Eine schöne Bescherung
In der Vorweihnachtszeit ist es immer am schlimmsten. Wenn draußen die Lichtgirlanden, in den Fenstern die Jakobsleitern und am Adventskranz die Kerzen leuchten, wenn die Luft nach Glühwein duftet und gebrannten Mandeln, wenn sich im Keller die Dosen mit frisch gebackenen Plätzchen stapeln und das Radio „Last Christmas“ in Dauerschleife dudelt, packen die Erinnerungen Erika jedes Mal mit aller Macht. Denn genau in dieser magischen, wunschprallen, nach Vergebung und Liebe suchenden Zeit ist Erika die schlimmste Kränkung ihres Lebens widerfahren.
In der Vorweihnachtszeit ist es immer am besten. Wenn draußen ein eisiger Ostwind den Schnee vor sich hertreibt und drinnen vor dem munter flackernden Kaminfeuer Whiskey und Pfeife auf ihn warten, genießt Eduard die Erinnerungen am meisten. Und während das Holz in den Flammen knistert, ergreift die Genugtuung wieder Besitz von jeder Faser seines Körpers, prickelnd und über die Maßen erregend.
Erika hatte nie ein besonders gutes Verhältnis zu ihrer Mutter. Die Erstgeborene, ein Mädchen statt des ersehnten Stammhalters, schmal und schmächtig. Aus der konnte nichts „Gescheites“ werden, das hatte die Mutter gleich beim Anblick der Neugeborenen prophezeit. Im Laufe ihres Lebens hat Erika diese Erwartungen voll und ganz erfüllt. Von einer scheuen Schülerin, die sich statt in Freizeitaktivitäten lieber in Bücherwelten stürzte, entwickelte sie sich zur einer musikbesessenen Medizinstudentin. Natürlich gaben ihr die Eltern keinen Pfennig dazu, und Erika verdiente sich Studium, Bücher, Unterkunft und Essen durch Klavierunterricht. Dass sie ihr überhaupt erlaubten, die Universität zu besuchen, lag ganz einfach daran, dass sie dadurch früh „aus dem Haus, dem Auge und dem Sinn“ der Mutter verschwand.
Eduard interessierte sich schon im Kinderwagenalter für Geschwindigkeit: er stellte sich kerzengerade in seinem Buggy auf und hieb mit einem langen Schnürsenkel auf die Schwester ein, die ihn, wie ein eingespanntes Pferd, in Windeseile über den Hof ziehen musste. Mit fünf zerschnitt er die Bremsen ihres Fahrrads, woraufhin sie wie ein Pfeil die Straße bergab und gegen den Baum an der ersten Kreuzung sauste. Selbstverständlich trat er nach dem Realschulabschluss in das elterliche Autohaus ein und verdrängte den Vater, so schnell es ging, aus dem Geschäft. Sein rasanter Lebensstil kostete im Laufe der Zeit allerdings mehr, als ihm seine diesbezügliche Expertise einbrachte. Schließlich stand das Autohaus – das Lebenswerk des Vaters – kurz vor dem Konkurs. Dann starb die Mutter, und nur mit ihrem Geld konnte er die geschäftliche „Kurve kriegen“. Allerdings war dazu mehr als sein eigener Erbanteil nötig...
Erika, inzwischen längst Landärztin mit eigener Praxis, Ehemann und zwei Kindern, saß bei der Testamentseröffnung kerzengerade auf dem Ledersofa. Sie musste gegen die ungehindert durch die großen Fenster in den Raum hineinstürzende Sonne blinzeln und nahm den Anwalt, den die Mutter offenbar kurz vor ihrem Tod mit ihren Angelegenheiten betraut hatte, – übrigens ein Kunde und Duzfreund ihres Bruders – nur als Scherenschnitt war. Im Nachhinein hat sie versucht, das Testament anzufechten, um zumindest einen Pflichttei des Erbes zu erhalten. Vergeblich. Nachdem sie alle Instanzen durchlaufen hatte, nahm der Richter, der ihr in der letzten Verhandlung die allerletzte Hoffnung genommen hatte, sie beiseite. Ob ihr bewusst sei, dass ihr Anwalt zur Clique von Eduard gehöre? Er habe es wirklich geschickt angestellt, so dass ihm, dem Richter, bei dieser lückenlosen Vorgehensweise tatsächlich die Hände gebunden gewesen seien.
Eduard sitzt vor seinem Kamin. Verträumt betrachtet er die Glut. Um ihn herum nur die Stille einer sternenklaren Nacht. Er hat den Brief zweimal gelesen. Wort für Wort. Aber er kann keinen Fallstrick erkennen. Nur eine tiefe Traurigkeit. Erika war schon immer melancholisch veranlagt. Sie schreibt, dass ihr Mann gestorben sei. Ein Unfall, der die gesamte Familie in arge Bedrängnis gebracht habe. Sie könne die Praxis nicht mehr halten und werde wohl auch aus dem Haus ausziehen müssen. Das wenige Geld, das ihr bleibe, sei für die letzten Studienjahre ihre Kinder bestimmt. Nach so viel Leid habe sie das dringende Bedürfnis, in ihrem Leben Ordnung zu schaffen. Sie wolle den Zwist mit ihrem Bruder beilegen. „Lassen wir den Schnee von gestern doch einfach tauen“, schrieb sie. „Und endlich wieder wie Geschwister zueinander sein.“
Der dem Brief beigelegte Versöhnungstropfen muss noch aus dem Weinkeller seines Schwagers stammen. Ein vorzüglicher Chateau Lafitte. „Santé, Schwester“, sagt Eduard und hebt das Glas.
Dank seiner Selbstgerechtigkeit ist er kaum überrascht, als sie trotz vorgerückter Stunde vor seiner Tür steht, und es gelingt ihm gerade noch, ihr das Glas in die Hand zu drücken, als die Welt um ihn herum sich zu drehen beginnt. Sekunden später liegt er leblos auf dem Terracottaboden.
Frau Dr. Erika Monhaupt ist untröstlich, den Bruder so unmittelbar nach ihrem Wiedersehen verloren zu haben. Dabei verschweigt die Ärztin natürlich sowohl ihren Brief samt Versöhnungsgeschenk als auch ihre Kenntnis bezüglich der Ursache für den plötzlichen Tod ihres Bruders.
Die Vorweihnachtszeit, denkt sie, während draußen dichte Schneeflocken tanzen und im Kamin ein lustiges Feuer prasselt, ist doch gar nicht so übel. Morgen kommen die Kinder. Ist das nicht eine schöne Bescherung?
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Von meinem iPhone gesendet
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Danke 🙂 Soll ich dir meinen Coiffeur empfehlen? Er ist suuuuper! Meine Haare wurden seit August nicht geschnitten…….. Klosterfriseur in der Zentnerstraße 25 in Schwabing……. Gute Nacht!!!