative. Kurz darauf verursachte eine Rollstuhlfahrerin vor der Halle einen Tumult und lenkte Schmarrns Leibwächter ab.
Nils Schmarrn bemerkte nichts. Als alle Gänse verteilt waren, zerstreute sich die Gruppe. Der Arbeitsminister war nirgends auffindbar. Die Leibwächter waren der Meinung, er sei wieder mal ohne sie losgezogen. Das machte er gerne, vor allem. wenn er ein geheimes Rendez-vous geplant hatte.
Der Zorn der Hilfebedürftigen war inzwischen einer tiefen Befriedigung gewichen. Es gab sie doch, die Gerechtigkeit. Morgen, an Heiligabend nach dem Gänsemahl, würde von den Tatwaffen nur noch Knochen übrig sein. Die Tafel öffnete ihre Pforten erst wieder im Januar. Bis dahin war Nils Schmarrn gut aufgehoben im Kühlhaus der Tafel.