MiniKrimi Adventskalender am 8. Dezember


Heute, meine Lieben, geht’s mir ans Leder. Oder das hat sich zumindest die liebe M. gedacht, als sie mir folgende Clues für diesen MiniKrimi geschickt hat: blutiges Tangahöschen/ weisser Rauschebart/ Kristallkugel/ Trommel/ Kirchenglocken/ Seemöwe/ hohe Nordseewellen/ Pirat(enkostüm)/ Messwein. Na, dann schau’n wir mal, ob ich daraus was aus dem Hut, nein, aus meinem Kopf zaubern kann.

Agentin Feli’s erster Fall

Ich habe lange gezögert und bin mir immer noch nicht ganz sicher, ob ich das Richtige tue. Mein Alltag verläuft in geregelten Bahnen. Aufstehen, essen, putzen, schlafen, das Haus inspizieren, essen, putzen, schlafen, den Garten inspizieren – aber nur im Sommer, denn der Winter in diesen Breiten jagt mir beständige Kälteschauer über den Rücken. Ich lebe nun schon seit 8 Jahren in Deutschland, aber an das milde Klima meiner Heimat Mallorca erinnere ich mich noch immer mit Wehmut. Allerdings ist es das einzige, was ich hier vermisse. Wäre ich geblieben, wäre ich schon lange tot. Aber Mia hat mich gerettet und zu sich nach Hause geholt. Dafür bin ich ihr unendlich dankbar. Deshalb passe ich gut auf sie auf, allein schon in meinem Interesse. Und deshalb bleibe ich bei meinem Entschluss. Immerhin habe ich berühmte Vorbilder, die es nicht nur zu Ruhm, sondern auch zu einigem finanziellen Erfolg gebracht haben. Denkt nur an die Wanze Muldoon und seine berühmte Gartendetektei. Oder an den von mir wegen der politischen Entgleisungen seines menschlichen Mitbewohners nicht besonders geschätzten Francis. Da ich selbst Ausländerin bin, bin ich da sehr empfindlich. Aber ich schweife ab.

Mia ist Schriftstellerin. Sie hat es nicht leicht. Und stellt mir und den anderen trotzdem jeden Tag ein gutes Essen hin. Und nicht etwa irgendein Billigzeug, nein! Sie informiert sich immer wieder über die beste und bekömmlichste Ernährung. Dabei übertreibt sie es manchmal zwar mit ihrer Fürsorge. Kürzlich hat sie auf einer dubiosen esoterischen Internetseite gelesen, dass Messwein stimulierend auf den Organismus alternder Katzen wirken soll, wegen der positiven psychogenen Vibrationen. Ein völliger Quatsch, natürlich. Ich habe mit dem Essen solange gewartet, bis meine Mitbewohnerin Bruna in der Küche war, und dann so getan, als sei ich kurz abgelenkt. Die Arme ist nicht die hellste Birne am Kronleuchter, aber – Achtung: Trommelwirbel – extrem verfressen. Sie hat meinen Napf in Sekundenschnelle leergefressen, Messwein hin oder her. Mia hat nicht mal bemerkt, dass Bruna den Rest des Abend tänzelnd durchs Wohnzimmer ging. Müssen die Vibrationen gewesen sein.

Aber ich schweife schon wieder ab. Verzeiht. Das ist mein erster Versuch als Geschichtenschreiberin, ich verliere noch leicht den Faden. Also: ich will euch von meinem ersten Fall – und dem ersten Erfolg – als Privatdetektivin berichten. Und das kam so:

Stop. Bevor ich besagten Fall aufschlüssele, muss ich euch erst mehr über unsere kunterbunte Hausgemeinschaft erzählen. In unserem kleinen Hexenhäuschen am Stadtrand von München leben wir zu sechst: Meine beiden älteren Schwestern Chiara und Bruna, ich, dazu ein Mafioso aus Dubai, nennen wir ihn Mischief, und seit neuestem noch ein Baby namens Pepa. Ach ja, und Mia, natürlich. Ihr gehört das Haus. Chiara und Bruna sind schon in die Jahre gekommen und, wären sie Menschen und hätten sie jemals sozialversicherungspflichtig gearbeitet, Rentnerinnen. Das heißt, die beiden haben schon immer mal wieder beim Film gejobbt, vor allem Chiara, sie hat in ihrer Jugend viel gemodelt und hatte ihr letztes Shooting noch in diesem Herbst. Statt eines Honorars hat sie drei maßgeschneiderte Mäntel bekommen, über die Mia zunächst gelacht und gesagt hatte, Chiara sähe darin aus wie in einem Piratenkostüm. Jetzt ist es Winter und Chiara besteht nur noch aus Haut und Knochen. Ohne Mantel wäre sie augeschmissen.

Das muss man sich mal vorstellen! Ein Schlittenhund im Mantel! In einem früheren Leben wäre sie mit wehendem Fell an einem einsamen skandinavischen Strand durch die Brandung gerannt, über sich kreischende Seemöven und die Gischt hoher Nordseewellen wie Diamanten im Fell! Ach ja. Traurig. Aber ihr Verstand funktioniert noch und ist scharf wie das japanische Küchenmesser, an dem Mischief sich beim Abschlecken schon mal die Zunge aufgeschnitten hat, weil es nach Lachs roch.

Ja. Also das ist unser bunter Haufen. Chiara, eine 15 Jahre alte Malamute-Dame, Bruna, ein 11 Jahre alter Dobermann-Verschnitt (das hört sie gar nicht gerne, ihr Vater sei rein und rassig gewesen, nur kleingewachsen, behauptet sie), Pepa, das vorlaute Zwegdackelmädchen und – Mischief, der Hahn im Korb. Mitten in der Pubertät, Arabic-Mau und 7 Kilo schwer, ein Kraftprotz, wie er im Buche steht, immer darauf aus, anderen eins auszuwischen und Unruhe zu stiften. Ob er Mias Hausschuhe verschleppt, den handgeknüpften Teppich aufdribbelt oder mitten in der Nacht die Haustür aufmacht und uns – theroretisch – der Gefahr aussetzt, von Mördern gemeuchelt zu werden. Ich habe zwar in Erfahrung gebracht, dass die Kriminalitätsrate in diesem Stadtteil äußerst niedrig ist, aber das binde ich Mischief natürlich nicht auf die Nase.

Achso, ihr fragt, wer ich eigentlich bin? Ja. Ich bin Feli, bin 8 Jahre alt, stamme aus Mallorca, und die Menschen nennen mich eine Glückskatze. Warum? Keine Ahnung. Aber ich weiß, dass ich das große Glück hatte, Mia zu begegnen. Sie hatte natürlich genauso großes Glück, denn was würde sie ohne mich tun? Wenn ich nicht gewesen wäre, wäre der Fall, von dem ich euch jetzt endlich berichten werde, vermutlich tödlich ausgegangen. Und wir hätten einen Störenfried weniger im Haus. Aber „psst“, das habt ihr nicht gehört!

Gut. Vorgestern war ein Tag wie jeder andere. Chiara verweigerte ihr Essen und pinkelte stattdessen aufs Parkett – warum Mia ihr nicht immer diese WIndeln anzieht, die schon ihre Mutter getragen hat, also Mias, versteh ich nicht. Bruna lag auf der Seite und knurrte unentwegt prophylaktisch, falls Pepa auftauchen sollte. Aber die war damit beschäftigt, Mischief durchs Haus zu jagen. Treppauf treppab. Hach – das sind die Momente, die ich liebe. Früher hat er das nämlich mit mir gemacht. Tja, so kann das Blatt sich wenden….

Mia saß in ihrem Zimmer und versuchte, das Seitenpensum für ihren neuen Roman zu schaffen. Es dauerte eine Weile, bis sie in Fahrt kam, aber dann fing sie an zu schreiben – udn vergaß die Zeit. Wie schön, wir alle hatten Ruhe!

So wurde es Nachmittag. Stille lag über dem Haus. Nur einmal schien es mir, als hörte ich ein Scheppern ganz oben. Vielleicht ein loser Dachziegel?

Um kurz vor sechs stand ich auf und beschloss, nach Mia zu sehen. Wenn sie so in Schreibwut ist, vergisst sie leicht, dass bei uns um Punkt 18 Uhr Abendbrotzeit ist. Und gewisse Regeln müssen einfach eingehalten werden. Dafür sorge ich. Auf dem Weg ins Arbeitszimmer begegnete mir Chiara. „Gerade wollte ich Mia holen“, sagte sie. Wer’s glaubt! Bruna schloss sich uns an. Pepa bellte, kam alleine aber nicht die Treppen hoch. Also standen wir drei vor Mias Schreibtisch und sahen sie an. Erst mal ganz still. Dann bellte Chiara kurz. „Jaja, was ist denn?“, fragte Mia. Bruna jaulte. Sie ist immer gleich so ne Heulsuse. „Bruna, ist ja gut.“ Mia starrte weiter auf den Bildschirm. Zeit, zu handeln! Kurzentschlossen sprang ich auf die Tastatur und starrte sie auffordernd an.

„Achso, ist es schon Essenszeit? Kann nicht sein, Mischief hat sich noch nicht gemeldet.“ Er ist eigentlich immer der erste, der nach Futter schreit. Und jetzt fiel es auch mir auf: ich hatte den dicken Kater den ganzen Nachmittag über nicht gesehen! Weshalb ich auch so ruhig hatte dösen können.

„Wir gehen einfach runter und fangen schon mal mit dem Essen an,“ schlug ich vor. „Wenn er das Rascheln der Tüte mit seinem Trockenfutter hört, kommt er ganz sicher angerannt.“ Ob Mia mich verstanden hatte oder nur dem gleichen Gedankengang wie ich gefolgt war, weiß ich nicht. Aber sie ging in die Küche und bereitete unser Abendessen zu. Dabei rief sie immer wieder „Mischief!, Komm, lecker lecker!“ Wie albern. Ich reagiere auf sowas gar nicht erst. Doch bei ihm klappte das normalerweise. Als wir dann aber alle um unsere Töpfe versammelt waren, war von dem roten Mafioso immer noch nichts zu sehen.

Wir aßen dann schließlich ohne ihn. Aber jetzt war Mia richtig besorgt. „Wo kann er nur stecken? Das ist noch nie passiert!“ Und hier musste ich ihr recht geben. Egal, welchen Unsinn er wieder angestellt hatte – sein Futter hatte er noch nie verpasst. Also fing auch ich an, mir Sorgen zu machen.

Mia begann mit einer systematischen Suche im ganzen Haus. Waschküche – den warmen Platz hinter der Heizung nicht vergessen! Und auch nicht den ausrangierten Wäschekorb mit den Kissen für die Hollywoodschaukel, die dort in Erwartung des nächsten Sommers vor sich hin staubten. Nichts. Unter den Betten, unter den Matratzen – dort fand Mia, das hörte ich an ihren erpörten Ausrufen, alte Kotknöllchen und ein Mauseskelett. Dann die Schränke. „Ich habe doch gar keinen aufgemacht, heute?“ Sie wühlte sich durch Wintermäntel und Daunendecken bis in die hintersten Ecken. Überall das gleiche: Spuren seiner Anwesenheit, wie etwa einen zerrissenen Wollschal, Berge zerkauter Computer- und Ladekabel („Dieses Monster, ich bring ihn um!“), Reste von Kaustäbchen, obwohl die auch von Pepa stammen konnten, sie war ja nur halb so groß wie er und folgte ihm gerne in seine geheimsten Verstecke. Aber diese Spuren hatten eines gemeinsam: sie waren alle alt.

Nach zwei Stunden vergeblicher Suche ließ Mia sich auf das Sofa fallen. „Es ist wie vom Erdboden verschluckt. Wo kann er nur sein?“

Ich war Mia die ganze Zeit gefolgt, beobachtend, darauf achtend, dass sie nichts übersah. Aber nein – auch ich hatte den Kater nicht entdeckt. Jetzt war es an der Zeit, andere Methoden anzuwenden. Da ich nichts davon halte, meditirend in einer Kristallkugel nach Lösungen zu suchen, befragte ich zunächst die Zeuginnen im Haus. Und stieß dabei auf eine Mauer des Schweigens. Weder Chiara noch Bruna oder Pepa wollten Mischief in den letzten Stunden gesehen haben. „Ich finde übrigens nicht, dass er hier sonderlich fehlt“, bemerkte Chiara. Die alte Dame hatte so manches Haarbüschel in seinen Fängen verloren. „WIr sind als reiner Frauenhaushalt doch viel besser dran“, stellte Bruna fest. Und Pepa? Die Kleine verfügte noch nicht über eine besonders ausgeprägte Beobachtungsgabe. „Keine Ahnung. Also das letzte Mal habe ich ihn gesehen, als ich mir sein Kaustäbchen ausleihen wollte. Da ist er wie der geölte Blitz in den Flur gerannt und ab durch die Katzenklappe.“

Moment mal, da hatte Mia noch gar nicht nachgesehen. Eigentlich ist der Kate rnämlich zu dick, ehm, zu groß, um sich durch die Klappe zu zwängen, und ruft immer nach Mia, wenn er raus will. Aber wie sollte ich sie dazu bewegen, das nachzuholen? Da kam Chiara ins Spiel. „Auf dich hört sie am meisten. Sag ihr, dass du piseln musst. Dann rennt sie sofort mit dir raus. Und dann schaust du dich um. Bitte!“ „Na gut“, meinte Chiara. Auch, wenn sie Mischief nicht besonders mochte, legte sie doch Wert darauf, ihre Rolle als Rudelchefin zu betonen. Gesagt, getan. Als sie nach einer Viertelstunde wieder ins Haus kamen, wartete ich schon ungeduldig. „Und?“ „Du hattest recht, ausnahmsweise“, sagte sie. „Draußen vor der Tür roch es irgendwie seltsam. Nach Mischief, aber so, wie er riecht, wenn er Angst hat“.. Ich hatte noch nie bemerkt, dass der Kater so ein Gefühl überhaupt kannte. „Und dann auch fremd. Nach einem fremden Menschen. EInem Mann.“ „Und? Ist das alles?“ Ich war enttäuscht. Hier kamen immer mal Fremde her. Der Gärtner, der Schornsteinfeger. Allerdings nicht in den letzten paar Stunden. Aber wie zuverlässig war der Geruchssinn einer uralten Dame? Litten die nicht alle unter Anosmie? „Nein, das ist natürlich nicht alles“, triumphierte Chiara. „Auf dem Boden vor der Haustür lag ein Stück Papier. Braun, sah aus wie ein Blatt. Mia hätte es übersehen. Aber ich habe dran rumgekaut, da hat sie es mir weggenommen. Und es stand was drauf.“ „WAS?“ „Keine Ahnung, ich kann Menschenschrift nicht lesen.“

Wie enttäuschend. Ich auch nicht! Was nun? Aber da kam Mia wieder ins Zimmer. Setzte sich mit dem Stück Papier – es sah aus wie ein abgerissener Streifen einer Brottüte, und es roch auch so – aufs Sofa, und ich daneben. Ich kenne meine Mia. Wenn sie nicht weiterweiß, fragt sie immer uns um Rat. Ihre besten Freundinnen. „Chiara, Feli, das ist furchtbar. Hier steht:

Ihr Kater hat nun zum wiederholten Mal in meinen Garten gekackt. Gekackt. Wie vulgär! Jetzt reicht es mir. Ich habe ihm einen Denkzettel verpasst, von dem er sich so schnell nicht erhoien wird. Und wenn er überlebt, dann bringe ich ihn das nächste Mal ganz sicher um.

Typisch. Ohne Unterschrift. Der arme Mischief. Wer weiß, was er mit ihm gemacht hat! Wenn er verletzt ist, hat er sich bestimmt verkrochen. Und wenn wir ihn nicht rechtzeitig finden, verblutet er vielleicht. Oder erstickt. Oder…. „

Chiara und ich sahen uns an. WIr mochten den einfältigen Kater nicht besonders. Aber den Tod wünschten wir ihm deshalb noch lange nicht. Jetzt hieß es konzentiert nachdenken.

Und genau das tat Agentin Feli. Ich ließ die letzten Stunden Revue passieren. War mir irgend etwas aufgefallen? Etwas Außergewöhnliches? Dann fiel es mir ein: ich hatte ein Geräusch gehört. Irgendwo oben. Vielleicht auf dem Dach.

Das Dach! Der Nachbar hatte einen alten Kastanienbaum, dessen Äste in unseren Garten hinüberwuchsen. Mia hatte damit kein Problem, sie erntete die Nüsse, die zu uns runterfielen, und aus den Blättern kochte sie Tee. Igitt. Aber bitte. So weit, so gut. Ich hatte einen Anhaltspunkt. Aber wie brachte ich Mia dazu, auf den Dachboden zu gehen? Dort hatte sie nicht mal gesucht, denn der Zugang war von innen für den Kater unerreichbar, und er war dort noch nie gewesen.

Ich begann, zu miauen. Lauter und lauter. Bis ich Mias Aufmerksamkeit hatte. Dann sprang ich vom Sofa und ging zur Treppe. Chiara hinterher. Ich miaute, sie bellte. Schließlich fiel bei Mia der Groschen. Menschen sind manchmal unendlich langsam! Sie folgte mir. Chiara blieb unten, Treppen sind mit ihrer Artrose nicht mehrmals am Tag zu meistern. Immer, wenn Mia zögerte, schaute ich sie intensiv an. Wozu hat man schließlich einen hypnotischen Blick?

Vor der Treppe zum Dachboden blieb ich stehen. Und rief nach dem Kater. Auch Mia fing an, ihn zu locken. Rufen. locken, Stille. Endlich, nach einer kleinen Ewigkeit, hörten wir einen Ton. Ein Scharren. Dann ein leises Klagen. Ganz untypisch für den Mafioso. Aber vielleicht ging es ihm wirklich schlecht? Mia öffnete die Luke zum Dachboden und machte sich an der Leiter zu schaffen. „Mist, ich hab mein Handy nicht dabei. Kein Licht.“ Sonst hat sie das blöde Ding permant in der Hand. Aber zum Glück leuchtete durch die beiden Dachluken noch etwas Spätabendsonne. Ich klettere nicht gerne, aber manchmal muss man über seinen Schatten springen. Vor allem als Agentin. Ich zwängte mich also an Mia vorbei. Staub, Spinnweben, kaputte Schindeln, alte Kacheln und Bretter. Kisten mit Gerümpel, Faschingsklamotten, kaputtes Spielzeug. Was die Menschen so alles ansammeln, ohne sich trennen zu können. Ich blieb stehen. „Mischief“, flüsterte ich. „Wo bist du?“ Plötzlich kam aus der Dunkelheit ein Ungeheuer auf mich zu. Ich schrie und pralle gegen Mias Bein. Auch sie war endlich oben angekommen. Und stieß ebenfalls einen erschrockenen Schrei aus. Das Monster kam jetzt direkt auf uns zu. Unter einem Wust feuerroter Haare hing ein riesiger, schmutzigweißer Rauschebart. Und um den Körper gewickelt – ein blutiges Tangahöschen. Getränkt mit dem Blut, das aus einem Riss im buschigen Fell unseres Katers tropfte. „Mischief“, riefen Mia und ich erleichtert. Der dumme Kerl hatte sich über die Kastanie auf unseren Dachboden geschleppt und war prompt in die Kiste mit den Faschingssachen geplumpst.

Ganz benommen humpelte er auf uns zu, un in meiner Euphorie hörte ich jubilierende Kirchenglocken läuten.

„Du hast ihn gerettet“, sagte Mia später, als ich neben ihr auf dem Sofa lag. „Ich wäre nie auf die Idee gekommen, auf dem Dachboden nachzuschauen. Ich hatte keine Ahnung, dass man da von der Kastanie aus reinkommt.“ Naklar, wie auch, du bist ja ein Mensch, dachte ich. Die Tierärztin hatte Mischiefs Wunde verarztet und uns geraten, Anzeige zu erstatten. Der Zettel sei Beweis genug. Aber ich denke, Mischief wird in Zukunft einen großen Bogen um Nachbars Garten machen.

Und ich? Habe schon den nächsten Fall. Vorhin kam Pepa zu mir. Sie kann ihren Quietscheteddy nicht finden, ohne den sie nicht einschlafen kann. Und ich habe jetzt eine gewisse Reputation. ich bin mir fast sicher, dass Mischief dahinter steckt. Ich fange gleich an mit der Spurensuche.

MiniKrimi Adventskalender am 21. Dezember


Diesen MiniKrimi hat die wunderbare Birgit Schiche geschrieben – Ihr erinnert euch sicher an sie, sie hat schon letztes Jahr den Kalender mit ihren bezaubernden, amüsanten und tiefgründigen Geschichten bereichert. Ihr könnt sie direkt besuchen auf www.planb-schiche.de.

Viel Spaß mit ihrem MiniKrimi.

Advent des Schreckens

Diana wohnte noch nicht lange in der kleinen Reihenhaussiedlung. Sie war hierhergezogen, nachdem sie sich von ihrem Mann getrennt hatte. Sie hatten sich immer mehr auseinandergelebt, nicht mehr am Leben des jeweils anderen teilgenommen, sich gestritten und angeschrien – bis ihr Mann schließlich sogar gewalttätig wurde. Die Scheidung war sehr unschön gewesen, Ralf hatte sie partout nicht gehen lassen wollen. Diana war seitdem ängstlich und sehnte sich nach Ruhe und einem Neuanfang. Hier, in der kleinen Stadt, wo sie niemand kannte, wollte sie sich ein neues, unbeschwertes Leben aufbauen. Ihre Nachbarn hatte sie bisher nur flüchtig kennengelernt, man grüßte sich freundlich. Doch jetzt in der Adventszeit hatten offenbar alle zu viel zu tun, gingen zu Familientreffen, besorgten Geschenke, erledigten bei der Arbeit schnell noch die letzten wichtigen Aufgaben zum Jahresabschluss. Da blieb keine Zeit für nachbarschaftliche Treffen.

Diana war allein, ohne Angehörige und in der neuen Stadt auch noch ohne Freunde. Auf weihnachtlichen Schmuck hatte sie weitgehend verzichtet, ihr war gerade nicht nach besinnlicher Stimmung zumute. Die sonst so geliebten Lichterketten und Christbaumkugeln blieben im Umzugskarton, in ihrer Wohnung war es eher dunkel und trist, ebenso draußen auf der Terrasse und im Garten. Sie fand es gruselig, aus dem Fenster nur in tiefe Dunkelheit zu starren. Die Treppen im schon etwas betagten Reihenhaus knarrten hin und wieder einfach so, als hätte das Haus ein eigenes Leben, es war unheimlich. Manchmal schien es ihr auch, als raschelte etwas in den Wänden. Am liebsten verzog sich Diana abends schnell ins Schlafzimmer und ins Bett. Dort fühlte sie sich sicher.

Zum wiederholten Mal bemerkte sie, dass Kleinigkeiten von ihrer Terrasse verschwunden waren. Einer von ihren Garten-Clogs aus Plastik, nacheinander beide Gartenhandschuhe. Sie hatte die Dinge zuletzt gebraucht, als sie ihre Beete am Rande der Terrasse mit Tannenzweigen abgedeckt und so winterfest gemacht hatte. Ihre Mütze, die sie auf der kleinen Terrassenbank vergessen hatte, war ebenfalls verschwunden. An der Vorderseite des Hauses fehlte plötzlich der kleine Weihnachtsmann, den sie vorne als einzigen Adventsschmuck in das Mini-Bäumchen im Blumenkübel gehängt hatte. Und dann diese unheimlichen Geräusche, als würde jemand heimlich in der Dunkelheit durch den Garten schleichen. Leider lag kein Schnee, sonst hätte sie nach Fußspuren gucken können. So malte sie sich in ihrer Fantasie einiges aus und wurde langsam immer panischer. Als eines Abends das Telefon klingelte und gleich, nachdem sie sich gemeldet hatte, wieder aufgelegt wurde, überschlugen sich ihre Gedanken.

Wer machte denn sowas? Die gestohlenen Dinge hatten doch keinen materiellen Wert, höchstens einen persönlichen. Und dann dieser Anruf gerade. Langsam wuchs der Verdacht in ihr: Sie hatte einen Stalker. Ob ihr Ex-Mann ihre neue Adresse herausbekommen hatte? Sie erneut bedrängen und ihr drohen wollte? Oder hatte er einen seiner unsympathischen Kumpel dafür angeheuert? Diana fröstelte. Angst stieg in ihr auf und ließ sie nicht mehr los. Tag für Tag kreisten ihre Gedanken um die neue Bedrohung, jeden Tag neue Horrorfantasien, das war ihr ganz persönlicher Adventskalender. Inzwischen war der vierte Advent bereits vergangen.

Diana war allein mit ihren angsterfüllten Gedanken und inzwischen ein schreckhaftes Nervenbündel. Es war erneut etwas verschwunden – die kleine Kunststoffschaufel, mit der sie jeden Tag Vogelfutter aus dem großen Eimer ins Vogelhäuschen an der Terrasse füllte. Wer stahl so eine billige kleine Schaufel? Doch nur jemand, der sie nervös machen wollte. Ihr sagen wollte: „Ich bin hier, fühle dich ja nicht zu sicher!“

Inzwischen hatte sie sich billige dunkle Vorhänge fürs Wohnzimmer gekauft. Sie fand sie absolut nicht schön, konnte sich aber abends dahinter verstecken und die Welt vor dem Wohnzimmerfenster und der Terrassentür ausschließen. Doch die Geräusche, leises Rascheln wie von Schritten im Garten, drangen dennoch zu ihr durch und ließen sie aufschrecken. Der eisige Wind, der abends ums Haus blies und an den Baumkronen rüttelte, machte es noch unheimlicher.

„Advent, das lateinische Wort für Ankunft“, dachte sie. Ob Ralf ein perfides Spiel damit trieb? Das würde zu ihm passen. Sie schauderte und bemerkte, dass ihre Hände ständig ein wenig zitterten.

An den letzten Tagen vor Weihnachten wollte es gar nicht richtig hell werden. Morgens war es noch stockdunkel, wenn Diana nach der abonnierten Tageszeitung schaute. Als dem Nachbarn nebenan der Schlüssel klirrend aus der Hand fiel, schrie Diana leise vor Schreck auf. Der Nachbar, ein Mann in den Fünfzigern, immer noch ganz gutaussehend, sah besorgt zu ihr rüber und machte einen Schritt auf sie zu.

„Ist alles in Ordnung bei Ihnen?“

„Ja, ja“, winkte sie ab und verschwand schnell wieder im Haus.

Am Abend sah sie den Nachbarn nach Hause kommen, bepackt mit mehreren Einkaufstaschen und einer großen Packung Katzenstreu. Eine Katze hatte sie hier noch gar nicht gesehen. Eigentlich mochte sie Tiere. Damit hatte der Nachbar zumindest einen Pluspunkt bei ihr.

Am nächsten Morgen passte sie ihn ab, als er das Haus verlassen wollte. Natürlich ließ sie es möglichst zufällig aussehen. Sie entschuldigte sich für ihren ängstlichen Schrei vom Vortag und stellte sich als neue Nachbarin vor. Er hieß Martin und wohnte auch erst seit einem knappen Jahr hier.

Sie verabredeten sich zum Abend auf ein Glas Wein. Es tat Diana gut, endlich mal nicht allein zu sein und von ihren ängstlichen Gedanken an Ralf und den Stalker abgelenkt zu werden.

Martin erzählte gerade, dass er eigentlich gar kein Haustier haben wollte. Doch der pechschwarze, etwa acht Jahre alte Kater gehörte quasi zum Haus.

„Katzen sind sehr territorial, sie verlassen manchmal lieber ihre Menschen als ihre gewohnte Umgebung. So bin ich nun Katzenbesitzer geworden“, meinte er leise lachend. „Und das Lustigste ist dabei“, sagte er und legte eine spannungsfördernde Kunstpause ein, „dass Baghira mir ständig Geschenke nach Hause bringt und auf die Fußmatte legt. Nicht etwa erjagte Mäuse, die hier in den alten Häusern durchaus vorhanden sind – man kann sie manchmal in den Wänden rascheln hören. Nein, dieser dusselige Kater schleppt mir ständig Sachen an, die er irgendwo findet oder klaut. Schuhe, Gartenhandschuhe, Kinderspielsachen, Tücher, kleine Schäufelchen, letztens sogar einen kleinen Plüschweihnachtsmann!“, zählte er nun laut lachend auf. Für einen Moment war Diana wie versteinert, doch dann brach es auch aus ihr heraus, ein fröhliches, ungebremstes Lachen über Baghira, den samtpfötigen Stalker und Dieb, und über Mäuse, die in den Wänden und im Garten raschelten.

Sie hatte einen Freund gefunden. Nein, eigentlich zwei: Martin und Baghira. Diana war angekommen in ihrem neuen Leben, und Weihnachten konnte ein unbeschwertes Fest werden. Hallelujah.

MiniKrimi Adventskalender am 15. Dezember


Stein um Stein

Ich habe Pläne, große Pläne, ich baue dir ein Haus. Jeder Stein ist eine Träne, und du ziehst nie wieder aus

Der Bass dröhnt, die monotone Stimme von Till Lindemann prallt von den Kellerwänden ab wie ein Squashball. „Jeder Stein ist eine Träne“, murmelt er, schreit er, dann. „Träne, jawohl. Was bist du bloß für eine Träne!“ Er kauert sich auf den Boden, wirft die Hacke neben sich und schluchzt.

„Warum? Wir hatten doch so ne tolle Zeit zusammen. Und jetzt? Auf einmal?“

Er starrt auf die Kellerwand, sein Blick gleitet hinaus, in den Garten. Er auf einer Decke im Gras, sie neben ihm. Seine Hand in ihrem seidenweichen, langen Haar. „Ach Mensch, Cora!“ 

Er stemmt sich hoch, mit Mühe. Greift nach der Bierflasche. Leer. Aber der Wodka ist noch halb voll. Das wird reichen, bis er hier fertig ist. 

„Ja, ich bau ein Häuschen dir. Hat keine Fenster keine Tür. Innen wird es dunkel sein, dringt überhaupt kein Licht hinein“

Was hatten sie sich gefreut, über ihr kleines Häuschen. Endlich raus aus der engen Wohnung mit den ganzen Spießern. „Herr Wollke, gestern war es aber wieder viel zu laut, bei Ihnen. Man kann auch LEISE spielen, wenn Sie wissen, was ich meine. Und ein bisschen Erziehung hat noch niemandem geschadet.“ Ha, es hat sich augewollket. Wir haben jetzt ein ganzes Haus für uns. Da können wir Lärm machen, solange wir wollen. Und das hatten sie. Und wie! Cora war ganz außer Rand und Band und konnte es gar nicht fassen. Soviel Platz! Morgens vor dem Aufstehen hüpften sie manchmal wie wild auf dem Bett herum, vor lauter Freude.

„Ach Cora, ich hab dich doch geliebt. Das weißt du! Ich liebe dich immer noch. Aber du?“

Entschlossen holt er aus, hebt die Hacke und lässt sie auf die Kellerwand niedersausen. Ziegel splittern. Ein Ruck, noch einer, dann reißt er die ersten beiden Ziegel raus. Aber das Loch ist noch viel zu klein.

„Du weißt, ich hätte alles gegeben, um das zu verhindern, Cora. Aber du lässt mir ja keine Wahl. Weißt du noch, damals, als wir zusammen nach Jesolo gefahren sind, nur du und ich? Wie die rumgezickt haben, auf dem ersten Campingplatz. Nein, nein, so können Sie unmöglich zum Strand. Gut, dann eben nicht. Und dann haben wir einen gefunden, der fand uns beide ok. War das schön! Sich im Sand wälzen, bis die Haare komplett verklebt waren, und runter in die Wellen. Wer fängt den Ball zuerst? Und das Eis! Schkolade mochtest du am liebsten. Ach, Cora. Meine Cora.“

Wann hat sich alles verändert? Warum hat er nichts gemerkt? Er legt seine ganze Wut über sich selbst, seine Blindheit, in die Arbeit. Holt mit kraftvollen Stößen einen Ziegelstein nach dem anderen aus der Mauer. Wir. Hätten. Zusammen. Alt. Werden. Sollen!

Das ist der Vorteil von alten Häusern. Sie sind zwar eiskalt, aber die Mauern sind zwei Ziegelsteine dick. Haust du einen raus, hast du ne prima Lücke. Eine Höhle. Eine Kammer. Luftdicht. 

„Ja, ich schaffe dir ein Heim, und du sollst Teil des Ganzen sein

„Und dann dieser blöse Typ. Ich soll dich gehen lassen, hat er gesagt. Und dass du schon gar nicht mehr bei mir bist. Ich soll dich in meinem Herzen behalten, so, wie du warst, als wir zsuammen glücklich waren. Der spinnt doch. Nein, ich lass dich nicht gehen. Ich geb dich NIE mehr her!“

„Ohne Kleider, ohne Schuh, siehst du mir bei der Arbeit zu. Mit den Füßen im Zement verschönerst du das Fundament. Stein um Stein, ich werde immer bei dir sein“

Jetzt ist die Kammer groß genug. Er nimmt einen kräftigen Schluck aus der Wodkaflasche. Er muss sich Mut antrinken, bevor er sie anschaut. Anfasst! 

Cora, mein Liebling. Bitte, schau mich noch einmal an. Sei mir nicht böse. Ich kann nicht anders. Ich kann mich nicht von dir trennen. Ich MUSS immer bei dir sein. 

Welch ein Klopfen, welch ein Hämmern, draußen fängt es an zu dämmern“

Schließlich kniet er sich auf den steinigen Kellerboden. Streicht ihr noch einmal voll Zärtlichkeit über das lange schwarze Haar. Dann hebt er sie vom Boden auf, legt sie vorsichtig auf die Plastikplane und wickelt sie liebevoll darin ein, während die Tränen ihm übers Gesicht laufen. Da geht plötzlich ein Zittern durch ihren Körper. Ungläubig starrt er in die braunen Augen, die ihn, deutlich verwirrt, aber zunehmend klarer, anschauen.

Sein Handy klingelt. „Her Wollke, gut, dass ich sie erreiche. Ich habe die ganze Nacht recherchiert. Cora hat eine Art allergischen Schock erlitten – vermutlich haben Sie ihr zuviel Schokolade gegeben. Das dürfen Sie nie mehr tun. Aber gut, dass Sie nicht auf mich gehört und sie wieder mitgenommen haben. Also, was ich sagen will: es besteht die Chance, dass Ihr Hund wieder gesund wird.“

Er lässt das Handy auf den Boden fallen und schmiegt sein Gesicht an Coras Bauch. Sie liegt ganz still, aber ihre raue Zunge schleckt ihm sanft übers Gesicht. Sie wird wohl noch eine Weile bei ihm sein. Und wenn es dann soweit ist, wer weiß, vielleicht mauert er sie beide gemeinsam ein. 

Sorry, ich weiß, das Ende hat einen Bruch. Aber, ganz ehrlich: ich habe kein Problem damit, menschliche Protas auf die verschiedensten Weisen sterben zu lassen. Aber bei einem Hund kriege ich das nicht übers Herz. Verzeiht!

Ach ja, noch was – ich höre zuweilen gerne Rammstein.

Adventskalender MiniKrimi vom 10. Dezember


Der heutige Krimi wurde von Birgit Schiche geschrieben. Ganz lieben Dank dafür! Viel Spaß beim Lesen – und vielleicht denkt Ihr danach auf einmal anders über Eure lieben Nachbarn…

Eine liebe, nette Nachbarin

Claudia mochte ihre Wohnung. Drei Zimmer, Küche, Bad mit Badewanne und ein schöner, sonniger Balkon mit Blick ins Grüne mitten in der Großstadt. Seit fast dreißig Jahren wohnte sie nun schon in diesem gutbürgerlichen Stadtteil und es fühlte sich einfach richtig an. Das war auch gut so, denn seit Beginn der Corona-Pandemie arbeitete sie nur noch im Homeoffice. Also in ihrem Wohnzimmer am Esstisch, im Sommer sogar auf dem Balkon, was schon ein bisschen als Luxus gelten durfte. Doch nun im November war es kalt, grau und ungemütlich. Sie saß zum Arbeiten immer noch an ihrem Esstisch und langsam hasste sie ihren harten Stuhl, der ihr Rückenschmerzen bereitete. Die Tage waren seit Monaten bestimmt von Online-Meetings, Online-Workshops, Online-Vorträgen und Arbeiten am PC. Später dann Spiele-Abende oder Klönschnack mit Freundinnen, online natürlich. Was sie zu Beginn der Pandemie noch begeistert hatte und wovon sie kaum genug bekommen konnte, saugte ihr nun allmählich die Energie aus der Seele. Auf Dauer waren Online-Kontakte eben doch kein Ersatz für echte Sozialkontakte. Das machte was mit ihr, sie veränderte sich in kleinen, schleichenden Schritten. Aber so war das eben im Lockdown, und sie hielt sich an die Regeln. Aus Überzeugung. Und aus Respekt vor der bedrohlichen Krankheit, denn sie gehörte wegen einiger Vorerkrankungen zur Risiko-Gruppe. Außerdem wollte sie nicht klagen, sie wollte durchhalten. „Schlimmer geht immer“, dachte sie. Und vielleicht war das ein Fehler. Denn genauso kam es.

Vor kurzem erst waren neue Mieter in die Wohnung über ihr eingezogen, ein Pärchen. Vorgestellt hatten sich die beiden Neuen natürlich nicht, sowas war leider aus der Mode gekommen. In der Dachgeschosswohnung hatten die Mieter in den letzten dreißig Jahren schon so einige Male gewechselt. Claudia war inzwischen die „dienstälteste“ Mieterin im Haus, was sie ein bisschen stolz machte. 

Die neuen Mieter hatten den Oktober durchgängig genutzt, um die Wohnung zu renovieren. Den ganzen Tag hörte Claudia ein Schrabbeln wie beim Tapetenlösen, dazu Poltern, Hämmern – auch während der Mittagsruhe und am Wochenende. Die Schritte in der Dachgeschosswohnung klangen wie das Stampfen einer Elefantenherde. Zweierlei Stimmen, mal fröhlich plappernd oder schräg singend, mal fluchend oder streitend, klirrten Tag für Tag, Stunde für Stunde wie zu Geräuschen gewordene spitze Scherben auf sie herab. 

„Wenn sie mit der Renovierung fertig sind, wird es schon ruhiger werden“, versuchte sie ihren wachsenden Unmut zu beruhigen. Doch der ständige Lärm drohte, ihr den letzten Nerv zu rauben. Als wären die Belastungen durch die Corona-Pandemie nicht schon genug.

In Online-Veranstaltungen konnte Claudia kaum noch folgen, so fahrig und unkonzentriert war sie inzwischen. Wegen der Störgeräusche musste sie dauerhaft ihr eigenes Mikrofon ausschalten. So konnte sie sich kaum noch aktiv beteiligen, was auch bei ihren Vorgesetzten nicht gut ankam, verdammt. Den Ärger fraß sie in sich rein, wortwörtlich. Sie stopfte sich das Maul mit selbstgebackenen Weihnachtskeksen, schokoladigen Lebkuchen, buttrigem Stollen. Sie bekam wieder häufiger Migräne, vielleicht auch wegen der ungesunden Ernährung. Aber sie wollte nicht die Nachbarin sein, die sich „immer gleich beschwerte“. So wollte sie nicht gesehen werden, so war sie nicht. Alle kannten sie als nette, liebe Nachbarin!

Als endlich der Umzugswagen kam und die Helfer laut polternd die Möbel und Kisten ins Dachgeschoss schleppten, atmete sie auf. Jetzt würde bestimmt bald Ruhe einkehren. Darum sagte sie auch nichts, als das gerade am Morgen frisch geputzte Treppenhaus abends schon wieder völlig verdreckt war. Eigentlich hätten das die neuen Mieter selbst bereinigen müssen. Aber um des lieben Friedens Willen putze Claudia die Treppe abends noch ein zweites Mal. Es gab ja Hoffnung.

Doch auch zwei Wochen nach dem Umzug war es keineswegs leiser. Man hatte sich in der Dachgeschosswohnung inzwischen eingerichtet. Aber Teppiche schien es keine zu geben. Die trampelnden Elefantenschritte waren jedenfalls weiterhin laut und deutlich zu hören. Ebenso das Singen, Plappern, Streiten. Hinzugekommen waren mehrere Heulanfälle der jungen Nachbarin. Sie hatte dabei wirklich Ausdauer. Er schien eher der sportliche Typ zu sein, hatte er doch einen Boxsack aufgehängt, auf den er täglich enthusiastisch einprügelte. Tack, tacktack, tacktacktack, dazu die Beinarbeit, mindestens eine Stunde lang. Vorab übte er sich zum Warmwerden im Seilspringen. Klack-stampf, klack-stampf, klack-stampf, leichtfüßig war er wahrlich nicht. Sie hatte schon einige Male unwillkürlich nach oben an die Wohnzimmerdecke geschaut in der Erwartung, dort müssten sich Risse zeigen oder Staub würde bei jedem Sprung auf sie herab rieseln. Viele Male war sie schon unwillkürlich zusammengezuckt, hatte wütend geschnaubt. Außerdem liebte der neue Nachbar Sportsendungen, insbesondere Fußball, und konnte sich dabei regelrecht cholerisch ereifern – er brüllte jedenfalls wie im Fußballstadion. Offenbar war er HSV-Fan, da gab es gerade viel zu brüllen. Und zu fluchen.

Wenn er nicht mit seinem Sport beschäftigt war, widmete sich seine Lebensgefährtin ihrem offenbar noch recht neuen Hobby: Sie übte sich im Cello-Spielen. Man konnte zwar eine Weihnachtsmelodie erahnen, aber es war nicht gerade ein Vergnügen die ersten Takte von „Oh, Tannenbaum“ wieder und wieder zuhören, tagaus, tagein – Disharmonie pur. Manchmal spielte sie auch auf einer Blockflöte. Hier hatte sie offenbar einen Übungsvorsprung und konnte verschiedene Lieder wie „Jingle Bells“ und „Oh, du fröhliche“ anstimmen. Aber schöner klang das auch nicht wirklich. Claudia reagierte mittlerweile geradezu allergisch auf jedes aus der Dachwohnung auf sie wie klebriger Honig herab tropfende, polternde, an den Nerven zerrende Geräusch. So ging es nicht weiter.

Sie war diese Woche wieder mit der Treppenhausreinigung dran und machte sich gleich am Montagmorgen an ihre Reinigungspflicht. Jetzt, um acht Uhr früh, war es noch nicht einmal richtig hell. Claudia drückte auf den Lichtschalter – nichts. Auf ihrem Treppenabsatz war mal wieder die Birne kaputt. Dann musste sie die Stufen eben im Halbdunkel reinigen, irgendwie würde das schon gehen. Quasi im Blindflug fegte sie über die Stufen. Die Dachgeschossmieter und ihre – trotz Corona! – zahlreichen Gäste hatten reichlich Schmutz ins Haus getragen, statt sich unten die Füße ordentlich abzutreten. Nun musste sie ihnen auch noch hinterher putzen. „Bestimmt tragen die auch keine Masken und waschen sich nicht die Hände“, steigerte sie sich maßlos in ihren Ärger hinein. Und überschritt eine Grenze. Ein Plan reifte in ihren Gedanken. Claudia grinste böse, aber zufrieden. 

Hätte sie jetzt einer der anderen Hausbewohner gesehen, sie hätten die liebe, nette Nachbarin nicht wieder erkannt.

Am nächsten Morgen gegen sieben Uhr hallte ein lautes Poltern gefolgt von einem Schreckensschrei durchs Haus. Dann: Stille. Claudia hielt den Atem an und widerstand nur mühsam der Versuchung, sofort nachzuschauen. Erst als sie die Stimmen anderer Nachbar:innen hörte, öffnete auch sie ihre Wohnungstür und trat hinaus. 

„Oh, mein Gott, wie schrecklich!“

„Ist er schlimm verletzt? Lebt er noch?“

„Hat schon jemand einen Krankenwagen gerufen?“

„Kann hier jemand Erste Hilfe?“

„Ja, ich“, rief Claudia den aufgescheuchten Nachbar:innen zu. Mit zwei Handgriffen löste sie die verräterische Nylonschnur von der unteren Kante des Treppengeländers, damit sie nicht auch noch selbst stolperte, und lief vorsichtig die vom Wischen noch feuchten Stufen hinunter. Ja, er war schon ein sportlicher, gut aussehender Kerl. Gewesen. Claudia spürte keinen Puls mehr, drehte ihn jedoch trotzdem gekonnt in die stabile Seitenlage. Die anderen nickten anerkennend. Sein Kopf lag in einem merkwürdigen Winkel zum Körper.

„Wie ist das denn passiert?“

„Er muss wohl auf den feuchten Stufen ausgerutscht sein. Es brennt im dritten Stock mal wieder kein Licht im Flur, und er hat es morgens immer sehr eilig.“

Na bitte, Claudia musste gar nichts sagen.

Mit dieser Erklärung gaben sich alle zufrieden, auch die Sanitäter und die später eintreffenden Polizeibeamtinnen, die routinemäßig den Todesfall untersuchten. Sie hatten keinen Verdacht und notierten „Tod durch Unfall“. Claudia hatte endlich wieder Ruhe. Dachte sie jedenfalls.

Denn die nun alleinstehende Mieterin aus dem Obergeschoss weinte jede Nacht laut jammernd und schluchzend. So war es auch Claudia unmöglich, erholsamen Schlaf zu finden. Sie hatte bereits dunkle Ringe unter den Augen, wirkte um Jahre gealtert und ließ deshalb seit neuestem in Online-Veranstaltungen ihre Kamera ausgeschaltet. Auf diese Weise war sie unhörbar, unsichtbar. „Untragbar!“, fand daraufhin ihr Arbeitgeber, der sie ausdrücklich rügte. Dabei war sie doch vor dieser verdammten Corona-Pandemie eine unverzichtbare Spitzenkraft gewesen! 

Tagsüber versuchte die junge Nachbarin, sich mit Musizieren von der Trauer abzulenken, „Oh, Tannenbaum“, immer wieder von vorne. Und zu Claudias Entsetzen kam sie zusätzlich auf die Idee, sich mit Springseil und Boxsack zu betätigen, um sich ihrem verstorbenen Liebsten nahe zu fühlen. Claudia war verzweifelt. Der Lärm bohrte sich unerbittlich in ihr Hirn und ihre Seele. Klack-stampf, klack-stampf. Tack, tacktack, tacktacktack. Elefantentrampeln, Cello-Geschrammel, Heulerei. 

„So nicht! Nicht in ihrem Haus! DAS war untragbar!“, schnaubte sie wütend, als ihr die harschen Worte ihres Arbeitgebers wieder einfielen. 

Als sie turnusmäßig erneut mit der Treppenhausreinigung an der Reihe war, überlegte Claudia, was sie tun könnte. Gerade wischte sie mit einem Tuch über das Geländer zum Dachgeschoss, an dem sich die trauernde Nachbarin seit dem Tod ihres sportlichen Lebenspartners beim Treppensteigen regelrecht festklammerte. Ja! Das war es!

Claudia verschwand in ihre Wohnung und stöberte in ihrer umfangreichen Krimisammlung. Richtig, hier stand es – sie wusste, was sie besorgen musste. Abermals erschien dieses kleine böse Glitzern in ihren Augen – und dieser fiese Zug um die Mundwinkel herum. Die liebe, nette Nachbarin.

Als zehn Tage später die junge Dachgeschossbewohnerin in ihrer Wohnung bewusstlos von einer Freundin aufgefunden wurde, stellte der Notarzt eine Vergiftung fest. 

„Sie hat so um ihn getrauert! Deshalb versuchte sie, den Schmerz zu betäuben, um endlich mal wieder schlafen zu können“, gab die Freundin später dem Polizeibeamten zu Protokoll. „Konnte doch keiner ahnen, dass sie eine Überdosis nimmt, wovon auch immer! Als ich einige Tage nichts von ihr gehört habe, bin ich mit meinem Zweitschlüssel in ihre Wohnung gegangen und hab sie gefunden.“ Die Freundin schluchzte. Die junge Nachbarin konnte nicht mehr gerettet werden und wurde zwei Tage vor Weihnachten neben ihrem sportlichen Lebensgefährten beigesetzt. „Tod durch Suizid“, stand auf dem Totenschein. Die Ärztin hatte mit all den schweren Corona-Fällen so viel zu tun, dass ihr gar keine Zeit blieb für Zweifel, Fragen, Untersuchungen oder gar eine Autopsie. 

Claudia summte leise vor sich hin: „Stihille Nacht, hei-lige Nacht …“, während sie ein letztes Mal in diesem Jahr das Treppenhaus putzte. Dem oberen Treppengeländer widmete sie sich dabei besonders sorgfältig. Endlich war in ihrem Haus wieder Ruhe eingekehrt. „Frohe Weihnachten“, wünschte die liebe, nette Nachbarin aus Corona-gerechtem Abstand allen Hausbewohner:innen, „und ein geruhsames Fest!“

Adventskalender MiniKrimi vom 15. Dezember 2018


Ein Großstadt-Krimi von/mit meiner Autorenkollegin Lydia Heck.

Alles Bio, oder was?

Das Haus in der Minervastraße 89a ist die von einem hochdekorierten und entsprechend gut bezahlen Architekten entworfene Antwort auf das Problem der Flächenversiegelung in München.  Der dringend benötigte Wohnraum muss in die Höhe gebaut werden! 6 Stockwerke mindestens! Allerdings kollidierte dieser Plan mit dem in der Stadt ebenfalls existierenden Hochhausverbot im Innenstadtbereich.

Genau diese Lage aber sollte das Projekt Minervastraße 89 für eine exklusive Käufer-Klientel attraktiv machen.  Die Lösung des Dilemmas:  eine Wohnlage nicht ganz in der Innenstadt, dafür aber eingebettet in einen parkähnlichen Garten, umfriedet mit einer mannshohen Mauer und ausschließlich den Bewohnerinnen und Bewohnern zugänglich.  Als I-Tüpfelchen war im letzten Jahr noch ein großer Naturschwimmteich hinzugekommen, in und an dem die Bewohner der Hausnummer 89a den Jahrhundertsommer gerne und ausgiebig  gefeiert hatten.

Dies alles musste natürlich den Neid der Anwohner hervorrufen. Sie wandten sich an die Stadt, sie wandten sich an das Land. Und fanden, kurz vor der Landtagswahl, schließlich Gehör.  Und so flatterte den Eigentümern in der Minervastraße eines Tages ein hoch offizielles Schreiben in den Briefkasten mit der Mitteilung, sie hätten einen Großteil ihres schönen Gartens gegen eine Entschädigung  an die Stadt abzutreten.  Auf diesem Grund sollte, sozusagen als Gegenmaßnahme zur in vielen Stadtvierteln erfolgten Gentrifizierung,  eine Siedlung mit Sozialwohnungen entstehen.

Die Minervastraße stand Kopf. Natürlich hatte niemand etwas gegen  gegen soziale Randgruppen.  Im Gegenteil,  jetzt kurz vor Weihnachten spendete man großzügig.  Aber die Vorstellung,  diese Menschen bald direkt vor der eigenen Haustür, im eigenen Garten zu haben – nein, das ging dann doch zu weit.

Auf einer kurzfristig einberufenen Eigentümerversammlung entstand der rettende Plan: Naturschutzgebiet.  Der Garten musste zum Naturschutzgebiet erklärt werden.  Das hatte schon des öfteren in München funktioniert. Man einigte sich auf eine vom Aussterben bedrohte Tierart, den Feuersalamander.  Er sollte in einer mondlosen Nacht in der Minervastraße ausgesetzt werden.

Zur Umsetzung des Planes kam es jedoch nicht.  Am darauffolgenden Mittag durchschnitt ein gellender Schrei die Ruhe des Münchener Vorortes. Katharina,  die Mutter der fünfjährigen Leni, sah fassungslos aus dem vierten Stock hinunter zum Badeteich, wo der leblose Körper ihrer einzigen Tochter leise auf dem vom Dezemberwind gekräuselten Wasser schaukelte.

Die Obduktion des Kindes ergab Atemstillstand nach Kontakt mit dem Gift einer Gelbbauchunke. Das giftige Hautsekret ruft in der Regel keine größeren Schäden hervor. Empfindliche Personen oder kleine Kinder können allerdings stärker reagieren. Das geschwächte Immunsystem der kleinen Leni, die gerade von einer Grippe genesen war,  hatte der Unke nichts entgegenzusetzen gehabt. Wie der Feuersalamander auch, ist die Gelbbauchunke ein Lurch, der in Deutschland vom Aussterben bedroht ist. Sie bevorzugt Lebensräume mit Teichen und Tümpeln. Damit war das Problem gelöst. Aus dem Badeteich wurde auf sofortigen Beschluss der unteren Naturschutzbehörde ein Biotop.  Die drei Gelbbauchunken im Garten sorgten dafür,  dass alles so blieb,  wie es war.

Dafür spendeten die Hausbewohner in diesem Advent deutlich mehr als in den vergangenen Jahren.

Adventskalender MiniKrimi vom 7. Dezember 2018


Noblesse oblige…..

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Was halten Sie von Hunden in der Stadt? Die Meinungen gehen da ja weit auseinander, von „geht gar nicht“ über „Hunde sind Umweltsünder“ bis hin zu „Hunde sind gut gegen Einsamkeit und deshalb in Single-Metropolen überlebenswichtig.“

Corinna hatte eigentlich weder eine Beziehung noch eine Meinung zu Hunden. Bis sie in die Minervrastraße zog. Die geräumige Erdgeschosswohnung kaufte sie sich vom Geld ihres Mannes, der mit einer blonden Weißrussin auf Nimmerwiedersehen verschwunden war. Und kaum war sie eingezogen, holte sie sich vom restlichen Geld zwei preisgekrönte chinesische Schopfhunde als Grundstein für ihr Hundezucht: Minervas Heart Saver.

Nun  sind chinesische Schopfhunde zwar klein, äußerst liebevoll und von Natur aus erstmal nicht aggressiv.  Dennoch sind sie, zumal im Wurf, leb- und stimmhaft. Schon begann sich Widerstand gegen Corinnas Hundezucht zu formieren. „Hunde gehören auf dem Land gezüchtet, nicht in einer Wohnsiedlung. Nicht in einer exklusiven, und schon gar nicht bei uns.“ „Die armen Hunde, ständig eingesperrt.“ „Der Garten sieht aus wie eine Festung. Das schadet der Wohnqualität.“ Doch dann stellten sich die ersten Interessenten für die Welpen ein, und plötzlich war alles anders. „Hast Du die gesehen? Das war doch die Frau Glas!“ „Gestern habe ich einen aus einer Stretch-Limo aussteigen sehen, der sah genauso aus wie David Garret.“ Aber den Vogel schoss der Besuch eines TV-bekannten Designers mit Vornamen Guido ab. „Obwohl der doch eigentlich auf Windhunde steht..?“

Seitdem wurde Corinnas Hundezucht in der Minervastraße gelitten. Nicht zuletzt, weil die Züchterin es so einzurichten verstand, dass die Bewohner*innen des öfteren die Möglichkeit zu einem Selfie mit einem A-, B- oder C-Promi hatten,

Kurz – Die Welpen von Minervas Heart Saver boomten. Regenbogenpresse und Privatsender berichteten über die Wunderhunde, die ganz besonders schön und stark waren. Auf die Frage, wie ihr das gelinge, antwortete Corinna nur geheimnisvoll: „ich barfe.“

Eines Tages jedoch zog ein neuer Mieter in die Minervastraße. Und der schien ein großes Problem mit der Hundezucht zu haben. Er warf Corinna im Vorbeigehen böse Blicke zu, und schließlich gestand sie ihrer größten Bewunderin und besten Freundin Anita: „Der Kerl macht mir Angst. Mit diesen tätowierten Muskelpaketen und der Glatze sieht er absolut gewaltbereit aus. Ich glaube, ich muss meine Hunde trainieren, mich zu verteidigen.“ Dabei kicherte sie, verständlicherweise.

Und dann geschah es. Mitten in der Nacht wurden die Bewohner*innen der Siedlung an der Minervastraße von hektischem Hundegebell geweckt. Schrill und aufgeregt. Doch als reihum Licht aus den Fenstern auf den Rasen floss, war nichts mehr zu sehen. Und die Bewohner*innen legten sich zu Bett, manche mit dem festen Vorsatz, Corinna morgen zur Rede zu stellen.

Aber dazu kam es nicht. Denn schon um neun stand Anita am mit Kletterrosen umrankten Müllhäuschen und erzählte jedem, der es hören wollte, dass „die Glatze“ gestern Nacht Corinna bei ihrem Gassigang aus dem Hinterhalt angegriffen habe. Nur dank des heldenhaften Eingreifens ihres Zuchtrüden Apollo sei ihr die Flucht gelungen. „Natürlich lässt sie das nicht auf sich sitzen. Sie hat schon um sieben mit dem Schröder telefoniert, der kümmert sich persönlich drum.“ Ehrfurchtsvolles Schweigen. Die Tochter des Landesvaters hatte  kürzlich erst einen allergiefreundlichen Welpen von Corinna erhalten. Scheinbar hatte „die Glatze“ Wind von ihren Absichten bekommen, denn von Stund an war er wie vom Erdboden verschwunden, und auch eine groß angelegte Polizeirazzia brachte ihn nicht zum Vorschein.

Bei der nächsten Ausstellung machte Zuchtrüde Apollo den ersten Preis. Einen so starken, gut genährten Rüden, so die Juroren, hätten sie noch nie gesehen. Wie ihr das gelungen sei, fragten sie Corinna. Aber sie antwortete nur lächelnd: „ich barfe.“

N.B.
Wer weiß, wie lange die Minervastraße noch ein Treffpunkt der reichen und schönen Hundefreunde geblieben wäre. Leider kam eines Tages der Lebensgefährte der „Glatze“ zu Corinna. Mit Beweisen, dass sie sowohl ihren Mann als auch seinen Geliebten erschlagen und zu Hundefutter verarbeitet habe, als dieser versuchte, sie mit dem Wissen über ihre Tat zu erpressen. Sein Partner nahm einen erneuten Anlauf – mit einem abgerichteten Dobermann im Schlepptau, der Corinna und ihren Apollo zähnefletschend anknurrte. Am nächsten Tag ließen Corinna und ihre beiden chinesischen Schopfhunde die Minervastraße hinter sich. Seitdem dürfen dort nur noch Goldfische gehalten werden. Und Katzen.

Adventskalender MiniKrimi vom 6. Dezember 2018


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Von drauß‘ vom Walde…….

„Du weißt, was du tun musst Schließ die Tür ab und mach auf keinen Fall auf, wenn du alleine bist, kapiert?“ „Ich bin doch kein Baby. Ich bin schon fünf. Und ich bin auch nicht dumm. Ich weiß genau, was ich machen muss, wenn ich allein bin. Und wenn ein Einbrecher kommt und die Tür mit einer Bombe aufmacht, dann nehme ich mein Jedi-Schwert und mache so! Und zack ist er tot, der EInbrecher.““

„Ja. Schon klar. Du nimmst dein Jedi-Schwert. Aber trotzdem, für den Fall, dass ein Einbrecher kommt – es kommt ja vielleicht gar keiner, also ganz sicher, glaube ich. Aber für den Fall dass doch einer kommt, und wenn dann dein Jedischwert nicht funktioniert“ 

„Mein Jedischwert funktioniert immer!“

„Schon klar. Aber wenn es plötzlich doch nicht funktioniert, dann schau her, dann nimmst du das hier.“

„Aber das ist doch das Messer aus der Küche, das wir nicht nehmen dürfen. Das japanische, das vom Papa.“

“Genau. Es ist japanisch, das ist wie von Master Yoda. Ok?“

„Ela, ich will nicht, dass du weggehst. Die Mama hat gesagt, wir sollen beide daheim bleiben, bis sie von der Arbeit kommt. Du sollst mich nicht allein lassen, hat die Mama gesagt. Und später kommt der Nikolaus.“

„Ach mach kein Aufstand. Ich bin nur kurz drüben bei der Lara. Oder hast du Angst? Du bist ja doch noch ein Baby!“

„Nein bin ich nicht. Geh weg!“

„Ok. Ciao, Kleiner.“

Max setzt sich in seinem Zimmer auf den Boden. Die Kartons sind noch nicht alle ausgepackt. Er fühlt sich gar nicht zu Hause, hier in der Wohnung in der Minervastraße. Er wäre lieber in Schwabing geblieben. Aber er weiß, dass das nicht geht. Mama und Papa sind zwar noch seine Eltern, und Elas. Aber sie sind nicht mehr zusammen. Deshalb kann Mama nicht mehr in Schwabing wohnen, und er und Ela auch nicht. Mama will das so. Jetzt wohnen sie in einer ganz neuen Wohnung. Er hat ein eigenes Zimmer, nicht mehr mit Ela zusammen. Und Mama hat auch ein Zimmer. Mit Frank. Frank ist der neue Papa. Aber Max weiß nicht, was er davon halten soll. Er hat doch schon einen Papa. Vom Fenster aus kann er die Berge sehen, wenn der Himmel klar ist. Ob er den Nikolaus sehen kann, wie er durch die Wolken fliegt? Oder machst das nur der Weihnachtsmann? Es wird dunkel, und Max hat Angst. Die Wohnung ist voller Geräusche, nichts ist vertraut. Draußen kann er den Aufzug hören. Manchmal knallt eine Tür. Dann ist alles still. Wann kommt Ela? Und Mama? Und der Nikolaus?

Da klopft es an der Tür. „Ich bin der Nikolaus. Bist du der Max?“

„Ich darf die Tür nicht aufmachen, hat Ela gesagt. Geh weg und komm zurück, wenn Mama und Ela wieder da sind!“

„Aber Max, ich bin der Nikolaus. Vor mir brauchst du doch keine Angst zu haben!“

Doch, denkt Max. Und zur Sicherheit holt sein Jedischwert. Und das japanische Messer, so, wie Ela es ihm gesagt hat. Der Nikolaus kann warten, aber wenn da draußen ein Einbrecher ist, wird Max sich wehren.

Da hört er, wie sich etwas am Türschloss bewegt. Der Einbrecher, denkt Max. Jetzt bricht er die Tür auf, wie in den Filmen, die er nicht sehen darf.

Da, jetzt wird die Wohnungstür langsam geöffnet. Draußen im Flur ist es genauso dunkel wie in der Wohnung. Max sieht nur Umrisse, ein großer schwarzer Mann in einem langen Kampfumhang. Der Feind der Jediritter! Max umklammert das Messer mit beiden Händen und rammt es dem Mann in den Bauch. Max ist stark.

Frank stirbt auf dem Weg zum Krankenhaus. Er sollte Max und Ela als Nikolaus die Geschenke bringen. So war es ausgemacht. Aber Ela hatte ihr Gründe, sich nicht daran zu halten. Das Problem Frank war gelöst.

Der MiniKrimi Adventskalender 2018


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Hattet Ihr gedacht, heuer gäbe es keinen? Falsch! Heute Abend geht’s los! Und zwar erlebt Ihr diesmal auf mariebastide.de ein „Mords Haus“ – 24 Blicke hinter ganz normale Türen….

Ihr dürft gespannt sein, was sich einem Mietshaus mitten in München so alles abspielt…..

 

SMS-Adventskrimi. 15.Dezember:Eingeschneit!


Es schneit. Seit Stunden rieseln Kristalle leise, sanft und unaufhaltsam aus dem Wolkengrau. Horizont und Himmel sind zu einer blassen Wand verschmolzen, die hohen Gartentannen tragen dicke Pelze aus kaltem Weiß. Sie schaut aus dem Fenster. Die Welt hat ihre Farben verloren. Gelbes Licht tropft aus der Straßenlampe hinterm Zaun, stanzt eine rote Bommelmütze aus dem Einheitsschnee,  der ihren Blick erfüllt. Erst halb fünf. Und kein Mensch ist unterwegs. Eingeschneit. Sie ist allein.

Das Haus ist mäuschenstill. Es hält den Winteratem an, als wäre jeder Ton schon ein Verlust an Wärme. Kein Kinderlachen. Tom bleibt in der Stadt. Die Zwillinge bei Oma. Sie trällert, um die Leere zu zerschneiden. Vertraute Winkel werfen unheimliche Schatten.  Eingeschneit. Sie bleibt allein.

Die Stille flüstert. Knarrt. Etwas fällt um. Im Keller. Sie schaut hinaus. Gelbes Licht tropft aus der Straßenlampe hinterm Zaun, sickert in leeren Schnee auf frische Spuren Richtung Haus. Sie greift zum Telefon. Kein Ton. Eingeschneit. Nicht mehr allein……..

 

SMS-Adventskrimi. 9. Dezember: Frisch gebacken.


„Schatz! Sorry –  Stefan. Wir sind doch erwachsen. Manchmal entwickeln sich Menschen eben auseinander. 20 Ehejahre sind ne lange Zeit. Wir sind beide nicht hübscher geworden. Du auch nicht! Und ehrlich, erstens sind die Kids aus dem Gröbsten raus. Zweitens glaube ich nicht, dass es ihnen Spaß macht, mit zwei Eltern zu leben, die sich nur noch auf dem Weg ins Bad oder zum Kühlschrank zufällig begegnen und sich außer Fragen wie : Wo ist die Butter? nichts mehr zu sagen haben.

Die Jungs und ich finden schon ne Wohnung. Klar, ich hänge an dem Haus. Aber wenn du es verkaufen willst….

Ich weiß, du musst los, deine Freundin wartet. Ich bin nicht eifersüchtig! Schau, ich hab euch extra deinen Lieblingskuchen gebacken, zum „Einzug“……. Ciao, Und lasst es euch schmecken!“