Adventskalender Minikrimi am 12. Dezember


Foto: Predra6_Photo

Ich LIEBE die sozialen Medien! Sie vernetzen Dich mit Menschen, die Du sonst NIE kennenlernen würdest. Wie Birgit Schiche. Sie reagierte auf meinen Mitmach-Aufruf bei Twitter…. und entpuppte sich als literarisches Naturtalent. Es kann natürlich sein, dass sie unter einem Pseudonym schon längst eine bekannte Krimiautorin ist – und sich grade köstlich über meine Zeilen hier amüsiert. Aber lest selbst. Der Minikrimi von Birgit Schiche, http://www.PlanB-Schiche.de.

Weihnachtsspecial mit Makronen

Es roch nach abgestandener Luft, alten Büchern, Tannenzweigen und weihnachtlichen Gewürzen, als sie den Raum betrat. Das Team der Bücherei hatte sich große Mühe gegeben, für das heutige Weihnachtsspecial eine stimmungsvolle Atmosphäre zu schaffen. Ein echter Tannenbaum stand liebevoll geschmückt und mit einer Lichterkette verziert am Durchgang zum nächsten Raum, und es wurden – nur ausnahmsweise! – Kinderpunsch und Kekse angeboten. Aus unterschiedlichsten Sitzmöbeln hatte man einen mehrreihigen Halbkreis fürs Publikum zusammengestellt mit Blick auf einen großen, roten Ohrensessel direkt neben dem Tannenbaum. Daneben stand ein kleines, antik anmutendes Tischchen. Hier sollte die Vorlese-Oma heute sitzen und Weihnachtskrimis zum Besten geben. Das Weihnachtsspecial bot jedes Jahr ungewöhnlichen Lesestoff und war immer ausverkauft. 

Adele war besonders beliebt als Vorlese-Oma. Keine andere verstand es wie sie, an den richtigen Stellen bedeutungsschwangere Pausen zu machen und einzelne Absätze mit der richtigen Portion Spannung oder Humor, Ironie oder Tragik in der Stimme vorzulesen. Ihre tiefe, melodische Stimme war warm und klar. 

Die 68-Jährige ließ sich in den Ohrensessel fallen, die Arthrose im Knie piesackte sie heute wieder sehr. Sie legte sich ihre besondere Brille zurecht und goss etwas Wasser in ein Glas, falls ihr später der Mund trocken werden würde. Die Lichterkette im Tannenbaum sollte ihr als Leselicht dienen, das war etwas spartanisch. Sie nahm sich vor, nach einer zusätzlichen Lampe zu fragen.

„Adele, schön, dass Sie schon da sind“, begrüßte sie Therese, die Leiterin der Bücherei. Man kannte sich seit Jahren. Doch bevor Adele um mehr Licht bitten konnte, eilte die unscheinbare Frau in den Vierzigern schon weiter. Inzwischen füllte sich der Raum bereits mit Menschen.

Adele ging zu einem Regal, in dem Krimis standen, stöberte einen Moment und zog schließlich ein dickes, gebundenes Buch heraus. Ein Glück, hier war die Sammlung englischer Krimiklassiker, aus der sie heute lesen wollte. Eigentlich hatte sie diese in Ihrem eBook-Reader gespeichert, aber den hatte sie zuhause vergessen. Sie wurde eben nicht jünger. Dann gab es also mal wieder ein richtiges, analoges Buch. 

Zurück an ihrem Leseplatz sah sie, dass jemand noch ein Tellerchen mit Mandelmakronen für sie bereit gestellt hatte. Man gab sich hier wirklich besondere Mühe. Adele setzte sich wieder in den Ohrensessel und nahm das Buch, um Lesezeichen an den zum Vorlesen ausgewählten Stellen zu platzieren. Es lag schwer in ihrer Hand und der Buchrücken fühlte sich merkwürdig verbeult an. So ein Büchereibuch war sicher schon durch viele Hände gegangen, sowas musste wohl Spuren hinterlassen. Wie lange hatte sie nun schon fast ausschließlich eBooks gelesen? Sie wusste es nicht. 

Die Büchereileiterin sprach ein paar Worte zur Begrüßung, das Publikum schaute gespannt auf Adele. Die wiederum musterte ihr Publikum genau. Adele hatte scharfe Augen und einen messerscharfen Verstand. Einige Studentinnen und Studenten saßen auf Kissen am Boden, überwiegend Frauen, aber auch einige männliche Krimi-Fans hatten jeden Sitzplatz besetzt. Die meisten kannte sie schon seit vielen Jahren, wenigstens vom Sehen. Der fremde Mann mit dem Dreitagebart dort drüben war ihr allerdings auf Anhieb unsympathisch. Und auch den beiden jungen Männern in der ersten Reihe – links ein dunkelhaariger, der andere blond – mochte sie nicht so recht über den Weg trauen.

Sie begann zu lesen, zunächst leise, langsam und bedächtig, dann schneller werdend, eine stilistische Pause – und plötzlich laut mit vibrierender Stimme beim ersten Spannungshöhepunkt. Das Publikum hing gebannt an ihren Lippen. Einer der jungen Männer fehlte, sie hatte nicht bemerkt, wo er hingegangen war.

Sie nahm einen Schluck Wasser, aß – um die Spannung noch etwas zu steigern – bedächtig eine süße Makrone und las weiter. Plötzlich flackerte die Lichterkette am Tannenbaum und ging aus. Es war stockdunkel, man hörte nur erschrockenes Einatmen und kleine Aufschreie aus dem Publikum. Eine Christbaumkugel zersplitterte am Boden. Der neue Hausmeister, der eben noch links in der ersten Reihe gesessen hatte, sorgte schnell wieder für Licht. Die Menschen atmeten hörbar auf, und die angestaute Spannung entlud sich in leisem Gelächter und fröhlichem Plappern. Nur Adele regte sich nicht. Sie saß mit offenen Augen in ihrem Sessel, die Brille auf der Nase verrutscht, tot. Vergiftet.

Der Mann mit dem Dreitagebart wies sich als Kommissar Bertram aus. Er hatte erst vor wenigen Tagen seine neue Stelle angetreten. Er reagierte sofort, rief den Notarzt und scheuchte das Publikum in den Nebenraum. Dann sah er sich am Tatort um. Adeles Brille erregte seine Aufmerksamkeit. Mithilfe eines sauberen Taschentuches, um keine Spuren zu verwischen oder zu hinterlassen, nahm er die Brille in die Hand und sah sofort, was sie so besonders machte.

Und noch etwas fiel ihm auf: Der Teller mit den Makronen war verschwunden, ebenso das Buch, aus dem Adele gelesen hatte. Ach nein, die Büchereileiterin hatte es aufgehoben. Ungeschickt versuchte sie, es unter ihrer Strickjacke zu verbergen, und wollte schnell den Raum verlassen. Bertram hinderte sie daran. Er nahm ihr das Buch ab – und fühlte sofort den kleinen USB-Stick, der im Buchrücken verborgen war. Unter Thereses wütenden Blicken zog er ihn heraus. Die Bibliothekarin kniff die Lippen zusammen und verweigerte jede Aussage. Aber sie schielte immer wieder zum Tannenbaum, hinter dem sich der blonde junge Mann versteckt hatte, in der Jackentasche noch die vergifteten Makronen. Bertram nahm Therese und ihren Komplizen mit aufs Revier.

Dort angekommen untersuchte er umgehend den USB-Stick und Adeles Brille, die eine eingebaute Kamera enthielt. Auf dem USB-Stick fanden sich umfangreiche Hinweise auf einen Schmugglerring, der seit Jahren im großen Stil Markenpiraterie betrieb. Die Spuren hatten die Kripo immer wieder in diese Stadt geführt, waren aber dann im Sande verlaufen. Therese hatte die Bücherei genutzt, um die geheimen Daten unauffällig ihren Komplizen in die Hände zu spielen und Schmuggel wie Verkauf zu koordinieren.

Ihre Tarnung war nahezu perfekt gewesen, keiner hätte dieser grauen Maus so etwas zugetraut. Es war Zufall gewesen, oder vielmehr Pech, dass Adele ausgerechnet dieses Buch mit dem verborgenen USB-Stick zum Lesen herausgezogen hatte. Therese musste schnell handeln. Aber Improvisieren war noch nie ihre Stärke gewesen. Adeles Brille offenbarte, dass es Therese gewesen war, die die vergifteten Makronen hingestellt hatte. Blausäure war das einzige gewesen, was sie auf die Schnelle in den Räumen des Hausmeisters gefunden hatte – sie musste nur ein paar Tropfen auf die Mandelmakronen träufeln, der Bittermandelduft würde so nicht auffallen.

Therese war zu selbstsicher und zu dreist gewesen, als sie geplant hatte, ihren heutigen Coup im Rahmen dieser ganz besonderen Lesung durchzuziehen. Aber natürlich wusste sie nicht, dass Adele schon lange einen Verdacht gegen sie gehegt, aber keinerlei Beweise gehabt hatte. Bis ihr ausgerechnet das Buch mit dem USB-Stick in die Hände gefallen war. Nun hatte die Kommissarin a.D. auch ihren allerletzten Fall gelöst, Adeles großes Weihnachtsspecial.

Adventskalender Minikrimi am 10. Dezember


Foto: Tama66

Die Kreuzfahrer

Während der Zugfahrt versucht Matthieu, sich einzustimmen auf das, was ihn erwartet. Er ist katholisch erzogen worden. Gebetsbildchen mit einer fromm blickenden Muttergottes und dem Heiligsten Herzen Jesu, Weihrauch satt und warmes Holz atmende Beichtstühle. Unter einem Predigerseminar kann er sich auch nach einer ausgedehnten Internetrecherche kaum etwas vorstellen. Hartnäckig halten sich Visionen von gotischen Hallen, von flackernden Kerzen und düsteren Heiligenbildern, von strengen Rektoren und blassen Dozenten. Wie Jana, die bunte, quirlige Exzentrikerin, dort hinein passt, übersteigt seine Vorstellungskraft.

Und dann ist er da, Jana steht am Bahnsteig, nur Hände, Wuschelkopf und Beine schauen aus dem warmen Plüschmantel hervor. Als sie spricht, formen sich die Worte zu Atemwolken, so kalt ist es. „Schön, dass du da bist.“ Sie begrüßt Matthieu mit zwei Küsschen und einer Umarmung, so fest, dass er spürt, wie wichtig es ist, dass er ihrer Einladung gefolgt ist. Eigentlich war es mehr ein Hilfeschrei, untypisch für seine pragmatische Freundin aus der Kinderzeit. „Matthieu, hier im Predigerseminar passieren ganz  merkwürdige, schreckliche Dinge. Ich habe Angst. Kannst Du kommen?“

Matthieu ist Privatdetektiv, schreckliche Dinge sind sein Beruf. Seltsam, denkt er, wie sich die Rollen im Verlauf eines Lebens verändern. Früher war er es gewesen, der Jana um Hilfe gebeten hatte. Wenn sich eine Spinne in seinen Haaren verfangen hatte. Wenn er die Hausaufgaben nicht gemacht oder die Unterschrift der Eltern unter einer 5 vergessen hatte. Und jetzt wird ausgerechnet Jana Pfarrerin, und er löst die handfesten Probleme anderer Menschen.

„Eigentlich geht das schon länger so. Aber anfangs haben wir uns nichts dabei gedacht. Seit  zwei Wochen ist es richtig schlimm geworden. Ich bin nicht die einzige, die Angst hat, dass bald was Furchtbares passiert.“ Sie gehen durch die kalte Nacht zu dem Zimmer, das sie während der Wochen im Predigerseminar bewohnt.

Am ersten Tag nach ihrer Ankunft, erzählt sie, hatte jemand die gestaltete Mitte im Seminarraum des Hermeneutik-Dozenten auf verstörende Weise verändert: die liebevoll ausgebreiteten Herbstblätter waren mit roter Farbe übergossen und in Fetzen gerissen, so dass das blaue Seidentuch darunter aussah wie ein Schlachtfeld. Am nächsten Tag zur Andacht hing das Kreuz in der Kapelle verkehrt herum hinter dem Altar. Pfarrerin P. hatte fast der Schlag getroffen, und zwar wortwörtlich, denn gerade als sie die Untat näher besehen wollte, war das Kruzifix zu Boden gekracht. Es hatte sie nur um Millimeter verfehlt.

„Das ist mehr als ein dummer-Jungen-Streich“, muss Matthieu zugeben. Kein noch so frustrierter Vikar würde seinem Ärger auf diese beinahe mörderische Weise Luft verschaffen. Oder? „Es wird noch schlimmer, warnt Jana. Sie sitzen nebeneinander auf ihrem Bett, jeder mit einer Bierflasche in der Hand. Es ist warm, und bei Kerzenlicht sieht der kleine Raum beinahe gemütlich aus. „Beim Praxisbeispiel Gemeindearbeit sollte das Video von einem Gemeindefest laufen. Stattdessen sahen wir unseren Studienleiter sehr privat in einem Swingerclub.“ „Das ist natürlich peinlich, aber..“ „Er wurde dabei gefilmt, wie er eine Frau..also… wie er sie erwürgte. Er versicherte uns immer wieder, dass das ein Fake sei und er nichts damit zu tun habe, rein gar nichts.“ „Und, habt Ihr ihm geglaubt?“ „Du weißt ja, wie das ist. Selbst wenn nix dran ist, irgendwas bleibt immer haften.“ 

„Aber wer könnte denn ein Interesse daran haben, Eure Dozenten zu „dezimieren“? Matthieu kann sich ein Predigerseminar beim besten Willen nicht als Tatort vorstellen, ebenso wenig wie als Hort eines mordlüsternen Geistes. „Ich würde jetzt gerne diese Nacht darüber schlafen. Und morgen schaue ich mir dann alles an, vielleicht finde ich tatsächlich etwas heraus.“ 

Sie schlafen wie in ihren Kindertagen, eng aneinander geschmiegt, tief und entspannt. Sie haben sich schon immer gegenseitig Kraft gegeben.

Am nächsten Morgen begleitet Matthieu Jana zur Andacht. Sie sind die ersten und haben bereits einen Spaziergang durch den raureifweißen Seminargarten gemacht. Ein blasser Himmel wölbt sich über Dächer und Bäume, er verspricht Schnee und noch mehr Frost. Vor der Kirchentür trifft Jana die Frau des Rektors.

Inzwischen stößt Matthieu das schwere Holzportal nur mit Mühe auf. Etwas blockiert den Flügel von innen. Der Dozent für Gemeindearbeit. Er ist noch warm und liegt mit zertrümmertem Schädel in seinem Blut, neben dem Kopf auf dem Kirchenboden ein silberner Leuchter.

Während die Polizei ermittelt, sitzt Matthieu im Kreis der erschütterten Theologen. „Wer könnte ein Motiv gehabt haben, den Mann zu ermorden?“, fragt er in die Runde. „Er selbst – nachdem das Video schon auf Youtube zu sehen ist. Aber sonst?“ Sie sind alle ratlos. Eines ist klar, jetzt werden im Priesterseminar Köpfe rollen. Bildlich gesprochen! „Und das, nachdem der Rektor sich grade entschlossen hatte, seinen Ruhestand noch um zwei Jahre nach hintern zu schieben“, bemerkt Jana. „Naja, seine Frau wird sich freuen. Sie hat mir eben erzählt, dass sie ihm zu Weihnachten Tickets für eine Kreuzfahrt geschenkt hat. Die hätte sie in die Tonne werfen können, wenn er geblieben wäre. Des einen Freud….“

… ist des anderen Leid. Trotzdem. Matthieu kann es zunächst nicht glauben. Er betritt das Gebäude – und irgendwie ist alles so, wie er es sich ausgemalt hatte. Und doch auch ganz anders. Lange Flure, dunkle Türen, poliertes Parkett. Nischen mit Bildern, schweren Sesseln und Topfpflanzen. Er trifft den Rektor in der Bibliothek. „Ich fasse es nicht. Erst diese unsinnigen „Anschläge“, und jetzt auch noch ein Mord! Wer tut so etwas? Ausgerechnet hier?“

Matthieu erfährt, dass der Rektor tatsächlich geplant hatte, im Sommer in den Ruhestand zu gehen. Aber dann hatte sich die Suche nach einem Nachfolger schwierig gestaltet, er hat das Seminar „gut im Griff“, wie er sich ausdrückt. Und so war er von der Kirchenleitung gefragt worden, ob er sich eine Verlängerung seines Amtes vorstellen könne.  Er hatte zugestimmt. Erleichtert, denn die Aussicht, sein Büro, die Bibliothek und die langen Flure gegen noch längere Urlaubsreisen mit wildfremden Menschen, ausgedehnte Spaziergänge und vielfältige Arbeiten in Haus und Garten einzutauschen, war ihm wie eine düstere Drohung erschienen. Seine Frau hatte er nur im Nebensatz über die Planänderung in Kenntnis gesetzt. „jetzt muss ich natürlich umgehend meinen Sessel räumen. Nach allem, was passiert ist. Schade.“

Matthieu findet die Frau auf einer Bank vor der Kapelle. Schweigend sitzen sie nebeneinander. Das ist die Art, wie Matthieu seine Fälle löst. Dem Täter ganz zugewandt. „Ich bin am Ende doch etwas zu weit gegangen, mit dem Mord“; sagt die Rektorengattin schließlich. „Aber vielleicht geht er ja ohne mich auf Kreuzfahrt.“

„Du hättest auch Pfarrer werden können“, sagt Jana später. „Und du Detektivin. Du hast mich auf die Spur gebracht.“ Bevor er in den Zug einsteigt, küssen sie sich. Pfarrerin und Detektiv – vielleicht gar keine schlecht Kombination? 

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