Natürlich gibt es viele Mariae. Ist nach wie vor ein beliebter Name, aktuell in seiner Kurzform „Marie“. Gestern habe ich in der Christmette darüber nachgedacht, wie und wer Maria heute sein könnte. Nicht 1.0, nicht 2.0, sondern Maria 1-4, aber immer eine von uns.
Maria, die Mutter Jesu, hat vor vielen tausend Jahren gelebt. Aber nicht nur dann.
Sie war nicht die erste und nicht die letzte in einer langen Folge von „Mariae“.
Die einen auf Händen getragen, minnebesungen, kleingehalten. Die anderen als Herrscherinnen verehrt und getötet. In diesem Spannungsfeld lebt Maria bis heute.
In dieser Christmette lade ich euch ein, vier Mal Maria heute kennenzulernen.
Maria 1: die Hausfrau
Die kennt ihr vielleicht sogar? Oder erkennt euch in ihr wieder, teilweise?
Von der staden Zeit im Advent hat sie nicht viel mitbekommen. Alles dekoriert. Plätzchen gebacken, mindestens 10 Sorten. Geschenke ausgedacht, gekauft und eingepackt. Das Haus geputzt.
Mann und Kinder zu Weihnachtfeiern gebracht und abgeholt. Zwischendrin die kranke Nachbarin zum Arzt begleitet. Oder so.
Den Baum geschmückt. Weihnachtsessen geplant, gekauft, gekocht.
Jetzt ist es 22 Uhr. Irgendwo läuten Glocken.
Jetzt einen Moment die Stille genießen. Wäre schön.
Maria 1 schaut aus dem Fenster. Sieht oben am Himmel ein helles Licht.
Was ist das?
Maria heute: die schwangere Geflüchtete
Maria 2 kennt ihr bestimmt. Persönlich oder aus den Medien. Den Nachrichten., den Sozialen Netzwerken. Je nach Medium neutral, positiv oder als Hasssymbol dargestellt.
Sie ist vor drei Monaten hier angekommen. Nach einer endlosen, lebensgefährlichen Flucht aus ihrer Heimat. Nicht, weil sie es dort nicht mehr lebenswert fand, cool oder hip. Nicht, weil sie sich in Deutschland die Zähne richten lassen wollte, oder ohne Arbeit im Geld schwelgen.
Nein, in ihrer Heimat wurde ihr Leben bedroht. Weil den Frauen dort alle Rechte genommen wurden: Das Recht auf Bildung. Das Recht, sich frei zu bewegen – ohne Mann an ihrer Seite. Das Recht, zu sprechen. Das Recht, sich zu kleiden. Das Recht, zu arbeiten.
Weil sie in ihren Land von Männern immer und ungestraft misshandelt werden konnte. Maria 2 war Lehrerin. Vor dem Berufsverbot. Mit ihrem letztem Geld hat sie die Flucht bezahlt.
Während dieser Flucht wurde sie vergewaltigt. Mehrfach. Übrigens wie alle alleinreisenden Geflüchteten, sagten die Ärztinnen in den Erstaufnahmeeinrichtungen.
Als Maria 2 hier ankommt, ist sie schwanger. Alleine. Fremd. Schutzlos, sogar in dem Haus, in dem sie leben muss, bis die Behörden über sie entscheiden.
Irgendwo läuten Glocken.
Jetzt tief Luft holen. Unbeschwert. Wäre schön.
Maria 2 schaut aus dem Fenster. Sieht oben am Himmel ein helles Licht.
Ist das für mich?
Maria heute: Die Klimaaktivistin
Maria 3 habt ihr vielleicht in eurer Familie?
Sie ist jung, intelligent. Unangepasst. Unangenehm.
Sie macht nicht, was von ihr erwartet wird: Schule, Ausbildung, Beruf, Arbeiten, Auto, Urlaub, Heirat, Kinder, Eigenheim.
Maria 3 macht sich Sorgen. Um die Welt, in der sie lebt. Sie fürchtet, dass bald niemand mehr hier wird leben können. Dass sie keine Zukunft hat. Dass Kinder morgen keine Zukunft haben.
Maria 3 erkennt die Zeichen des Klimawandels. Sieht, was alle sehen, aber sucht nicht nach Entschuldigungen. Sie glaubt, dass die Welt gerettet werden muss. Und wer, wenn nicht sie, kann das tun? Sie, zusammen mit immer mehr anderen, die auch so sehen, denken und handeln.
Maria 3 fühlt sich unverstanden. Von der Familie gemieden. Beschimpft. Heute, am Heiligen Abend, ganz besonders. Diese Berge von Geschenken, Essen, Konsum. Am Ende alles Müll.
Irgendwo läuten Glocken.
Nur einen Menschen finden, der versteht. Das wäre schön!
Maria 3 schaut aus dem Fenster. Da ist ein Licht oben am Himmel.
Der Anfang vom Ende?
Maria heute: alt und einsam
Maria 4 kennen wir alle, und keiner will so werden. Und doch…
Sie war eine wunderschöne Frau. Geliebt. Sie hatte ein tolles Leben. Kein einfaches, kein besonderes. Sie und ihr Mann haben alles gmeinsam gemacht und gemeistert. Sind zusammen Rad gefahren. Gewandert.
Sie war immer da für alle. Ihre Eltern, ihren Mann, die Kinder. Die Kinder sind weggezogen. Der Mann ist gestorben. Die Freundinnen und Freunde auch.
Irgendwann war das Alleineleben zu beschwerlich. Den Einkauf schleppen, den Blutdruck messen, die Wohnung putzen.
Die Kinder haben ein Heim für sie gefunden. Da sind alle so wie du, da passt du super rein, haben sie gesagt. Aber als alte Frau ist es nicht leicht, sich irgendwo neu einzufinden. Sie läuft schlecht, hört schlecht, und sehen tut sie auch nicht mehr gut.
Die Kinder kommen schon lange nicht mehr. Auch heute nicht, am Heiligen Abend. Sie haben ein Paket geschickt. Mit 4711. Dass es das noch gibt?
Irgendwo läuten Glocken.
Immer allein, da kann sie auch ganz verschwinden.
Maria 4 schaut aus dem Fenster ihres kleinen Zimmers. Da ist ein Licht obe am Himmel!
Holt mich das Christkind zu sich?
Das Wunder
Maria 1, 2, 3 und 4 treffen sich auf dem kleinen Platz, um den herum sie zufällig alle wohnen. Sie schauen auf das helle Licht am Himmel. Ein Stern? Ein Strahler? Eine Drohne? Was auch immer.
Sie schauen sich um.
Sie schauen sich an.
Sie lächeln.
Verbunden durch diesen Moment des Lichts. Das ist ein Wunder, denkt jede für sich.
„Wunder gibt es immer wieder“ singt Katja Ebstein. „Wenn sie dir begegnen, musst du sie auch sehn.“
„Wir sehen nur mit dem Herzen gut“, sagt der kleine Prinz.
Ich wünsche euch und uns, dass wir in diesem göttlichen Licht, das heute Nacht geboren ist, die Wunder sehen, die uns begegnen. Und dass wir für andere zu solchen Wundern werden.

