Adventskalender MiniKrimi am 9. Dezember


Heute kommt also eine kürzere Geschichte. Und sie ist auch kein ganz richtiger Krimi. Obwohl darin ein Selbstmord und sogar ein Mord verhindert werden. Viel Spaß beim Lesen! Und ich freue mich auf und über Euer Feedback.

Übrigens: seit gestern habe ich eine neue Brille. So ganz klappt das mit der Gleitsicht noch nicht. Wie Ihr vielleicht merken werdet 🙂

Wie besiege ich einen Drachen?

„Mama, ich kann nicht in die Schule. Mir ist schlecht.“ Aslans Stimme klingt leise und brüchig. Aber so schnell kann er seine Mutter nicht überzeugen. „Was, schon wieder? Du warst doch erst letzte Woche einen Tag daheim. Du verpasst viel zu viel Unterrichtsstoff.“ „Mama, ehrlich, ich hab so Bauchschmerzen.“ Der Junge hockt sich auf die Bettkante, die Lippen zusammengekniffen, die Augen leidend. Er presst beide Hände auf den Magen und krümmt sich.

„Na gut. Ich rufe in der Schule an. Und dann auch gleich bei Doktor Klebe. Das passiert einfach zu oft. Wir müssen der Sache auf den Grund gehen.“

Die Aussicht, zum Kinderarzt zu müssen. ist für Aslan beinahe genauso schrecklich wie die auf einen ganzen Tag in der neuen Klasse. Aber nur beinahe. „Ok, danke, Mom“, sagt er leise und denkt: Bis wir bei Doktor Klebe einen Termin kriegen, lassen sich Mia und ich was einfallen, damit ich nicht hin muss.

Mia ist Aslans Siamkatze. Sie saß eines Tages auf der Terrasse und ließ sich von niemandem anfassen. Außer von Aslan. Zu diesem Zeitpunkt war sie weder gechipt noch kastriert, und alle Versuche, überTierschutz, Polizei und Soziale Medien ihre Besitzer ausfindig zu machen, blieben erfolglos. Seitdem sind Mia und Aslan unzertrennlich. Man sagt Siamkatzen ja eine hohe Intelligenz nach, gepaart mit einer gehörigen Portion Durchsetzungskraft. Alles Eigenschaften, die Aslan an sich selbst noch nicht entdecken konnte.

Wenn er, wie so oft seit dem Wechsel in die 5. Klasse und die neue Schule, nachmittags müde und mutlos nach Hause kommt, geht er als erstes in sein Zimmer und wirft sich auf’s Bett. Dort liegt Mia auf seinem Kopfkissen und schaut ihn wissend aus einem Paar stechend blauer Augen an. „Na, war’s wieder so schlimm, heute? Erzähl“, sagt ihr Blick. Und Aslan redet sich den Frust von der Seele. Alex hat sich sein Federmäppchen geschnappt, und dann haben er, Mike und Dani damit Volleyball gespielt, solange, bis der Reißverschluss kaputtgegangen ist und der Inhalt im ganzen Klassenzimmer rumflog. Oder Dani hat die Brotbox aus dem Ranzen geklaut, sie aufgemacht und gespielt verduzt gerufen: „Hey, der Aslan wird sogar von Apfelschnitzen fett. Oder geht er in der Pause heimlich zur Pommesbude? Hä, Aslan, gib’s zu, du Fettsack!“

In letzter Zeit machen sogar ein paar Mädchen mit. Egal, was sie selbst für Fehler haben. Aslan ist immer der willkommene Prellbock. „Natürlich. Während sie über dich lachen, sind sie vor dem Spott der anderen sicher“, hat Mia ihm erklärt. Aber das ist ein schwacher Trost, denn Aslan fällt nichts ein, womit er die anderen bloßstellen könnte. Das ist einfach nicht seine Art. Und dass er gut in Deutsch und Kunst ist, bringt ihm in der Klasse auch keine Pluspunkte. Im Gegenteil. „Aslan wird später mal so ein dicker, fauler Lehrersack wie Herr Müller“, hat Denise gestern erst erklärt. Herr Müller ist der meistgehasste Lehrer in der Schule, massiv übergewichtig, glatzköpfig, ungepflegt und hinterhältig. Seine Fächerkombination ist Kunst und Deutsch.

Mehr als einmal ist Aslan seitdem auf dem Heimweg lange auf der Brücke stehengeblieben und hat in den Fluss geschaut. Ob man gleich stirbt, wenn man aus dieser Höhe runterspringt? Oder ob man warten muss, bis unten ein Kahn vorbeifährt, und versuchen, auf dem Deck zu landen? Dann ist man sicher Matsch. In den letzten Tagen spürt er, wie das Wasser ihn magisch anzieht. Immer stärker.

Nein, es ist kein Wunder, dass Aslan nicht mehr gern zur Schule geht. Die Bauchschmerzen muss er gar nicht vortäuschen. Es genügt, dass er sich vorstellt, wie die anderen lachen, wenn er zur Tür reinkommt, und schon verkrampft sich sein Magen und fängt an, zu brennen. Ungefähr so, als würde ein Drache in ihm hocken und Feuer spucken.

Als er heute nach der letzten Stunde auf den Schulhof kommt – als letzter, weil Alex ihm in der Pause das Handy abgenommen und dann im Unterricht hat klingeln lassen, woraufhin Frau Dietz es kassiert und Aslan eine Straferbeit aufgebrummt hat – natürlich ohne sich für den Hergang zu interessieren – steht das Auto seiner Mutter vor dem Tor. „Du hast ja wieder mal furchtbar getrödelt, Aslan. Schnell, steig ein, wir haben gleich einen Termin beim Kinderarzt.“ „Mist“, denkt Aslan. Auf die Schnelle fällt ihm keine Ausrede ein, und auf Mia kann er jetzt auch nicht zurückgreifen. Aber eins weiß er genau: dem alten Mann mit den grauen Locken und dem strengen Blick wird er bestimmt nicht erzählen, woher seine Bauchschmerzen kommen. Dann hält er ihn womöglich für verrückt und steckt ihn in die Kinderpsychiatrie, so wie Marie von gegenüber. Die hatte immer Albträume, und dann war sie plötzlich für lange Zeit verschwunden. Und als sie zurückkam, war sie ganz still. Sie hat ihm nie wieder von schlimmen Träumen erzählt, aber auch von nichts anderem. Und dann ist sie mit ihrer Mutter weggezogen. Ohne den Vater. Nein, das will Aslan nicht riskieren.

Aber dann kommt alles anders. Doktor Klebe ist nicht da. Seine Vertretung ist viel jünger, hat lange braune Haare und redet nur mit ihm, nicht mit seiner Mutter. Sie hört seinen Bauch ab, schaut ihm in den Hals, die Augen und die Ohren. Und dann sagt sie tatsächlich: „Frau Beck, ist es für Sie ok, wenn ich einen Moment alleine mit Aslan spreche? Er ist doch auch nicht dabei, wenn Sie zum Arezt gehen, oder?“

Die Mutter ist verblüfft und schaut erstmal skeptisch. Aber als Aslan nicht protestiert, geht sie mit einem Achselzucken aus dem Sprechzimmer.

„Aslan, dein Bauch ist ok. Und auch sonst fehlt dir nichts. Körperlich. Aber kann es sein, dass dich was bedrückt?“ Als er nicht antwortet, spricht sie weiter: „Als ich so alt war wie du, bin ich in eine andere Schule gekommen. Du weißt schon, aufs Gymnasium. Da habe ich lange keine Freunde gefunden. Ich war noch nie so alleine wie damals. Und ich wollte am liebsten nicht mehr zur Schule gehen. Kennst du das?“

Aslan schaut sie an. Dann bricht es aus ihm heraus: „Mit der Einsamkeit würde ich schon zurecht kommen. Aber die lassen mich einfach nicht in Ruhe. Fettklops, nennen sie mich. Stimmt ja auch. Aber wenn sie mich ständen fertig machen, Mobbing heißt das, ich weß das schon, dann kriege ich nur noch mehr Hunger. Ja, ich kenn das, ich will auch nie mehr in diese Schule. Können Sie da was machen?“

Die Ärztin schaut ihn sehr freundlich an. Beinahe liebevoll. „Ja und nein. Ich kann dir kein Attest schreiben, das dich für immer vom Unterricht befreit.“ Aslan presst enttäuscht die Lippen aufeinander. „Warte! Aber ich kann dir dabei helfen, dass das Mobbing aufhört.“

„Das glaub ich nicht“, sagt Aslan. „Wart’s ab, Du wirst schon sehen. Erzähl mir mal, was du so richtig gerne machst und ganz gut kannst. Nicht in der Schule.“

Aslan muss lange nachdenken. Was kann er? „In den Ferien habe ich einen Zirkus-Workshop besucht. Da habe ich gelernt, zu jonglieren und sogar Feuer zu schlucken. Das war toll. Aber was hat das mit dem Mobbing zu tun?“

„GIbt es in deiner Schule etwa keine Weihnachtsaufführung?“ „Doch, naklar. Aber…“

„Kein aber. Sprich mit denen, die das organisieren. Und überzeuge sie, dass das Ganze nur mit einem Jongleur und Feuerschlucker Erfolg haben kann. Und nach den Weihnachtsferien kommst du wieder und erzählst, wie es dir geht. Ok?“

Die Mutter ist zwar erstaunt, dass Aslan keine Medikamente verschrieben bekommt. Aber gleichzeitig ist sie erleichtert, dass er nichts Schlimmes zu haben scheint.

Daheim redet Aslan lange mit Mia. Er kann sich überhaupt nicht vorstellen, woher er den Mut nehmen soll, Frau Dietz anzusprechen. Ausgerechnet die! „Dann spring ich doch lieber von der Brücke“, vertraut er Mia an. „Das wirst du gefälligst bleiben lassen. Oder schieb es wenigstens bis nach Weihnachten auf. Sonst haben wir hier so ne miese Stimmung, dass ich meinen neuen Kratzbaum bestimmt nicht kriege.“ Typisch Siamkatze, Ist sich selbt am nächsten.

Und dann geschieht noch etwas Unerwartetes. Frau Dietz hört sich seinen Vorschlag in Ruhe an, und statt ihn entrüstet oder, schlimmer, lachend rauszuschicken, nickt sie, schaut ihn lange an und sagt langsam: „Das ist eine richtig tolle Idee! Ich wusste gar nicht, dass du sowas kannst! Wir wollen um die Krippe herum eine Art Jahrmarkt aufbauen. Und der wirkt natürlich erst mit einem Jongleur so richtig. Aber ich braucbe eine Einverständniserklärung von deinen Eltern, dass du wirklich Feuer schlucken darfst.“

Gleich nach der ersten Probe verändert sich etwas im Verhalten von Aslans Mitschülern. Die Kids aus der 7. Klasse, die Musik machen und die größeren Sprechrollen haben, sind sofort begeistert von Aslans Können. Sie fragen ihn ganz viele Sachen und wollen, dass er ihnen seine Tricks beibringt. Alex, Dani und die anderen stehen dabei und staunen. Als erste kommt Alice auf Aslan zu und fragt, ob sie zusammen heimgehen wollen.

„Na, wie geht’s dir?“, fragt die Ärztin, als sie sich im Januar wiedersehen. „Och, ganz gut“, antwortet Aslan. Meine Mutter hat mich in einer Zirkusschule angemeldet, zweimal die Woche ist Training. Alice geht auch hin. Sie macht Akrobatik.“

„Und sonst?“ „Ach ja, noch was. Ich hatte ja geplant, bei der Vorführung den Alex in eine lebende Fackel zu verwandeln. Aber dann habe ich mich in letzter Sekunde doch dagegen entschieden. Mobbing ist eine Sache, aber Mord wäre noch schlimmer gewesen, oder?“

Adventskalender MiniKrimi am 5. Dezember


Heute gibt es nur einen halben Krimi. Denn heute muss ich mich um mein „Kind“ kümmern, das morgen für mehrere Monate weit weg fliegt. Da sind Gespräche, Mutmachen und einfach zusammensein gefragt.

Deshalb kommt hier heute der erste Teil von

Cop Orange

„Stop. Polizei“. In der Dunkelheit leuchtet das rote Licht der Kelle wie das Auge eines Raubtiers. „Oh nein,“ flucht Arne, der gerade von der Weihnachtsfeier seiner Firma kommt.

„So, guten Abend, allgemeine Verkehrskontrolle. Führerschein und Fahrzeugpapiere bitte.“

„Moment“, Arne kramt vergeblich in den Taschen seines Anoraks. Weder links noch rechts wird er fündig. Dann erinnert er sich, dass er mit dem Firmenwagen unterwegs ist.  Er greift unter die Sonnenblende. Nichts. „Keine Ahnung, die müssten eigentlich…“  „Sie wissen nicht, wo Sie Ihre Papiere haben?“ „Doch, natürlich. Ehm. Nein. Das ist nicht mein Auto.“ „Wie bitte?“ „Nein! Das ist unser Firmenwagen, und die Papier müssten eigentlich..:“

„Zeigen Sie mir erst mal Ihren Führerschein. Haben Sie auf der Weihnachtsfeier was getrunken?“

„Ich, nein. Woher?“ Arne schiebt den Führerschein durch das nur halb heruntergelassene Fahrzeugfenster. Die Polizistin richtet ihre Taschenlampe darauf. Ihr Gesicht ist im Schatten, die Mütze sitzt ihr fast auf den Augen. „Zu groß“, denkt Arne. Auch die Jacke ist weit. Vielleicht hat sie kürzlich abgenommen. „Herr Junghans? Antworten Sie bitte. Wo fahren Sie hin?“ Nicht: wo kommen Sie her.

„Nach Hause. Wohin denn sonst?“ „Steigen Sie bitte aus und machen Sie den Kofferraum auf.“ „Was? Warum das denn?“ „Herr Junghans, steigen Sie jetzt aus. Sonst muss ich Verstärkung anfordern, und haben Sie gleich ein Verfahren wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt am Hals.“

Forsetzung folgt. ABER: Ihr könnt mir schreiben, wie Ihr euch die Story wünscht. Ich bin gespannt!

MiniKrimi Adventskalender am 13. Dezember


Tödliches Weihnachtswichteln

In den letzten zwei Wochen vor Weihnachten wird der Begriff „stade Zeit“ vollends ad absurdum geführt. In den Büros wird versucht, alles, was man 11 Monate auf die lange Bank geschoben hat, noch vor dem Jahresende in trockene Tücher zu bringen. Das schreit nach Überstunden. Und, nach getaner Arbeit, nach einer kleinen Pause vorm Nachhausefahren. An Glühwein und Plätzchen mangelt es in den Teeküchen in der Vorweihnachtszeit nie. Und wenn es draußen dunkel ist und drinnen still, kann es zwischen Kolleginnen und Kollegen schon mal zu magischen Momenten kommen. Ihr wisst, was ich meine……

Zum Glück ist Weihnachten schnell wieder vorbei. Das Neue Jahr beginnt wie ein unbeschriebenes Blatt, und über die letzten Ereignissen im Dezember wird der Mantel des Schweigens gelegt, bevor sie spätestens im Frühjahr dem Vergessen anheim fallen.

Und dann ist es auch schon wieder soweit. Weihnachten steht vor der Tür. Aber diesmal haben sich Vera und ihre Freundinnen vorgenommen, sich durch nichts und niemandem von ihrem Adventswichteln abhalten zu lassen. Ladies only, nur die Fantastischen Vier, Vera, Sara, Marlene und Bine.

Sie treffen sich im Spieglwirt, einer alten Traditionsgaststätte im neuen Gewand. Gemütliches Holz an den Wänden, die Tische blankpoliert, warme Bänke und dezente Tannengirlanden. Bayerisches Understatement, halt. Vera hat daheim schon vorgeglüht, in Vorfreude auf den Mädelsabend. Mit einer Flasche Prosecco in der Hand hat sie nach einem passenden Wichtelgeschenk gekramt. Etwas, das sie selbst einmal geschenkt bekommen hat, aber weder braucht noch benutzt. Natürlich darf es niemand von den Beteiligten selbst geschenkt haben. Nicht ihr Geschmack, aber auf keinen Fall zu hässlich zum Verschenken. Die Regeln beim Wichteln sind da ganz eindeutig. Sonst wäre es Schrottwichteln. Aber aus dem Alter sind Vera & Co. längst draußen.

Mit Mitte Dreißig hat sich normalerweise ein beträchtlicher Haufen an unnützen Dingen angesammelt. Parfum? Ihre Schwiegermutter hat ihr jahrelang Cashmere gekauft, obwohl Vera ihren Mann immer wieder gebeten hat, der penetrant dickköpfigen Frau zu erklären, dass sie genau diesen Duft hasst wie die Pest. Aber da muss noch eine Flasche übrig sein. Wo ist sie nur? Vera hat sich daran erinnert, dass sie sie ihrem Mann demonstrativ in seinen Rasierschrank gestellt hat, nach dem letzten Weiihnachtsfest. Aber da ist sie nicht. Mehr.

Schließlich hat sie die Kerze eingepackt, die ihre Patentante ihr vom Jakobsweg mitgebracht hat. Sara hat im Moment eine tendenziell esoterische Phase – vielleicht zieht sie die Kerze, das würde super passen. Die Verpackung ist beim Wichteln das Allerwichtigste. Sie muss den Inhalt verschleiern und das Geschenk wertig aussehen lassen. Vor allem aber: keiner darf wissen, wer welches Wichtel gepackt hat!

Im kleinen Schwarzen, erste Augenfältchen sorgfältig kaschiert, und in bester Prosecco-Laune steigt Vera in ihren Uber. Weil sie so lange nach dem Parfum gesucht hat, sind die drei anderen schon da und beinahe mit dem ersten Aperol Spritz fertig.

Ihr Wiedersehen wird ausgiebig gefeiert, Klatsch und Tratsch, neue und alte Kamellen werden ausgetauscht. Sara hätte es vorgestern um ein Haar mit ihrem Chef auf seinem Schreibtisch getrieben, nach der Weihnachtsfeier im Büro. „Und warum nur beinahe?“, fragt Vera. „Ich hab aus Versehen das Foto mit seiner Frau und den Zwillingen umgeworfen, und das Glas ist zerbrochen. Wie der sich aufgeführt hat! Nee danke, das muss ich mir nicht mal als One night stand antun. Wahrscheinlich hätte er mich währenddessen sogar mit dem Namen seiner Frau angeredet.“

„Never fuck the company – der Schpruch stimmt, Mädels.“ Marlene nickt weise und versucht, an ihrem Glas zu nippen, trifft den Rand aber erst beim dritten Anlauf.

„Du als freie Architektin hast ja gar keine Gelegenheit dazu, dich bei ner Bürosause daneben zu benehmen“, stellt Vera fest. „Schtimmt“, antwortet Marlene. „Aber isch habe Kunden…“

„Mädels, wenn wir jetzt nicht wichteln, sind wir zu besoffen, um das Papier aufzukriegen.“ Bine war schon immer die Praktischste von allen. MIt großem Hallo werden die Geschenke auf den Tisch gestellt und nochmal kräftig durchgemischt. Dann greift jede nach einem der Päckchen. Sara erwischt tatsächlich die Kerze. Und freut sich. Bine bekommt eine mit Perlen und Strass besetzte Haarspange. Wenn sie ihre dünnen Locken mit einem Haarteil aufpeppt, könnte das sogar gut aussehen. Marlene macht große Augen, als sie einen Dildo auspackt. „Bine – ist der von dir? Hast du einen neuen Freund?“ Aber ihr entsetztes „Nein!“ geht in dem lauten Gelächter der anderen unter.

Keiner der Frauen fällt auf, dass Vera plötzlich still geworden ist. Nachdenklich hält sie ihr Wichtelgeschenk in der Hand. Eine Flasche Cashmere. „Wow,“ sagt sie. „Wer?“ „Hey, das wird nicht verraten. Aber isch sag’s trotzdem“, Marlene ist dermaßen beschwippst, dass sie alle Regeln vergisst. „Das hat mir meine Adventsparty-Affäre geschenkt, als wir uns letztes Jahr nach Weihnachten getroffen haben. Verspätet, aber von Herzen, hat er gesagt. Echt, Mädels, dasch war ein Fehler. Der war doch gar nischt mein Typ. Nie gewesen. Ey, bis der dasch kapiert hat! Ich will nix haben, was mich an den erinnert!“

„Ich bin müde. War nett mich euch, Mädels. Bis bald mal.“ Vara packt ihre Sachen zusammen, legt 100 Euro auf den Tisch und verlässt, etwas unsicher auf ihren Stilettos, das Lokal.

„Was ist denn mit der los?“, fragt Sara. Aber die anderen haben keine Erklärung. Also trinken sie noch einen allerletzten Spritz.

Zuhause muss Vera sich sehr konzentieren, um das Türschloss zu finden. „Schatz, bist du das?“ ruft Timo, ihr Mann, von oben runter. Statt zu antworten, zieht Vera ihre Schuhe aus und steigt, in einer Hand die Stilettos und in der anderen Hand ihr Wichtelgeschenk, die Treppe hinauf. Timo ist im Bad und prüft lächelnd seine weißen Zähne. Dieses Lächeln. Wölfisch, geradezu.

„Na, wir war’s?“, fragt er, ohne den Blick von seinem Spiegelbild abzuwenden.

„Aufschlussreich. Ich habe heute das Parfum gesucht, das mir deine Mutter letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt hat.“ „Und? Gefunden?“

„Ja. Per Zufall ist es heute zu mir zurückgekommen. Als Wichtel von meiner ehenmals besten Freudin, mit der du mich damals auf Eurer Adventsparty betrogen hast. Als Dankeschön für ihre tollen Entwürfe, vielleicht? Aber merk dir eines, mein Schatz, Lügen haben nicht nur kurze Beine, sie sind wie ein Boomerang, Sie kommen zurück, und dann treffen sie DICH.“

In Vera toben Wut und Scham, Verzweiflung, Ärger – und eine Menge Alkohol. Sie fühlt sich stark. Unbesiegbar. Und im Recht. Sie holt aus und schmettert ihrem Mann die Parfumflasche an die Schläfe.

Cashmere ist ein besonders schwerer Duft. In jeder Hinsicht.

Adventskalender MiniKrimi am 21. Dezember


Und heute wieder ein Krimi von der wunderbaren Dagmar T.! Danke. Aber Vorsicht. Ich habe tatsächlich Gänsehaut bekommen.

Bussi von der Weihnachtsfrau

Das war nun schon die 20. Weihnachtsfeier in dieser Woche, in der sie als Weihnachtsfrau die Stimmung rockte. 

Diese Veranstaltungen hatten nichts mit beschaulicher Weihnacht zu tun und auch so gar nichts mit Friede und Freude… nun ja, nicht für Alle jedenfalls. Für sie waren sie ein mäßig bezahlter Job. Jede Feier glich der anderen. Immer die gleiche Leier, die gleiche Feier, bei der sich meist Männer die Kante gaben. Ja, es gab auch die eine oder andere Frau, die nichts anbrennen ließ; aber das war nicht ihre Abteilung. Sie befasste sich mit der holden Männlichkeit. Da wurde mal hier, mal da geflirtet, geschäkert, und es wurden Küsschen verteilt, rein geschäftlich angemutet, versteht sich.

So manchER überzog aber die unverbindliche Weihnachtsstimmungs-Beschwingtheit und setzte mit Riesenschritten zum Sprung an… zum Seitensprung.

Zuerst erzählte man(n) von einem ausgefüllten Berufsleben, von Karrierechancen, von kostspieligen Hobbys, die man sich leisten konnte, ja durchaus, dann von Frau und Kindern… und irgendwann wurde es dann vertraulicher, schließlich intimer, eine Verabredung wurde ausgemacht, eine Visitenkarte mit Handynummer eingesteckt, ein Anruf avisiert. Man(n) würde noch Überstunden schieben müssen, war ja klar, wegen der Tage zwischen den Jahren, das würde die Gemahlin schon glauben, war sie doch schon so gewohnt. Ja, man(n) freue sich auf das Treffen, mit ihr, geheim… und feierlich!

Alles in Allem hatte sie heuer 13 Verehrer-Dates. Würde wieder anstrengend sein.

Ihr kleinkalibriger „Herzensbrecher“ war bereits aus der geheimen Kiste im Gartenversteck geholt und instand gesetzt, gesäubert, geschmiert und poliert. Und bestückt. Mit den kleinen Weihnachts-Kügelchen. Für jeden eine; sie traf sicher, das war klar. Ein Schuss, eine Kugel, einer weniger. 

So wurde manche Ehefrau noch vor dem heiligen Familienfeste von ihrem untreuen Ehemann erlöst. Rechtzeitig genug, damit es diesen Frauen nicht so erginge, wie es ihr damals geschehen war. Ein feierlicher Heilig Abend, am 1. Weihnachtstag noch Friede Freude Weihnachtsplätzchen und am 2. Feiertag ein Abschied mit gemeinen Worten und mit Tränen. 

Man hätte doch, du verstehst doch, wir könnten doch und er hätte das doch nicht gewollt… aber er hätte sich halt verliebt, da auf der Weihnachtsfeier, das sei einfach Liebe, da könne man(n) nichts machen…  

13 Männer, 13 Visitenkarten beschriftet mit „Bussi von der Weihnachtsfrau“, 13 gezielte Schüsse mitten ins Herz. Den Muff passend zu ihrem roten Wintermantel  würde sie waschen müssen, einige rote Tropfen hatten diesen bekleckert, würden sonst hässliche schwarze Flecke hinterlassen. Das gestohlene Handy, mit dem sie die Verabredungen mit den Ehebrechern plante, war bereits in den Tiefen des Flusses auf Nimmerwiedersehen versenkt. Alle Jahre wieder… sang die Weihnachtsfrau nach getaner Arbeit und verstaute den roten Mantel, den frischgewaschenen Muff und die Waffe im üblichen Versteck, bis zum nächsten Jahr…alle Jahre wieder.