All Hallowes Eve. Let’s reform it!


Ich liebe Halloween. Nein, nicht die kostümierten Kinder, die nicht wissen, warum sie bei Dunkelheit, mit knappem Sicherheitsabstand verfolgten von ihren helikopternden Eltern, mit Tüten durch die Straßen laufen uns „Süßes oder Sauers“ rufen sollen. Natürlich machen sie es trotzdem, weil Verkleiden Spaß macht und weil sie vielleicht nicht jeden Abend Süßigkeiten satt bekommen dürfen – oder können.

Diesmal habe ich mir vorgenommen, auf jedwede Belehrung zu verzichten und den Kleinen auch nichts von den Toten zu erzählen, die – darum geht’s ja schließlich – im Dunkeln in die Oberwelt gleiten und, ja, und was? Rache üben? Das hingestellte Essen genießen? Oder einfach nur die Orte ihrer Sehnsüchte besuchen?

Stattdessen habe ich nach Schloss Dackula eingeladen, wo Gräfin und Graf schon bellend auf sie warten. Allerdings ist bislang niemand gekommen. Ich fürchte, das Bellen hat die Kinder – oder doch eher die Eltern? – schon von weitem verschreckt.

Ich liebe Halloween, schrieb ich. Nicht wegen der Kinder, nicht wegen der sauren Süßigkeiten. Sondern weil ich spüren möchte, dass mir in diesen Stunden, in denen sich die Welten berühren, meine Mutter nahe ist. Weil ich an sie denke, sie sehe. Heute habe ich mir zugehört, beim Telefonieren, und gedacht: „Du sprichst wie sie!“ Und statt zu erschrecken, musst ich lächeln. Ich bin gespannt, ob ich ihr heute Nacht begegne. Im Traum, nicht im Garten. Obwohl auch das passieren kann, also dass ich nachts im Garten bin. Falls einer der Dackel oder auch Bruna ein dringendes Bedürfnis verspüren, bin ich mit ihnen wach und draußen. Aber wer weiß – vielleicht erahnen sie ja ihre Nähe?

Bevor ich metaphysich, transzendent und schlicht okkult werde, lasse ich euch lieber an meinen Gedanken zu dem Feiertag teilhaben, den wir Protestanten heute begehen, den Reformationstag.

Hier eine kleine Zusammenfassung aus Wikipedia: Laut der Überlieferung soll der Mönch und Theologieprofessor Martin Luther am Abend vor Allerheiligen 1517 an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg 95 Thesen in lateinischer Sprache zu Ablass und Buße angeschlagen haben, um eine akademische Disputation herbeizuführen. Damit leitete er die Reformation der Kirche ein. Im Kern bestritt er die herrschende Ansicht, dass eine Erlösung von der Sünde durch einen Ablass in Form einer Geldzahlung möglich sei. Dies sei schon durch das Opfer Jesu Christi am Kreuz geschehen.

Ob der Thesenanschlag tatsächlich stattgefunden hat, ist umstritten. Und egal. Wir alle wissen, wie es weiterging. Die Folgen reichen bis in die Gegenwart, und letztendlich ist auch der Wahlsieg Donald Trumps irgendwie auf Martin Luther zurückzuführen. Mittelbar, zumindest. Denn ohne Schisma kein Protestantismus, und ohne diesen keine Evangelikalen. Und nein, bei den Katholiken gibt es nicht diese große Spannbreite an gelebten Glaubensinterpretationen. Dem steht der Papst entgegen.

Ich bin Theologin. Ich praktiziere meinen Glauben ganz individuell und, als Prädikantin, auch innerhalb des kirchlichen Regelwerks. In den Sozialen Medien folge ich den digitalen Pfarrer*innen. Ich lese und erlebe ihr Engagement für Queerness, für Gendergerechtigkeit, für Inklusion und Integration. Und ich erlebe wie die Kirchen immer leerer und die Mitgliederzahlen immer ausgedünnter werden.

Und ich denke: da passt etwas ganz und gar nicht zusammen.. Kirche, so vermute ich, geht konsequent an dem vorbei, was die Menschen auf der Straße gerne hätten, sich wünschen und erträumen. Ja, sie geht auf die Bedürfnisse von Minderheiten ein, und vielleicht erreicht sie damit ein paar Tausend Leute. Die sind wichtig. Keine Frage. Aber sie sind nicht die Masse. Nach wie vor gehen sie davcn aus, was sie gerne machen würden, was sie zeitlich leisten können, und nicht davon, was nötig wäre, aber vielleicht unbequem.

Wenn ich zu Beginn der Sommerferien Kinder unterm (Plastik-)Regenborgen segnen möchte, „einfach so“, begegnen mir so viele Wenn und Aber, dass ich das am Ende nicht machen soll kann darf. Ich möchte rausgehen und die Leute ansprechen, in der Kneipe, an der U-Bahn. Nein, nicht ohne Genehmigung. Von der Kirche und von der Stadt, auf deren Gelände ich mich bewegen würde.

Leute, so wird das nichts. Ich möchte keinen Reformationstag feiern in einer erstarrten Kirche. Wofür bin ich Luther dankbar? Das ist schnell gesagt: dafür, dass er begonnen hat, Mädchen die Schule zu ermöglichen. Davon zehren wir bis heute. Und dafür, dass er die Möglichkeit einer Revolution gelebt hat, entgegen allen Prognosen, Prophezeiungen und allen Widrigkeiten, allen Ummöglichkeiten zum Trotz.

Vielleicht ist es das, was wir brauchen: eine neue Revolution. Weg mit den Honoratioren, weg mit den Kirchenleitungen. Weg mit dem Regelwerk. Weg mit dem Geländer, weg mit den Strukturen. Sehen, was bleibt. Und einfach losgehen. Auch, wenn wir gestoppt werden, auch, wenn das, was wir tun, geahndet wird. Das hat es alles schon gegeben. Bei den Propheten, den Jüngern, den Mönchen.

Das wäre mein Traum zum Reformationstag. Leute zu finden, die so denken und so handeln wollen wie ich. Damit aus dem Traum ein erster Schritt wird. Und dann noch einer. Und noch einer.. Übrigens; diese Leute müssten nicht zwingend evangelisch sein, auch nicht christlich. Einer schwindenden Zahl von bekennenden Gläubigen (der Trend wird auch den islam erreichen, zeitverzögert, und den Hinduismus, den Buddhismus, alle Religionen) steht eine wachsende Zahl von Sinnsuchenden gegenüber.

Vielleicht sollten auch wir, die wir glauben, nach einem gemeinsamen Sinn suchen, ihn formulieren und dann zu den Leuten bringen. Ohne großen Plan. Mit viel Mut.

Das wäre mal eine Utopie, die sich umzusetzen lohnen würde.. Frieden und Verständigung und Gerechtigkeit könnten die Folge sein. Langfristig. ok. Von uns sicher nicht erlebbar. Aber Gott hat Zeit. Unabhängig davon, wie sie gelesen wird. Denn er/sie ist ewig. Im Gegensatz zu uns. Das ist ein Vorteil, weil dadurch immer neue, frische Ideen und Impulse geboren werden. Neue Lösungen. Während die Probleme die alten sind.

Ja, das wäre schön.

Reform? Norm? Oder einfach nur Kürbis?


Heute ist Reformationstag. Ja, es gibt auch in Europa immer mehr Menschen, die heute Abend verkleidet auf die Straßen gehen, um andere zu erschrecken. Nein, um selbst Spaß zu haben, natürlich. Und die Kinder nicht vergessen! Für sie ist das ein Riesenspaß. Als Hexe, Vampir oder einfach als man selbst an Haustüren klingeln und Süßes oder Saures verlangen. Und erhalten. So oder so.

Ich halte für diese Zwecke immer ein paar Zitronen parat. Und erkläre den erstaunten Kids dann, worum es an diesem Abend eigentlich geht. Denn das wissen die Allermeisten nicht. Und ihre Eltern, Lehrer*innen, Erzieher*innen offensichtlich auch nicht. Sonst hätten sie ihr Wissen ja weitergegeben, oder?

Über die Ursprünge von Halloween gibt Wikipedia hinlänglich Auskunft. Ähnlich wie bei vielen Festen mit religiösem Hintergrund versandet das Wissen darüber. Was bleibt, ist die pure Lust am Feiern, Toben, Konsumieren.

Aber während Weihnachten, Ostern & Co. irgendwo doch immer noch Familienfeste sind, findet Halloween für Kinder draußen statt. In dunklen, bestenfalls nebeldurchwaberten Straßen. Das ist gruselig. Und im Grunde bräuchte es dafür eine ganz gehörige Portion Gottvertrauen, denn so manches Schwarze lauert doch in dieser Vornovembernacht.

Ich erkläre den Kids also, was wir in Italien in der Nacht vor Allerheiligen feiern. Im Norden läuteten die Glocken, um die Seelen der Verstorbenen auf die Erde und in die Häuser zurückzuholen, wo man den Tisch gedeckt ließ, damit sie sich dort stärken konnten.

„Habt ihr vielleicht drüben im Park eine alte Dame gesehen? Mit weißem Haar? Vielleicht ist das meine Mum, die gerade auf dem Weg hierher ist.“ Große Kinderaugen. Hastiges Umdrehen.

„Auf Sizilien“, erzähle ich dann weiter. „werden die Festgelage direkt auf dem Friedhof abgehalten. Cool, oder? Macht das doch morgen auf dem Grab von eurem Opa.“

Spätestens jetzt fragen die Kids nicht mehr nach Süßem. Und wenn doch? Dann bitte ich sie, eine Handvoll Raffaello für meine Mum mitzunehmen und ihr zu geben, wenn sie ihr auf dem Rückweg durch den kleinen Park gleich begegnen werden.

Wow. Kinder können so schnell rennen.

Und jetzt Ihr: bin ich gemein? Nein! Ich kann es nur absolut nicht leiden, wenn Erwachsene Kinder nicht darüber aufklären, warum sie etwas machen sollen. Ja, sollen. Denn von alleine kommt kein Kind darauf, im Dunkeln an fremden Haustüren zu klingeln. Ja, ich weiß, die Peergroup. Aber der gehören dann meistens auch die Eltern an.

Im Übrigen feiere ich heute natürlich weder All Hallows‘ Eve noch die Nacht vor Ognissanti.

Allerdings feiere ich auch nicht wirklich das Protestanten höchstes Fest, den Reformationstag. Warum? Weil ich mir nicht sicher bin, ob das wirklich so eine tolle Sache war, im Nachhinein betrachtet. Wie viel Leid ist daraus hervorgegangen, völlig unbeabsichtigt von Martin Luther. Aber dennoch.

Wäre die Kirche heute stärker, moderner, geeinter, akzeptierter, ohne Schisma? Wären Missbrauch von Macht und Menschen, Gewalttaten, psychische Folter dann seltener gewesen? Gäbe es dann mehr Frauen als Männer im Priester*innen-Amt? Würde Gott dann nicht mehr als rein männlich angesehen, mehrheitlich?

Meine Erfahrung als Theologin: Die Menschen, die ich kenne, unterscheiden nicht zwischen evangelisch und katholisch. Sie unterscheiden zwischen Angeboten, die ihnen guttun, und solchen, die ihnen schaden oder nicht helfen.

Tatsächlich ist in meinen Augen der einzige Vorteil der Reformation, dass Frauen in der evangelischen Kirche – theoretisch – gleichberechtigt sind.

Gut, das könnte ich feiern. Tue ich auch. In jedem Gottesdienst, der von Frauen gehalten wird. Auch von mir. Hallelujah.

Vivamus, Lesbia!


„Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt zugrunde geht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen“..  soll Martin Luther gesagt haben. Vor meinem Fenster schwelgt der Walnussbaum in zögerndzartem Grün. Wie noch nicht ganz entfaltete Flügel zittern die fedrigen Blätter in ihrem ersten Wind. Schattige Sonne leckt an den glänzenden Ästen, die sich stolz aus dem Winterschlaf strecken.

Wenn die Natur ihre Frühlingsaugen aufschlägt, mag keiner an das Ende denken. Nicht das des Sommers -auch wenn die Tage im Juni schon wieder rückwärts laufen; nicht das des Wohlstands – lass doch die Griechen hinter Griechen kriechen und die Banken samt der Börsen gleich hinterher; nicht das der Welt – auch das Mississipidelta ist von den Titelseiten in die Innenteile der Nachrichtenmagazine geglitten,  wie geschmiert; und schon gar nicht an das eigene Ende. Nein. Daran mag wirklich gar keiner denken. Gut oder schlecht? Unbesonnen oder weise? Weiterlesen „Vivamus, Lesbia!“