„Global brutal“ heißt der Titel eines Buches von Michael Chossudovsky. Entfesselter Welthandel, Armut und Kriege sind eine Facette der Globalisierung. Einer anderen begegne ich in der Münchner U-Bahn. Schwarz neben weiß neben braun sprechen oder radebrechen. Tippen auf die gleichen Microtasten, tragen gleiche Propfen in den Ohren, nur die Rhythmen, die mir auf die Nerven tropfen, sind verschieden.
Oder eine Einkaufsmeile, hingezogen irgendwo zwischen den Polen. Beispielsweise Mailand. Florenz. Stuttgart. Minsk. Zwischen den Variablen Temperatur, Architektur, Vegetation, Straßenhändler und Verschmutzungsgrad prangen die identischen Aushängeschilder globalisierter Produktions- und Konsumtraditionen. Prada Versace Chanel gab es zur Freude des jettenden Sets bereits vor der medialen Weltvernetzung sowohl in New York als auch in Paris. Chanel hat sich Moskau bei Breschnew verscherzt, neunzehnsiebenundsechzig. Doch heute locken die Tempel der göttlichen Mode mit ihren überall identischen Ikonen die weltweite Jugend in ihre lautdunklen Höhlen. Auch Höllen.
Was da in schwarzem Marmor im Mailänder Zentrum aufragt, ist nicht die Kulisse des dritten Zauberflöten-Aktes. Und auch nicht ein Museum nazistischer Kunst in einer aktuellen Retrospektive. An zwei makel- wie seelenlos schönen Körpern vorbei zwängen sich Scharen von Kinderlemmingen in den Bau, werden geschluckt und verdaut von orgiastischen Beats. Gläserne Treppen entführen ins Innere eines Konsumlabyrinths, von dessen Wänden überlebensgroße Knaben in lässigen Posen aus Fresken herablächeln, wie Hitler sie kaum erträumt haben dürfte. Hineingestreut Statuen, männliche Obelisken, muskelglänzend und schneckennackt. Beiläufige Attribute nur die aufgeschichteten Waren, winzig übersehbar die handgeschriebenen Preise. Lappalien. Im Herzen des Raumes die Kassen, kordonbekränzt wie beim Galaempfang oder in einer veralteten Bank. Unsichtbar fast hinter Pyramiden weißer Parfumkartonagen. Diese scheinen undicht zu sein, zumindest füllen die süßlichen Düfte atemraumgreifend sämtliche Lüfte.
Hotel California von Abercrombie & Fitch. Ohne die Chance, das Monster mit Messern zu treffen. Was bleibt ist die monetäre Huldigung als Faustpfand für die Erretung aus den nächtlichen Tiefen. Dieser Architekt hat die göttliche Komödie für meinen Geschmack etwas zu wörtlich genommen. Zurück auf der Straße glänzende Kinderaugen mit vollen Tüten und leerem Blick.
Und wo nicht Abercrombie da H & M, Zara und Zero. Leggins und Sommerstiefel von Novosibirsk bis Palermo. Global und brutal. Auf eine ganz eigene, hinterhältig nachhaltige Art. Wo kulturelle Vorbehalte die Integration angeblich behindern, hat sich das Äußere längst bis zur Unkenntlichkeit angeglichen. Und in facebook verbinden sich ohnehin alle Gesichter zum Abbild der einen modernen Community.
Zum Glück gibt es Fußball. Ausgerechnet die Weltmeisterschaft rettet uns alle vor der endgültigen Globalisierung von Körper und Geist. Wo eben noch alles eins war im Zeichen von Apple und Youtube und FastFood-Genuss, scheiden sich kurz vor dem Schiedsrichterpfiff Blaue von Gelben, Weiße von Orangefarbenen. Gesichter werden zu Masken, zuweilen zu Fratzen. Und der Gegenüber jenseits der Linie wieder zum Feind, facebook hin Twitter her. Der Straßenkampf wütet an jeder Ampel, die Bekennerwimpel flattern im Fahrtwind. Noch – nicht von den Laternen, sehr wohl aber von den Balkonen hängen erschlafft die Insignien persönlichen Glaubens.Und während 22 Ritter das Turnier ihres Lebens bestreiten, zur Ehre von Volk und Vaterland, besinnt sich ein jeder darauf, wohin er gehört. Von Staats und Gesinnungs wegen. Wenn das nicht Rassismus in Reinform ist, nationalistisch verbrämt, dann weiß ich nicht, was noch trennender wäre. Kein Krieg wird so persönlich genommen, keine verlorene Schlacht rührt so zu Tränen wie der verschossene Elfmeter im feindlichen (!) Raum. Schland, o Schland. Welche Freude hätte Heinrich Heine in diesen Tagen!
Ich jedoch, vermengtes Produkt mental-emotionaler Völkerverquickung, hänge meine Trikolore inwendig an die Balkonbrüstung, nuckele versonnen an meiner Vuvuzela und lasse meine so unpassend globale Seele in den volksfreien Strafraum baumeln. Und nur leise, ganz leise murmele ich dem Südwind entgegen: „Forza Azzurri!“
Wichtiger Artikel, ich werde wohlnun auch gleich wieder weiter baelttern hier. Bis zum Naechsten mal.