Fürbitte für die Christ*innen und Jesid*innen im Irak
Nachfolgend findet ihr den Text meiner Predigt von heute, 16.3.2025.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
einmal im Jahr gedenken wir der verfolgten Christ*innen in der ganzen Welt. Sie bilden nach wir vor die größte verfolgte religiöse Gruppe. Weltweit sind mehr als 380 Millionen Christ*innen in 78 Ländern wegen ihres Glaubens intensiver Verfolgung und Diskriminierung ausgesetzt. Tendenz leider steigend.
Für uns schwer vorstellbar – aber wir haben bei uns ein Gemeindeglied, dass genau aus diesem Grund hierher geflohen ist. Wer mit ihm gesprochen hat, hat vielleicht eine Ahnung davon, wie gefährlich der Glaube in manchen Teilen der Welt sein kann, während er für uns selbstverständlich oder für viele sogar nebensächlich ist.
Dieses Jahr hat die EKD den Irak in den Mittelpunkt des Gedenkens gestellt.
Steht in der „Rangliste“ der Länder, in denen Christ*innen verfolgt werden,
auf Platz 17. Auf den Plätzen 1-5 stehen Nordkorea und Somalia, der Jemen, Libyen und der Sudan. Wir selbst kennen Menschen, die aus dem Irak bis zu uns nach München geflohen sind.
Aktuelle Situation im Irak
Auch wenn im Irak kein offener Krieg mehr herrscht und die Isis-Krieger als besiegt gelten – die Gewalttäter des Krieges leben weiter in dem Land. Vielen von ihnen waren aus der Armee von Saddam Hussein zur Isis übergetreten, die die Christ*innen und Jesid*innen verfolgt und ermordet haben.
Die Hauptsorge der Minderheiten im Irak ist es, dass es dem Iran gelingt, seinen Einfluss auszuweiten, um auch den Irak in einen Gottesstaat iranischer Prägung zu verwandeln. Ihre einzige Hoffnung ist die Erhaltung einer religiösen und kulturellen Vielfalt im Land, damit auch die Minderheiten in Zukunft friedlich dort leben können. Deshalb halten die Minderheiten im Irak zusammen. Meist treten Jesid*innen und Christ*innen gemeinsam auf, wenn sie ihre Stimme erheben.
Die Minderheiten im Irak tragen wesentlich zum reichen kulturellen und sozialen Mosaik des Landes bei. Ihre einzigartigen Sprachen, Kulturen, Traditionen und religiösen Praktiken machen den Irak zu einer lebendigeren Gesellschaft und zu einem der vielfältigsten Länder im Nahen Osten. Diese Vielfalt fördert den Zusammenhalt und das Verständnis füreinander. In wirtschaftlicher Hinsicht haben die Minderheiten im Irak seit jeher zur Alphabetisierung, zum Finanzwesen, zum Handel, zum Handwerk und zu verschiedenen qualifizierten Berufen beigetragen und das wirtschaftliche und kulturelle Leben der Mehrheit bereichert.
Übrigens: Die ständige Sorge vor neuer Gewalt bewirkt, dass bisher nur etwa fünf bis zehn Prozent der Christ*innen in ihre alte Heimat zurückgekehrt sind, nachdem sie aus Angst um ihr Leben geflohen waren. Nicht nur in die autonome Region Kurdistan, sondern in die ganze Welt. Das gleiche gilt für die Jesid*innen.
Die chaldäische katholische Gemeinde in München schätzt die Zahl der chaldäischen Christ*innen in Deutschland auf rund 20.000, mit Schwerpunkten in Bayern, insbesondere in München, Augsburg und Nürnberg. In München leben geschätzt rund 4000 Jesid*innen.
Der Predigttext, den wir gerade gehört haben, spricht davon, mit welcher Motivation und Aufgabe Jesus auf die Welt kam und was daraus folgt. Er verbindet den Glauben sehr eng mit dem, was wir an Gutem tun, in G*ttes Namen. Jesus will die unheilvollen Verflechtungen lösen und uns durch seine Liebe zur Wahrheit führen, steht da. Wer die Wahrheit tut, der kommt zum Licht. Und im Licht brechen die Gebäude aus Lügen und Bosheit zusammen.
Das klingt abstrakt? Für uns vielleicht. Denn wir sind meist nicht lebensbedrohlich von solchen bösen Verflechtungen betroffen. Gottseidank. Aber die Christ*innen und die Jesid*innen im Irak klammern sich täglich an diese Gewissheit, dass die bösen Werke im Licht Jesu zerfallen werden. Der chaldäische Erzbischof Najeeb Michael von Mossul betont, dass allein dieser Glaube seinen verfolgten Gemeinden Hoffnung gibt – für uns kaum vorstellbar!
Gerade das Johannesevangelium gibt den Gemeinden Kraft. Denn auch Johannes stellt in einer Situation der Bedrängnis das Vertrauen auf die Kraft der göttlichen Liebe als Trost und Mutmacher immer wieder heraus.
Jesid*innen leiden noch mehr unter Verfolgung
Ich arbeite u.a. für eine private Hilfsorganisation, die schwer kranken Kindern in Deutschland lebensrettende Behandlungen ermöglicht. Eines dieser Kinder ist Aza – auf dem Faltblatt. Aza und ihre Familie sind Jesiden.
Die Situation der Jesid*innen ist noch dramatischer als die der Christen im Irak. Das sich hartnäckig haltende Vorurteil, sie würden eigentlich den Teufel anbeten, war in der Geschichte immer wieder Grund, sie blutig zu verfolgen. Bis heute werden Jesid*innen in weiten Kreisen der muslimischen Mehrheitsbevölkerung im Irak als Ungläubige gesehen.
2014 verübte die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) einen brutalen Völkermord an den Jesiden. In nur wenigen Tagen brachten sie 10.000 Jesid*innen jeden Alters auf grausame Weise um. 7.000, vor allem Frauen und Mädchen, wurden verschleppt und als (Sex)-Sklavinnen an IS-Kämpfer verkauft. Einige konnten sich selbst befreien oder wurden mit hohen Lösegeldsummen von ihren Familien freigekauft. 3.000 sind aber noch immer in Gefangenschaft. Der deutsche Bundestag hat den Völkermord an den Jesid*innen im Januar 2023 anerkannt.
Aza und ihre Familie sind Jesiden. Das Mädchen kam als Baby nach Deutschland. Ihr Dorf wurde angegriffen, Frauen verschleppt. Wenn die Flucht nicht gelungen wäre, wäre Aza ganz sicher getötet worden, denn sie kam mit einer Behinderung auf die Welt: ihr linkes Bein ist nur halb so lang wie das rechte. Inzwischen ist Aza schon 7 Jahre alt. Sie geht in Deutschland in die Schule, und ein amerikanischer Beinverlängerungsspezialist bemüht sich, die Beine so weit wie möglich anzugleichen. Wäre sie im Irak geblieben, wäre sie tot.
Die Mutter spricht gut Deutsch und macht eine Ausbildung zur Familienhelferin. Aber es hat lange gedauert, bis sie die Ängste vor Verfolgung und die Albträume hinter sich lassen konnte.
380 Millionen Schicksale
Liebe Brüder, liebe Schwestern, hinter jedem der 380 Millionen Verfolgten steckt ein Mensch mit einem Schicksal, so wie Aza. Es ist wichtig, sie nicht zu vergessen. Es ist wichtig, auf verschiedenen Ebenen für sie einzutreten. Politisch. Kirchlich. Betend – wie wir das heute tun.
Und helfend. Zum Beispiel, wenn Geflüchtete es bis zu uns schaffen. Viele kommen nicht mit einem perfekten Aktenordner mit allen Papieren, die in Deutschland verlangt werden. Das bringt die Flucht so mit sich. Bzw. gibt es in vielen Ländern gar nicht all die Dokumente, die die deutschen Behörden verlangen. Das fängt bei der Geburtsurkunde an und hört bei der Heiratsurkunde noch lange nicht auf. Dennoch brauchen die Allermeisten Hilfe. Dennoch suchen die Allermeisten Schutz. Dennoch wollen die Allermeisten nur in Frieden und Sicherheit leben. Mit ihrer Familie und ihrem Glauben. Das gilt nicht für verfolgte Christ*innen.
Es ist unsere Aufgabe, ihnen nicht die Tür vor der Nase zuzuknallen. Es gibt einen Unterschied zwischen Migration und Flucht. Während Flucht eine erzwungene Entscheidung aufgrund von Gewalt und Konflikten ist, stellt Migration eine freiwillige Bewegung aus sozialen und wirtschaftlichen Notlagen dar. Auch diese Notlagen können lebensbedrohlich sein, fallen aber nicht unter die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK, 1951). Deutschland hat diese Konvention unterzeichnet, und das gibt uns Helfenden den rechtlichen Rahmen für unser Engagement. In der Konvention steht u.a. – Grundsatz des Non-Refoulement (Art. 33 GFK):
Als Christ*innen müssen wir, wo und wie es in unserer Macht steht, helfen
Geflüchtete dürfen nicht in ein Land abgeschoben werden, in dem ihnen Verfolgung aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe droht. Dieser Schutz gilt unabhängig davon, ob die Person als Flüchtling anerkannt wurde oder nicht.
Einmal im Jahr an die religiös Verfolgten zu denken, ist wenig. Aber nehmen wir es als Erinnerung, auch während der restlichen 364 Tage offen zu sein, sie zu sehen, für sie einzutreten, wo es uns möglich ist, und für sie zu beten – für alle aus religiösen Gründen Verfolgten in aller Welt. Heute können für als Zeichen dafür eine Kerze ins Fenster stellen.
Amen.
Hier findet ihr Informationen und Texte der EKD zur Fürbitte für verfolgte Christ*innen
Und hier erfahrt ihr mehr über die Situation von verfolgten Christ*innen weitweit
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