MiniKrimi Adventskalender am 6. Dezember


Lasst uns froh und munter sein

„Ah, der Herr Bischof. So früh schon unterwegs?“ Es ist sieben Uhr morgens, und auf dem Domberg kauern noch die Schatten der Nacht, durchbrochen nur von den glitzernden Lichtern am riesigen Weihnachtsbaum und ein paar späten Sternen. Ganz hinten, dort, wo der Fluss den Himmel berührt, färbt erstes Morgenrot die Wiesen. Es ist ein idyllisches Bild, und der Bischof bleibt stehen, saugt die klare Winterluft tief ein und mit ihr den Frieden, der über seiner Stadt zu liegen scheint. Aber wie so oft, trügt der Schein auch hier.

Der Skandal um Missbrauch und sexualisierte Gewalt hat auch die Domstadt erreicht. Weniger heftig und weniger laut, als einige es befürchtet und etliche es sich erhofft hatten. Und gottlob liegen die „Fälle“, um die es geht, schon Jahrzehnte zurück. Fälle – das Wort nimmt der Bischof nie in den Mund, zum Kummer seiner Kollegen, Dekane und Priester. Für ihn sind es Schicksale. Jedes besonders, jedes tragisch, jedes so ganz aus der vorgezeichneten Lebensbahn geworfen durch die Hand eines Kirchendieners. Der Bischof mag auch nicht unterscheiden zwischen Priestern und Leitern von Chor und Jungschar. Welche Bedeutung hat es für die Betroffenen, ob es ein geistlicher, ein haupt- oder ehrenamtlicher Missbrauch war, dessen Opfer sie wurden? Für die Kirche wäre es vielleicht schon wichtig, darzulegen, dass viele der Täter keine Geistlichen waren, sondern Mitarbeiter der Kirche. Aber ganz ehrlich? Für den Bischof macht das keinen Unterschied. So oder so hat Kirche versagt. Gegenüber ihren Schutzbefohlenen und gegenüber ihren ureigenen Inhalten.

Auch dass über Jahre, Jahrzehnte hinweg die Gemeindemitglieder selbst Augen und Münder verschlossen haben, mindert die Verantwortung der Kirche nicht. Der einzige Weg durch dieses Tal der Schuld ist steinig und steil und heißt lückenlose Aufarbeitung. Der Bischof ist jung, gerade mal Mitte Vierzig. Deshalb wurde er für den Vorsitz der Kommission ausgewählt. Und deshalb verweigern ihm seine durchweg älteren Kollegen den Respekt, kritisieren seine Entscheidung zu völliger Transparenz, nicht nur gegenüber den Betroffenen, sondern auch in den Medien. Ein nie wiedergutzumachender Schaden, ein unauslöschlicher Makel unserer Institution, mit diesem mahnenden Ruf sind sie bis nach Rom gegangen. Und mit leeren Händen zurückgekehrt. Der Bischof weiß genau, dass sie seitdem nach anderen Möglichkeiten trachten, ihn aus dem Verkehr zu ziehen. Er ist sich keineswegs sicher, ob und wann dieses Trachten von Erfolg gekrönt sein wird. Auch darin hat die Kirche eine große Tradition.

Aber auch, wenn er kein Cesare Borgia ist – Vorsicht kann nicht schaden. Deshalb ist der Bischof heute schon in aller Herrgottsfrühe auf den Beinen, um die Vorbereitungen für seinen Auftritt als Nikolaus, Bischof von Myra, heute Abend zu überwachen. Den Aufbau des Podests, von wo aus er ein paar Worte an die Menschen richten wird – er hat nicht vor, durch eine angesägte Latte zwei Meter auf Kopfsteinpflaster zu stürzen. Die Bereitstellung des Schlittens – mit Rollen, denn bislang hat es noch nicht geschneit, und die für den Abend vorhergesagten Flöckchen würden höchstens für einen malerischen Flaum auf seiner Tiara sorgen und nicht als Unterlage für die Kufen ausreichen. Und dann die mittelalterlich gestalteten Buden, an denen Met und Wuchteln, Früchtepunsch, Maroni und Grillfackeln verkauft werden – alles für einen guten Zweck, nämlich die Jugendarbeit in der Diözese. Es wäre nicht nur tragisch, sondern eine Katstrophe, wenn ein Dach einstürzen, ein Grill explodieren oder die Halterung eines Metkessels umkippen würde.

Damit wären dann gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe erschlagen, für seine Gegner, weiß der Bischof. Er wäre eliminiert – vom Dom, von seinem Posten als Vorsitzender der Aufarbeitungskommission und, im schlimmsten oder besten Fall, je nach Ansicht des Betrachters, von dieser Welt. Die von ihm dank seines Charismas aufgebaute Familien- und Jugendarbeit, geprägt von Offenheit, Gemeinschaft von Männern und Frauen, egal ob cis oder non-binär, und Kindern, von Musik und Social Media Präsenz, bei der G*ott tatsächlich benannt und bedankt wird, diese Arbeit würde ohne ihn zusammenbrechen wie ein Kartenhaus. Und zeigen, dass es eben so nicht geht. Dass Kirche Hierarchien braucht, und die Kollegen wären schnell dabei, diese wieder hochzuziehen, eherne Mauern aus Respekt, Ohnmacht und Schweigen.

„Du bist paranoid“, sagt ihm Claus, sein Freund und Vertrauter, immer wieder. „Besser als ein Opfer“, antwortet der Bischof dann. Und fügt lautlos hinzu: schon wieder.

Jetzt geht die Sonne über dem Domberg auf. Ein strahlender Wintermorgen. Die Arbeiten auf dem Platz gehen gut voran, der Bischof wechselt hier und da ein Wort, trinkt einen Becher Kaffee. Dann kommt Dominika, eine seiner Jugendleiterinnen. Sie drehen ein TikTok Video über die Vorbereitungen und laden nochmal alle ein: „Heute Abend, 17 Uhr. Nikolaus, der Bischof von Myra, hat Geschenke für alle Kinder dabei. Es gibt genug zu essen, zu trinken, zu feiern und zu singen. Kommt alle. Wir freuen uns auf euch.“

Der Regionale Radiosender hat schon über das Nikolausfest am Domberg berichtet. Es ist das erste nach Corona, das erste, seit der neue Bischof da ist, und das allererste überhaupt in dieser freien Form. Es sind sogar evangelische und muslimische Jugendgruppen mit dabei!

Von einem Fenster im dritten Stock der fürstbischöflichen Residenz, die sich nahtlos an den Dom anschmiegt, betrachtet Bischof Richard missgünstig das bunte Treiben. Und fragt sich, wie schon so oft, wo und wann er den Weg dieses jungen Bischofs hätte umlenken könnten. Wie viel Ärger wäre der Kirche erspart geblieben. Wieviel Schmach! Aber wer hat schon ahnen können, dass dieser hübsche, sensible, stille Junge mit der silberhellen Stimme einmal so ein wort- und gedankenstarker Geistlicher werden würde. So ein gefährlicher Gegner! Er selbst hat ihm sogar noch den Weg gewiesen. Nicht nur zu Jesus, sondern auch ins Priesterseminar. Was für ein kardinaler Fehler! Nun, vielleicht ist es ja noch nicht zu spät, denkt Bischof Richard. Und schaut sich unwillkürlich nach Meta um, seiner mit ihm alt gewordenen Hauswirtschafterin. Und mehr. Die beiden verstehen sich nach über 40 Jahren ohne Worte. Sie schaut ihm stumm in die Augen. Und nickt unmerklich.

Und dann ist es Abend. Wie vorhergesagt, fallen weiche Flocken vom dunkelblauen Winterhimmel. Sie legen sich zart auf die Dächer der Hütten, das Kopfsteinpflaster und die Mützen und Locken der Menschen. So viele sind gekommen. Der Rauch von den Feuern, über denen Grillfackeln schmoren, steigt senkrecht auf und mischt sich mit dem Nelkenduft von Met und Punsch, mit dem süßen Geruch gebrannter Mandel. In der Mitte des Platzes lodert ein helles Feuer, oben auf dem Podest spielt die Band „Last Christmas“ und dann, auf ein Zeichen des Bischofs, „Lasst uns froh und munter sein“. Ein bunter Chor, alte Stimmen, junge, helle, tiefe stimmt ein, der ganze Platz bebt und lacht. Ja, Lacht. Vergessen ist für diesen Moment alles, was trennt. Den Domberg mit seiner geistigen, geistlichen Last, und die Menschen. Der Bischof lächelt. Dankbar.

„Und jetzt schaut mal, was ich euch mitgebracht habe“, ruft er, springt vom Podest und zum Schlitten voller Pakete und Päckchen. Im Handumdrehen ist er umringt von Händen, nackten, behandschuhten, schüchternen, greifenden. Er lacht und legt in jede Hand ein kleines Geschenk. So schnell ist der große Schlitten leer. Nur noch ein kleines Päckchen liegt auf dem rotsamtenen Kutschbock. Der Bischof nimmt es und geht hinüber zur Residenz am Rande des Platzes. Dort, vor dem Portal, stehen Bischof Richard und eine Handvoll seiner Kollegen und machen gute Miene zum bösen Spiel. „Hier, Exzellenz“, sagt er und reicht Richard das Päckchen. „Auch für Sie hat der Nikolaus etwas dabei. Sie waren so lange der Domherr hier. Nehmen Sie die Pralinen, Ich weiß, es ist ihre Lieblingssorte, Meta hat es mir verraten. Und seien Sie mir, Ihrem Nachfolger, nicht allzu böse dafür, wie ich die Geschäfte hier weiterführe. Geistlich und weltlich. Es ist Advent. Kommen Sie, machen auch wir uns auf den Weg.“

Um sie herum wogt und tobt das friedliche Fest. Es ist kalt in der Bischofstracht aus Rauchmantel, Albe und Mitra. „Hier, Maximilian. Nimm einen Schluck Glühwein. Du bist ja komplett ausgekühlt. Das kann ich gar nicht mit ansehen! Aber um dich kümmert sich ja keiner.“ „Außer dir, gute Meta. Danke.“ Und der Bischof nimmt den Becher, den Meta ihm reicht.

Später wird er in den Armen seines besten Freundes liegen, der vergeblich auf den Rettungswagen wartet. Zuviel los, heute, in der Stadt. „Damit hätte ich nicht gerechnet. Meta! Ihr ganzes Leben lang hat er sie ausgenutzt. Und jetzt macht er sie auch noch zur Mörderin“, flüstert der Bischof. „Aber ich gehe nicht allein. Und vielleicht ist es wirklich am besten so, denn G*ott verzeiht es nicht, wenn man selbst zum Richter wird. Doch ich konnte nicht mehr länger warten. Richard hat ja nicht nur mein Leben zerstört, als er mich missbraucht hat, immer und immer wieder, damals, sondern er hat auch noch so viele andere kaputt gemacht. Vor mir und nach mir, da bin ich mir sicher. Aber er ist unantastbar. Ich habe niemanden gefunden, der gegen ihn aussagen will. Und mir würde keiner glauben! Ich bin ja sein Konkurrent.

Ich hatte geglaubt, dass ich meinen Frieden gefunden habe. Meine Aufgabe. Dass ich heilen kann, wo andere verletzt haben. Aber dann habe ich Richard gesehen. Im Bogengang. Mit Christian, unserem Solisten. Er ist noch ein Kind! Da habe ich gewusst, es muss aufhören. Und auch, dass ich selbst das Heft in die Hand nehmen muss.“

Als der Rettungswagen endlich kommt, ist es für Bischof Maximilian schon zu spät.

Am nächsten Morgen kommt der Notarzt noch einmal auf den Domberg. Bischof Richard ist ebenfalls in der Nacht gestorben. An einem Herzinfarkt, wie es in der Verlautbarung des Ordinariats heißen wird.

Claus wird sich bemühen, den Mord an Maximilian aufzuklären. Er weiß, dass er sich damit auf eine lebensgefährliche Mission begibt.

Gut möglich, dass diese Geschichte polarisiert. Aber auch ein MiniKrimi Adventskalender ist halt ein Ponyhof. Und ich freue mich auf eure Kommentare! In diesem Sinne: habt einen schönen Nikolausabend. Und obacht beim Glühwein!

Adventskalender MiniKrimi am 3. Dezember


Heute sollte es ein Schneechaos-Krimi werden? Hatte ich mir fest vorgenommenb, stimmt. Aber dann war ich bei einem Fotoshooting, dass viviènne model management für Kinder der Deutschen Lebensbrücke als Weihnachtsgeschenk vorbereitet hatte. Kinder mit zum Teil lebensbedrohlichen Krankheiten. Oder Kinder, die morgens ohne Früshtück in die Schule gehen und von der Deutschen Lebensbrücke etwas Leckeres vor dem Unterrichtsbeginn bekommen. Mit viel Liebe und Sorgfalt hatte das Team besondere Kleidungsstücke rausgesucht, die Kids wurden geschminkt, gestylt – und sahen hinterher natürlicher und frischer aus als vorher, aber keine Spur von aufgesetzt.

Jedenfalls dauert das Shooting – natürlich – länger als von mir geplant. Ihr werdet noch davon lesen, und ich werde auch ein paar Fotos hochladen. Das war für die Kids ein unvergessliches Erlebnis. Und dann schickte mir meine früher Twitter-, jetzt Blue Sky-Freundin Birgit Schiche einen wunderschönen, spannenden, tiefsinnigen Adventskrimi. Und den gibt es heute hier zu lesen.

Viel Spaß dabei!

Die Weihnachtsbande

„Mama, kommt der Weihnachtsmann eigentlich zu allen Kindern in der Welt?“

„Ja, mein Schatz, zu allen, die es sich wünschen.“

„Aber, Mama, wie schafft der Weihnachtsmann es denn, an nur einem Tag überall in der Welt Geschenke zu bringen?

Jonas war fünf Jahre alt und ein aufgewecktes Kind.

„Weißt du, das ist so“, setzte Melanie an und Jonas wusste, nun würde sie ihm eine Gute-Nacht-Geschichte darüber erzählen. Er kuschelte sich wohlig unter seine Decke.

Seine Mutter erzählte ihm, dass der Weihnachtsmann viele Helfer hat: den heiligen Nikolaus und Knecht Ruprecht, Santa Claus in den USA, die Hexe Befana in Italien, Väterchen Frost in Russland und in Schweden den Weihnachtswichtel, genannt Jultomte, das Christkind in Süddeutschland nicht zu vergessen. Sie erzählte auch davon, dass die Kinder zwar hier in Deutschland an Heiligabend beschenkt werden, aber in anderen Ländern am 25. Dezember, in der Neujahrsnacht oder sogar erst am 6. Januar, dem Dreikönigstag. Jonas war froh, dass er nur noch bis Heiligabend und nicht noch länger auf die Bescherung warten musste. Und morgen war doch schon Nikolaus, da würden sicher ein kleines Geschenk und Süßigkeiten in seinem Stiefel stecken. Mit diesen angenehmen Gedanken schlief er ein.

Zur gleichen Zeit auf einem gut besuchten Weihnachtsmarkt saß eine kleine Gruppe an einem Tisch. Alle wärmten sich die Hände an ihren Glühweinbechern. Es herrschte dichtes Gedränge, der Duft von Schmalzgebäck, gebrannten Mandeln und Grillwürstchen vermischte sich mit dem Glühweinduft, und von überall her ertönte Weihnachtsmusik.

„So eine Kostümprobe ist doch albern, und dann noch hier draußen an so einem scheißkalten Tag“, murmelte Igor schlecht gelaunt in seinen weißen Bart und zupfte seinen blauen Väterchen-Frost-Mantel zurecht. „Väterchen Frost ist kalt“, die darin liegende Ironie ließ Nikola schmunzeln. Sie war als Christkind verkleidet und trug eine dicke Thermostrumpfhose und Angora-Unterwäsche unter ihrem aus Wollstoff gefertigten Kostüm und eine Perücke mit blonder Lockenpracht auf dem Kopf. Das ließ sie zwar ziemlich mollig aussehen, hielt aber einigermaßen warm. Nikola mochte die Weihnachtszeit nicht, obwohl sie am morgigen Nikolaustag ihren 30. Geburtstag feiern konnte. Oder gerade deswegen, denn dass sie nach dem heiligen Nikolaus benannt war, hatte in ihrer Kindheit zu ganzjährigen Lästereien ihrer Mitschüler geführt. Klaus, Jahrgang 1958 und mit einem klassischen Weihnachtsmannkostüm ausstaffiert, und Nico, gerade 20 Jahre alt und als Jultomte verkleidet, konnten Nikola verstehen, denn auch sie hatten ähnliche Hänseleien ertragen. Cordula war die Fünfte in der Runde und trug ein Hexenkostüm. Sie hatten alle auch Masken dabei, die ihre Gesichter vollständig verbargen, und die sie jetzt jedoch in ihren Taschen ließen. Als Sechster hatte Ruprecht am Tisch Platz genommen. Ja, er hieß zu seinem Leidwesen wirklich so, und damit war sein Kostüm ebenfalls festgelegt: ein pelziges, schwarzes Teufelskostüm. Er war der Stratege unter ihnen und hatte die Generalprobe einberufen.

„Nur bei so einer Kostümprobe können wir sehen, ob man uns wirklich nicht erkennt und ob uns die Kostüme ausreichend Bewegungsfreiheit geben. Klaus und Igor, achtet darauf, dass eure Mäntel nicht zu lang sind, ihr könnt sonst nicht schnell laufen, falls das notwendig wird!“

In aller Öffentlichkeit besprach die illustre Runde ihre Pläne für die Weihnachtszeit. Zur Freude des Standbesitzers blieb es nicht bei nur einer Runde Glühwein. Viele Gäste des Weihnachtsmarktes freuten sich über die kostümierten Geschenkeboten, blieben stehen und bestellten ebenfalls heiße Getränke am Stand.

„Am Abend des gestrigen Nikolaustages fand in der größten Einkaufspassage der Stadt ein mysteriöser Raubüberfall statt. Die umsatzstärksten Geschäfte der Passage wurden um ihre Einnahmen gebracht. Die Täter wurden als Weihnachtsmann, Christkind, Weihnachtself oder -wichtel, Hexe und Knecht Ruprecht beschrieben. Sie alle verschwanden ohne Aufsehen zwischen den weihnachtlichen Attraktionen der Einkaufspassage“, berichtete die Nachrichtensprecherin a, 7.Dezember. Melanie schaltete das Autoradio ab und sah im Rückspiegel nach Jonas, der in seinem Kindersitz schlief. Gestern waren sie noch in dieser Einkaufspassage gewesen, die mit vielen passend kostümierten Schauspielern und Schauspielerinnen mehr Publikum anlocken und diese in Kaufstimmung bringen wollte. Das war auch gelungen – zum Vorteil der „Weihnachtsbande“, wie sie von den Medien nun plakativ bezeichnet wurde. Jonas hatte sich so gefreut, dass seine Mutter ihm die Figuren aus seiner vorweihnachtlichen Gute-Nacht-Geschichte dort alle zeigen konnte. Mit dem Jultomte, Väterchen Frost und der Hexe Befana, die er alle noch nie gesehen hatte, hatte er sogar Fotos machen dürfen – für Jonas das größte Highlight in der Adventszeit.

Am 23. Dezember traf sich die Weihnachtsbande erneut für ihre letzten Absprachen am Glühweinstand auf dem Weihnachtsmarkt, diesmal schon am frühen Nachmittag. Igor hatte Skiunterwäsche und einen extra dicken Weihnachtspulli unter seinem Väterchen-Frost-Kostüm und nippte gut gelaunt an seinem heißen Glühwein. Leider vermieste ihm Ruprecht die gute Laune: „Diesmal lasst ihr Trottel euch nicht wieder fotografieren! Ihr könnt von Glück reden, dass niemand die Fotos an die Polizei weitergeleitet hat!“

Am Heiligen Abend brachen Knecht Ruprecht und seine weihnachtlichen Gesellen und Gesellinnen beim größten Online-Händler der Region ein und stahlen sämtliche Waren, die als Retoure zurückgekommen waren. Der Online-Händler ließ diese Waren einfach nur vernichten, denn das war für ihn billiger, als sie erneut in den Handel zu bringen. Die Weihnachtsbande erbeutete jede Menge neuwertige elektronische Artikel, Schmuck, Modewaren, Spielzeug. Niemand wunderte sich über die weihnachtlich kostümierten Gestalten, die riesige Säcke gefüllt mit Geschenken davon schleppten – es war schließlich Heiligabend. Na ja, fast niemand: Melanie und Jonas fuhren im Auto gerade dort vorbei, als sie im Gänsemarsch die Beute zu ihrem Kleintransporter trugen. Melanie und Jonas kamen gerade von den Großeltern zurück, die Jonas sein erstes Smartphone geschenkt hatten. Kaum war der Akku geladen, hatte Jonas ständig Fotos von allem und jedem gemacht. Nun fotografierte er die Weihnachtsgestalten im Gänsemarsch, Knecht Ruprecht und das Christkind gleich vorneweg. Dummerweise trugen diese diesmal keine Masken zu ihren Kostümen, wie Jonas betrübt feststellte. Aber die Kamera war wirklich toll, selbst wenn man aus einem fahrenden Auto knipste. Die gute Straßenbeleuchtung hatte natürlich geholfen.

Am 25. Dezember überfiel die Weihnachtsbande die Bankfiliale, die direkt am Weihnachtsmarkt lag. Bei ihren wiederholten Besuchen am Glühweinstand hatten sie sie vorher gründlich ausspioniert. Bei dem Trubel auf dem Marktgelände war niemand stutzig geworden, diese kostümierten Gestalten gehörten doch offensichtlich zum Programm. Nun war der Platz menschenleer. In der Innenstand wohnte kaum jemand, so dass es auch keine Zeugen für den Bankraub gab. Santa Klaus, wie er in der Runde nur noch genannt wurde, war so umsichtig gewesen, die Überwachungskameras der Bank mit Farbe zu besprühen. Leider war Igor weniger umsichtig als er mit seinem Mantel an einer Türklinke hängen blieb und sich hektisch losriss. Ein Stück von dem billigen blauen Stoff mit Kunstpelzrand war das einzige Indiz, das die Polizei später finden konnte. Es brachte die aufmerksamen Beamten auf die Verbindung mit dem Überfall auf die Einkaufspassage.

„Nikolaustag, Heiligabend und der 1. Weihnachtstag – das ist doch kein Zufall“, meinte Hauptkommissarin Thomsen. Die Soko „Weihnachtsbande“ war am 2. Weihnachtag einberufen worden.

„Na, zum Glück ist Weihnachten ja jetzt vorbei!“, der Polizist hielt seinen Spruch für klug und witzig.

„Nein, nein“, warf seine Kollegin Carina Marino ein. „In Italien feiern wir erst am 6. Januar Bescherung, wenn die heiligen drei Könige kommen und die Hexe Befana Geschenke für die Kinder bringt.“ Als Kind hatte sie die Weihnachtsferien oft bei den Großeltern in Italien verbracht und sich ziemlich vor der Hexe gegruselt.

Doch leider hatten die Beamten keinerlei Anhaltspunkte um vorherzusehen, ob und wo ein weiterer Überfall geplant sein könnte.

Carina Marino sollte Recht behalten. In der Nacht vom 5. Auf den 6. Januar wurde ein Juwelier überfallen, der gerade einige besonders hochwertige Schmuckstücke im Tresor aufbewahrt hatte. Am Tatort fand man keinerlei Spuren bis auf eine Hexenmaske. Diese war allerdings gründlich desinfiziert und gereinigt worden, bevor man sie dort platziert hatte. Mit besten Grüßen von der Weihnachtsbande. Die Polizei ermittelte vergeblich, die dreisten Täter wurden nie gefasst.

Keiner von ihnen hat je erfahren, dass der kleine Jonas sehr gelungene Fotos der Mitglieder der Weihnachtsbande hatte. Die Hexe Befana, Väterchen Frost und der Jultomte, die in der Einkaufspassage fröhlich für Bilder mit Jonas posierten, die seine Mutter mit ihrem Handy aufnahm. Die Bande, als sie mit dem Diebesgut vom Online-Händler im Gänsemarsch zu ihrem Kleintransporter marschierten und keine Masken trugen – festgehalten auf Jonas‘ neuem Smartphone mit der ausgezeichneten Kamera.

Es hat auch nie jemand erfahren, von wem all die nützlichen Dinge wie Kleidung, Spielwaren und Elektroartikel und die in großen Mengen gekauften Lebensmittel und Medikamente kamen, die sich im Kleintransporter auf den Weg nach Osteuropa zu den Menschen in den Flüchtlingslagern machten. Ruprecht am Steuer des Kleintransporters pfiff leise ein Weihnachtsliedchen vor sich hin. Die Weihnachtsbande nahm ihre Rolle als Überbringer von Geschenken sehr ernst. Der Weihnachtsmann und seine Helfer und Helferinnen kamen eben zu jedem, der es sich wünschte. Na ja, und manchmal auch zu denen, die es sich nicht wünschten. Auch in diesem Jahr.

MiniKrimi Adventskalender am 6. Dezember


Liebe Leser*innen, bitte nehmt mir die Fehler in diesem Minikrimi nicht übel. Ich habe mein Daumengrundgelenk überstrapaziert – und mit Schiene und Schmerzen schreibt es sich schlecht.

Herzlichen Dank dem Ideengeber für den heutigen Nikolauskriimi. Ich kenne ihn, aber er hat mich gebeten, anonym zu bleiben. Völlig unnötigerweise, denn die Idee ist doch charmant, oder?

Showdown

„Ok. Du kriegst eine allerletzte Fristverlängerung. Spätestens heute Abend um zehn hast du die Kohle zusammen. Wenn nicht, mach ich dich fertig. Als erstes ist dein Köter dran. Und dann deine Tochter…“

„Cleo! Um Himmels willen. Sie ist doch noch ein Kind. Und was kann Julius dafür, dass ich in letzter Zeit so eine Pechssträhne hatte?“

„Vielleicht hättest du den Dackel an den Pokertisch setzen sollen. Schlechter als du hätte er bestimmt nicht gespielt. Also. Heute Abend zehn Uhr im Club. Oder Julius frisst Rattengift.“

Ehe Olaf reagieren kann, bückt sich der Spielschuldeneintreiber, klemmt sich Dackel Julius unter den Arm und springt in die schwarze Limousine, die mit laufendem Motor am Straßenrand auf ihn gewartet hat.

Olaf ist verzweifelt. Wie konnte es nur so weit kommen? Dabei hatte alles so vielversprechend angefangen. Die Pandemie hat Olafs feines, aber kleines Herrenbekleidungsgeschäft an den Rand des Ruins gebracht. Monatelange Schließung, und als er wieder öffnen durfte, hatten die meisten Kunden sich das Nötige und dazu noch eine Menge unnötige Kleidungsstücke im Internet besorgt.

Aber die Ausgaben waren geblieben. Und ein zehnjähriges Mädchen im Homeschooling bei Laune zu halten war auch nicht billig. Olaf gab Unsummen für Hard- und Software aus. Und weil sie immer zu Hause waren, besuchte seine Frau einen Online-Gourmet-Kochkurs bei einem ebensp guten wie gewieften und teuren Sternekoch. Der ihr bis heute die extravagantesten Zutaten ins Haus liefert.

Irgendwann wusste Olaf nicht mehr, woher er das Geld für die Miete von Haus und Geschäft nehmen sollte. Entgegen seiner Gewohnheit ging er in einen Club, den ihm ein Kunde empfohlen hatte. Dort trank er einen Whiskey, dann noch einen, und sann auf einen Ausweg aus seinem finanziellen Dilemma.

Da geschah es. Wie ein Deus ex machina war ein Mann auf ihn zugekommen und hatte ihn gefragt, ob er einspringen könne, am Pokertisch. Ein Spieler sei ausgefallen.

Olaf hatte in früheren Jahren gerne und, so meinte er sich whiskeymutig zu erinnern, gut gespielt. Er nach diesem Strohlhalm wie ein Ertrinkender. Dabei unterließ er es , ein paar nicht ganz unwichtige Fragen zu stellen. Etwa, ob dieses Pokerspiel mit dem Gesetz im Einklang war. Oder warum gerade er gerade jetzt gefragt wurde. Und wer die Leute waren, die ihn so nonchalant einluden.

Heut ist Olaf schlauer. „Ich hätte mich nie darauf einlassen sollen“, denkt er. Aber am Anfang lief alles so gut. Er hatte eine Glückssträhne und gewann so viel, dass er einen Monat lang endlich wieder ohne Geldsorgen einschlafen konnte. Er hatte sogar Frau und Tochter mit einem Spontanurlaub nach Mallorca überraschen können.

Doch nach dem Glück kam, natürlich, das Pech. Und jetzt sitzt ihm der Spielschuldeneintreiber im Nacken. Und wenn ihm bis heute Abend nichts einfällt, wird Julius sterben. Julius, der kleine, flinke, pfiffige Kaninchendackel!

Selbstmord ist keine Lösung, denn die Lebensversicherung hat er schon letzten Monat aufgelöst. Verzweifelt starrt Olaf auf den weihnachtlich beleuchteten Marktplatz. Draußen vor dem Weihnachtsbaum steht ein Nikolaus und verteilt kleine Geschenke an die Passanten. Da kommt ein zweiter hinzu. Und ein dritter.

„Heute ist Nikolaustag“, erinnert sich Olaf. Und seine verzweifelten Gedanken formen sich zu einer Idee.

In der AgipTankstelle am Reuterring steht Jo fassungslos vor einem Riesenkarton mit gerade angekommenen Süßigkeiten. Genauer gesagt Tausende von Euro in kleinen Scheinen und glänzenden Münzen. Eigentlich hätten sie schon am Vormittag in die Regale einsortiert werden müssen. Aber der Lieferant hatte eine Panne, und jetzt soll Jo nicht nur die Kasse bedienen, Würstchen heiß machen und Cappucino servieren, sondern auch noch die gesamte Lieferung unterbringen. Und das alles für 520 Minijob-Euronen. „Echte Sch…“, flucht er und macht sich an die Arbeit.

Er hat gerade die Theke mit Euro-Koffern und Münzen-Dosen vollgehäuft, als er aus dem Augenwinkel etwas Rotes an die Kasse kommen sieht. „Augenblick, bin gleich bei Ihnen“, sagt Jo und denkt: Auch ein Nikolaus braucht scheinbar mal ne Kaffeepause. Dann doch lieber Schokomünzen sortieren, als im Schneeregen Hohoho rufen.

„Hände hoch, das ist ein Überfall. Her mit dem Geld. Alles hier in den Sack, aber schnel!, oder ich schieße!“ Der Nikolaus hält Jo mit der einen Hand eine Waffe entgegen und mit der anderen einen Sack. „Na, wird’s bald?“

Der macht das bestimmt zum ersten Mal, denkt Jo miiten in seinem Schrecken. Die Stimme zittert, und warum kneift er die Augen so zusammen? Jo will in die Kasse greifen – er wird bestimmt nicht sein Leben aufs Spiel setzen wegen ein paar Hundert Kröten, die ihm nicht gehören – aber der Nikolaus zischt: „Machen Sie schon. Packen Sie das ganze Geld da auf der Theke in den Sack, alle Dosen, und auch die Geldkoffer.“

Soll das ein Witz sein? Oder ist er in einer Sendung von Verstehen Sie Spaß? Egal. Jo packt das ganze Schokogeld in den Sack. Da fährt draußen eine Streife der PI 42 vor, die trinken hier um diese Zeit immer eine Cola und essen ne Bockwurst. Der Nikolaus erstarrt, entreißt Jo den Sack und stürmt aus dem Kassenraum. Dabei wirft er beinahe den Ständer mit den Nikolausruten um. Offensichtlich ist der arme Mann nicht nur verwirrt, sondern auch noch extrem kurzsichtig.

Es dauert einige Minuten, bis Jo sich von seinem Lachanfall erholt hat. Schock, Erleichterung und die Komik der Situation sind zuviel für den jungen Mann.

Inzwischen hat Olaf das Nikolauskostum aus und seine starke Brille wieder angezogen und fährt, so schnell er sich traut, zum Club. Drinnen wirft er dem Eintreiber den Sack vor die Füße. „Hier hast du das Geld. Und jetzt gib mir meinen Hund zurück!“

Julius hat die Stimme seines Herrn gehört und kommt aus dem Hinterzimmer gesaust. Dann bleibt er wie angewurzelt stehen, hin und hergerissen zwischen der Wiedersehensfreude und dem spannenden Duft, der ihm aus dem Sack entgegenweht. Das riecht ja wie….

„SCHOKOLADE! Du Idiot hast einen Sack Schokogeld geklaut!“ Außer sich vor Wut stürzt sich der Eintreiber auf den zitternden Olaf. Dabei stampft er mit beiden Füßen auf dem Sack herum, dass die Schokolade nur so aus der Verpackung spritzt.

Das ist zuviel für Julius. Ob er seinen Besitzer verteidigen oder die Zerstörung seiner Beute verhindern will? Wir werden es nie erfahren, denn in diesem Momeht betrifft die Streife der PI 42 den Raum…..

Lokalnachrichten vom 6 .12.2022: Heute Abend kurz nach 21 Uhr konnte eine Polizeistreife einen Schuldeneintreiber-Ring sprengen. Die Beamten verfolgten einen Räuber, der, mit einer Spielzeugpistole bewaffnet, in der Tankstelle am Reuterring Schokogeld im Wert von 200 Euro erbeutet hatte. Dieser führte sie zu einem Club, der schon länger polizeilich beobachtet wurde. Angeblich seien der Schokodieb und sein Hund, ein Kaninchendackel, maßgeblich an der Festnahme der Kriminellen beteiigt gewesen, was sich strafmindernd auswirken soll. Der Tankstellenbesitzer verzichtet auf eine Anzeige.

Adventskalender MiniKrimi am 6. Dezember


(danke, liebe Petra 🙂 )

Der eilige Nikolaus

In der Pandemie haben es Nikoläuse besonders schwer. Ich rede nicht von denen aus Schokolade, sondern ich meine die, die durch Kindergärten, Wohnungen oder Schulen ziehen, mit Mitra und goldenem Buch, um die Kinder mit einer Geschichte und ein paar Kleinigkeiten zu beschenken. So, wie es ihr Vorgänger vor rund 1700 Jahren in Myra gemacht hat. Dabei hat der historische Nikolaus durchaus eine Affinität zu pandemischen Zeiten, denn er erbte das Vermögen, das er an die Armen und Kleinen verteilte, von seinen Eltern. Und die waren an der Pest gestorben. Düstere Zeiten also, damals wie heute. Und wie immer, wenn es den Menschen schlecht geht, freuen sie sich ganz besonders auf schöne, herzwärmende Momente. Wie eine halbe Stunde mit Sankt Nikolaus, seinen Geschichten und kleinen Geschenken. 

Nun ist der Nikolausbesuch nicht nur für die lieben Kleinen – die bösen sehen ihm meist eher mit gemischten Gefühlen entgegen – und ihre Eltern eine Freude. Auch für die vielen Menschen, die am 6. Dezember in Kostüm und Rolle schlüpfen, ist dieser Tag wichtig, nämlich als fest einkalkulierter Verdienst. 

„Nikolausbesuch trotz Corona“ titeln daher Tageszeitungen und Webseiten schon seit Tagen und Wochen. Und tatsächlich ist die Vermummung bei diesem „Heiligen“ ja ohnehin praktisch Teil des Kostüms, so dass die ihn selbst und die Anderen schützende FFP2-Maske gut unter einem entsprechenden Rauschebart verborgen werden kann.

 Und trotzdem ist das Geschäft auch heuer, im zweiten Jahr in Folge, für die berufsmäßigen Nikoläuse mau. Studenten, Gelegenheitsarbeiter und Minijobber hocken frustriert auf der Couch und starren nostalgisch auf Handyvideos vergangener Performances, während draußen zarte Flocken aus dem Himmel rieseln. Kinder sitzen vor dem Fernseher und müssen mit einem Zeichentrick-Surrogat vorliebnehmen, oder mit Fantasy-Gebilden aus der Disneyschen Traumfabrik.

Aber halt! Wer stapft denn da durch den frisch gefallenen Schnee auf dem Kirchplatz? Das gelbe Laternenlicht malt bizarre Schatten auf die lichtglitzernden Tannen, und dazwischen bewegt sich eine große Gestalt in langem Mantel. In einer Hand hält sie einen Stab, in der anderen einen großen Sack. Sankt Nikolaus – denn wer sollte das sonst sein? – bleibt immer wieder stehen und schaut sich nach allen Seiten um. „Er sucht die Kinder, er sucht uns“, flüstert Lisa und versucht, den zwei Jahre älteren Bruder beiseite zu schieben, um einen besseren Blick durch das beschlagene Fensterglas auf den Menschen zu werfen. 

Finn ist sieben und stolz darauf, nicht mehr an Nikolaus, Christkind & Co. zu glauben. Aber die Gestalt, die dort unten ganz offensichtlich über den verlassenen Park Richtung Kirche huscht, hat schon verdammt viel Ähnlichkeit mit dem Mann, den es eigentlich nicht gibt. 

„Schau mal, jetzt ist er an der Tür zur Sakristei. Er denkt bestimmt, die Kinder warten wegen der Kälte heute drinnen auf ihn. Komm, Finn, wir müssen runter! Stell dir mal vor, wie enttäuscht Sankt Nikolaus ist, wenn er drinnen gar niemanden findet.“ Und als sie sieht, dass ihr Bruder noch zögert, fügt sie verschmitzt hinzu: „Der Sack sieht so aus, als wären da viele Überraschungen drin. Und wenn wir die einzigen Kinder sind…..“

„Ok. Komm.“ Finn geht vorsichtig zur Zimmertür, schaut nach, ob die Luft rein ist, winkt seiner Schwester, und dann schleichen beide auf Zehenspitzen, Winterjacken in der Hand, aus der Wohnung. Eltern sind solche Spielverderber. Wahrscheinlich hätten sie ihnen „wegen Corona“ verboten, dem Nikolaus hinterherzulaufen.

Draußen ist es eiskalt und stockdunkel. Im Park springen sie von Lichtpfütze zu Lichtpfütze, gehen zwischen den Tannen in Deckung und suchen den Heiligen Mann. Schwer ist das nicht, denn seine Stiefel haben im Schnee deutliche Spuren hinterlassen, bis hin zur Sakristei. Die Tür steht einen Spalt offen. „Alles dunkel. Wahrscheinlich ist er schon wieder weg“, flüstert Finn. „Der Arme, er war sicher total enttäuscht“, antwortet Lisa. Aber da sehen sie einen Lichtstrahl im Kirchenraum umherirren. „Komm“, sagt Finn wieder. Und die Geschwister schieben sich vorsichtig in die Sakristei. Auch im Dunkeln erkennen sie sofort, dass etwas nicht stimmt. Der Tisch ist umgeworfen, die Türen der Schränke mit den Messgewändern, Kerzenhaltern, Kelchen und allem, was in einer Sakristei an Kostbarkeiten aufbewahrt wird, hängen schief in den Angeln. Aus dem Kirchenraum dringen Geräusche, ein Klirren, ein dumpfer Knall, ein Fluch. Lisa starrt ihren Bruder an. „Der Nikolaus flucht doch nicht… oder?“ „Nein. Er kommt zurück. Schnell in den Schrank!“ 

Hinter Messgewändern versteckt beobachten die Kinder, wie Sankt Nikolaus hastig die Sakristei durchquert, mit dem prallen Sack in der Tür hängenbleibt, ihn losreißt und in der Dunkelheit verschwindet.

„Halt, halt, unsere Geschenke,“ flüstert Lisa erschrocken. „Pssst“, faucht ihr Bruder. „Schnell.“ Er zieht die Schwester hinter sich her zum Pfarrhaus. Dort läutet er Sturm. 

„Der Nikolaus ist aus der Kirche gelaufen und hat vergessen, uns unsere Geschenke zu geben“, erklärt Lisa dem verblüfften Pfarrer und den Gästen, mit denen er gerade gemütlich zu Tisch saß. „Nein, er hat alles gestohlen“, ruft Finn. „Da läuft er!“

Tatsächlich kommt der unheilige Mensch mit dem schweren Sack im Schnee nur langsam voran. Der Pfarrer und seine Gäste rennen ihm nach – immer den Spuren im frischen Schnee hinterher.

Lisa und Finn haben es nicht eilig, nach Hause zu kommen – sie gehen ganz sicher einer saftigen Standpauke entgegen. „Ob sie ihn fangen, den Nikolaus?“, fragt Lisa. „Bestimmt. Wenn er nicht um die Ecke einen schnellen Schlitten geparkt hat“, antwortet Finn.

Adventskalender MInikrimi am 6. Dezember


Des Doodles Kern

(von meiner Co-Autorin Lydia H.)

Der Nikolaustag 2018 würde Rita immer im Gedächtnis bleiben. 

An diesem Tag hatte für sie ein neues Leben begonnen. Christof, Ritas Mann, hatte ihn am Nikolausabend ins Haus gebracht. Verziert mit einer roten Schleife um den Hals, tapste Ben in ihr Leben. Ben, das bezauberndste „Mannsbild“, das Rita seit langem begegnet war. Nun ja, Mannsbild trifft es nicht ganz. Ben war ein Labradoodle, 10 Wochen alt, mit goldenem Fell. 

Erleichtert nahm Rita zur Kenntnis, dass die ungewöhnliche Geheimnistuerei ihres Ehemannes während der letzten Wochen nicht einer Affäre geschuldet war  wie sie bereits befürchtet hatte. Mit 45 und nach 10 kinderlosen Ehejahren mit einer fast gleichaltrigen Frau war der Gedanke ja nicht ganz abwegig gewesen. 

Rita, Grundschullehrerin, und Christof, Partner in einer großen Wirtschaftskanzlei, hatten vor 7 Jahren ein schmuckes Reihenhaus in einem guten Münchener Viertel gekauft. Genug Platz für zwei Kinder. Aber es kam anders. Beziehungsweise es kam gar nicht. Zumindest keine Kinder. Nach Auskunft der Kinderwunschklinik – die ihnen von diskreten Nachbarn am Ende einer alkoholintensiven Party im kleinen Kreis mit entsprechenden Geständnissen in den frühen Morgenstunden – empfohlen worden war,  waren sie beide einfach zu alt, um auf normalem Wege Eltern zu werden. Im Unterschied zu vielen befreundeten Paaren, die in einem ähnlichen Dilemma steckten, entschieden sich Rita und Christof gegen künstliche Befruchtung. 

Den Wunsch nach einem Hund hegte Rita schon lange, im Grunde, bevor sie sich eine Schwangerschaft hatte vorstellen können. Schon als Kind hatte sie immer von einem vierbeinigen Freund geträumt. Leider hatte Christof eine Hundehaarallergie, was sie, Rita,  allerdings erst nach der Hochzeit erfuhr. 

Die ersten Monate mit Ben waren wie ein Traum gewesen – und ein Jungbrunnen für ihre Ehe. Plötzlich hatten die beiden wieder ein gemeinsames Gesprächsthema, das nichts mit beleidigenden Helikoptereltern oder halbkriminellen Klienten zu tun hatte.  

Sie gingen zusammen spazieren, ja sie besuchten sogar eine Hundeschule. – besser ls jede Paartherapie, gestand Rita ihrer besten Freundin, und sie schämte sich nicht dafür. 

Und Christofs Allergien? Keine Spur. Das lag an den besonderen Eigenschaften des Labradoodles. Ende der 80er Jahre in Australien durch Kreuzung von Labrador und Großpudel kreiert, sollte diese Hybridzüchtung einen Blindenhund für auf Hundehaare allergische Menschen hervorbringen. Obwohl als Rasse bis heute nicht anerkannt, erfreute sich der Labradoodle schnell großer Beliebtheit und verbreitete sich sehr schnell in Kreisen,  welche zwar einen Hund halten wollten, aber aus den unterschiedlichsten Gründen keine Hundehaare in ihren Häusern duldeten. Das für Allergiker im wahrsten Sinne des Wortes lebenswichtige Zuchtziel, der Wegfall des pudeltypischen Fellwechsels, wurde allerdings bis heute nicht erreicht. Ein nichthaarender, mithin hypoallergener Hund, existiert nach heutigen Erkenntnissen leider noch nicht. 

Als der Frühling kam und mit ihm Bens erster Fellwechsel , war das schöne Familienleben mit einem Schlag – oder Haarknäuel – vorbei. Christof gab sich zunächst wirklich größte Mühe, sich nichts anmerken zu lassen und deponierte überall unauffällig eine Asthma Sprays. Rita, die alle Hausarbeiten einer Putzfrau überlassen hatte, ahnte nichts von dem Drama, das sich in ihrem Haus entfaltete. 

Nach dem zweiten Fellwechsel im Herbst jedoch konnte Christof sein Leiden nicht mehr verbergen. Es war klar: Entweder Christof oder der Hund. Christof entschied: Ben konnte nicht bleiben. Rita sagte nichts. Sie hatte in der Beziehung eigentlich nur sehr selten etwas gesagt, wenn es darum ging, Entscheidungen zu treffen. Christof hatte schnell eine tolle Familie für Ben gefunden. Rita war mitgekommen, um sie kennenzulernen. Sie schienen ihr etwas laut und chaotisch. Ben war ihrer Meinung nach eher der ruhige Typ. Aber Christopf erklärte ihr geduldig, dass Kinder die beste Ablenkung für ihn sein würden und er Rita so am schnellsten vergessen würde. 

Wie Rita Ben vergessen würde – und ob – das hatte Christop ganz offensichtlich nicht in Betracht gezogen. Bens Umzug sollte ausgerechnet am Nikolausabend stattfinden. Auf den Tag genau ein Jahr nach seiner Ankunft. Rita fand das äußerst geschmacklos. Aber andererseits hatte sich ihr Mann noch nie durch besonders guten Geschmack oder gar Feingefühl ausgezeichnet.

Ab dem 1. Dezember weinte Rita sich jede Nacht in den Schlaf. Schließlich verlies sie das gemeinsame Schlafzimmer und legte sich auf eine Decke neben Bens Schlafkörbchen.

Die Polizei konnte sich nicht erklären,  warum alle Asthma Sprays im Haus leer gewesen waren. Als Rita am Nachmittag des 6. Dezember von ihrem letzten ausgedehnten Spaziergang mit Ben nachhause kam, war Christof bereits tot. Er hatte ganz offensichtlich alle Schubladen nach einem vollen Spray durchwühlt. Aber da auf den Dosen ausschließlich seine eigenen Fingerabdrücke gefunden wurden, bekam Rita keine Vorladung, sondern lediglich Beileidsbekundungen. 

Rita und Ben trösteten sich am Nikolausabend gegenseitig. Und Ben schlief zum ersten, aber nicht zum letzten Mal, im Ehebett.

Adventskalender MiniKrimi vom 9. Dezember 2018


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Ihr Liebhaber gepflegter Adventskriminalistik: heute mal was Preisgekröntes. Mit dieser explosiven Adventstragödie habe ich mal den Krimipreis Goldbroiler gewonnen. Viel „Spaß“ beim Lesen….

Der Tod eines Traums. Adventstragödie in vier Akten.

1.

„Dicke rote Kerzen, Tannenzapfenduft..“ „Marie, leise, Papa schläft. War so viel los in der Schule!“. Sie legte sich aufs Bett, stöpselte das Lied ins Ohr. Die Wohnung duftete nach Zimt und Plätzchen. Marie liebte den Advent, die gemütliche Heimlichzeit.

Sieht aus wie eine dicke rote Kerze. Passt perfekt in den Adventskranz.  Keiner bemerkt, wer sich vor dem Blumenladen eine Zigarette anzündet und den Docht dazu.  Jetzt schnell weg und weiter, ein sichtlich unsichtbarer Schatten in der Menge wogender Mäntel. Der Kirchturm wird zum Logenplatz, die Straße zur Arena. Ein Knall, klirrendes Glas von zerberstenden Scheiben. Schreie. Schreie und Blut.

2.

„…Man begegnet hin und wieder schon dem Nikolaus“ Er hatte immer was Süßes im Sack. Anziehend und unheimlich zugleich. Ein geheimnisvoller Fremder. Bis er ihr zu nahe kam.

Bunt und laut und weihnachtsdurstig wimmelt die Samstagsmenge in der jubelbeschallten Einkaufsmeile. Alle freuen sich und viele nehmen gern den Glühwein, den ihnen der dick vermummte Nikolaus freundlich lächelnd anbietet. Sie kommen nicht weit. Rattengift wirkt schnell.

3.

„Lieb verpackte Päckchen, überall versteckt“. Am letzten Schultag wurde gewichtelt. Marie hatte Jo ein Schokoherz gekauft. Und er? Als sie ihr Päckchen auspackte, grölte die ganze Klasse. Ein kaputter Vibrator für „Lehrers Liebling“!

Am letzten Schultag strömen alle in die Aula. Neunhundert Schüler bestaunen die Riesentanne mit den Paketen für arme Kinder darunter. Halleluja singt der Chor der Ehemaligen. Ritual und Tradition. Diesmal mit Feuerwerk. Ein Handy klingelt, und schon wirbeln Sänger, Äste, Kerzen durch die Luft. Wie vorgezogenes Silvester.

4.

„Alte Lieder, Dunkelheit, Bald ist es so weit!“ Es war so einfach. Internet sei Dank. Erst der Flirt, dann die Kalaschnikow. Ein volles Magazin. Drei Treppen und ein Flur. „Schöne Bescherung, Papa, jetzt ist Schluss mit Weihnachtsmann“, und sie entsichert die Waffe.

Adventskalender MiniKrimi vom 6. Dezember 2018


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Von drauß‘ vom Walde…….

„Du weißt, was du tun musst Schließ die Tür ab und mach auf keinen Fall auf, wenn du alleine bist, kapiert?“ „Ich bin doch kein Baby. Ich bin schon fünf. Und ich bin auch nicht dumm. Ich weiß genau, was ich machen muss, wenn ich allein bin. Und wenn ein Einbrecher kommt und die Tür mit einer Bombe aufmacht, dann nehme ich mein Jedi-Schwert und mache so! Und zack ist er tot, der EInbrecher.““

„Ja. Schon klar. Du nimmst dein Jedi-Schwert. Aber trotzdem, für den Fall, dass ein Einbrecher kommt – es kommt ja vielleicht gar keiner, also ganz sicher, glaube ich. Aber für den Fall dass doch einer kommt, und wenn dann dein Jedischwert nicht funktioniert“ 

„Mein Jedischwert funktioniert immer!“

„Schon klar. Aber wenn es plötzlich doch nicht funktioniert, dann schau her, dann nimmst du das hier.“

„Aber das ist doch das Messer aus der Küche, das wir nicht nehmen dürfen. Das japanische, das vom Papa.“

“Genau. Es ist japanisch, das ist wie von Master Yoda. Ok?“

„Ela, ich will nicht, dass du weggehst. Die Mama hat gesagt, wir sollen beide daheim bleiben, bis sie von der Arbeit kommt. Du sollst mich nicht allein lassen, hat die Mama gesagt. Und später kommt der Nikolaus.“

„Ach mach kein Aufstand. Ich bin nur kurz drüben bei der Lara. Oder hast du Angst? Du bist ja doch noch ein Baby!“

„Nein bin ich nicht. Geh weg!“

„Ok. Ciao, Kleiner.“

Max setzt sich in seinem Zimmer auf den Boden. Die Kartons sind noch nicht alle ausgepackt. Er fühlt sich gar nicht zu Hause, hier in der Wohnung in der Minervastraße. Er wäre lieber in Schwabing geblieben. Aber er weiß, dass das nicht geht. Mama und Papa sind zwar noch seine Eltern, und Elas. Aber sie sind nicht mehr zusammen. Deshalb kann Mama nicht mehr in Schwabing wohnen, und er und Ela auch nicht. Mama will das so. Jetzt wohnen sie in einer ganz neuen Wohnung. Er hat ein eigenes Zimmer, nicht mehr mit Ela zusammen. Und Mama hat auch ein Zimmer. Mit Frank. Frank ist der neue Papa. Aber Max weiß nicht, was er davon halten soll. Er hat doch schon einen Papa. Vom Fenster aus kann er die Berge sehen, wenn der Himmel klar ist. Ob er den Nikolaus sehen kann, wie er durch die Wolken fliegt? Oder machst das nur der Weihnachtsmann? Es wird dunkel, und Max hat Angst. Die Wohnung ist voller Geräusche, nichts ist vertraut. Draußen kann er den Aufzug hören. Manchmal knallt eine Tür. Dann ist alles still. Wann kommt Ela? Und Mama? Und der Nikolaus?

Da klopft es an der Tür. „Ich bin der Nikolaus. Bist du der Max?“

„Ich darf die Tür nicht aufmachen, hat Ela gesagt. Geh weg und komm zurück, wenn Mama und Ela wieder da sind!“

„Aber Max, ich bin der Nikolaus. Vor mir brauchst du doch keine Angst zu haben!“

Doch, denkt Max. Und zur Sicherheit holt sein Jedischwert. Und das japanische Messer, so, wie Ela es ihm gesagt hat. Der Nikolaus kann warten, aber wenn da draußen ein Einbrecher ist, wird Max sich wehren.

Da hört er, wie sich etwas am Türschloss bewegt. Der Einbrecher, denkt Max. Jetzt bricht er die Tür auf, wie in den Filmen, die er nicht sehen darf.

Da, jetzt wird die Wohnungstür langsam geöffnet. Draußen im Flur ist es genauso dunkel wie in der Wohnung. Max sieht nur Umrisse, ein großer schwarzer Mann in einem langen Kampfumhang. Der Feind der Jediritter! Max umklammert das Messer mit beiden Händen und rammt es dem Mann in den Bauch. Max ist stark.

Frank stirbt auf dem Weg zum Krankenhaus. Er sollte Max und Ela als Nikolaus die Geschenke bringen. So war es ausgemacht. Aber Ela hatte ihr Gründe, sich nicht daran zu halten. Das Problem Frank war gelöst.

AdventsKalender MiniKrimi vom 5. Dezember 2016


Morgen, Kinder, wird’s was geben….

Im Zuge der Rationalisierung hat die Post ihre Annahmestellen ausgelagert. In Supermärkte oder Tankstellen, zum Beispiel. Das Personal dort ist vielleicht nicht so geschult wie die Postbeamten hinter den gelben Schaltern, aber dafür in der Regel freundlicher. Die junge Frau, die am späten Nachmittag die Postfiliale in der Allguth-Tankstelle betritt, ist sichtlich überfordert, verschwitzt und ungekämmt. Sie schaut sich suchend um, dabei schiebt sie die dichten Haarsträhnen zur Seite, die ihr immer wieder ins Gesicht fallen. Vor ihr stehen zwei Männer und eine Frau in der Schlange. Wollen Pakete von Amazon und Zalando zurückgeben. Sie könnte schreien vor Glück. Hilflos zuckt sie die Achseln und reiht sich ein. Da taucht neben dem Mitarbeiter, der für die Nachmittagsschicht am Schalter abgestellt worden ist, eine Blondine auf. Mittelblond, mittelalt und nur mittelgut geübt im Posthandwerk, soll sie ganz offensichtlich eingearbeitet werden. Die junge Frau strahlt sie aus unschuldig blauen Augen an. „Entschuldigung, können Sie mir vielleicht helfen, einen passenden Karton hierfür zu finden? Sonst halte ich den ganzen Betrieb auf, wenn ich dran bin….“. Und sie hält etwas in die Höhe, was aussieht wie ein sehr grober, überdimensionierter Strumpf. „Mein Sohn ist im Schullandheim, wissen Sie. Aber er wartet ganz bestimmt auf seinen Nikolaus.“ Die Blonde lächelt, sie hat vielleicht auch ein Kind. Schließlich finden sie einen geeigneten Karton. „Ist zwar für Flaschen, aber wenn wir den Strumpf etwas anpassen….“ „Ich mach schon“, sagt die junge Mutter. „Sind ja nur weiche Sache drin, außer dem Apfel.“ Sie drückt und quetscht, und in der Tat lässt sich der Inhalt gut genug verformen, um in die Verpackung zu passen. „Nur ein paar Tüten mit Mandeln“. Am Ende bleibt der Apfel draußen.

Schließlich ist alles verpackt, die Adresse des Schullandheims ist ein Briefkasten an einer oberbayerischen Straßenkreuzung. Die junge Mutter zerfließt fast vor Dankbarkeit. „Hier, nehmen Sie doch den Apfel“, sagt sie. Die Blonde freut sich über ihre gute Tat. Sie hat eine Mutter glücklich gemacht.

Und ihren Partner, der das reine Kokain am Nikolausmorgen aus dem Briefkasten an der oberbayerischen Straßenkreuzung fischt.  Spurlos verschwunden aus der Asservatenkammer am Münchner Flughafen. „Morgen, Kinder, wird’s was geben“.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Weihnachten ausgebrannt?


Es ist nicht mehr als eine Randnotiz auf Google News, rechte Spalte: Weltmeister Kabashi tot. Weltmeister? Ich denke an Schach, aber der Name klingt eher albanisch als russisch. Gewichtdopen, ehm, -heben, eher? Nein. Thaiboxen, entnehme ich der Meldung. 35, tot in seiner Münchner Wohnung aufgefunden. Angesichts der Tatsache, dass auch Christa Wolf keine ganze Seite bekam und nur ein paar Wenigminuten in den öffentlichen TV-Nachrichten (bei den Privaten hast du ohne Doppelvorname keine Chance auf Erwähnung, gell, Gina-Lisa), hat er es doch auf einen  gewissen Zeilenwert gebracht, nach seinem Ableben. Kein Vergleicht natürlich mit anderen Größen aus Sport und Unterhaltung. Vom Torwart über diverse Sänger und Sängerinnen. Aber er war ja auch älter. Nicht so alt zwar wie Joe Frazier, aber zu alt, um ein Recht zu haben, sich melancholisch zu Tode zu dopen – und sich dadurch einen Namen in der Hall of Fame zu sichern. Früher Tod muss keine Gnade sein.

Wir sterben  – hoffentlich nicht vor Weihnachten an Überdosen. Aber wir kranken daran. Immer mehr immer öfter. Anrufe wie „Du, ich schaff den Auftrag vor Weihnachten nicht mehr, in habe Burn Out“, sind an der Tagesordnung. Ebenso wie die Absagefloskel „Sorry komme nicht zur Weihnachtsfeier, bin ausgebrannt.“ Soll ja schon bei manchen Handys als Textvorlage angeboten werden. Ja. Wir brennen mit den Adventskerzen um die Wette. Rennen hierher und dorthin. Verrennen uns. Wollen es jedem und allen recht und schön und gemütlich machen. Geld haben wir scheinbar (!) genug. Leider aber keine Zeit. Ich mache da keine Ausnahme. Oder! Doch! Jetzt gerade nämlich müsstesollte ich einen Artikel schreiben. Meine Rechnungen ausdrucken. Drei wichtige Telefonate führen. Staubsaugen. Reifenwechsel terminieren.

Stattdessen sitze ich am Mac und  – sinniere. Nehme mir die Freiheit, Zeit zu haben, ohne sie zu besitzen. Und jetzt kommt das Beste: ich verschenke sie. Euch, liebe Leser! Freut euch, ihr Christen und Nichtchristen und genießt die drei Minuten hier auf meinem Blog. Entspannt. Denkt nach, kritisiert, lacht oder ärgert euch. Egal. Für drei Minuten habe ich euer Hamsterrad angehalten. Wenn das kein Nikolausgeschenk ist!

Der SMS-Adventskrimi. 6. Dezember: Eingesackt.


„Wie süß! Der Chef schickt uns nen Nikolaus in den Laden! Hallo, lieber Nikolaus!“

Behäbig schiebt sich der dicke Mann in den Juwelierladen, die Glöckchen an seinem Stab bimmeln mit der Tür um die Wette.

„Hohoho….wart ihr auch alle brav?“

„Klar doch, wir haben heute ganz besonders viel Umsatz gemacht. Muss ja was rein in die Socken der Liebsten.“

„Schön schön schön. Dann macht mal schnell die Kasse auf – und rein in den Sack mit den Moneten. Und die ganzen Klunker hier noch dazu.“

Der Nikolaus leert seinen Sack auf den Boden – heraus purzeln Nüsse und Äpfel – und verleiht seinen Worten mit einer Beretta 92 FS Nachdruck.

„Haltet den Dieb! Stoppt den Nikolaus!“ Doch keiner nimmt die Rufe ernst. Am wenigstens die zwei, drei Dutzend Nikoläuse, die sich, schwer bepackt, auf der Fußgängerzone tummeln.