Nach Corona ist vor Corona


Sie mehren sich – die Beiträge mit hoffnungsfrohen Visionen einer besseren Welt NACH Corona. Weniger Kapitalismus, mehr Ökobewusstsein, weniger Egoismus, mehr Gemeinschaft, weniger Kürzungen im Gesundheitssektor, mehr Gehalt für pflegende Berufe.

Ach ja – wie gerne würde ich, wie erstaunlich viele meiner Kolleg*innen, meine rosa Brille aufsetzen und diesen Wunschträumen nachhängen. Allerdings bin ich dazu entweder zu pragmatisch, oder ich lebe in einem Umfeld, das mir die Realität des menschlichen Wesens als Masse zu deutlich vor Augen führt. Jedenfalls kann ich Euch eines vorhersagen:

Nach Corona wird es genau so sein wie davor!

Naja, vielleicht nicht ganz. Die Ladenöffnungszeiten werden wahrscheinlich nicht mehr zurückgefahren – auf diese Gelegenheit haben grade in Bayern zu viele Politiker schon zu lange gewartet.

Einige werden aufgrund von Kurzarbeit oder Arbeitsplatzverlust nicht das Geld haben, das sie gerne hätten, um von diesen verlängerten Konsumzeiten „vollumfänglich“ Gebrauch zu machen. Aber machen wir uns nichts vor: der Konsumismus wird nicht nur ungebrochen weitergehen. Er wird sich, wie ein allzu lange gestauter Fluss, erst einmal mit doppelter, dreifacher Wucht in die Einkaufsstraßen ergießen. Paare, Familien werden die Einkaufszentren stürmen, sich mit Plastiktüten beladen und sich nach physischen und finanziellen Kräften bemühen, die Konsumabstizenz wieder wettzumachen. Nicht anders als bei landläufigen Diäten wird der JoJo-Effekt eintreten.

Und sollten doch am Ende weniger Fugzeuge den Himmel Richtung all-Inclusive-Zielen durchspuren mit ihren Schleiern aus Kerosin, dann wird das nur daran liegen, dass die eine oder andere Fluggesellschaft Pleite gegangen ist.

An den Tankstellen werden endlich wieder die getunten Altautos Schlange stehen vor SB-Waschanlagen und Staubsaugern, mit ihren stolzen Besitzern, Cappuccino to go in der einen, Kippe in der anderen Hand, Schirmmütze ins Gesicht geschoben.

In den Parks, auf den Plätzen und Straßen werden sie sich stapeln, die unter 20jährigen, die endlich wieder die elterlichen vier Wände verlassen und sich, ohne Sorge vor Bullenkontrollen, mit einem Bier in der Hand und Stoff, egal welchem, zum Musikhören draußen treffen können.

Bin ich zu pessimistisch? Eine Misanthropin? Halt, nein! Es wird auch die anderen geben. Die Fitgejoggten, die auch nach Corona öfter mit dem Fahrrad fahren und nach der Arbeit weiterhin den Wald durchhasten.. Ich liebe sie – vor allem, wenn ich ihnen bei meinen Hunderunden begegne, wie sic, schwitzend, prustend und bar jeder Rücksichtnahme zentimeternah an mir vorbeischnaufen.. ich schwöre, Mann, ich habe noch nie so viel neue Funktionskleidung gesehen wie in den letzten beiden Wochen. Amazon sei Dank. Ja, für den Oniinehandel wird es nach Corona auch nicht mehr so sein wie davor. Die satten Gewinne dürften eine Zeitlang anhalten. Keine Sorge, eine Lohnerhöhung für die Mitarbeitenden, die sich während der Krise permanenter Ansteckung ausgesetzt haben, dürfte nicht eingeplant sein.

Deutschland ein Marathonland. Zum Corona-Ende den mega Marathon ausrufen – und endlich die Herdenimmunität herbeiführen … Oder einen landesweiten Wettbewerb „mein Haus/Garten/Balkon soll schöner werden“. Nachdem in den Wochen vor der Schließung der Gartencenter Tausende dort ein Happening in der Farben/Teich-/und Bauabteilung gefeiert haben, dürfen die Ergebnisse nach Corona allüberall zu bewundern sein. Dann wird es endlich wieder landauf, landab nach Grillkohle duften, und im großen Freundeskreis wird man sich bei Billigfleisch und Bier erinnern: „Weißt Du noch, als das anfing mit den Ausgangsbeschränkungen? Ja, da hab ich noch den letzten 10 Liter Eimar Insektengift ergattert und meinen Garten sommerfest gesprüht…“

Ja, meine Freund*innen. So wird das sein. Genau so. Nein, die Ausgangsbeschränkungen werden ganz sicher nicht aufrecht erhalten werden, im Gegensatz zu den Ladenöffnungszeiten. Und die Menschen werden keinen Deut anders sein als zuvor.

Also: gaudeamus igitur…! Genießen wir die saubere Luft, den blauen Himmel, das fehlende Kindergekreische, die gereinigten Straßen, die leeren Supermarktgänge und die Tatsache, dass wir uns unsere Zeit selbst einteilen können.

Vor allem aber: bleiben wir gesund. Obwohl wir eigentlich eher einmal krank und dann immun werden sollten, Ihr wisst schon, wegen der Herdenimmunität. Sonst dauert die „Corona-kRise“ am Ende noch ewig….

#wirbleibendrin. Notizen einer zwangsläufigen Wohngemeinschaft


„Kann ich mal die Butter haben?“ „Aber es ist nicht mehr viel da, lass uns was übrig. Morgen müssen wir einkaufen gehen“. „Ich hab Knieschmerzen, hoffentlich bin ich bis morgen wieder fit.“ „Ich find meine EC-Karte grade nicht. Ich beteilige ich mich dann am nächsten Einkauf.“ „Gibt’s noch Bratkartoffeln?“ „Ja, in der Küche……Du kannst schon mal was raustragen, wenn Du sie holst.“ „Ach, ich weiß nicht, mein Knie…“ „Wollen wir noch ne Runde Wizzard spielen?“

Zwei Männer über 60, eine Frau knapp darüber und eine über 70. Ein Alter, in dem man anfängt, sich „rein theoretisch“ überBetreutes Wohnen zu informieren, Mehrgenerationenhäuser. Wer kann ich schon darauf verlassen, dass das „Kind“ die Eltern einmal ernähren wird? Und beherbergen….

Und jetzt Corona. Was liegt näher, als dass sich vier Angehörige der Risikogruppe „Ältere“ zu einer solidarischen WG zusammentun? Gemeinsam einsam ist besser als alleine einer ungewissen Zukunft entgegenzuhocken, in vier Wänden, die mit jedem Tag näher auf einen zurücken. Also sind T und O zu M und R gezogen, in eine Doppelhaushälfte am Rand von München. M ist schon klar, dass sie damit im Falle einer Ausgangssperre prvilegiert sind – sie können zumindest die Sonnenstrahlen draußen genießen und können sich drinnen in einzelne Zimmer zurückziehen, bevor sie sich im Wohntzummer vor dem Fernseher wegen des Programms die Köpfe einschlagen. Die Hunde können durch den Park gegenüber in einen verwunschenen Wald. Das ist Luxus pur.

Aber wie alles hat auch dieser Luxus seinen Preis. In diesem Fall das Zusammenleben von vier voll ausgebildeten Persönlichkeiten, Individuen, jede und jeder mit sehr ausgeprägten Eigenschaften. Das kann ja heiter werden.

Krisenhelfer in Not


DSCN2976Heute Morgen rief mich eine Freundin an. Eine sehr liebe Freundin. Eine „patente Frau“, so hätte man sie früher genannt. Steht mit beiden Beinen mitten im Leben, beruflich erfolgreich,  tough, mit Herz und Verstand. Sie war aufgewühlt und bat mich um Unterstützung bei einer Frage, die sie umtreibe: wie könne es sein, dass im bayerischen Grenzland kleine Kinder stundenlang in der Kälte warten müssten, um weiter verteilt zu werden. Warum die Staatsregierung nicht einfach mehr Busse zur Verfügung stelle. Warum in München die Helfer arbeitslos da stünden, bereit, und die Unterkünfte leer seien. Es könne doch nicht angehen, dass kleine Kinder frieren müssten, hier bei uns.

„Nein, sagte ich. Das kann nicht angehen. Ich finde es aber auch unverantwortlich, sich mit kleinen Kindern auf den Weg zu machen, in die Ungewissheit. Außer, man ist vom Tode bedroht.“ Fast hätte sie aufgelegt, und ich fühlte mich instinktiv schuldig ob meiner in der kurzen Form roh und feindlich klingenden Antwort. Ich habe sie weiter verwiesen an eine Fachpolitikerin. Und ihr einen Artikel in der SZ von heute nachgeschickt, der sehr gut erklärt, was da gerade wie, wo und warum geschieht, flüchtlingspolitisch, in Bayern und München. Hier ist der Link

Und dann habe ich ihr eine E-Mail geschrieben:

Meine Liebe, ein Grund für die aktuelle Situation ist,  dass der Umgang mit den ankommenden Flüchtlingsströmen inzwischen – wie in Deutschland gen-immanent –  professionalisiert worden ist. Das ist vielleicht gar nicht so sinnvoll, bzw. müssten die in den Sommermonaten „wild“ erstellten und dann erprobten Strukturen einfach etwas angepasst und verändert werden – aber das ist das Problem mit Strukturen, „einfach“ geht gar nicht, denn sie sind per definitionem schwerfällig. Das ist keine Entschuldigung, nur eine Erklärung, die tatsächlich auch mit der soziologischen Sichtweise übereinstimmt.

Aber darunter leiden Menschen, und das ist schrecklich! Das muss behoben werden, da bin ich ganz bei dir!

Die Flüchtlingskrise kann nicht mit einer Stellschraube beendet werden. Es müssen parallel viele Aktivitäten greifen, mehrere tragende Säulen aufgestellt werden. Die eine ist die Hilfe für die Menschen, die unterwegs sind. Und da sind, das hat sich erwiesen, Ehrenamtliche die Schlüsselfiguren, eben, weil sie keinen bürokratischen Strukturen unterworfen sind. Das hat natürlich wieder ganz spezifische Nachteile, denn es sind immer auch psychisch schwierige Menschen darunter, für die Helfen ein Selbstzweck ist und die damit ihre innere Leere füllen. Aber unterm Strich ist das grade mal egal, denn sie sind unverzichtbar. Aber diese improvisierte Unterstützung  ist und darf nichts anderes sein als Akuthilfe, schnell, effizient und punktuell. Sie kann keine offiziellen Strukturen ersetzen und sich deshalb auch nicht institutionalisieren. Auch auf die Gefahr hin, dass den Helfern plötzlich ihre eigene Tagesstruktur entgleitet und sie selbst „hilflos“ im Wortsinn werden.

(Allerdings werfen genau diese Menschen dann, wenn die Hilfe strukturiert wird, riesige Probleme auf, denn solche Psychopathen sind Egomanen, die an einem bestimmten Punkt viel Schaden anrichten, weil sie uneinsichtig sind und kritikresistent, weil sie meinen, am besten zu wissen, was den Hilfebedürftigen fehlt, weil diese für sie zu „Hilfeopfern“ werden, im schlimmsten Fall).

Die andere – und die ist immens wichtig und gerät leider hier oft aus dem Blick – ist die optimale Ausstattung der Füchtlingslager in den an die Kriegsgebiete angrenzenden Orten. Wenige wollen weiter weg als notwendig! Viele würden nicht nach Deutschland wollen, wenn sie mit Nahrung, Arbeit, Bildung ausgestattet nahe der Heimat auf ein Kriegsende warten könnten. „Would you like leaving home?“, so die Gegenfrage eines jungen Syrers, von dem ich wissen wollte, ob es ihm leicht gefallen sei, das zerbombte Damaskus zu verlassen. Leider ist es so, dass das viele Geld, das ehrenamtlich für die Flüchtlingshilfe unterwegs längs den Routen aufgebracht wird, dort unten immens helfen könnte. Klar, UNCHR für ein Camp im Nordirak zu spenden ist so, wie einen Baum in Brasilien zu kaufen. Das ist für viele nicht so sexy, wie Geld für einen WiFI-Hotspot in Presevo zu sammeln, oder Decken nach Kroatien zu fahren, über Nacht im geliehenen LKW.  Es tut mir leid, wenn das jetzt brutal klingt, aber ich habe in den letzten Monaten aufgrund meines Engagements für den Keleti-Bahnhof und in dessen Folge unendlich viele Ehrenamtliche kennengelernt, die genau so denken und handeln. Alternativlösung also: Geld sammeln, in größtem Stil, für die grenznahen Lager. Und, an alle Katastrophen-Touristen gerichtet: Fahrt Eure Geldbomben meinetwegen höchstpersönlich in die Türkei. Hier ist ein Link dazu

Und die dritte Lösungssäule entzieht sich auch nur scheinbar unseren Möglichkeiten. Die Politik muss am Frieden interessiert sein! USA, Russland, Iran, Saudi-Arabien, Europa, Syrien, Irak, Israel, Afghanistan, Pakistan. Solange wirtschaftliche und Machtinteressen den Friedenswillen blockieren, wird in der Levante und Nordafrika kein Frieden einziehen (Afrika ist ein differenziertes Problem, der Westbalkan hat sich der Wanderbewegung aus wirschaftlichen Gründen angeschlossen, das ist ein EU-Thema, das leider auch sehr langsam in Angriff genommen wird. Und die Sinti und Roma will keiner haben, das ist eine entsetzliche Wahrheit). Aber auch die Politik kann von den Bürgern beeinflusst werden. Durch Petitionen, durch Demonstrationen.

Schließlich muss Deutschland sich ganz offiziell zu dem bekennen, was es faktisch schon lange ist: ein Einwanderungsland. Wir können und dürfen nicht mehr unterscheiden zwischen Asylsuchenden und Wirtschaftsflüchtlingen. Höchstens zwischen Bleibewilligen und temporär sich hier Aufhaltenden. Natürlich ist es verrückt, zu glauben, dass sich Heerscharen auf den Weg machen, nur, weil „Mama Merkel“ gesagt hat, Flüchtlinge seien willkommen. Aber, und das berichten die Angekommenen immer wieder, es existiert in den Köpfen dieser leidenden Menschen das Bild eines Landes, in dem JEDER sei Glück machen kann und darf. Ganz ehrlich: es wäre SCHÖN, wenn dies so wäre! Denn wir brauchen sie, die jungen, die tatkräftigen, die ehrgeizigen Leute aus aller Welt. Und vergessen wir nicht, eine prosperierende Wirtschaft – wie wir sie haben – ist die allerbeste Voraussetzung für gelingende Integration. Deshalb braucht man nicht mal als Flüchtling zu kommen, sondern als Einwanderungswilliger. Und wir müssen diese Menschen mit offenen Armen empfangen. Als Einwanderer in unsere überalternde Gesellschaft. Das sind nämlich keine Almosenempfänger, die wir mit Geschenken überhäufen oder mit Fußtritten verjagen wollen. Das sind unsere Zukunftsträger. Es gibt bereits erste zaghafte Versuche, in einigen Ländern Hotspots einzurichten, in denen sie Ausreisewillige registrieren lassen können, Vorstufen einer Green Card, sozusagen. Das würde dann auch die menschenunwürdigen Odysseen der Flucht unterbinden, den Kindern das Frieren ersparen, das Hungern, das Ausharren in engen Unterkünften – und den Schleppern den Geldhahn zudrehen.

Das ist ein weiter Weg. Aber auch er beginnt mit dem ersten Schritt.


	

Alles auf weiß


Draußen tropft es weiß auf die Welt – und schmilzt zu braungrauen Pfützen auf Straßen und Wegen. Immerhin, für kurze Zeit wird so ein wenig Dreck verdeckt. Nicht nur der Hundekot im Park…..

Weiße Weihnacht. Komisch, wie die Menschen  – hier, zumindest – ihre emotionalen und auch intellektuellen Ansprüche zurückschrauben können, in der Adventszeit. Und ihre Erwartungen dessen, der und was da kommt. Schnee. Geschenke. Schnee und Geschenke. Und sonst nichts. Frieden? Nö. Klappt ja nicht mal interfamiliär. Sonderbar auch, dass sie  offenbar mit sensorischen Scheuklappen ausgestattet sind, die nur partielle Reize durchlassen. Kaufsensoren haben das Regiment übernommen, und das Hirn registriert vor allem Schnäppchen, Kerzen, Zimt- und Vanilledüfte und glänzende Kugeln in allen Variationen. Ich mache da keine Ausnahme. Meine Augen reagieren sogar ganz extrem, gepaart mit meinen Schleimhäuten. Nicht einmal nächtliches Isoptomax aus der Notapotheke vermochte meine Allergie zu dämpfen!

Alles auf weiß heißt nicht alles auf weis(e). Europa droht zu zerbrechen? In einer Zeit, in der längst nur noch drei Machtkontinente prognostiziert waren – hello Mr. Huxley – driften wir in den Nationalismus zurück? Russland wehrt sich schwarz gegen Revolutionen in orange, Jasmin und digital. Putin beschwört James-Bond-Fantasien herauf, Clinton hängt die Haare aus dem Fenster –  doch kommt da ein Rapunzelprinz?

Und England kapituliert vor der eisernen Festlandlady. „Politiker scheinen mehr auszuhalten als Normalos“, kommentierte gestern eine erstaunte und wohl übermüdete Journalistin die nie endende Energie der deutschen Bundeskanzlerin. Macht ist halt eine Droge.

Aber es geht doch um „uns“. „Wir“ sind das Volk. Die Völker. Sie haben es uns vorgemacht, in Tunesien, Ägypten, Lybien (ok ok, fb ist fast wie FBI nur kleingeschrieben, und naklar will der Westen seine Ölquellen erhalten). Aber wir – vergessen die paar Zelter an der Wallstreet und auf Europas Plätzen und wenden uns lieber Wichtigerem zu. Dem Christbaum am Marienplatz, der Flugentenvorbestellung, der besten Strategie zur Herstellung von Weihnachtsplätzchen und der Konservierung von Winterweiß. Weil jeder weiß: Weihnachten wird unterm Baum entschieden. Ja, passen wir nur auf, dass es nicht der nächste Schlagbaum wird!

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