Cui bono?


Sind „die Deutschen“ in der ersten Runde der Fußball-EM alle queer geworden? Bzw. zu 100% LGBTQ-tolerant? Schön wär’s – und es wäre sicher auch an der Zeit.

Um es gleich vorwegzunehmen: ich glaube nicht, dass dem so ist. Was hat es also mit dem „Regenbogen“-Phänomen auf sich, dass momentan durch die Bundesrepublik weht – auf Fahnen und Plakaten, auf Klamotten, an Armen, in Gesichtern – und natürlich allenthalben in den so genannten „sozialen“ Netzwerken?

Ich bin jetzt mal ganz, ganz böse: Corona war gestern. Verschwörungstheorien bezüglich einer Staatsdiktatur, DNA-Klau per Impfung etc. hypen auch nicht mehr, zumindest momentan. Wohin mit der Aktionseuphorie? Da kommt die Regenbogen-Kiste doch gerade recht. Man kann sich zwar nicht mehr über Querdenker aufregen, aber über Orban, bzw., auf der Gegenseite, über die, die das tun.

Der Aufhänger Sport ist, davon bin ich – leider – überzeugt, hier absolut zufällig. Es ist halt EM, wir dürfen „raus“ – und haben das Bedürfnis, unsere Meinung kundzutun, so bunt wie möglich. Und in der Masse.

Dass Politiker*innen das machen, ist im Wahljahr 2021 mehr als verständlich. Es geht um die Wählergunst. Wobei ich bezweifle, dass diese Rechnung aufgeht. Denn der Anteil der Wähler*innen, bei denen Diversitätspolitik stimmentscheidend ist, ist zu gering, um wahlentscheidend zu sein. Außerdem hoffe ich sehr, dass diese Menschen den Inhalt des jeweiligen Wahlprogramms höher bewerten als ein regenbogenfarbiges Lippenbekenntnis. Dass Lieschen Müller und Hans Meier folgen und allenthalben ihren persönlichen Regenbogen posten, ist, mit Verlaub, peinlich.

Woher ich mir das Recht nehme, so etwas zu behaupten? Nun, vor allem aus den Kommentaren, die ich zu Artikeln, Posts und Statements in den letzten Tagen gelesen haben. Daraus war allzu oft allzu deutlich herauszulesen (wahlweise oder auch in Summe):

  • Nicht inhaltlich ausformulierte Antipathie gegen Orban, gegen Ungarn, gegen Organisationen wie die UEFA, gegen… ja, gegen, halt!
  • Stromverhalten
  • Hetze gegen einen sportlichen Gegner als Variante von Nationalismus
  • Unkenntnis dessen, worum es inhaltlich eigentlich gehen sollte.

Ich wage sogar, zu behaupten, dass die meisten zumindest die Stirn runzeln würden, wenn in der Mannschaft ihres Kindes ein*e Spieler*in sich als schwul, lesbisch, trans, bi oder was auch immer „outen“ würde. „Du bist doch aber nicht so, oder? Lass dich bloß nicht anfassen!“ Nein, das ist nicht weit hergeholt, das kenne ich aus dem engsten Familien- und Bekanntenkreis, und brandaktuell!

Hier wird gerade Politik mit Sport vermischt. Wahrlich nicht zum ersten Mal. Aber in Verbindung mit dem Thema der Akzeptanz unterschiedlicher Ausprägungen von Sexualität und Selbstempfinden ist das in meinen Augen besonders gefährlich. Ich höre es schon: „Wir sind absolut offen, schauen Sie auf unseren Regenbogen.“ Deshalb sind keine weiteren Änderungen nötig. Nicht im Verhalten, nicht in Regelungen, nicht in Gesetzen. Denn „wir haben doch den Regenbogen hochgehalten.“ Das ist aber leider ein reines – nein, nicht Lippen-, sondern Augenbekenntnis. Dadurch ändert sich rein gar nichts.

Um beim Fußball zu bleiben: erst ab einem LGBT-Anteil von mindestens 7,4% in deutschen Vereinen (Gesellschaftsumfrage Startup-Dalia von 2013, Quelle jetzt.de) glaube ich, dass die Haltung hinter dem Regenbogen verinnerlicht wurde.  Der Weg dahin ist novch lang: Aktuell gibt es in den deutschen Männer-Profi-Ligen angeblich KEINEN aktiven und offen schwulen Spieler (statistisch gesehen müssten es entsprechend dem Bevölkerungsdurschnitt von 3-10% ca. 45-150 sein. Und nicht null). International sieht es genauso aus.

DESHALB finde ich die Regenbogen-Welle, die hier gerade im Zusammenhang mit dem Sport geritten wird, heuchlerisch.

Leider – wirklich leider! – würde sich auf FB, Twitter & Co. kaum jemand mit dem Regenbogen schmücken, wenn es „nur“ darum ginge, eine zutiefst menschenverachtende Entscheidung eines europäischen (!) Politikers zu kritisieren. Das wäre, wiederum mit Verlaub – den allermeisten Deutschen einfach „wurscht.“ Dabei wäre es angebracht, um zu versuchen, Deutschland und die EU zu Sanktionen gegenüber der ungarischen Staatspolitik zu bewegen.

Nota bene: ich spreche/schreibe nicht von den Engagierten, Aktiven, sondern von der gemeinhin sich als eher „apolitisch“ bezeichnenden Mehrheit.

Daher meine Bitte: Leute – lasst den Ball im Stadion – und engagiert Euch für die Rechte von LGBTQ – aber bitte IMMER und ÜBERALL. Fangt am besten mit eurem individuellen Verhalten an.  Das bewirkt mehr als ein eingefärbtes Profil. Aber Vorsicht: an dieser Nachhaltigkeit könntet Ihr gemessen werden 

Klick klick klick und du bist tot


Was treibt Menschen in ein maßloses Engagement? Für den Beruf, für eine Sache, für andere Menschen? Immer, wenn das rechte Maß verloren geht und sich die innere Balance auf eine Seite neigt, im Guten wie im Schlechten, wird die „Wippe“ wieder kippen. Emotionale Physik, sozusagen.

Ein solches überdimensioniertes Engagement, das nicht (allein) um der Sache willen betrieben wird, sondern zur Aufwertung eines im Vorfeld verletzen Egos, hat es schon immer gegeben. Es hat der Literatur viele Vorlagen für gute Geschichten gegeben, vom Sanskrit über die Klassiker bis heute. Aus „übertriebenem Altruismus“ wurde das „Gutmenschentum“. Leider haben sich mit der medialen Globalisierung die Folgen dieses Tuns verschärft. „Tue Gutes und Rede darüber“ –  diese Motto lautet heute: „… und fotografiere, twittere, poste darüber“. Je mehr Kanäle dabei erreicht werden, desto größer der Heiligenschein, desto höher der Nutzen. Und unter Umständen auch der Schaden für einige Beteiligte. Wie ein Lauffeuer verbreiten sich News und Pseudonews, echte und „photogeshoppte“ Bilder und Videos. „Viral“, nennt sich das, und wovon Firmen bezüglich der Verbreitung ihres Bekanntheitgrades nur träumen können, das kann Betroffene in die Verzweiflung, den Wahnsinn oder sogar den Tod treiben.

Ein verantwortungsvoller Umgang mit den gegebenen digitalen und technischen Möglichkeiten ist deshalb höchste Pflicht bei der Verbreitung von Nachrichten, Bildern etc. im Word Wide Web. Ob in der Bibel, in der Ballade vom Zauberlehrling oder im Film über Katharina Blum – es gibt unendlich viele Beispiele dafür, wie Existenzen durch üble Nachrede vernichtet werden. „Und was ist mit den Verbrechern, die nur dank Internet endlich zur Strecke gebracht werden?“ Es ist gut und wichtig und richtig, dass sich Exekutive und, im zulässigen Maß, Judikative der zur Verfügung stehenden Mittel bedienen, um Verbrechen aufzuklären. Aber selbst da erleben wir, welche Gratwanderungen „Gerechtigkeit“ macht, z.B., wenn es sich dabei um die proklamierte Gerechtigkeit eines „ungerechten“ Staatssystems handelt.

Facebook, Twitter & Co. bieten unbegrenzte Möglichkeiten der Sammlung, Speicherung und Verbreitung von Information und Desinformation. Letztendlich gibt es keinen hundertprozentigen Schutz. Aber wer sich nicht selbst bewusst an der Fehlinformation und dem viralen Streuen falscher Wahrheiten beteiligen will, der kann ein paar einfache Grundsätze beachten:

  • Wird die Nachricht, die ich gehört oder gelesen, das Bild, das ich gesehen habe, von mehreren unabhängigen Quellen geteilt oder verbreitet?
  • Wie verlässlich bzw. ggf. offiziell sind diese Quellen?
  • Wird in der ursprünglichen Nachricht eine Quelle angegeben? Wo liegen bei einem Foto/Video die Rechte?
  • Vorsicht ist generell geboten bei Texten, die an sich bereits tendenziös bis beleidigend sind. Je neutraler die Wortwahl, desto wahrscheinlicher die Authentizität
  • Unbedingt auch auf das Datum schauen – zuweilen werden gerade alte Bilder in neue Zusammenhänge gebracht
  • Schließlich sollte ich nicht unbedacht auf „Like“ und „send“ und „teilen“ klicken, sondern lieber eine kleine Zeit vergehen lassen. Wenn ich, ruhig und besonnen, immer noch der Ansicht bin, dass ich diesen bestimmten Inhalt, dieses Bild so verbreiten möchte, dann trage ich bewusst die Verantwortung für das, was meine Klicks auf der Tastatur auslösen.

Vom Recht an den Worten. Schreiben zwischen Acta und Piraterie


Ups -da war doch was? Einigen schien es vielleicht so, als hätten die Autorinnen und Autoren da etwas verschlafen, was sie in ihrer Existenz berührt. Und der Schauplatz den Medien überlassen. Der Straße. Dem Flashmob. Aber nur beinahe. Schriftsteller sind ja nicht qua Begabung die besseren Menschen. Deshalb geht es auch in ihren Reihen hoch her, wenn die Urheberrechts-Debatte entflammt. Ähnlich wie im Fußball gibt es ja auch in der Literatur verschiedene Ligen. Wobei die vielleicht nicht allein von Kunst und Können abhängen, sondern auch von der Gunst. Nämlich des Augenblicks sprich des Publikums sprich der Nachfrage. Aber die mit weniger Geld neiden denen, die ihr Auskommen schon haben, vielleicht den einen oder anderen Cent. Und die wohl Habenden wollen nichts abgeben von dem wohligen Stand. Auch verständlich, vom Verstand her betrachtet. Noch mehr, wenn wir das Herz fragen. Nur leider. Leider. Achsoleider. Wird Acta weder mit dem Herz noch mit dem Einzelverstand entschieden. Und noch nicht einmal hier, sondern ganz weit draußen, um ein Bild der Ferne zu bemühen, das sich sowohl auf geistige wie geographische Gefilde beziehen kann.

Die Autorinnenvereinigung hat heute das Schweigen der Literaten für sich gebrochen und eine Pressemeldung veröffentlicht, die ausgewogen und sachlich zu sein scheint – so jedenfalls wurde sie im Netz – der Quelle allen Urheber-Übels, der Höhle des kopistischen Löwen, sozusagen – bewertet. Hier ein Zitat daraus: „Weder ist eine notwendige Anpassung der Urheberrechte eine persönliche Beleidigung der Kreativen, noch ist Acta die Ausgeburt einer Verschwörung gegen das namenlose Heer der Internetnutzer. Jay Walther, Vorstandsvorsitzende der Autorinnenvereinigung e.V. , betont ihr grundsätzliches Ja zum Urheberrecht und gleichzeitig „ die Notwendigkeit, neue Wege zu suchen und zu finden, damit die Nutzung des geistigen Eigentums den Autorinnen und Autoren zu Gute kommt.“  Und hier der Link zur Facebook-Seite der Autorinnenvereinigung e.V.

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